Hoeflich, Eugen: Die Mission des Zionismus
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In: Der Friede, Nr. 33, 1. Jahrgang, Wien, 6. September 1918, S. 156–157.
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DEN Zionismus, das heißt: jene Bestrebung eines Teiles des Judentums, die auf Palästina gerichtet ist, als rein politische, ausschließlich territoriale zu betrachten, ist ein grundlegender Fehler, dessen Ursachen aber bei den Zionisten zu suchen sind, denn beinahe jedesmal, wenn Vertreter des Zionismus es versuchten, der breiten Öffentlichkeit ihre Ziele und ihre Hoffnungen darzulegen, sprachen sie von dem materiellen Programm, von der rechtlich gesicherten Heimstätte, allzu selten aber ließen sie es sich angelegen sein, von den geistigen Grundlagen und Zielen dieser elementaren Bewegung zu sprechen. So entstand in den Fernestehenden das verzerrte Bild einer rein ökonomischen zionistischen Bewegung.
Wenn auch Herzl, der die dem jüdischen Gefühle und der jüdischen Not entbundenen Gedanken formulierte, seine Ziele in einer „rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“ präzisierte, so ist diese uralte Bewegung doch nicht in die Reihe europäischer politischer Bestrebungen zu setzen, denn ihren endlichen Zielen entspricht ein unendliches, das ein allmenschliches ist, ein übernationales und überökonomisches.
Es ist hier nicht meine Sache, von der geistigen, rein kulturellen Arbeit zu sprechen, die auf ein jüdisches Palästina gerichtet ist; es genüge die Feststellung, daß sie ist und daß sie die besten Köpfe des Judentums beschäftigt. Ich halte es aber für meine Pflicht, von der neuesten, absoluten Richtung des neujüdischen Gedankens zu sprechen, die dieser Krieg gebar, besser: gebären mußte.
Der Gedankengang dieser heute von einigen wenigen Menschen getragenen Idee ist ein einfacher: Die Wiedervermählung des jüdischen Menschen mit dem verheißenen jüdischen Boden ist selbstverständliche Forderung, die Wiedererweckung der hebräischen Sprache (die heute bereits Umgangs- und Unterrichtssprache ist) und die Konzentrierung aller jüdischen Potenzen auf Palästina sind Gemeinsamkeiten aller zionistischen Richtungen. Nun aber teilen sich die Anschauungen von der Wichtigkeit der nächsten Ziele. Während der offizielle Zionismus, fasziniert von dem Bilde, das Herzl entworfen hat, sich hauptsächlich die ökonomische Frage zu eigen machte, während eine Fraktion (wenn man hier von Fraktionen sprechen kann) einen jüdischen Sozialismus konstruierte, der den Klassenkampf nach Palästina tragen will, ohne zu bedenken, daß ihr Programm eine Contradictio in adjecto beinhaltet, daß Judentum auf Unbedingtheit basiert, wogegen Sozialismus durch die gegebenen europäischen Wirtschaftsmißverhältnisse bedingt ist; während andere Richtungen, den festen Boden verlierend, sich wieder in rein geistige Spekulationen einließen: versucht dieser „neueste“ Zionismus das Judentum dort zu erfassen, wo es reines, unverfälschtes Judentum ist, Teil des Geistes der Unbedingtheit, der Konsequenz im Guten wie im sogenannten Schlechten, Teil des großen Geistes Asiens. Er sagt sich, daß das nur körperliche Verlassen Europas nicht Erfüllung sein kann, wenn der Geist in Europa bleibt; es muß der Geist mit dem Körper gehen, um sich dort wieder einzufügen, wo er entsprungen ist. Die Neuartigkeit der so selbstverständlichen Forderung und ihre Konsequenzen erschütterten die in europäischer Ideologie und Gewohnheit Befangenen derart, daß sie sie von vornherein ablehnten, wie sie alles ablehnen, was der Trägheit des Herzens nicht entspricht.
