ANONYM: SCHIE LEB. EINE FEDERZEICHNUNG
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In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 42 (1892), S. 759-760.
[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]
Es gab mehrere stolze Leute in der Gasse, in der ich Lehrer war. Stolz war Awrom Geier auf seinen großen Schnurbart und seine rothe Nase, die ihm ein magyarisches Aussehen gaben; stolz war Mardche Schilak auf seine Töchter, die in einem Pester Pensionat waren und mit einem clavier nach Hause kamen, das man in der Gasse noch nie gesehen hatte; stolz war Scheie Kallop auf sein Renommé als bester Franzefuß-Spieler in der ganzen Gegend; einen stolzeren Menschen jedoch gab es weit und breit nicht, als Schie Leb. Der fühlte in der That, wie kein Zweiter, was und wer er sei.
Er betrieb einen großen Schafwoll- und Rindshauthandel und auf dem Tirnauer Markte machte er immer die Preise. Sein Geheimniß bestand darin, daß er billig kaufte und theuer verkaufte. Wer das nachmachen kann, soll unbedingt reich werden. Und so ist Schie Leb reich geworden und war stolz auf seinen Reichthum.
Gegen jenen alten Franzosen, der durch eine Pantomime die Elemente bezeichnete, mit denen der Reichthum verbunden sein muß, wenn er einen Vorzug beanspruchen will, indem er auf seine mit klingenden Napoleond`ors gefüllten Taschen schlug, dann die eine Hand an die linke Brustseite drückte und den Zeigefinger der anderen an die Stirne legte, womit er andeuten wollte, daß zum Gelde auch Herz und Verstand kommen muß – gegen diesen Franzosen war Schie Leb ein lebendiger Protest. Er klopfte nur auf den Geldbeutel.
„Alles nischt“ – er sprach das Deutsche nicht rein – „Alles nischt!“ war sein Sprichwort, wenn von Bildung oder Humanität die Rede war. Er glaubte nicht an die Macht der Intelligenz, nicht an die beseeligende Kraft des Wohlthuens. Keiner handelte nach ihm, klug, keiner war nach ihm, gut und edel. „Alles nischt.“ Und dieser Ausspruch Schie Leb`s ist in der ganzen Umgegend zum geflügelten Worte geworden, wie der ähnliche Ausspruch des Koheleth.
Schie Leb war jedoch kein Plagiator. Er kannte Kohelet nicht einmal dem Namen nach. Die Aerzte, Lehrer und Beamte waren stets das Stichblatt seines Witzes, und wenn er Abends auf der Steinbank vor seinem Hause saß, gingen sie, wenn sie diesen Weg machen mußten, auf der anderen Seite der Straße. Vor dem Rabbiner und den anderen Talmudgelehrten der Gasse hatte er einen förmlichen Abscheu. Er mied auch das Gotteshaus. „Alles nischt.“
Schie Leb lebte sich in seinen Geldstolz so hinein, daß er wirklich glaubte, Alles müsse sich ihm fügen. Schließlich sprach er gar nicht mehr, er brummte nur, wenn er irgend einen Wunsch hatte. Niemand wagte ihm zu widersprechen, und dadurch wurde er in seinem Dünkel noch mehr bestärkt, daß einzig und allein sein Geld Respect einflöße und bei den Menschen nichts weiter gilt als Geld, übrigens aber „Alles nischt.“
Merkwürdigerweise aber hatte Schie Leb doch Ehrgeiz. Zuerst für seine Person. Er wäre so gern Vorsteher der Gemeinde geworden. Als einmal die Neuwahlen in den Cultusvorstand stattfanden, lud er am Sabbath bevor fast die ganze Gemeinde auf ein Schalesch-Sudes ein, bei welchem die besten Weine in unerschöpflicher Menge credenzt wurden.
Aber im Wein steckt oft Wahrheit, und am nächsten Tage fiel Schie Leb bei der Wahl schmählich durch; er hatte keine zehn Stimmen.
Ein andermal verlockte ihn sein Ehrgeiz in den Vorstand der Ortsgemeinde zu kommen, zur Zeit dieser Wahlen. Er verwendete bedeutende Summen zur Agitation für sich. Izek Futtak, der einen Branntweinschank hatte, war sein Kortesch, die Bauern soffen wochenlang gratis Tag und Nacht; und er fiel bei dieser Wahl noch kläglicher durch, als bei der Wahl in den Cultusvorstand, obwohl zwei Juden gewählt wurden und zwar der jüdische Arzt und ein armer jüdischer Buchbinder. Das kränkte Schie Leb noch mehr. Es ward klar, daß auch im Branntwein Wahrheit steckt.
Nach diesen beiden Niederlagen übertrug er seinen Ehrgeiz auf seine Söhne.
Sein Itzig zeigte Anlagen, Cavalier zu werden.
Es war die Ambition des stolzen Ochsenhauthändlers, daß sein Itzig mit den Edelleuten des Ortes und der Umgegend wie mit seinesgleichen verkehre.
