WOLF, JOSEPH: INHALT, ZWECK UND TITEL DIESER ZEITSCHRIFT

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In: Sulamith, eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation 1 (1806), Bd. 1, 1. Heft, 1-11

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2304627]

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Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith!

Kehre wieder, daß wir dich schauen.

„Was sehet ihr an Sulamith?“

Wie Reigentanz der Kriegesheere. –

Hohe Lied Salomonis.

Jedes Volk hat seine eignen Anlagen und Bedürfnisse, seine eignen Begriffe und Fähigkeiten. In seinem frühern Entstehen haben sie ihren Grund, in der Art seiner Organisation ihre Selbstständigkeit und Dauer, und sind daher, als wesentliche Eigenschaften, von der Existenz desselben untrennbar. Der uneingenommene Menschenbeobachter wird sie nicht in Nebendingen und Zufälligkeiten suchen, er wird nicht muthwillig streben, den Grund ihres Seyns in dem allgemeinen Menschencharakter entdecken zu wollen; denn hier findet er nur den Menschen, nicht das Besondere, das Rationelle, das Menschen von Menschen unterscheidet.

Jedes Volk ist daher auch eine Bildung, einer Sittenverbesserung nicht unfähig. Ist es erwiesen, daß die EleElemente, die sein Wesen begründen, ursprünglich gut, daß Stoff und Form seinem innern Werthe gemäß gewesen sind: so wird niemand in Abrede seyn, daß nur die besondern Umstände in dem langen und vielfachen Lauf seiner Geschichte, die den Gesichtspunkt desselben allmälig entrückten, das Ganze umgebildet haben, und in einer veränderten, oft nachtheiligen Gestalt erscheinen lassen. Bringet jene in ihre vorige Lage und Ordnung, und das Ganze stehet wieder in seiner völligen Schönheit da. Nur muß die Bildung aus ihm selbst hervorgehen, die Keime eigner Kultur müssen von Neuem entwickelt werden, wenn unsere Bemühung nicht fruchtlos seyn soll. Eine wohlthätige Wirkung läßt sich alsdann erst mit Recht erwarten, wenn angeborne, aber schlummernde Kräfte wieder aufgeregt werden; mit Freuden wird man bald sehen, daß die Blume in dem großen Garten Gottes, welche schon beim Sinken nahe war, von Neuem aufblühen, ihr mattes Haupt emporheben, und neben ihren prangenden Schwestern in schönster Eintracht mit ihnen fortblühen wird. Eine fremde Kultur hingegen, aufgedrungen oder erborgt, würde sie entweder ganz zernichten, oder doch wenigstens unterdrücken und mißgestalten. Nichts Fremdes läßt sich dem Menschen anbilden, sowohl im Einzeln als bei ganzen Völkern. Die bildende Natur hat jedem Stoffe, so wie jedem Klima, seine besondern Kräfte und Erzeugnisse angewiesen, und die Kunst vermag nur da etwas zu wirken, wo sie zu dem heimischen Boden ihre Zuflucht nimmt.

Die größten Männer aller Nationen strebten daher immer, so bald sie für die Vervollkommnung ihrer Zeitgenossen begeistert wurden, ihre vorhabenden Verbesserungen auf auf die schon vorhandenen Grundsätze zu stützen. Mit dem menschlichen Herzen bekannt, hielten sie es für ihre erste Pflicht, das heiligste Eigenthum ihres Volks so viel als möglich zu schonen. Bloß umgeformt ward das Alte, und durch eine neue bessere Ansicht, die sie ihm zu geben wußten, ihrem edlen Plane zeit und ortmäßig angepaßt. Nicht entfernten sie sich eigenmächtig von dem allgemein Anerkannten, allgemein Verehrten, nicht alles ward willkürlich für untauglich erklärt, verworfen; nur das wirklich Schädliche, das Gott und Menschenbeleidigende suchten sie aus allen Kräften zu bekämpfen. Schädliche Mißbräuche, die der Aberglaube heiligte, irrige Meinungen, die auf Abwege führten, unsittliches Verfahren, von Zeloten mit einer religiösen Farbe belegt, wurden als Gebrechen des gesellschaftlichen Menschen beachtet, und wegen ihrer Schädlichkeit entfernt. So gelang es diesen Edlen ihrem Zeitalter nützlich zu werden, indem sie, wie jener Rabbi , die bittere Schale vom schmackhaften Kern weislich zu trennen wußten. – Fanden gleich die guten Grundsätze, die sie ververbreiteten, nicht überall schnellen Eingang, so hat doch die Zeit ihre Unternehmungen gerechtfertiget, und die Nachwelt segnet das Andenken dieser heilbringenden Schutzengel der Menschheit .