Die Vertreter der neuen Idee sagen sich: Die Errichtung einer Gemeinschaft, deren Leben schier zweitausend Jahre unterbrochen war, ist etwas in der Geschichte so Unerhörtes, daß schon der Wille zur Tat größte menschliche Ehrfurcht herausfordert. In Ehrfurcht beugen aber wollen wir uns nur vor Absolutem, vor dem, das unbedingt ist, keinem Kompromisse sich entwand. Wollte man aber eine neue Gemeinschaft gründen mit Elementen, die die Gewohnheit ohne Überlegung widerstandslos in die neue Heimat nimmt, so wäre dies Kompromiß unwürdig des Geistes, der diese Gemeinschaft erbaut, und Quelle aller Qualen, die man zurücklassen will. Da müssen also alle europäischen Einflüsse, Merkantilismus, Imperialismus, Kapitalismus (als Imperalismus des Geldes), abgelehnt werden, das Individuum darf nicht Kalkulationsobjekt einer mehrwertheckenden Weltanschauung sein und die Kultur dieser Gemeinschaft muß wieder eine ihr eigentümliche werden, die die ihr wesensfremden Elemente abstößt, überwindet. Hier, in diesem Begriffe „Überwinden“ liegt der Kernpunkt der Bewegung. Sie will das Europa, das seinem Zenith wohl nicht weit mehr entfernt ist, nicht bekämpfen, sie will es in sich überwinden, in richtiger Voraussicht, daß der Panasiatismus von morgen, der dem technowahnsinnigen europäischen Jahrhundert eine Ewigkeit des Geistes entgegensetzen wird, vom Judentum das Erkennen seines Asiatismus fordert, und in dieser Voraussicht wird die neue Gemeinschaft Asien werden müssen in Asien, nicht Handelsvertreter Europas, Kolonialagent seiner eigenen Not.
Die große Not des Judentums aber bliebe ungebrochen, wenn die neue Gemeinschaft zwar jüdisch, europäischen Einflüssen aber offen, den ganzen Komplex unmenschlicher europäischer Angelegenheiten unter jüdischem Namen sich zum Prinzip machen würde. Nicht allein die körperliche Not bliebe erhalten, die ungleich drückendere, die Not des Geistes, die Abhängigkeit vom Fremden, die erzwungene Unkonsequenz, die Brutalisierung des eingebornen Geistes bliebe aufrecht, nur um dem Phantom nachzuleben, das europäische Entwicklung in Europa und für Europa (was identisch ist auch mit Amerika) in die Welt stellte.
Es wäre dieser Drang zur Rückkehr nach Asien, Asien in der wunderbarsten Bedeutung des Wortes, die von den Propheten kommt, von Jehoschuah, von Lao-tse, Buddha und den anderen, es wäre diese Forderung leicht einleuchtend – wenn eben nicht die in Europa lebenden Juden schon zu viel Europa in sich hätten, um es ohne Furcht um ihre Bequemlichkeit wieder auszuspeien. Es müßte aber auch der Arier dieser Bewegung sympathisch gegenüberstehen, der sich sagt, daß nur aus einem vollkommenen Neuaufbau einer Gemeinschaft, die auf dem edelsten, ursprünglichsten Geiste ruht, die Regeneration der ganzen menschlichen Gesellschaft erblühen kann; auch er müßte ihr sympathisch gegenüberstehen, sonderlich da er doch augenblicklich das Tao-te-king liest und die Bibel und die anderen asiatischen Geistesprodukte, die gerade Mode sind; er tut es aber nicht, da er nicht aus Antisemitismus – sondern aus Mißtrauen oder aus Gewohnheit einen Geist für den jüdischen hält, der aber nichts anderes ist als europäischer Kommerzgeist in jüdischer Konzentration. Und schließlich: wie sollte auch der fernstehende Arier diese Bewegung nach Asien nicht ablehnen, wenn selbst Juden von weltferner Europamüdigkeit sprechen, von literarischer Sekte oder von Dichterhainen, die für Palästina propagiert würden.
Berthold Viertel sprach letzthin in einem kleinen Aufsatze über meine Arbeit von einem „Bekenntnis gegen die grauenhafte Problematik Europas“. Ja, das ist es, was uns eint, wenn wir, die wir wohl in Europa geboren, dennoch aber Kinder orientalischen Geistes, bebend und ohnmächtig aus dem Wahnwitz dieser europäischen Zeit unser Bekenntnis zu Asien zum Himmel stammeln. Es eint uns die Erkenntnis, daß diese Zeit nicht Teil unseres Geistes ist und daß wir Verrat üben würden an unserer Sendung, wollten wir uns jetzt nicht entscheiden: zum Osten, woher uns stets das Licht kam, oder zum Westen, wo man Geschäfte macht mit Blut, Geld und Seele.
Der Krieg mußte diesen Gedanken innerhalb der auf Zion gerichteten neujüdischen Bewegung gebären, und wenn ihn auch einzelne, wie Benjamin Disraeli, schon früher vielleicht erfühlt hatten, konnte er erst jetzt in die Welt treten, fordernd und Gehör heischend, denn erst diese Zeit, die uns heute umstellt, konnte trotz ihrer Sinnlosigkeit den furchtbaren Zusammenstoß orientalischen und okzidentalen Geistes fruchtbar machen.
Die Mission des Judentums ist eine menschliche; sie wird die erste Stufe ihrer Erfüllung erreicht haben, wenn sie den Merkantilismus überwunden haben wird. Daß sie auf dem Wege ist, wollte ich zur Information der Verzweifelnden sagen, um ihnen Perspektiven zu öffnen, die ihnen vielleicht fremd waren.