NEON: WARENHAUS! WARENHAUS!

In: AZ, 16.12.1928, S. 17

Zur Biographie: Robert Ehrenzweig (Pseud.: R. Lucas, Neon)

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Tran-skription

Berlin. Mitte Dezember.

Berliner Warenhaus: „Seifenabteilung“— „Gang geradeaus.“ — „Steckkontakte“— „Dritter Stock, Lift rechter Hand.“— „Trauerkleider?“ — „Bitte, Halbstock.“ — „Ukrainische Volkskunst?“ — „Dritter Stock, Lift rechter Hand.“ — „Kaffeehaus?“ „Bilderbücher?“ „Antike Möbel?“ „Gewehre?“ „Hosenträger?“ „Bitte, wo ist der Ausgang?“

Rolltreppen gleiten aufwärts mit ihrer un­ruhigen Last von Menschen und falten sich laut­los zusammen, Lifte schießen empor, stürzen ohne Aufprall in die Tiefe. Bunte Menschenmassen wälzen sich über die Treppen, strömen durch die Gänge des paradiesischen Labyrinths.

Aufgestapelt liegen die Reichtümer dieser Erde.

Musik.

„Radioabteilung?“— Bitte, den Gang zu Ende, dann rechts.“— „Grammophone?“ — „Hier zurück, dann links.“

Kleider rauschen im Gehen, Ellbogen streifen einander, der Geruch frisch geölten Bodens und die Ausdünstung von Menschen, der Duft regennasser Mäntel liegen in der Luft. Draußen irgendwo, woher man kam, rieselt Regen vom bleiern grauen Himmel. Hier strahlen die Sonnen anwesender Lampen, die Kleider trocknen in der wohligen Wärme der Zentralheizung. Von den Schirmen tropft das Wasser ab, und auf den schimmernden Strümpfen trocknen die kleinen schwarzen Kleckse von Dreck.

Mikroskope, Feldstecher, Photographische Appa­rate, Radio.

Eine Beethoven-Sonate schwebt in der Luft. Dreiröhrenapparat. Lautsprecher. Tiptop. Ein süßes Adagio von Beethoven wandert mit zu­sammengefalteten Flügeln durch das Warenhaus.

Auftollend durchkreurzt es ein Walzer von Strauß. Gloria-Schallplatten für jedes  Heim. In Qualität und Billigkeit unübertroffen.

Vom Flügel rauscht eine ungarische Rhapsodie.

Aber im Warenhaus klingt noch eine andre Musik. Schwebt überall, über den Badeschwämmen und Ölgemälden, über Wintermänteln und Fischkonserven, über Schreibmaschinen, Puderquasten, summend, unsagbar betörend eine Musik, eine Musik von Zahlen und Namen, die alles Weh und alle Lust der Welt enthält: die Musik des Geldes.

Liebe.

Spiegel, Lippenstifte. Briefpapier, Nagel­feilen. Seidenwäsche, Konfekt.

Die Atmosphäre ist elektrisch geladen von der Erotik der Ware. Der Flirt zwischen Artikel und Konsumenten ist ein leidenschaftserfülltes Spiel. Wanderst du durch ein Spalier kokettierender Luxus- und Bedarfsartikel, so strömt die Liebe und die Sehnsucht, zu  besitzen, aus diesen kost­baren Dingen in dich, erfüllt dich mit betörender Wärme. „Lieber!“ „Liebstes!“ „Daß ich dich nicht besitzen kann!“

Es gibt noch eine andre Liebe im Warenhaus. Oh, ihr jungen Verkäuferinnen mit siebzig bis hundert Mark im Monat. je jünger, desto billiger! Vorschriftsgemäß dunkel gekleidet, ohne Schmuck, außer euren Gesichtern. Müde vom Stehen, müde vom Anbieten und Auskunftgeben. — „Automobile?“— „Im Par­terre.“ — „Gebetbücher?“ — „Erster Stock,

rechts.“— „Kakteen?“ — „Gang geradeaus.“ — „Stempelkissen? — „Im Parterre.“— Müde

vom Gedränge der Menschen und der begehrten Kostbarkeiten.