Es war eine Zeit, in der das jüdische Volk, getreu der segenbefördernden Religion ihrer Väter, sich zu den glücklichen Völkern der Erde zählen konnte. Sitten und Gebräuche eigneten es damals zu einem gottgeweiheten Volke, das sich in seiner moralischen und politischen Verfassung vor vielen andern damals lebenden Völkern rühmlichst auszeichnete. – In jener glücklichen Periode war es, in der das israelitische Volk, durch begünstigende Zeitumstände, einen gewissen hohen Grad der Vollkommenheit erreichte, indem die Nationalliebe sich zur allgemeinen Menschenliebe erhob, und unter dem Schutze eines friedliebenden Regenten die heilsamen Folgen des allbeglückenden Friedensdens für die Nation nicht ausblieben. Mit einer Weisheit, die nur jene religiöse Idee eines ewigen Allvaters unterstützt, erweiterte man den Gesichtskreis, vervielfältigte die Empfindung für Andersdenkende‡, und Duldung, Mitgefühl, Zufriedenheit, Ruhe und Glückseligkeit beherrschten die Gemüther der Nation. Und woher nahmen sie diese fromme Ideen? – Aus der Religion; sie, die überall auf Bruderliebe und Menschenwerth das größte Gewicht legt; sie, bey der allgemeine Vernunft und ewige Wahrheit, Tugend und Gerechtigkeit stets Hauptregel und Tendenz ist.

Doch nicht bloß dem blühenden Staate des Volkes Jakob bot sie heilbringende Lehren und Gesetze dar; in ihr liegen auch noch besonders trostgebende und aufrichtende Verheißungen für die zerstreuete Heerde Israels. Als die vaterländische Selbstständigkeit aufhörte, und die ausgewanderten Glieder der Nation in allen Welttheilen umher irrten, nahmen sie von ihren Schätzen nichts als die Religion mit sich; sie wanderte mit ihnen auf allen ihren Wegen; in ihr suchten und fanden jene arme Schlachtopfer der Tirannei Beistand und Trost. Trotz aller Verspottung und Verachtung, trotz jeder Verfolgung, die sie um ihrentwillen erdulden mußten, blieben sie ihr dennoch getreu, und um so getreuer, je mehr man an ihnen Grausamkeiten verübte. Nach vielen überstandenen Leiden, nach mancherlei empörenden und barbarischen Behandlungen, welche diesen gequälten Menschen die Menschheit immer verhaßter machten, kehrten sie in den Schooß der Göttlichen zurück, um um bei ihr neue Kräfte, neuen Muth zu sammeln, damit sie noch grausamere Schicksale, die sich über ihr Haupt mit zerschmetterndem Gewichte zusammen häuften, standhaft besiegen konnten. – Doch wozu diese traurigen Bilder der Vorzeit? Der edle Mensch blickt verachtend hinweg von den schauderhaften Scenen, wenn erfreuliche Gegenstände seine Blicke reizen. – Bescheiden werfen wir einen Schleier über diese gräuliche Vergangenheit; mit Freuden überschlagen wir das Blatt in dem Denkbuche unserer unglücklichen Väter, um unser Gemüth nicht wieder herabzustimmen, da es von neuern bessern Scenen zur freudigsten Hoffnung emporgehoben wird. Ein neuer Abschnitt hebt an in der Geschichte der Juden, der frohere Begebenheiten zu erzählen beginnt, und mit jedem Fortrücken immer heiterer, immer anmuthiger wird. Das Gesetz der Billigkeit beherrscht die Gemüther aller Nationen; die traurige Scheidewand, welche die Herzen der Menschen Jahrtausende lang getrennt hatte, ist nun durch den Geist der Duldung hinweggerissen. Menschheit ist das Losungswort, das von jedem Mund ertönt, und die Herzen der Menschen näher an einander bringt. – Auch auf die jüdische Nation hat diese Veränderung einen sehr wohlthätigen Einfluß. Man fängt an, auch für den Juden Sinn und Mitgefühl zu haben, wohl einsehend, welches Unrecht ihm geschah, da ihn die Vorwelt an dem Gemeingute der Menschheit keinen Theil nehmen ließ; welches doppelte Unrecht ihm widerfuhr, indem man ihm zugleich die Mittel raubte, wodurch er jenes Gemeingutes hätte theilhaftig werden können. – Dank der göttlichen Vorsicht! die Zeiten sind vorüber, wo die Begriffe Jude und Mensch für heterogene BeBegriffe gehalten wurden. Auch der Jude fühlt nun seinen Werth als Mensch, und fühlt ihn mit Dank gegen seine Mitmenschen. Sein inneres Bewußtseyn und sein Bedürfniß sagen ihm still und laut, daß auch er von der Natur bestimmt ist, seine Kräfte zum Wohl des Ganzen zu gebrauchen. –

