Neumann, Robert
geb. am 22.5.1897 in Wien – gest. am 3.1.1975 in München; Schriftsteller, Journalist, Kritiker, Exilant, Remigrant
Neumann stammt aus einer aus Galizien (Vater Samuel) und der Slowakei (Mutter Josefine) nach Wien zugewanderten Familie jüdischer Herkunft und sozialdemokratischer Ausrichtung. Zwischen Herbst 1915 und Ostern 1919 studiert N. an der Universität Wien Medizin und Chemie sowie ein Semester Germanistik, ohne seine Studien abzuschließen. Bereits 1918 versucht er ein Versdrama, allerdings ohne Erfolg, zu veröffentlichen, 1919 gelingt ihm ein schmaler Band Gedichte. Im selben Jahr heiratet er Stefanie Grünwald, von der er sich 1941 im britischen Exil wieder scheiden ließ.
1922 gründet N. eine Lebensmittel-Importfirma, mit der er ab 1924 in die Zahlungsunfähigkeit schlittert. Zuvor veröffentlicht er einen weiteren Band Zwanzig Gedichte, arbeitet 1926 auf einem niederländischen Frachtschiff und schafft 1927 den literarischen Durchbruch mit zwei Büchern: Die Pest von Lionora und vor allem Mit fremden Federn. Parodien, womit sich Neumann als parodistischer und freier Schriftsteller sowie Kritiker im gesamtdeutschsprachigen Bereich gut etabliert. Thomas Mann z. B., der sich „sehr gut getroffen“ sah, gratulierte ihm brieflich dazu. 1929 folgt der Roman Sintflut, den Stefan Zweig als den Roman der Inflation par excellence in der Neuen Freien Presse (NFP) ausführlich und geradezu hymnisch bespricht. In rascher Folge erscheinen weitere Novellen, Parodien, Romane wie z.B. Die Blinden von Kagoll (1929), Hochstaplernovelle (1930), die eine Plagiatsdebatte im Hinblick auf Th. Manns Erstausgabe der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1922) auslöste, Karriere (1931) sowie der Nachfolgeband zu Sintflut, der Roman Die Macht (1932). 1927/28 beschäftigt sich N. auch mit der Form der Tatsachen-bezogenen Reportage und verfasste zahlreiche Beiträge für Zeitungen, vereinzelt auch literarische Kritiken und förderte dabei junge Stimmen wie Lili Grün und Hilde Spiel. 1933 profiliert sich Neumann als einer der Wortführer gegen die Nazis, insbesondere auf dem P.E.N.-Kongress in Dubrovnik/Ragusa, nachdem seine Bücher, ausgenommen Mit fremden Federn, den Bücherverbrennungen zum Opfer fielen und sein Name auf der Liste unerwünschten Schrifttums prominent vertreten war.
Nach der Niederschlagung des Aufstandes vom Februar 1934 emigriert N. nach London, wo er bereits 1933 H. G. Wells getroffen hatte, verbringt aber auch noch die Sommermonate 1936 und 1937 in Österreich. Neben der literarischen Arbeit interessiert ihn Mitte der 1930er Jahre auch der Film, doch diese Projekte, z. T. in Zusammenarbeit mit St. Zweig, Hanns Eisler und Fritz Kortner, konnten nicht realisiert werden. Erst 1937 bemüht sich N. um eine permanente Aufenthaltserlaubnis in Großbritannien, holt seine Frau und seinen Sohn nach. 1938 trifft er sich in Sanary-sur-Mer mit Lion Feuchtwanger und anderen Exilierten, um bedrohten Schriftstellerkollegen bei ihrer Ausreise aus NS-Deutschland behilflich zu sein. Zugleich arbeitet er an einem seiner wichtigsten Romane, dem programmatischen Exil-Text Bei den Wassern von Babylon, der 1939 in englischer Übersetzung By the Waters of Babylon erscheint und große Resonanz erzielt. N. zählt ferner zu den Mitorganisatoren Austrian Centre und des Free Austrian Movement und begründete gemeinsam mit Franz Werfel den Austrian Exile PEN von London aus. Trotzdem wird N. im Mai 1940 als Enemy Alien auf der Isle of Man bis August 1940 interniert und ein Einreisevisum in die USA nicht erteilt. 1941 Verehelichung mit Franziska Karola (Rolly) Becker. 1942 folgte sein erster englischsprachiger Roman Scene in Passing, 1944 der in der englischen Kritik gut aufgenommene The Inquest. Ab 1943 arbeitete N. auch für das BBC-Programm sowie für das britische Ministry of Information. Ebenfalls 1943 betraute ihn Walter Hutchinson in seinem renommierten gleichnamigen Roman mit dem Aufbau und der Betreuung einer Reihe International Authors, darunter auch mehrerer deutschsprachiger Exil-Autoren und nahm ihn für fünf Publikationsprojekte unter Vertrag. Trotz dieser Integration in die britische Literatur- und Kulturszene blieb N. dem deutschsprachigen Exil weiterhin tief verbunden und hat 1946/47 von London aus maßgeblich den Österreichischen PEN im Zusammenwirken mit Walter Hollitscher und Alexander Sacher-Masoch reorganisiert bzw. neu begründet. 1947 wird N. britischer Staatsbürger; er übersiedelt jedoch im Nov. 1958, nach dem Tod seiner dritten Frau Evelyn Hengerer, nach Locarno, das bis zu seinem Tod sein Wohnsitz bleibt.
Materialien und Quellen:
Eintrag bei: https://litkult1920er.aau.at/litkult-lexikon/neumann-robert/ (Grundlage für diese Biografie); Porträtmodul von Evelyne Polt-Heinzl (2016): https://litkult1920er.aau.at/portraets/neumann-robert/; Eintrag von R. Heuer bei NDB; R. Neumann: Mit eigener Feder. Hg. von F. Stadler (2013, open access)
Forschungsliteratur (Auswahl):
Richard Dove: „Fremd ist die Stadt und leer …“ Fünf deutsche und österreichische Schriftsteller im Londoner Exil 1933–1945 (Max Hermann-Neiße, Alfred Kerr, Robert Neumann, Karl Otten, Stefan Zweig). Berlin: Parthas 2004, Anne Maximiliane Jäger-Gogoll: Umschrift und Einmischung. Robert Neumanns Schreiben zwischen Selbst(er)findung, Parodie und Engagement. Heidelberg:Winter 2015.
(PHK, in preparation)