ADLER, JESSA: JUDENFRAGE – FRAUENFRAGE

In: Selbstwehr, 20. Jahrgang, Ausgabe 13-14 vom 29.03.1926 im Beiblatt „Blätter für die jüdische Frau“, S. 1f

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[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. Diesen Kampf und seine Wirkung auf das eigene Wesen an Hand dieses Vergleiches mit ein paar Streiflichtern zu beleuchten, vor allem aber das Werden und Wachsen, sowie die mut- maßliche Weiterentwicklung der Frauenbewegung an Hand dieses Vergleiches einer näheren Be- trachtung zu unterziehen, soll der Zweck dieses Artikels sein.

Betrachten wir zunächst die Stellung des Juden zum Arier. Im allgemeinen betrachtet der Arier den Juden als minderwertig und wenn er versucht, sich über die Gründe dieser Anschauung Re- chenschaft zu geben, wird er eigentlich immer nur einen Grund finden, nämlich den, daß der Jude anders ist als er, daß er jene Eigenschaften, die er an Angehörigen seiner Rasse schätzt, nicht oder in vermindertem Maße besitzt.

Und wie steht nun die Frau zum Manne? „Denkt er daran, daß sie, wie er, Geschöpf Von Gott in diese Welt gesetzt – Daß sie nicht minder, anders nur als er?“

So charakterisiert Richard Beer-Hofmann die Beziehungen zwischen Mann und Weib. Stimmen diese Worte nicht fast genau mit dem überein, was ich vorhin über das Verhältnis des Juden zum Arier sagte? Der Mann erklärte (und erklärt auch jetzt noch, wenn auch oft uneingestandenerma- ßen) die Frau für minderwertig, weil sie anders ist, weil sie den Ansprüchen, die er an sich und seinesgleichen zu stellen gewohnt ist, nicht entspricht. Viele Männer werden diese Behauptung bestreiten. Besonders die ausgesprochenen Gegner der modernen Frauenbewegung hört man oft sagen, daß sie die Frau nur dort für minderwertig halten, wo sie versucht, sich mit dem Manne auf seinem ureigenen Gebiete zu messen, daß sie aber der Frau, die nicht anderes sein will als Gattin, Hausfrau, Mutter, vollste Anerkennung, ja, Verehrung und Bewunderung entgegenbringen. Nun halte ich das für leere Theorie, denn dem widerspricht die Tatsache, daß in den „guten alten Zei- ten“, wo die Frau gänzlich in ihrem Hausfrauen- und Mutterberufe aufging, sie gleichzeitig in voll- kommener Abhängigkeit vom Manne gehalten wurde. Es gab und gibt kaum einen Mann, und möge er auch in seinem Berufe nur mittelmäßiges leisten, der die Arbeit der vollendetsten Haus- frau und Mutter als eine seiner eigenen gleichwertige ansieht. Goethe sagt an einer herrlichen Stelle, wo er von den Mühen und Sorgen einer stillenden Mutter spricht:

„Zwanzig Männer verbunden ertrügen nicht diese Beschwerde, Und sie sollen es nicht: doch sollen sie dankbar es einsehn.“

An diesem dankbaren Einsehen nun ließen und lassen es unsere Männer gar zu oft fehlen und diese mindere Wertung der Frauenarbeit im engeren Sinne ist wohl neben sozialen Gründen eine der Hauptursachen der Frauenbewegung.

Wie der Arier dem Juden gegenüber seine Machtstellung handhabt, ist bekannt. Der Jude war im Ghetto eingeschlossen, von den meisten Erwerbs- und Bildungsmöglichkeiten, von jedem Le- bensgenuß abgesperrt ja seines Lebens nie sicher. Was Wunder, daß bei diesem ewigen Kampfe mit ungleichen Waffen sich eine Unzahl von schlechten Eigenschaften entwickelten.

Grillparzers Spanierkönig sagt in bezug auf die Juden: „Was sie verunziert, es ist unser Werk: Wir lähmen sie und grollen, wenn sie hinken.“

Könnten nicht unsere Männer dieselben Worte sprechen, wenn sie unserer, uns so oft vorge- haltenen weiblichen Fehler gedenken? Auch wir Frauen lebten Jahrhunderte in einer Art Ghetto (wir jüdischen Frauen also in einem Ghetto des Ghettos), waren vor dem Gesetze rechtlos und in vollkommener Abhängigkeit vom Manne, nicht nur durch das Gesetz, sondern auch dadurch daß der Mann der allein erwerbende Teil war und der Frau fast alle Bildungsmöglichkeiten sowie jeder Einblick in das öffentliche Leben versperrt war. Nun entwickelten sich (analog dem anderen Falle) unter diesem Drucke wieder eine Unzahl schlechter Eigenschaften. Es entwickelte sich das, was wir weibliches Raffinement nennen. Dann suchte die machtlose Frau begreiflicherweise die Waf- fen zu gebrauchen, die ihr die Natur verliehen, und mißbrauchte sie, daher die weibliche Eitelkeit und Koketterie.

