FISCHMANN, ADA: DIE ARBEITERIN (EIN REFERAT, GEHALTEN AUF DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN KONFERENZ)
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In: Selbstwehr, 20. Jahrgang, Ausgabe 13-14 vom 29.03.1926 im Beiblatt „Blätter für die jüdische Frau“, S. 4
Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]
Das Referat soll die Frage von allen Seiten umfassen. Von der Tribüne dieser Tagung, die auch die Wiege der Arbeiterinnenbewegung war, müssen diese Worte gehört werden. Ich muß vor allem die Vorwürfe, die im Saale herumschwirren, beseitigen. Man glaubt, daß die Frage eine konventionelle ist und man sie von der Tagesordnung absetzen müsse. Diese Vorwürfe erregen Sorge. Es scheint, daß die Uebereinstimmung, die im Herzen von allen äußeren Anstalten bis zu unseren Anstalten zu schlagen begonnen hat, Zeichen der Erstarrung zu bringen scheinen, und dies ist gefährlich. Es gab eine Zeit, da wir forderten und an Reformen und Aenderungen der Weltordnung glaubten. Und jetzt stimmen wir allem zu. Drei Dinge müssen unsere Grundeinstellung sein
- Daß das Stärkerwerden der Alijah, ihre Erweiterung und ihre Aufnahme abhängig ist von der Erweiterung der Arbeitszweige für die Arbeiterinnen.
- Daß durch den eigenen Standpunkt der Chawerah in allen Gestalten der Ansiedlung, in Dorf und Stadt, unsere Existenz ermöglicht wird.
- Daß aus der nationalen und sozialen Erkenntnis heraus, die die Arbeiten der Frau begleitet, wir es ermöglichen, das nationale und soziale Gebäude aufzurichten. Ein arbeitendes Erez Israel ist unmöglich, wenn nicht die Chawerah selbst sich für einen unmittelbaren Faktor des Aufbaues hält.
Die Zahl der Chaweroth im Lande beträgt etwas 6000. Wenn wir diese Zahl nach den Arbeiten, mit denen sich die Chaweroth befassen, zergliedern, wird es augenscheinlich, daß die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiterinnen sehr klein ist. In der Kunizah schlägt man sich mit der Frage herum, wenn es auch nicht zu leugnen ist, daß es Kwuzoth gibt, wo es nötig ist, daß diese Frage nach der Lage der Chawerah und ihrer Haltung gestellt werden müsse. Aber in der Stadt schaut die Masse auf die Arbeit der Arbeiterinnen wie auf eine vorübergehende Arbeit und man will sie irgendwie hiervon ausschließen. Wenn wir wirklich alle die landwirtschaftliche Arbeit für die Grundlage unseres Lebens halten, kann ich nicht umhin zu sagen, daß man auf keinen Fall die Frage der Erweiterung der Arbeiterinnen-Alijah durch die Landwirtschaft lösen kann, und es ist notwendig, daß sich dort Tausende von Arbeiterinnen befinden, für die wir einen Stützpunkt finden müssen. Man behauptet, daß die Arbeit der Arbeiterinnen eine vorübergehende sei, bis die Krise zu Ende ist. Diese Meinung ist nicht zu billigen, denn sie raubt die Möglichkeit, die Notwendigkeit der Eroberung der Arbeitszweige für die Arbeiterin zu erkennen In unser Land kommen Chaluzoth im Alter von 18 bis 19 Jahren: sie können, bis sie zum Familienleben gelangen, noch etwa 6 Jahre produktive Arbeit leisten. Mit dem vorübergehenden Zustande der Chawerah braucht man sich nicht zu beschäftigen. Man sieht ruhig, daß es nicht viele Arbeitszweige gibt, die für die Chawerah passen; denn viele Beschäftigungen ziehen körperliche Schädigung nach sich. Aber warum bringt man nicht in Rechnung, daß Dienen in Privathäusern eine geistige Schädigung nach sich zieht? Man klagt, daß es den Arbeiterinnen bei der Bauarbeit schwer ist, die heißen Sonnenstrahlen zu ertragen, aber auch im Garten brennt die Sonne. Man klagt auch, wie die Chawerah bei der Glaserei arbeitet. Wenn das Fenster sich im Zeiten oder dritten Stock befindet und man will nichts davon wissen, daß es möglich ist, das Gerüst des Fensters bis zum ersten Stock herunterzulassen. Und beim Bau der Wände, wo gerade der Chawer es ist, der stärker ist, muß er bei der Wand stehen und die Chawerah die Ziegel anreichen und nicht umgekehrt? Wenn das gegenseitige Verständnis da wäre, begriff die Chawerah diese Arbeit und es würde sich auch das Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber hierzu ändern. Einmal herrschte große Furcht für jedes Haus, das durch die jüdischen Arbeiter gebaut wurde. Wir haben die Häuser gebaut und sie stehen. Es besteht schon ein festgelegtes Verhältnis und man denkt nicht an eine Möglichkeit der Aenderung. Es gibt Arbeitszweige, die man monopolisieren kann: Färberei, Glaserei u. dgl. Und wir müssen sie in den Rahmen der Arbeit für die Arbeiterinnen aufnehmen. Dies ist keine Frage des Organisationswillens allein. Wir fordern das Recht auf Arbeit. Es ist unmöglich, die Arbeiterinnen im Zustande einer ewigen Arbeitslosigkeit zu lassen, weniger Mitleid und etwas mehr Verständnis! Ich verlange eine gerechte Einteilung und es wäre wirklich nötig, Tausende von Chaweroth zur Demonstration aufzurufen, um die gerechte Forderung zu stellen. Es ist unmöglich, daß Arbeit, die für Arbeiterinnen paßt, nicht in unserer Hand ist. Es ist möglich, viele Chaweroth in die Kolonie aufzunehmen; dies ist sehr wichtig. Dies wird den sozialen und kulturellen Zustand der Chaweroth heben und dieses fehlt völlig in der Stadt. Dort ist die soziale und kulturelle Lage ganz und gar schlecht. Sie nimmt keinen Anteil am Leben der Allgemeinheit und wir dürfen nicht vergessen, daß sie die Erzieherinnen des kommenden Geschlechtes sein sollen.
