Raum | Topographische Markierungen
Im Folgenden finden Sie explarische literarische Texte (Erzählungen, Romane), die nach räumlich-topographischen Kriterien beschlagewortet sind, einbegleitet von einer Kurzfassung des jeweiligen Textes (sofern es sich nicht um einen kanonischen, allgemein bekannten handelt).
Aron D. Bernstein: Vögele der Maggid. Novelle (ED 1858; 1936)
Ortsnamen | Soziale Räume | Rituelle Räume/Praktiken | Jüd.-jidd. Raumsemantik | Bezüge zu dt. Literatur | Andere
Räume |
Ghzgt. Posen | Mikwe (6, 11, 18f.,26f. 66,80, 82f., 111) | Kehilla (28,37,50,70,75,
86f. |
Kotzebue (14,45), | ||
Weichsel (6,37) | Gasse (9, 43) | Jeschiwa (7) | Beshamidrash (6,26,34,44, 59) | Schiller: Kabale u. Liebe (19 | |
Städtchen | Dorf (38) | Chuppe (35, 112) | Schul (7,48,51,111) | G. Sand (24), | |
F. (5, 22,37) | Stadt (41f.) | Begräbnisort (37f.) | |||
Kol Isroel (33) | Markt (43, 73) | Schabbos Stube (50f.,54) | |||
Frankfurt/M. (39, 41, 105) | Stube, Stübchen (ärmlich, 54) | Jüdisch-oriental (39) | |||
Wronke (47) | Gemeinde (74, | Eruw (41f,67f.,73) | |||
Golus (Galut, 51,79) | |||||
Jerusalem (79) | Gemeinde (57,) | ||||
Posen, Thorn, Culm, Bromberg, (78) | Gan-Eden (Paradies, 60 | ||||
Scheherezade-Motiv (66 > betr. Liebesgesch. Vögele-Kosminer) | |||||
Berlin (106) |
Kurzfassung:
Lublin, von österr. Truppen vor Ende des Weltkrieges (Bezugnahme auf Sturz Kerenskys 1917) besetzt, ist der zentrale Schauplatz dieses Romans. In ihm prallen drei verschiedene Welten und ein Vielfaches an Räumen aufeinander, berühren und durchdringen sich. Zum einen, den Roman eröffnend, die lokale jüdische Welt, die zunächst vorwiegend aus Händlern und Spekulanten besteht, welche durch verschiedene Geschäfte gute Gewinne machen bzw. sich ruinieren und verschulden, allen voran die Familien Lazarewitsch, Steinreich und Folberg (mit z.T. stereotypenhaften Zügen). Topographisch separiert, zeigt der Roman auch jüdische Familien in ärmlichen Verhältnissen wie z.B. Bäcker, Schenkenwirte oder Fabriksarbeiter*innen. Zum anderen widmet er sich auch der nichtjüdischen Welt, d.h. lokalen polnischen Eliten, die sich z.T. im politischen Untergrund organisieren, aber auch einfachen proletarischen Figuren, die sich durch das Leben schlagen, sowie Offizieren der österreichischen Besatzungstruppen, die v.a. zu den vermögenden jüdischen Protagonisten Beziehungen unterhalten, d.h. im System der von Korruption, Erpressung u. Bereicherungen geprägten Verwaltung im unterschiedlichen Ausmaß partizipieren. Promiskuität und Grenzüberschreitungen zählen daher zu den dominanten Haltungen der meisten Figuren; sie generieren ein Leben am Abgrund, wo nahezu alles zur Ware bzw. der Maxime einer Carpe diem-Haltung des Genusses, unterworfen wird. Darunter fallen nicht nur die zahlreichen okkasionellen Geschlechterbeziehungen (zwischen Gelegenheits- und Überlebensprostitution), sondern auch der familiäre Bereich, etwa die Opferung einer Tochter, um sich vor finanziellen Ruin zu retten wie z.B. in der Familie Folberg oder zahlreiche, stadtbekannte Affären verheirateter Frauen mit österr. Offizieren (z.B. in der Fam. Lazarewitsch). Dem stehen als Gegenbeispiel die Liebe zwischen der in einer Fabrik arbeitenden Brane und Jaakow, der in einer jüd. Geheimbäckerei aushilft, gegenüber sowie, zugleich Teil der moral. korrupten Welt, jene zwischen Folbergs an einen Geschäftsfreund in Lodz verheirateten (recte: verkauften) Tochter Sonja und einem jungen österr. Einjährigen (Fähnrich), aber, im Ansatz auch, das mehrfach tragische Doppelleben des Lazarewitsch, der nicht nur seine Frau an einen österr. Offizier verliert, der zugleich ein Doppelleben zwischen militär. Repression und Informant des poln. Untergrunds führt, sondern sich auch in chassidischen Kreisen bewegt und für die uneheliche Tochter eines poln. Aristokraten sorgt. Aus diesen vielfältig komplexen Beziehungsgeflechten ergibt sich von selbst ein dichtes Netz topographischer Koordinaten und eine Teilhabe zahlreicher Figuren an unterschiedlichen sozialen, aber auch ideologischen und rituell konnotierten Räumen.