Früh, pünktlich um acht Uhr, wenn ihr aus Autobussen und Untergrundbahnen strömt, an der Kontrolluhr vorüber, halb Gelächter, halb Schlaf in den Augen, faßt euch das Getriebe des rationalisierten Jahrmarktes. Stößt euch durch die Stunden, saugt euch aus, nimmt euch eure Kraft und entläßt euch dann abends, euch Müde, Ausgepreßte — glücklich in der Er­wartung der Abenteuer des Abends, ängstlich in der Erwartung des häuslichen Elends. Tagsüber ein Automat des Feilbietens, ein Automat der Höflichkeit, dessen einziger Zweck es ist, den Anordnungen der Direktion gemäß zu funktionieren, durch Prämien zu erhöhter Leistungsfähigkeit angestachelt, beaufsichtigt durch die wachsamen Augen der Gehkontrolle. Aber dieser Automat hat unter den vorschrifts­mäßigen Kleidern eine weiße Haut, blau ge­ädert, lebenswarm, Jugend, Liebe, verstohlenes Weinen und Gelächter.

Mittags sitzen die Mädchen eng gedrängt an den langen Tischen. Kostbares Meißener

Porzellan, silbernes Besteck, schillernde Vasen aus Venedig, mit phantastischen Orchideen,

Tischtücher aus Damast, Ananas, Kaviar, glut­voller Wein — weggewischt sind sie aus ihren

Augen, es sind Kostbarkeiten, die sie nur ver­kaufen, nicht genießen dürfen. Klappernde

Blechlöffel, altgeschlagene Teller, Tischtücher voll häßlicher Speisereste, Kartoffelsuppe, Wasser, ja so sieht ihre Tafel aus.

Aber wie Girlanden winden sich ihre Ge­spräche.

„Heute abend gehe ich aus!“ — „Morgen gehe ich mit meinem Freund in den Titaniapalast.“

Photographien wandern von Hand zu Hand. „Gott, o Gott, ist der süß!“— „Guck mal, die energischen Augenbrauen!“— „Wirst du ihn heiraten?“— „Bist du mit ihm zufrieden?“ — 

„Liebst du ihn wirklich, du?“

Dann welken die Girlanden, dann klirrt das Geschirr und die Arbeit geht weiter.

Reichtum

Einmal, im Traume, achtzehnjähriges Warenhausmädel, wirst du, vornehm angetan,

an dem Arm deines Freundes durch die Gänge des Paradieses wandeln, strahlend von Frische und Begehrlichkeit. „Dieser Nerzmantel, wollen Fräulein gnädigst probieren?“ — „Seidenstrümpfe, bitte, in allen Farben!“ — „Fräulein wünschen ein Armband? Wollen Sie nicht ein wenig Platz nehmen?“— „Geschenke für die Mutter, herrliche Näschereien!“ — „Bitte Kasse Nummer 36, gerade gegenüber!“ Der Herr zahlt.

Du ertrinkst in dem Meer deiner erfüllten Sehnsüchte. Du kannst hier in der Konditorei dich krank essen an Schokolade und Schlagobers und kannst nebenan in der Apotheke dir Arzneien kaufen, um wieder gesund, zu werden. Du kannst überhaupt dein ganzes Leben im Warenhaus verbringen, anders als bisher, in einem Taumel des Genießens. Bitte: Restaurant, Café, Erfrischungsraum, Frisiersalons, Wintergarten. Oh, du rächst dich, genießest in vollen Zügen die dir dienende Höflichkeit, lächelst und schließt die Augen, wenn die Verkäuferinnen, die armen, dir Auskunft geben. „Tanzschuhe? Zweiter Stock, bitte!“ — „Wäsche? Bitte. Fräulein, Gang geradeaus.“ — „Südfrüchte? Bitte drüben in der Lebensmittelabteilung.“ Die Welt breitet sich dir aus, ein neues Leben.

Abends geht es nach Hause, du und dein Freund, voll beladen mit Paketen.

Frühmorgens wachst du aus. starrst auf die kalkgetünchten Wände und in deinem Hirn bohrt die Erinnerung unruhiger Träume« und verfolgt dich bis ins Warenhaus.