KATZ, F.: MEINE ERSTE DAMENBEKANNTSCHAFT

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Feulleton

Meine erste Damenbekanntschaft

Von F. Katz

I.Fortsetzung

In diesem großen Raume brannte nur ein Licht, und zwar vo einem aufgeschlagenen Folianten, sonst war das ganze Beshamidrasch in Finsternis gehüllt. Wie von Furien gepeitscht, ergriff ich die Flucht und lief, was ich laufen konnte, auf die menschenleere, finstere Straße, wobei ich immer das Gefühl hatte, als liefe mir die Wahnsinnige nach. Totenbleich erreichte ich mein Quartier, wo aber sonderbarerweise noch Licht brannte. Dies erschien mir auffallend, da niemals – außer am Freitag abends – in so später Stunde in dem Hause meiner Quartiergeber Licht brannte. Ich betrat erleichtert aufatmend die Stube, aber da bot sich mir ein höchst trauriger und rätselhafter Anblick dar. Die Quartiersfrau weinte bitterlich, ebenso ihre Mutter, eine Frau nahe der Siebziger und ihre zwei ledigen Töchter, die ich in jener Nacht zum ersten Male sah. Nur einer weinte nicht: der Mann. Er saß bleich da und zerrte nervös an seinem kleinen Bärtchen und sprach sonst kein Wort. Auf meine erstaunte Frage, was da vorgefallen sei, erhielt ich anfangs keine Antwort, dann aber begann die Mutter meiner Quartiersfrau szu sprechen und – zu schelten. Aus ihren unzusammenhängenden Worten entnahm ich so viel, daß sich in diesem Hause eine eheliche Szene abgespielt habe, deren Arrangeur mein liebenswürdiger Wirt, der Schwiegersohn, war. In ihrer Herzensnot lief die mißhandelte Frau zu ihrer greisen Mutter, diese weckte auch ihre unverheirateten Töchter und nun saßen sie alle da und beweinten das Mißgeschick der Tochter und Schwester. Man rief mich gleichsam als Schiedsrichter an und ich mit meinen 14  Jahren sollte ein Urteil fällen über einen Mann, der mindestens zweieinhalbmal älter war als ich und der sehr gut mein Vater hätte sein können. Außerdem genoß ich doch in seinem Hause Gastfreundschaft. Die Situation war für mich äußerst peinlich und ich bereute schon im Stillen meine Feigheit, daß ich nicht im Beshamidrasch blieb. Ich beschloß also zu schweigen und mich ganz neutral zu verhalten, um auf keiner Seite Anstoß zu erregen. Ich schwieg und auch der mißratene Gatte und Schwiegersohn. Endlich machte ich den Vorschlag: schlafen zu gehen. Etwas besseres fiel mir nicht ein und stumm dazusitzen, war mir für die Dauer peinlich. Dieser Vorschlag wirkte geradezu Wunder. Denn sofort erhoben sich die Mädchen und verließen das Haus, ihnen folgte die Mutter und ich blieb mit dem Ehepaar allein zurück. Nach einer kurzen Pause verließ auch meine Quartiersfrau das Zimmer und begab sich in das anstoßende Gemach, eine Art Schlafzimmer, wo auch die Kinder schliefen, und ihr folgte ihr gestrenger Ehemann. Anfangs hörte ich noch vom anstoßenden Zimmer ein leises, unterdrücktes Weinen und Seufzen, dann hörte ich nichts mehr. Ich schlief so fest, wie man mit 14 Jahren schläft, ruhig und sorgenlos . . . 

Mit meinem eisernen Fleiße war es zu Ende. Nachts fürchtete ich mich im Beshamidrasch länger als nötig zu bleiben und den kurzen Wintertag schlug ich auf andere Weise tot, so gut es eben ging. Ich begann mich mit Zeitungslektüre zu befassen und las den „Hameliz“, den „Hazefiroh“ und den „Hajom“ und versuchte sogar selber Artikel für diese Zeitungen zu schreiben. Ich hielt mich auch mehr in meinem Quartiere auf und erfuhr bald, daß es eine höchst unglückliche Ehe war, Zank und Streit war dort auf der Tagesordnung und der Störenfried war immer der Mann. Den Grund für diese ehelichen Zwistigkeiten wußte eigentlich niemand. Dagegen war es stadtbekannt, daß dieses Ehepaar sich nicht vertrage. Die Frau schüttete mir oft ihr Herz aus und bat mich flehentlich, beruhigend und besänftigend auf ihren Mann, den Urheber aller Zwistigkeit, einzuwirken. Sie vertraute mir bei dieser Gelegenheit Dinge an, die selbst einem alten Feldwebel die Schamröte ins Gesicht treiben mußten; sie tat es aber, teils aus Unverstand und Unbildung, teils deshalb, um mich als Vermittler gründlich zu informieren. Und die Informationen ließen auch an Gründlichkeit nichts zu wünschen übrig. Zum Glück habe ich sie damals nicht verstanden. Dabei erfuhr ich über diese Ehe folgendes: der Mann war früher ein armer Talmudjünger, der nichts hatte und nichts besaß als seine Thorakenntnisse. Die Frau war die Tochter eines „Hausbesitzers“, der zugleich eine Brotbäckerei und ein Produktengeschäft betrieb. Er galt in Sch. Als wohlhabend und hatte für jede seiner drei Töchter einige hundert Rubel erspart. Da starb er plötzlich und ließ eine Witwe mit drei unversorgten Töchtern zurück. Die Witwe führte die Bäckerei weiter und die älteste Tochter leitete das Produktengeschäft. 

