WOZNIANSKI, HEINRICH: WERBUNG AUF REISEN. ZUR A.-C.-SITZUNG

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In: Jüdische Rundschau, 37. Jahrgang, Ausgabe 59 vom 26.07.1932, S. 282

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Die Wechselbeziehungen zwischen Palästina und dem Galuth finden äußerlich immer stärkeren Ausdruck in der Kurve der Besuchsziffern hüben und drüben. Heute, wo das Interesse für Palästina aus den verschiedensten Ursachen einen aktuellen Antrieb erhält, ist die Förderung der Alijah durch das Mittel der persönlichen Fühlungnahme für Propagandazwecke in Rechnung zu setzen. Es wird als ein Mißstand empfunden, daß die Anwesenheit von palästinensischen Besuchern im Galuth für diesen Werbezweck nicht genügend ausgenützt, insbesondere, daß sie den heimischen Interessenten und Zionisten, die einen persönlichen Kontakt mit diesem oder jenem Gast aus Palästina suchen, überhaupt nicht bekannt wird.

Mein Vorschlag geht dahin, daß nach dem Muster einer Einrichtung, wie sie bei den überseeischen Schiffahrtsgesellschaften besteht, die ankommenden Palästinenser sich in einem ständig dafür auszulegenden „Gästebuch“ eintragen. Das Gästebuch wäre zweckmäßig beim „Palestine Lloyd“ aufzulegen und diesem die Verpflichtung zu übertragen, die Meldungen regelmäßig an die Z. V. f. D. weiterzuleiten, wo unter Umständen ein zweites Gästebuch präsent sein sollte, vorwiegend für durchreisende Zionisten aus dem übrigen Ausland. Die Z. V. f. D. hätte die Einrichtung zu treffen, daß mit den auswärtigen Besuchern für die Dauer ihres hiesigen Aufenthalts Treffzeiten und -punkte arrangiert werden und in der „Jüdischen Rundschau“ eine „Gäste-Tafel“ als ständige Rubrik einzuführen. Die Maßnahme wäre später auf andere Plätze, insbesondere auf Kurorte auszudehnen.

Natürlich müßten Presse und Touristenbüros in Palästina und im sonstigen Auslande diesen Gedankenbei den Reisenden populär machen, vielleicht erscheint seine sinngemäße Uebertragung für Palästina hinsichtlich der Ankömmlinge aus dem Galuth angezeigt, und die Exekutive sollte diese Vorschläge in entsprechender Weise für die einzelnen Länder abwandeln.

Die bevorstehende A.-C.-Sitzung dürfte die beste Gelegenheit bieten, um mit diesen Anregungen einen praktischen Versuch zu machen, da ja alsdann eine Anzahl von Delegierten aus Palästina nach Europa kommen und die Teilnehmer aus dem Osten ihren Weg über Deutschland zu nehmen pflegen.

Beobachtungen auf einer Palästinareise und Gespräche mit Touristen leiten zu dem Urteil, wie wenig die lange Schiffsreise und die Spannungen des Reisenden, die in ihnen das erwartete Erlebnis Palästina erzeugt, propagandistisch ausgenutzt werden. Wie Stark empfindet man doch die durch eine innere Regie improvisierten Chöre und Tänze von heimkehrenden Chaluzim, wenn einem das Reiseglück widerfährt, mit einer solchen Gruppe von Menschen die Reise teilen zu können? Sonst aber fehlt jegliche Organisation, jegliche Regie auf den Schiffen hinwärts und rückkehrend, die die aufgelockerte Empfänglichkeit von Menschen in Hochstimmung zum Angriffspunkt einer propagandistischen Idee, die sich um unser Aufbauwerk gruppiert, nimmt. Turnowsky beklagt bereits in Nr. 70/1931 der Rundschau „… daß die erzwungene Konzentration auf den Schiffen für eine systematische Werbung nicht ausgenutzt wird …“.