Allein noch sind nicht alle Hindernisse aus dem Wege geräumt. Die Biene der rauhen Wildheit unkultivirter Zeiten hat in dem Innern der Menschheit einen gefährlichen Stachel zurückgelassen, der nur mit weiser Behutsamkeit herausgezogen werden muß. – Von der einen Seite glaubt man, in dem Lebenssysteme der Juden lauter unmoralische Motive zu entdecken, die sich durchaus zu isolirten Menschen verdammen; von der andern Seite ist noch vieles zu thun übrig; mancher Begriff muss geläutert, manches Mangelhafte ergänzt, manche Mißbedeutung berichtiget werden.

Das wahre Glück des Menschen beruhet lediglich auf dem Alleinigen Prinzip der Gerechtigkeit, das bei dem Wesentlichen einer jeden Religion zum Grunde liegt. Nach ihm soll der Mensch in allen Verhältnissen des Lebens seines Individualität, sein persönliches Bedürfniß nach dem Maaße der Allgemeinheit berechnen und bestimmen. Nur wo diesem kein Abbruch geschieht, kann jenes von ihm in Anspruch genommen werden. Damit nun der Mensch dieses ganz begreife, ist es nöthig, daß er seine doppelte Natur, seinen Verstand und seinen Willen, so viel als möglich, zu entwickeln und zu bilden suche. Die Kräfte des Verstandes müssen erweitert und verfeinert werden, durch Erlangung der Kenntniß alles Wissenswürdigen, durch Einsicht von allem allem Schönen und Edlen in der Natur. Der Wille muß gebessert und befestigt werden, durch Uebung und Thätigkeit, durch Beherrschung der sinnlichen Begierden, durch das Bestreben nach dem Nothwendigen, mit Verachtung alles Entbehrlichen und Ueberflüssigen. Dieß sind die Mittel, wodurch der Mensch sich in seinem Individuellen vervollkommnen, und in seiner Moralität veredeln kann; so nur kann er die Bestimmung mit Gewißheit erfüllen, die eine allweise und allgütige Gottheit ihm hienieden vorgezeichnet hat. Vollkommenheit in sich selbst und Vereinigung mit andern Individuen, diese beiden Vorstellungen sollen der Seele des Menschen bei jedem Gegenstande des Denkens und der Thätigkeit stets vorschweben; damit er seine Gesinnungen und Handlungen nach ihnen abwiege, und sein und Anderen Glück so viel als möglich befördere .

Wer gestehet mir nicht gerne ein, daß alle diese Wahrheiten in der Religion enthalten sind? Ja, in ihr liegen alle alle die wohlthätigen Lehren, die das Glück der Menschen begründen; in ihr liegen die Urbegriffe der ersten Entwickelung vom Thiermenschen zum Vernunftmenschen. Mit linder Warnung und mit ernster Strenge bezeichnet sie uns den Pfad, den wir auf unserer Pilgerschaft zu wandeln haben; wie wir uns nur durch einen reinen und unbefleckten Lebenswandel und durch strenge Sitten zu derjenigen moralischen Höhe emporschwingen können, die der ächten Kultur und einer wahren Aufklärung nothwendig zur Grundlage dienen muß. Mit einem Worte, die Religion ist das wesentliche intellectuelle und moralische Bedürfniß des kultivirten Menschen.