Doch noch ein trauriges Resultat hat der Druck und die Verachtung in beiden Fällen gezeitigt: die Selbstverachtung. Dr. Felix Weltsch sagt in seine Artikel „Der Einzelne und das Judentum“:

„Wie viele Juden haben, ohne es zu wissen, den Wertmaßstab des Ariers in sich aufgenom- men, so daß ihnen, danach gemessen, der Jude notwendig als minderwertig erscheint. Sie schät- zen jene Eigenschaften hoch, welche zum Idealtypus des Ariers gehören und verachten den Ju- den, weil er diesen Eigenschaften nicht entspricht. Das ist einer der traurigsten Punkte unserer geistigen und kulturellen Situation, daß wir unseren eigenen Idealtypus verloren haben, jenen Ide- altypus, der unseren Eigenschaften, unserer Seele und geistigen Eigenart entsprechen würde.“

Der aus dem Ghetto entlassene Jude sah sich weiter der Verachtung seiner Umgebung preis- gegeben. Nichts natürlicher, als daß er, wo er sich nicht völlig vom Judentume lossagte, doch zu- mindest alles spezifisch jüdische abzustreifen und sich den anderen nach Möglichkeit anzuglei- chen suchte. Dabei beschränkte man sich nicht auf das sehr lobenswerte Bestreben, die Fehler der Rasse abzulegen und das Gute der anderen anzunehmen, nein, man tauschte auch gedan- kenlos eigene Vorzüge gegen fremde Fehler ein. Und so entwickelte sich der abstoßendste aller Typen, der jüdische Antisemit, der den arischen oft an Unduldsamkeit weit übertrifft.

Auch da haben wir bei den Frauen den entsprechenden Typus: den weiblichen Weiberfeind. Wir finden oft bei Frauen ein Mißtrauen gegen weibliche Arbeit, weibliche Leistung, das weit grö- ßer ist, als das des Mannes. Auch da kann man sagen, wir haben unseren Wertmaßstab verloren und den des Mannes angenommen.

„Das edle Weib ist fast ein Mann, ja ganz, Erst ihre Fehler machen sie zu Weibern.“

So sagt der schon einmal zitierte Grillparzer: eine Ansicht, der wir gewiß nicht beipflichten wol- len, die sich aber wie ein roter Faden durch alle Sagen, Mythe und Dichtung zieht, wo Frauen von irgend einer Bedeutung eine Rolle spielen. Der größere Teil dieser dichterischen oder sagenhaften Frauengestalten ist nur Frau, besser gesagt, nur Weib; entweder hingebende Geliebte, aufopfern- de Frau und Mutter, oder Männerverführerin und Verderberin. In beiden Fällen nur in ihren Bezie- hungen zum Manne gesehen, ohne Wert als Persönlichkeit. Handelt es sich aber um Frauen, die berufen sind, auf ethischem oder geistigem Gebiete Hervorragendes zu leisten, so erscheinen sie scheinbar notwendigerweise ihrer Weiblichkeit beraubt.

In der Vergangenheit wie in der Dichtung finden wir diese zwei streng gesonderten Frauenty- pen. Aber in der Wirklichkeit, in der Gegenwart, finden wir die Nur-Gattin, Nur-Mutter, deren größ- ter Vorzug eigentlich in ihrer Unpersönlichkeit liegt (der Volksmund sagt, die beste Frau sei die, von der man nicht spricht) oder aber Frauen, die im Berufsleben mit dem Manne wetteifern und sich nach Möglichkeit bemühen, alles spezifisch weibliche abzustreifen und sich dem Manne an- zugleichen. Wir sehen an allen diesen Beispielen, daß nach Ansicht aller vergangenen Zeiten und auch noch der Gegenwart natürliche Weiblichkeit und Bedeutung als Persönlichkeit scheinbar un- vereinbare Dinge sind. Und da ist der Punkt gegeben, an dem eine naturgemäße Frauenbewe- gung einzusetzen hat. Auch da haben wir das beste Vorbild an dem analogen Falle, der Judenfrage.

Durch die Periode der gedankenlosen Nachahmung, der Selbstverachtung hindurchgegangen, erwachte der Jude zum Bewußtsein seiner Selbst seines eigenen, in seinem ureigenen Volkscha- rakter gelegenen Wertes und suchte diesen Wert nach Möglichkeit zu steigern. Der bewußte Jude trachtet seitdem, die eigenen Vorzüge zu denkbar höchster Vollkommenheit zu entwickeln, die eigenen Fehler soweit als möglich zu unterdrücken.