Wir wollen Arbeiterinnen-Kwuzoth gründen. Man hat diese immer wie Klöster angesehen, aber jetzt haben wir uns schon daran gewöhnt. Durch die Kwuzoth hatten wir das Ziel, die Chaweroth der Histadruth und der Allgemeinheit zu nähern. Denn so lange sie von der Allgemeinheit entfernt ist, fehlt der Chawerah jedes Interesse und Inhalt am Leben und der Arbeit.
Im Berichte der Kolonien betonte man uns gegenüber, daß es einen so und so großen Prozentsatz von Chaweroth gäbe. Warum gibt man nicht den Prozentsatz der Chawerim an? Warum hebt man die Zahl der Chaweroth hervor? Die Hauptsache ist, daß dieser oder ein anderer Prozentsatz der Chaweroth zu eine Defizit führt. Es ist schon geläufig, daß wir allein das Defizit machen und sonst überhaupt kein Defizit vorhanden wäre. Es besteht ein Unterscheid zwischen arbeitslosen Mädchen in der Chawuroh und zwischen arbeitslosen Mädchen in der Chawurah und zwischen der Einzelnen. Die Einfühlung in die Chawuroh ist schwer genug, dort herrscht noch die Beziehung. Es fehlen die wegweisenden Kräfte. Die Chawuroth haben uns wirklich als ein großer Aufnahmebehälter gedient. Und vielleicht findet man auch dort die Lösung für die Arbeiterinnen. Trotzdem empfangen auch sie Hilfe dafür. Wenn man mehr Arbeiterinnen anstellt, fordert man Geld für jede einzelne Chawerah. Warum fordert man dies auch nicht für den Chawer? DIes ist die Triebfeder der sehr schweren Einfühlung. Ich nannte diese Angelegenheit „Mitgift“. Dies beweist nur, daß die Arbeiterinnenfrage in besonderer Art und Weise besteht. Hier ist eine besonders einschneidende Tatsache zu bemerken. Aus dem Einwanderungsheim brachte man eine große Anzahl von Arbeiterinnen heraus und es blieben 25 Chaweroth zurück, für die man keine Einteilung fand und die sich in Hotels herumtreiben . . . Die Fabriken von Goldberg, die Herstellung von Matten und die Tabakarbeit sind noch keine Lösung. Notwendig ist es, Hilfswirtschaften bereit zu stellen. Den Hilfsinstitutionen für Arbeiterinnen muß die Sorge obliegen, Boden zu erwerben, um ihnen eine produktive Arbeit zu ermöglichen.