Dieß also im hellsten Lichte darzustellen, ist der Zweck, den Sulamith zu beabsichtigen sich vorsetzt. Sulamith will Ehrerbietung gegen die Religion, d. h. gegen diejenigen Wahrheiten, welche des Namens Religion allein würdig sind, bei der Nation erwecken; sie will das dringende Bedürfniß, religiöse Empfindungen und Vorstellungen zu fühlen, von neuem beleben; sie will aber zugleich die Wahrheit zeigen, daß die Begriffe und Sätze, die in der jüdischen Religion enthalten sind, weder dem einzelnen Menschen, noch der bürgerlichen Gesellschaft im mindesten schädlich sind; sie will ferner die Nation zur nativen Bildung zurückführen, indem mit einer unumstößlichen Gewißheit dargethan wird, daß diese Urbildung ganz rein ist, und ihre Religionsbegriffe und Lehren, so lange sie durch keine aberabergläubische Zusätze verunstaltet sind, nie irgend einer politischen Verfassung in den Weg treten, sondern zum Theil sich mit ihr vereinigen, und da, wo keine gänzliche Vereinigung Statt findet, wenigstens brüderlich mit derselben verbinden lassen. Sulamith will endlich das Wahre vom Falschen, das Wirkliche vom Täuschenden, das Nützliche vom Verderblichen weislich sondern, und die Nation in ihrem eigenen Selbst aufklären; sie will – es sey mir hier die Anwendung eines Bilds vergönnt, dessen sich ein berühmter Gelehrter bei einer andern Gelegenheit bedient – die Quelle des Guten aus dem trocknen und harten Felsen herausschlagen, welche sodann von selbst fortströmen würde, in ihrer ursprünglichen Reinigkeit, um die Säfte des Stammes innerlich zu verbessern – keineswegs aber durch eitle Künste ihm fremde Früchte anheften, welche aus diesem Holze nicht wachsen können. – Hierdurch allein glaubt sie im Stande zu seyn, die glückliche Stimmung, in welche Aufklärung und Bildung die Gemüther der Menschen versetzt haben, zu derselben eignem Besten zu benutzen, und Segen und Heil über die Nation zu verbreiten.

Wer also an der Verbreitung nützlicher Wahrheiten, an der Beförderung des allgemeinen Menschenwohls, und an einer angenehmen und geschmackvollen Unterhaltung der Leser, Antheil nehmen will, der wird hierdurch ergebenst eingeladen, durch passende, und dem Plane entsprechende Beiträge, sich dieser Zeitschrift geneigtest anzuschließen. Jede Wahrheit, jede Untersuchung, die aus reinem Herzenstriebe entspringet – gleichviel, welcher Feder sie entfließt, – wird der Sulamith willkommen seyn. Der Geist der SanftSanftmuth und der heiligen Achtung für Menschenwohl belebe diese Zeitschrift; also keine Persönlichkeiten, keine Herabwürdigung und Anzüglichkeit, sie seyen von welcher Art sie wollen; daher können auch Streitschriften, nur in so ferne dieselbe auf Entwickelung nützlicher Wahrheiten, oder auf die Darstellung mißkannter Charaktere abzwecken, eine Aufnahme finden. Am allerwenigsten wird Sulamith sich in politische Angelegenheiten mischen, sie mögen auf die jüdische Nation oder auf irgend einen Staat Bezug haben. Still und friedlich wird Sulamith ihr Werk beginnen, und stets ihrem Zwecke getreu bleiben, dem einzigen Zwecke: Entwickelung der intensiven Bildungsfähigkeiten der Juden, um sie für das Gute, dessen sich unser Zeitalter zur erfreuen hat, ganz empfänglich zu machen; damit auch die Kinder Israel an dem erhabenen Denkmale, das die Geschichte den erlauchten Regenten unserer Zeit errichtet, entzückt und dankvoll hinzutreten mögen, um die Inschrift darauf zu graben: Euch weihen sich unsere Herzen, Euch, die Ihr vom Geiste der Humanität und Liberalität belebt, einem gebeugten Volke seine verlornen Rechte wieder ertheilet – !!! Wolf.