Und da haben wir die Richtung gegeben, die die Frauenbewegung einnehmen sollte. Die trau- rige Periode der Nachahmung, die Zeit, in der die Frauen das Wesen, der Frauenemanzipation darin sahen, eine möglichst der männlichen angeglichene Kleidung zu tragen und sich alle männ- lichen Unarten anzueignen, ist Gott sei Dank überwunden. Jetzt gilt es noch, jene Selbstverach- tung zu überwinden, die sich schon unbewußt darin äußert, daß Frauen es als Ausdruck der Be- wunderung hinnehmen, wenn im Hinblick auf eine hervorragende Leistung auf irgend einem Ge- biete gesagt wird: „Man würde nicht glauben, daß das von einer Frau ist.“ Wir Frauen müssen (so, wie in dem anderen Falle die Juden) zu der Erkenntnis gelangen, daß in jener Nachahmung ein Bekenntnis der eigenen Inferiorität liegt. Die Frau muß dahin gelangen, ihre eigenen, in ihrem Weibtum gelegenen Vorzüge als denen des Mannes gleichwertig anzusehen; dann wird sie auch neidlos die Ueberlegenheit des Mannes auf den Gebieten anerkennen, auf denen sie unleugbar ist, wie in physischer oder rein geistiger, insbesondere schöpferischer Beziehung.

Ich will damit nicht die Rückkehr zur Auffassung und Lebensweise unserer Großmütter predi- gen; es wäre traurig um unsere Weiblichkeit bestellt, wenn sie sich nur in Küche und Kinderstube erhalten könnte. Das, was die Führerinnen der Frauenbewegung für uns geleistet, für uns ge-kämpft und gelitten haben, soll kein vergeblicher Kampf, kein vergebliches Leiden gewesen sein. Das, was sie uns gegeben haben, die größere Bildung, den weiteren Horizont sind unschätzbare und unverlierbare Güter. So wie der Jude nie im Ghetto seinen Idealtypus hätte entwickeln kön- nen, so brauchen wir freie Luft, Einblick in den öffentlichen Leben, alle Bildungsmöglichkeiten, die dem Manne zu Gebote stehen, um die unsrigen entwickeln zu können.

Aber immer wollen wir, draußen im Strom der Welt, im Beruf, in humanitärer, politischer, geisti- ger Arbeit, wie im Hause des Gatten Frauen bleiben. Wir müssen lernen, es nicht als Vorzug, son- dern als Fehler anzusehen, wenn unsere Leistungen auf irgend einem Gebiet sich von den männ- lichen nicht unterscheiden. Wir müssen trachten, diese Arbeit durch unsere größere Bildung und selbständigere Anschauung auf ein höheres Niveau zu heben, ein Niveau, das auch der geistig anspruchsvolleren Frau von heute Befriedigung gewähren kann. Nur durch ein solche Höchstent- wicklung unserer weiblichen Vorzüge, nicht durch ein Streben nach den männlichen, Hand in Hand natürlich mit einer möglichsten Unterdrückung unserer weiblichen Fehler könne wir uns zu Persönlichkeiten herausentwickeln und können so für uns selbst das „höchste Glück der Erden- kinder“, sowie die Achtung unserer Gegner erringen.

In diesem Sinne wollen wir leben und wirken, in diesem Sinne unsere Töchter erziehen. Nicht mehr zu einem Stück Wachs, das der Formung durch Männerhand harrt, nicht zu Weibchen, de- ren Lebenszweck es ist, dem Manne zu gefallen, aber auch nicht zu Mannweibern, deren Ziel es ist, es ihm gleichzutun. Nein, zu Frauen, die, wohin immer Wille oder Schicksal sie gestellt hat, ob sie nun Gefährtinnen oder Konkurrentinnen des Mannes sind, sich ihre Weiblichkeit bewahren und sie, seiner Männlichkeit nicht gleichartig, aber gleichwertig zur Seite stellen.

Unter den Sprüchen eines leider zu wenig bekannten, kürzlich verstorbenen Prager jüdischen Dichters – Emil Spiegel – findet sich folgender Vierzeiler:

„Zurück zum Glauben? Nein und aber nein! Das Rad der Zeit läßt sich nicht rückwärts treiben. Wir wollen nicht zurück, nicht stehen bleiben! Vorwärts zum Glauben! soll die Losung sein.“

Dieses schöne Wort möchte ich in Anwendung auf unseren Fall dahin variieren, daß ich sagen möchte: „Nicht zurück zur Weiblichkeit, vorwärts zur Weiblichkeit, soll die Losung sein.