AUTOR*IN UNBEKANNT: FRAUEN IN DEN GROSSSTÄDTEN

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 22. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 13.01.1882, S. 10f

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Die alten Mönche hatten gut reden, wenn sie den Satz aufstellten: mulier taceat in ecclesia (das Weib hat in der Kirche zu schweigen); wußten sie ja, daß die Kirche im Weibe nicht schweigen werde. Das Element der Kirchlichkeit, des positivreligiösen Lebens wird einzig und allein vom Weibe getragen und erhalten. Der Mann mag spitzfindige Dogmen ersinnen, theologische Systeme erbauen, in metaphysischen Haarspaltereien sich versuchen, der Mann ist Bilderstürmer, zuweilen Kirchenrebell, Altarstürzer, aber nur in seltenen Fällen Träger der erhaltenden Idee, Repräsentant jenes religiösen Seelenlebens, das jeder Kritik unnahbar und Klügeleien gegenüber gefeiet im innersten Gemüthe sitzt. Die Kirchen wurdeu von dem Geiste des Mannes erbauet, aber von der weiblichen Seele geweihet und erhalten. Frauen waren die Missionäre der Religionen, die Erzieherinnen der Märtyrer, die Apostel des warmen und lebendigen Gottbewußtseins, die Vermittlerinnen zwischen dem Ideale und der brutalen Wirklichkeit. Das Weib hat allein Verständniß für das Symbol, für die Versinnlichung der Idee durch Kultusübung, für den faßbaren Docht, der das Flämmlein jenes Gedankens, den die Männer gezündet haben, trägt. Und wie in allen Kirchen der Welt, so waren auch innerhalb des Judenthums die Frauen die Erhalterinnen der Sitte, die Hüterinnen des frommen Brauches, deren erhabenerer Beruf, wie der Talmud behauptet, sich darauf beschränkt, Söhne für das Erbgut der Religion zu begeistern. Das Judenthum war in seiner Weise auch stets dankbar für die treue Erfüllung dieser Mission, es verlangte, daß der Jude „seine Gattin wie sich selbst liebe und mehr als sich in Ehren halte“, es enthob das Weib gewisser zeremonialen Uebungen, damit es desto eifriger seiner höhern Sendung der Kindererziehung obliege, es glorifizirte die Frau als Personification des von einem divinatorischen Takte beseelten höheren Menschthumes und trug durch eherechtliche Bestimmungen Sorge dafür, daß die Stellung der Gattin als Priesterin des Hauses gesichert bleibe. Allerdings hätte gerade das jüdische Volk des weiblichen Beistandes zur Erhaltung der Religion leichter entbehren können, weil die jüdische Volksseele an sich zum Conservatismus hinneigt und von Ideologie beinahe angekränkelt erscheint. Es ist zum Erstaunen, wie in dem Geiste eines Juden ein nüchternes, berechnendes Wesen neben Schwärmerei und selbstlose Hingebung an einen idealen Traum so unvermittelt neben einander stehen. Derselbe Jude, der den Tag über mit schlauer Pfiffigkeit den Kampf um das materielle Dasein ausficht, sitzt beim Lampenschein über einem Talmudfolianten und verliert sich in einer Gedankenwelt, die der Wirklichkeit so entfernt liegt. Was man an dem Juden oft als Arbeitsscheu und Müssiggang verurtheilt, ist nichts anderes als idiologische Träumerei und Opferbereitschaft für ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Die Juden sind das Volk der Religion, sind ein „heiliges Volk“ in des Wortes erhabendstem Sinne, vom redlichsten Gemüthe und empfindlicher Gewissenhaftigkeit und die Fehler, die ihm der Druck der Zeiten aufgenöthiget hat, sie bestätigen nur die Annahme, daß häßliche Raupen zumeist an edlem Reise sitzen und die Wahrheit des Dichterwortes:

„In steter Nothwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüth nicht war.“

Allein eben deshalb, weil der Jude in sich selber das weibliche Element in so hohem Grade vorwaltend weiß, hat die Synagoge die Macht der Kirche in dem Weibe – letzteres im engeren Sinne genommen – vielfach überschätzt und keine Sorge dafür getragen, durch das Medium schönerer Cultusformen das derselben bedürftige Frauenherz dauernd für dessen erhabene Mission zu begeistern. Was ist, was kann dem modernen jüdischen Weibe in den Großstädten das Judenthum sein? Für die metaphysischen Wahrheiten unserer Religion interessirt sich die weibliche Psyche ihrer Natur nach nicht, die Religion in Küche und Keller befriedigt nicht mehr den idealen Drang, dem öffentlichen Gottesdienste ist im flagranten Widerspruche mit dem Geiste der Satzung das sprachliche Medium entzogen, durch welches er auf das Gemüth wirken könnte, das gesteigerte ästhetische Bedürfniß der mit Schönkünstelei übernährten Großstädterinnen wird von einem Ritus abgestoßen, welcher von theologischer Rechthaberei beherrscht wird, als daß er der Erscheinungsform und der Wirksamkeit auf das Gemüth Rechnung tragen könnte. So ist es gekommen, daß in Großstädten nur noch der jüdische Mann den Conservator abgeben muß, das Weib dagegen den Indifferentismus wo nicht gar das Antisemitenthum vertritt. Der Mann aber kann nur das Knochengerüste liefern, niemals die Befleischung, den Blutumlauf, das Nervenleben hervorbringen. Das stets umlauerte und stets angefochtene Judenthum bedarf der Enthusiasten, bedarf einer todesmuthigen Jugend, und wer soll eine solche großziehen, wo nicht die Mütter es thun? Es hat uns daher im hohen Grade erfreut, aus den in der öffentlichen Vorstandssitzung am 4. d. M. erflossenen Kundgebungen zu erfahren, daß ein ständiges Comitè zur Berathung gottesdienstlicher Reformen eingesetzt wurde. Hoffen wir, daß dieses Comité seine ernstliche Sorge der Erziehung der Töchter zuwenden und der um sich greifenden Gottlosigkeit durch wirksame Institutionen entgegen zu arbeiten bestrebt sein werde. „Macht ein Zaun um die Thora“, ist ein weises Gebot der Mischnah, aber die Zäune, die das Paradies der Religion in heutiger Zeit gegen Gartenfrevel schützen wollen, können nicht in neuen Erschwerungen des Speise- und Sabbathritus, in Ausklügelungen neuer Beschränkungen der Freiheit bestehen, sondern in Schöpfungen positiver Formen, die durch ihre Wirksamkeit nicht durch das überwuchernde Moos des Alterthums den Herzen ehrwürdig erscheinen. Was aber ließe sich an der Erziehung unserer Töchter in den Großstädten zur Religiosität und zur Liebe für das Judenthum ändern und verbessern? – Das sei der Gegenstand der Erörterungen, die wir hiermit eröffnen.

(Forts. folgt.)