Amerika – literarisch-publizistische Textzeugnisse

In den Blick deutschsprachig-jüdischer Autoren und Autorinnen rückt Amerika als potenzieller Lebensraum eigentlich erst in den Jahren rund um die gescheiterte Revolution von 1848-49, die im deutschsprachigen Raum gerade auch von jüdischen Studenten, Intellektuellen und Schriftstellern mitgetragen wurde, u.a. von Leopold Kompert (1822-1886). Von ihm stammt bekanntlich der frühe, einem Manifest ähnliche Text Auf, nach Amerika, der vor dem Hintergrund judenfeindlicher, pogromähnlicher Übergriffe (Lichtblau, 2006) im Mai 1848 veröffentlicht wurde. Für Heinrich Heine dagegen, dem die deutschen Verhältnisse seit seinem Reisebilder-Zyklus (1825-28) zunehmend unerträglich erschienen, stellten die Vereinigten Staaten damals (1830-50) noch keine mögliche Alternative dar. Dies belegt ein Brief aus Helgoland vom 1.7.1830, der später in die Denkschrift über Börne (1840) aufgenommen wurde. Darin bezeichnete Heine Amerika als „ungeheures Freiheitsgefängnis“; er meinte damit in erster Linie die Sklaverei, die neben dem republikanisch-demokratischen, neben dem fortschrittlichen Anspruch, als Paradoxon bzw. als „Heuchelei“ fortbestehe und sich in „Brutalität“ der farbigen Bevölkerung gegenüber ausdrücke.

Trotzdem setzte bereits vor bzw. um 1830 eine Amerika-Emigration aus mehreren deutschen Landesteilen (inbes. Bayern, Provinz Posen) ein, teils aus ökonomischen Überlegungen, teils auch in Erinnerung an die Hep-Hep-Unruhen und Pogromängste von 1819-21 (Richarz, 1988, 28). Die ersten deutsch-jüdisch-amerikanischen Zentren bildeten sich neben Philadelphia und New York zunächst im Mittleren Westen (Chicago, Detroit, Atalanta) aus (Brinkmann, 2002, 49). Nach 1848 folgten auch mehrere bedeutende Reformrabbiner wie David Einhorn (nach Ablehnung einer Berufung nach Budapest durch die k.k. Behörden 1852), der ab 1855-1861 in Baltimore, anschließend bis 1866 in Philadelphia und danach in New York wirkte oder Samuel Hirsch, der 1866 die Nachfolge von Einhorn in Philadelphia antrat. Die deutschsprachige Zuwanderung hielt sich allerdings bis zum Ende des 19. Jhdts. in Grenzen; der Großteil der Auswanderung, sowohl via Deutschland (insbesondere Hamburg) als auch Österreich speiste sich aus jüdischen Communities, die vorwiegend aus russisch-ukrainischen, partiell auch russisch-polnischen und österreichisch-polnisch-ukrainischen Territorien (Galizien, Bukowina) stammten, aus Migrationsströmen infolge prekärer ökonomischer Verhältnisse aber auch zunehmenden antijüdischen Drucks und pogromartiger Verfolgung seit den 1880er Jahren. Ein großer Teil dieser jüdischen Migrantinnen und Migranten war nicht primär deutsch- sondern jiddischsprachig. Nichtsdestotrotz finden sich bereits in den 1890er Jahren in deutschsprachigen jüdischen Zeitschriften, z.B. in Dr. Blochs oesterreichische Wochenschrift, erste literarische Texte, in denen Amerika-Erfahrungen angesprochen werden, wenngleich das Thema Amerika kein zentrales, eher ein seltenes, aber nicht minder dramatisches darstellte. Ein Beispiel dafür wäre der (ohne Verfasserangabe erschienene) Text Das Judengeld, das einen Europa-Rückkehrer zeigt, der sich in einer deutschsprachigen Stadt wiederansiedelt und eines Abends von antisemitischen jungen Männern, „Söhne der ersten Patricier der Stadt“ angepöbelt und im Zuge einer Konfrontation von ihnen erschlagen wird. (H.12/1891, 219-221)

Literatur:

Brenner, Michael: Von Posen nach New Orleans. Neuanfang in Amerika. In: Ders.: Kleine Jüdische Geschichte. München 2008, 205-213; Brinkmann, Tobias: Von der Gemeinde zur ‚Community‘: Jüdische Einwanderung in Chicago 1840-1900. Osnabrück 2002; Feingold, Henry, L.: German Jews and the American-Jewish Synthesis. In: Mauch Ch./Salmons J. (eds.): German-Jewish Identities in America. Madison 2003, 8-20; Glanz, Rudolf: The ‚Bayer‘ and the ‚Pollack‘ in America. In: Jewish Social Studies, 17(1955), 27-42; Hertzberg, Arthur: Shalom Amerika! Die Geschichte der Juden in der neuen Welt. München 1992; Kniesche, Thomas W.: Projektionen von Amerika. Die USA in der deutsch-jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Bielefeld 2008; Kriebernegg, Ulla, Lamprecht, Gerald, Maierhofer, Roberta, Strutz, Andrea (Hgginnen): „Nach Amerika nämlich!“  Jüdische Migrationen in die Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2012; Lichtblau, Albert: Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn. Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart. In: Brugger Eveline u.a. (eds): Geschichte der Juden in Österreich. Wien 2006, 449-455; Östreich, Cornelia: „Der rauhen Winters ungeachtet…“ Die Auswanderung Posener Juden nach Amerika im 19. Jahrhundert. Hamburg 1997; Richarz, Monika Jüdisches Leben in Deutschland: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780–1871, Stuttgart 1976; Steidl, Annemarie: „There are no cats in America…“ zur Teilnahme von Juden und Jüdinnen an transatlantischen Wanderungen aus den österreichischen Ländern der Habsburgermonarchie. In: Aschkenas. Zs. für Geschichte und Kultur der Juden 17/1(2007), 13-35 (online verfügbar: https://homepage.univie.ac.at/peter.rauscher/steidl.pdf )

(in preparation/in Vorbereitung)