WIESENTHAL, KARL: GÖTHE ÜBER DIE STREBSAMKEIT DER JUDEN

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In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 30. Jahrgang, Ausgabe 39 vom 26.09.1890, S. 385

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Im Januar-Heft des in Weimar erschienen Blattes „Minerva“ 1802, steht ein Aufsatz: „Das Em- porkommen der Völker in der Welt“ mit der Unterschrift: W. G. Der Herausgeber der „Minerva“ erklärt wenige Wochen früher, also zu Beginn des Jahres 1802, dass Göthe für sein Buch einige interessante Arbeiten zu liefern versprochen habe. Endlich wird auch der mit W. G. unterschriebene Aufsatz von Dr. Felix Martens in einer späteren Nummer eingehend besprochen – und hier erfährt der Leser, dass der Verfasser des Aufsatzes: „Das Emporkommen der Völker in der Welt“ kein geringerer als Göthe war.

An einer Stelle heißt es:

„Es gibt kein Volk in der Welt, welches nicht von dem Wunsche, empor zu kommen, beseelt wäre. Selbst die zerstreuten Juden, die noch manche schwere und empfindliche Bedrückung zu erdulden haben, bekunden eine staunenswerte Strebsamkeit. Man behauptet zwar, der Jude fange es schlau an, emporzukommen ein einziges Hauptprincip sei nur die Geldmacht zu gewinnen Wie thöricht! Auch andere machen sich groß und auch andern wird die Größe zugeworfen! Jedoch die meisten von denen, die zu Reichthum gelangen in der Welt, werden es mehr oder minder durch Geschicklichkeit und Schlauheit. Jeder, der in der Welt emporkommt, muß ein Talent besitzen, mag es nun ein Talent zu literarischer Auszeichnung, politischer Wichtigkeit, oder zum Aufhäufen von Schätzen oder zu anderen Sachen, die eine Größe bedingen, sein. Naturgaben sind das erste Erfordernis für einen ausgezeichneten Menschen. Einige werden von Freunden emporgezogen und gestützt, andere von Feinden emporgestoßen; diesen letzteren geht es am Ende besser, denn Feindschaft ist dauerhafter als Freundschaft! Die Freundschaft zieht oft ihre Hand zurück, wenn man ihrer gerade am meisten bedürftig ist, Feindschaft aber stößt immer vorwärts, so lang sie kann. So hat die allzugroße religiöse Feindschaft gegen die Juden nur dazu geführt, das Auftreten dieses Stammes entschlossener und energischer zu machen! Der Jude kennt seine Feinde bereits Jahrhunderte lang – und daher war es sein nicht zu verkennendes Streben, sich emporzuraffen und wenigstens mit der Macht des Geldes zu wirken! Das Geheimnis in der Welt emporzukommen, lehrt die Geschichte der Juden. Verfolgt, bedrückt, geschlagen und mißhandelt, sind die Juden mit ihren Freunden und Feinden fertig geworden! War hier ihr Verlust groß, so ersetzte dort reichlicher Gewinn jedwedes Leid. Wirklich, die Juden können sich auf ihre bewiesene Strebsamkeit, emporzukommen, etwas zu gute thun. Die Lastämter bilden in der Regel mehr als die Ehrenämter. Es ist der Mensch ein Wesen, das am besten gedeiht, wenn ihm so ein Druck von oben gegeben wird; nur darf derselbe nicht zu schwer sein. Siehe die Geschichte der Juden! Ehren recken den Menschen wunderlich in die Höhe, er wird dünn und bricht zusammen! – Wahr ist es, dass die Juden, um emporzukommen sich gern die Macht des Geldes erwerben wollen, aber wahr ist auch, dass Habgier und Eigennutz, Luxus und Verschwendung das Streben anderer Völker war um ihr Ansehen äußerlich emporzubringen. Dass die Juden die Ehre des Kriegers, des Edelmannes nicht kennen, hat auch seine Veranlassung. Machet die Menschen zu Menschen und die Charaktere werden sich zeigen. Ich bin des festen Glaubens, dass es keine Nation der Erde jemals gegeben hat, die nicht große uneigennützige, hervorragende Menschen geschaffen, die mehr waren als Gesetzgeber und Helden. Unvernünftig und schlecht ist es, gegen die ungebahnten größeren Rechte der Juden aufzutreten. Versuche es, Gesetzgeber, dieses Volk zu unterdrücken; es kann euch nur gehen, wie den Helden der Vorzeit, ihr geht zu Grunde! – und die Juden kommen empor! Der Jude, ja der Jude er will auch Antheil nehmen an den Bestrebungen der Völker – und warum wollt ihr es nicht leiden, ihr, des Juden Nächsten, ihr Christen? He, warum? Nun ereifert euch, nun streitet euch! ich lache euch aus! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – „

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