Dieses Geschäft erforderte auch kleine Reisen, die das resolute und keineswegs unschöne Mädchen gerne unternahm. Auf einer solchen Reise lernte sie – im Wagen – ihren zukünftigen Mann kennen. Anfangs machte sie sich sogar lustig über ihn, seine Ungeschicklichkeit und seine Unerfahrenheit in „weltlichen Dingen“, dann aber kam er nach Sch. und hielt um ihre Hand an und sie heiratete ihn, weil eben das Produktengeschäft durchaus einen Mann erforderte. Der ehemalige Talmudjünger fühlte sich anfangs in der Ehe überglücklich. Hatte er doch ein Weib und auch satt zu essen, einige hundert Rubel und ein gutes Geschäft in Händen! Auf ein solches Glück hatte er nie zu hoffen gewagt. Überdies bemühte sich die Frau, aus ihm einen Menschen zu machen, wie sie sich ausdrückte. Und diese Mühe war auch vom schönsten Erfolge gekrönt. Er legte allmählich seine Schüchternheit ab, gewöhnte sich mit Menschen zu verkehren und sich unter Kaufleuten frei und unbefangen zu bewegen. Aber als er ein „Mensch“ wurde, hörte er auf, ein Kaufmann zu sein. Das Produktengeschäft ging ein und er verlor dabei seine ganze Mitgift. Sein Menschentum hat er teuer bezahlt, mit der Mitgift seiner Frau und dem guten Geschäft seines Schwiegervaters. Es ist eben nicht leicht, Mensch zu sein und vielweniger ein Mensch zu werden. Mit seinem Menschentum erwachten in ihm neue Regungen und Empfindungen, die er früher nicht kannte: seine Frau gefiel ihm nicht mehr und er machte aus seinen Gefühlen gar kein Geheimnis. Er kam unter Menschen, sah andere Frauen und jede gefiel ihm besser als seine Frau. Dieses pflegt zwar häufig vorzukommen und es dürfte vielleicht wenig Ehemänner geben, die nicht im Stillen Vergleiche anstellen zwischen ihren eigenen Frauen und denen anderer Männer, die meistens zu ungunsten ihrer Frauen ausfallen. Aber sie hüten sich wohlweislich, ihre Gefühle laut zu verraten. Anders jedoch mein Quartiergeber. Er sagte es bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit seiner Ehehälfte und allen, die es hören wollten, daß sie ihm nicht gefalle, daß sie häßlich sei und daß jede andere schöner und netter sei als sie. Er beneidete jeden Mann, der eine hübsche Frau sein Eigen nannte und rühmte und pries jede hübsche Frau in Gegenwart seiner Frau, ihrer Mutter und Schwester. Die Frau wendete alles auf, ihm zu gefallen: sie kochte seine Lieblingsspeise, pflegte und bemutterte ihn mit der ganzen Zärtlichkeit eines liebenden Weibes, das seinen erworbenen Besitz mit aller Gewalt sich zu erhalten suchte. Aber vergebens. Die Liebe des Mannes war einmal erloschen und alle verzweifelten Versuche des tiefgekränkten und unglücklichen Weibes, sie wieder anzufachen scheiterten an der Kälte und Gleichgültigkeit des Mannes. Die Frau hätte aber keine Frau sein müssen, um die Stichelreden ihres Mannes und seine hämischen Bemerkungen über ihre Person und ihre Reizlosigkeit ruhig hinzunehmen. Oft, sehr oft ließ sie ihre Geduld und Sanftmut im Stiche; dann pflegte sie ihm seine Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen und ihm zu sagen, was er war und was sie aus ihm gemacht habe, was er durch sie geworden und was sie durch ihn verloren habe: die Mitgift, das schöne Produktengeschäft, ihre Jugend und ihre Tugend.

(Fortsetzung folgt)