Die Wirtschaften der Arbeiterinnen sind der einzige Lichtblick für die Chaweroth im Lande und im Auslande. Dies ist der hauptsächlichste und bedeutsamste Ort für die Vorbereitung und Einfügung der Arbeiterinnen. Es gab Zeiten, wo wir auch im Merkas hiefür gekämpft haben. Der Merkas glaubte nicht an sie und nur dank unserer Hartnäckigkeit verwirklichten wir sie. Nicht der Merkas schuf sie, sondern die Chaweroth, die das Joch zogen. Die Wirtschaft der Arbeiterinnen ist nicht für die Vorbereitung allein da und es ist verboten, zu sparen und sie so einzuschränken. Sie ist in meinen Augen auch ein Ort für die Pflege der Gedanken. Ich verneine nicht seinen Wert für die Vorbereitung. Aber von einem anderen Gesichtspunkte aus erzeugte er den starken Wunsch, der unter den Arbeiterinnen für Selbstarbeit entstand, daß sie selbst die Wirtschaft zu leiten und zu ordnen hätten und sie als ein Ort der wirtschaftlichen und kulturellen Vervollkommnung zu dienen hätte. Durch solche Wirtschaften gewinnen wir auch das Vertrauen der Masse der Arbeiter. Die Zahl der Arbeiterinnenwirtschaften im Lande ist weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht befriedigend. Wir haben alle unsere Kräfte hineinversetzt, damit kein Defizit entstünde. Und diese Wirtschaften sind auch nicht dazu da, hunderte, die an ihre Tore klopfen, aufzunehmen. Diese Wirtschaft ist die einzige Lösung für die Frage der Arbeiterinnen. Wir müssen mit großen und energischen Taten beginnen. Selbstverständlich wollen wir heute nicht die städtischen Arbeiten verlassen, aber wir müssen ein großes Werk schaffen, das Hunderte und Tausende von Arbeiterinnen zu beschäftigen imstande ist und dies ist nur bei der Landwirtschaft möglich. Ich habe den Vorschlag gemacht, eine Wirtschaft für Anbau von Gemüse auf bewässerten Nationalfondsland für 200 euch bekannte Arbeiterinnen zu schaffen. Um eine solche Wirtschaft in der Umgebung von Neß-Zionah aufzubauen, liegt schon ein praktischer und inhaltsreicher Vorschlag vor. Aber wir müssen auch solche Wirtschaften auf Böden, die in der Nähe von Städten gelegen sind, anlegen. Der Nationalfonds muß große Flächen hierfür anweisen.
Ich sehe eine Notwendigkeit, an die Errichtung einer Arbeiterinnenwirtschaft für 200 Chaweroth heranzutreten. Auch der Nationalfonds neigt dazu, dieser Frage jetzt zuzustimmen. Die notwendigen Schritte sind schon eingeleitet worden. Diese große Schar soll euch nicht erschrecken. Wie ihr zur Zeit auch nicht an eine Wirtschaft von 25 Chaweroth geglaubt habt, und der Versuch trotzdem geglückt ist, so hoffen wir auch, daß dies jetzt glücken wird. Wir brauchen hierfür eine Summe von 15.000 ägyptischen Pfund, und wenn wir eine große Sache wollen, können wir auch diese große Summe bekommen. Diese Summe muß vollständig gegeben werden. Die große Wirtschaftsform verspricht, den Pessimismus zu verkleinern und die Aktivität der Chawerah zu vergrößern. In dieser Wirtschaft können wir auch Arbeitszweige für Selbstversorgung angliedern, wie Schusterei Klempnerei, Herstellung von Stoffen (aber keine Fabrik für Zigarren). Dieser Zug lehrt die Oeffentlichkeit an die Kraft der Arbeiterinnen glauben und vertrauen. Wegen der Bedeutung dieses Werkes für die Allgemeinheit glaube ich, daß sich eine Kwuzah von Chaweroth, die sich für ihre Verwirklichungen einsetzt, finden läßt. Ich glaube, daß die Allgemeinheit alles, was in ihrer Kraft ist, tun wird und auch hierfür von den Wirtschaften die erprobtesten Chaweroth zur Verfügung stellen wird.
Für die neue Ansiedlung ist wirklich kein Geld da, aber eine Arbeiterinnenwirtschaft ist keine neue Ansiedlung. Es gibt auch andere Quellen, wie die Frauenorganisation, die ihre Gelder, die für unproduktive Werke ausgesetzt sind, hierfür zur Verfügung stellen könne. Ich glaube schon jetzt an die zweite Wirtschaft in Ogedro. In Neß-Ziona werden sie noch in Nissan eintreffen und die Freude der Arbeiterschaft wird nicht geringer sein als die Freude der Arbeiterinnen.
Jetzt noch einige Worte über die Frauen der Chassidim: Groß ist die Sorge um das Los dieser Siedlungen. Ich zweifle daran, ob diese jungen Frauen die Liebe zum Lande hergebracht haben, ob wir den Weg zu ihnen finden; sie müssen sich an unserer Arbeit beteiligen.
Der landwirtschaftlichen Merkas bedarf einer besonderen Abteilung für diese Fragen, um diese Sache bald ins Reine zu bringen und sie zu ordnen. Man muß die bestehenden Wirtschaften vergrößern und vervollkommnen. Sie bedürfen einer wissenschaftlichen Hilfe. Es ist notwendig, eine Aufsichtsbehörde für die Arbeiterinnenwirtschaft einzurichten, denn die Chaweroth, die sie geschaffen haben, gehen zu anderen Arbeiten über und die Wirtschaften kommen in den vollkommenen Besitz der neuen Chaweroth, die an ihre Stelle treten.
Zwölf Jahre sind vergangen, seit die ersten Chaluzoth hergekommen sind. Tausende schlossen sich dem Gedanken der Selbstarbeit und der Schaffung eines neuen eigenen Lebens im Laufe der Jahre an. Wir werden diese Arbeit fortsetzen, bis sie zum Erbteil vieler geworden ist.