Ortsnamen | Soziale Räume/
Praktiken |
Konflikträume/felder | Rituelle Räume/ spez. jüd. Semantik | Andere Räume/ Grenz-Überschreitungen |
Lublin (10-) | Bahnhof (9f., 140) | Ideolog. Konflikte (Sozialdemokr.: 44) | Tefilim (17) | |
Warschau (17, 23, 65,99,186,200,275 | Bordell/ Varieté (11, 64, 96) | Krieg | Edom (74) | Glückspiel (illegales, 56) |
Wien (40f.,58, 72, 128, 145, 245 | Seitengasse (12, 16, 169) | Jüd.-nichtjüdisch | Morgengebet (80) | Alkoholexzesse (58f.) |
Lodz (105, 112, 160f., 186ff.) | Theater/Varieté (14f.,35, 94, 163, | Polnisch-russ.-österreich. Konflikt (Kerensky-Sturz, 29; Getreidelieferungen 84, | Melamed (80) | Schmuggel (67) |
Paris (131) | Stube (15, 61, | Exilregierung – k.k. Offiziere (86f., 131: geheimer Kurierdienst Paris-Warschau]) | Fluch der Rastlosigkeit (94) | (Zwangs)Prostitution (148f., 198f., 258) |
Moskau (159) | Lubartowska (Straße, 17,95,
Grodzka (120) |
Ehe – Tochterschacher (107) – Kritik am Weiblichkeitsbild; Ehe als Grab (112, 127, 195f.) | chassidische Hütte (102)
Chassid (79, 170) |
Sexuelle Belästigung/ Missbrauchsversuche (71) |
Palästina (231) | Börse (20,27, | Polit. Agitation, Subversion (129, 137) | Sabbat (105, 175) | Hasard-Spiele (32, 115,) |
Schlafzimmer (21, 51f. | (poln) Kriegsgericht, österr. Polizeikommissar (220ff.) | Zions Töchter (n. Händel; 165) | ||
(Hinter)Hof-Wohnung (21, 156, | jüd. Küche (169, | |||
Kellerwohnung (22, | Haman (174) | |||
Straße /Krakowska (25, 27,49, 133, 146 (Straßenszene), 227f. | Schul (174f.) | |||
Winkelcafé (27, | Lichtersegen (175) | |||
Kaserne (36, | Psalme (176) | |||
Hütte (bäuerl., 37 | Trejfes (183) | |||
(winterl.) Feld (46, | Galuth (184) | |||
Restaurant (49f.,126,144 | Iwri (185) | |||
Krankenhaus (61, | Kaftanjude (196) | |||
Fabrik (62f., | Zionismus (235,237) | |||
Bäckerei (74, | Herzl (238,) | |||
Schenke (82,168, | Passahfest (271f.) | |||
Salon (103f.) | Kaddisch (276) | |||
Hotel (141f. | ||||
Vorstadt (Lublin; 229 | ||||
Zeitungsredaktion (240f.) |