Mit seinem zweiten Sohne Jossel hatte er noch kühnere Pläne. Der sollte Advocat werden und so mit dem Stuhlrichter und den Amtspersonen, vor welchen allein er Respect hatte, auf vertrautem Fuße stehen.
Er schickte beide Söhne, sobald sie es dahin brachten, den Rock in einem Jahre nicht auszuwachsen, nach Pest, um dort zu studiren.
Er gab viel für sie aus. Sie forderten aber noch mehr. Sie lehrten den Alten, was ein Wechsel sei. Und sein Herz erweiterte sich, wenn er sah, daß ein lumpiges Stück Papier, worauf er seine drei Kreuze setzte – denn seinen Namen konnte er nicht fertigen – von diesem Momente an zu barem Gelde wurde. Gerade als ob ein Fürst es unterschrieben hätte. Ein gescheidter Mann, der das ausspeculirt hat, um die Menschen groß zu machen.
Die Söhne aber ließen den Alten sehr groß werden. Ihre Schwäche stand im schönsten Verhältnisse zur Schwäche ihres Vaters. Sie waren gegenseitig zufrieden.
Vor lauter Zufriedenheit ruinirten sie den Alten. Man merkte den Niedergang seines Vermögens und es wurde das geflügelte Wort ausgegeben.
„Was Schie Leb an Ochsenhäuten gewann, verlor er wieder an Ochsenhäuten.“
Itzig wurde ein Cavalier; er ritt, spielte, hielt Maitressen und war die „Wurzen“ aller verkrachten jungen Edelleute des ganzen Comitates.
Jossel war das Rechtsstudium zu trocken. Er fing an zu trinken. Er kam von Pest nach Hause und trat in das Geschäft des Vaters ein, war aber häufiger im Keller, als in den Magazinen zu finden.
Beide heirateten und von Beiden liefen die Frauen bald weg. –
Beide lebten sich in der Gesellschaft zu Tode, starben moralisch, wurden allgemein als Lumpen bezeichnet.
Und Schie Leb hatte alle Ursache, auch den Ehrgeiz in sein „Alles nischt“ einzubeziehen.
Noch hatte er so viel Geld, um in seinem Stolz auf dasselbe fortzuschreiten und jeden Anderen zu verhöhnen. Ja, er wurde noch hochmüthiger, um die Leute nicht merken zu lassen, daß es mit ihm abwärts gehe, zeigte sich noch haßerfüllter gegen Alle, die sich durch Bildung und humanes und religiöses Wirken hervorthaten, und geizte bei den öffentlichen Leistungen, die er pflichtgemäß abzutragen hatte.
Noch häufiger als früher führte er sein „Alles nischt“ im Munde. Er murmelte es für sich hin, auch wenn er ganz allein war und er wäre vor Vereinsamung gewiß dem Wahnsinne verfallen, wenn er nicht noch zur rechten Zeit aus diesem Jammerthal, wo „Alles nischt“ ist, die Reise in das unbekannte Jenseits hätte machen müssen, an das er nicht glaubte und so oft davon gesprochen wurde, auch sein „Alles nischt“ darüber sprach. –
Um Trost für die vielen Enttäuschungen zu suchen, nahm er in der letzten Zeit auch Zuflucht zur Flasche und wurde auf offener Straße von einem Schlaganfall getroffen, dem er auf der Stelle erlag.
Es blieb doch noch so viel zurück, daß sich die Kinder um die Erbschaft balgten und so viel Pietätsgefühl haben die Kinder doch noch bewahrt, daß sie, bevor sie mit einander zu processiren anfingen, von der Hinterlassenschaft eine hübsche Summe ausschieden, um Grabsteine für Vater und Mutter zu stellen, denn auch die Mutter, die schon um Jahre früher starb, hatte noch keinen Gedenkstein, weil Schie Leb consequent bei seinem „Alles nischt“ blieb. Und bald wäre Schie Leb nach dem Tode verherrlicht worden.
Denn in Itzig regte sich der Cavalier. Er wollte den Eltern Monumente errichten, wie sie auf dem Friedhofe noch nicht zu sehen waren, hohe Steine an der Kopfseite der Gräber und extra Seitensteine und in jedem hochtrabende Inschriften.
Da hätte man ja an einer Gerechtigkeit verzweifeln müssen!
Es ist aber anders gekommen. Gerade bei diesem so vornehm scheinenden Grabmal muß der Wanderer lachen. Und das kam so.
Die Steine wurden in Pest verfertigt und auf dem Friedhof zu Hause von des Hebräischen unkundigen Leuten gestellt. Sie verwechselten die Seitensteine, so daß diese auf Schie Leb`s Grab berichten, was für „Biederweib“ er gewesen. Und diese Grabsteine stehen heute noch so.
„Alles nischt?“ Nein, an seinem Grabe hallt es entgegen: Es ist etwas! daß Schie Leb noch nach dem Tode hinaus lächerlich sein mußte.