Es gibt zwar eine Anweisung an die Palästinaämter, Vertrauensleute auf den Schiffen zu bestellen, die den Verkehr mit Palästina vermitteln. Diese Anweisung der Exekutive geht aber an der propagandistischen Aufgabe solcher Vertrauensleute gänzlich vorbei; aber auch in ihren sonstigen Absichten lebt sie nur auf dem Papier. Dabei führt die lebhafte Reisebewegung fast auf jedem Dampfer Palästinakenner und Persönlichkeiten, die Vorträge, informative Veranstaltungen über das Aufbauwerk und über Investierungsmöglichkeiten, über Reiseprogramme im Lande organisieren könnten. Man kennt sich aber nicht auf dem Schiff, wo oft Palästinafreunde aus aller Welt zusammengewürfelt sind, und es ist nicht jedem gegeben, Reisebekanntschaften nach dem Rezept von Scholem-Aleichems Kaßrilowker Reisetypen „… Vun wannent is a Jid, vun wu fohrt a Jid?” anzuknüpfen.

Die Herstellung persönlicher Bekanntschaften und die Pflege eines lebendigen Konnexes zwischen den reisenden Zionisten vermag eine elementare Einrichtung zu gewährleisten, wie sie auf den Dampfern gang und gebe ist, nämlich die Auflegung von Passagierlisten, die sich allerdings bisher nur auf die I. und II. Klasse erstreckt. Die Exekutive dürfte es bei den Schiffsgesellschaften ohne weiteres erreichen, daß das Vorrecht einer kapitalistischen Welt- und Schiffsordnung auf den Palästinadampfern auch den Reisenden III. Klasse zugute kommt. Schon mit so einfachen Mitteln würde man es fast automatisch erreichen, die Arrangierung von Veranstaltungen zu erleichtern geeignete Referenten und Palästinakenner dafür ausfindig zu machen.

Einige der Passagierlisten sollten die europäischen Palästinaämter in den Ankunftshäfen erhalten und sie an die Landesorganisationen überweisen, sie würden als Ergänzung des Materials für das „Gästebuch“ dienen, vielleicht auch für statistische Zwecke ausgewertet werden können. In Palästina sollten aber die Listen vom Zionistischen Informationsbüro für Touristik, dessen gute Arbeitsweise mit den beschränkten Mitteln hervorgehoben werden, aber durch Errichtung eines eigenen Büros in Tel-Aviw erweitert werden muß, im Sinne einer systematischen Erfassung der Ankömmlinge für die Werbung benutzt werden.

Bei den vorstehenden Anregungen handelt es sich um technisch leicht durchzuführende Verbesserungen, die mit einem geringfügigen Aufwand in Gang zu bringen sind. Daneben aber muß eine systematische Werbung auf den Palästinadampfern durchorganisiert werden. Wer den Apparat etwa eines K.-H.-Werbefeldzuges in einer beliebigen Stadt kennt, all die unendlichen Mühseligkeiten und Anspannungen von Rednern und Helfern durchkostet hat, um abseits sich haltende und „zugeknöpfte“ Menschen zu erfassen und zu bewegen, und dies mit den fragwürdigen Ergebnissen einer solchen Kampagne in Beziehung setzt, dem bleibt es unverständlich, warum die allein schon durch die „erzwungene Konzentration“ auf dem Schiff sich ohne weiteres darbietende, aufnahmebereite Masse von Palästinatouristen von der Propaganda geradezu geflissentlich vernachlässigt wird. Und dabei ist eine solche Kampagne gänzlich risikolos; der drive kostet keine Saalmiete, erfordert keine Annoncen, Plakate, Drucksachen, Porti; es ist auch kein Risiko vorhanden, daß diejenigen, die man gerufen hat, nicht kommen, und daß diejenigen, die kommen, womöglich nicht berufen sind, zu hören, sondern zu stören; auch keine Lichtbilder oder Filme brauchen als Zugmittel angewendet zu werden, die Suggestion des lebendigen Gesichts von Palästina schwebt jedem vor dem geistigen Auge als Lichtbild vor und vibriert noch stärker in der Rückerinnerung der Zurückkehrenden.

Diese Stimmung gilt es auszunutzen durch „Werbung auf Reisen“.

In diesem Zusammenhange an die von Turnowsky in dem angezogenen Artikel angeregten Fragen der „Werbung durch Reisen“ eindringlich zu erinnern, gebietet die neue Alijah-Tendenz. Die A.-C.-Sitzung sollte sich mit den Methoden von organisierten Propagandareisen nach Palästina eingehend befassen und diese nüchternen Wirtschaftsdinge nicht etwa als „minima non curat praetor“ von sich abtun.