TELLER, M.: KEINE STAATSRELIGION IM KONSTITUTIONELLEN ÖSTERREICH. EINE SKIZZIERTE BETRACHTUNG

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In: Oesterreichisches Central-Organ für Glaubensfreiheit, Kultur, Geschichte und Literatur der Juden, Ausgabe vom 24.03.1848, 173ff

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»Auf nach Amerika!« tönt es von allen Seiten, »auf nach Amerika!« hieß es in dieser, hieß es auch in andern Zeitschriften. Ich will nicht die Herloßson’sche Tirade: »Nur nicht zur See!« mit allen ihren fantasiereichen Konsequenzen diesem Aufrufe entgegen stellen, weil vielleicht doch eine Zeit kommen könnte (was aber Gott verhüten möge), wo ich selbst in diesen Aufruf einstimmen werde, für heute frage ich nur: warum nach Amerika? Warum? – um dort frei zu sein! – Erlauben Sie mir, verehrte Leser! die Sie schon mehr als einmal mit mir Geduld hatten, der vorerwähnten Frage eine andere entgegen zu stellen. Sollen wir denn die Scholle verlassen, wo unsere Wiege gestanden, sollen wir die Heimat verlassen, wo wir einst an der Seite unserer Theuren auf immer von des Lebens Mühen auszuruhen hofften – sollen wir sie verlassen ohne etwas gethan zu haben um frei zu werden? Soll das stumme und gebrochene Herz des greisen Vaters, soll das von Thränen geröthete Auge der Mutter, der scheue Blick der Gattin auf alle die Ihren, die sie nun verlassen muß – soll uns dies und noch manches andere wehmüthige Bild nicht dazu bestimmen alles anzuwenden, um frei zu werden? – Diese Frage richte ich an Euch, meine treuen Glaubensbrüder! die Ihr Geist und Herz und Kraft habt ein ernstes Wort zu sprechen, und mit Eurem Geiste und Eurem Herzen zu rathen, und mit Eurer Kraft zu helfen. »Keine Bitte, wo das Recht auf unserer Seite,« so, irre ich nicht, sprach unser würdige Mannheimer, wohl! – aber auf alle Hindernisse zeigen, die unserem Rechte entgegen stehen; die unlautern trüben Quellen zeigen, aus welchen man das Recht unserer Zurückstellung schöpft; die Verkehrtheit der Ansichten darstellen, die man in Bezug auf unsere jetzige und unsere künftige Stellung hat; den Flor vom Ange ziehen, den Schleier zerreißen, welchen der Wahn vor das Auge derjenigen gespannt, die uns verkennen – dies glaube ich ist’s was wir noch zu thun haben, bevor wir allgemein in den Ausruf stimmen: Auf nach Amerika! – dies, glaube ich, hat noch zu geschehen, wenn wir nicht die Sünde auf uns laden wollen, dem Vaterlande, das uns freilich verkennt, so viele physische, materielle und intellektuelle Kräfte zu entziehen; Kräfte, die ihm zur Zeit der politischen und socialen Wirren ihren Verlust nur um so deutlicher fühlen ließen.

Nach dieser kurzen Einleitung sei es mir nun vergönnt zur Lösung der von mir aufgeworfenen Fragen einen kleinen Beitrag zu geben, und auf eines der wichtigsten Hindernisse hinzuweisen, das unserer Freiheit entgegen steht.

Die Staatsreligion, welche in unserem und in andern Ländern besteht, ist und war von jeher die Hauptursache aller uns so hart treffenden Zurücksetzungen. Glaubenshaß, der vom Volkswahne nur noch mehr genährt wird, ist stets die Folge einer bevorzugten Staatsreligion, und er wird so lange bestehen, als es eine bevorzugte Staatsreligion gibt. Eine bevorzugte Staatsreligion ist aber die größte Inkonsequenz, die es in einem konstitutionellen Staate gibt, wenn seine Konstitution eine dem Zeitgeiste entsprechende demokratische ist; denn sie gefährdet die Gleichstellung und gleiche Berechtigung seiner Einwohner. Wenn auch eine Staatsreligion in unserer Verfassungsurkunde vom 25. April nicht deutlich ausgesprochen, so ist ihr Bestehen doch nicht zu verkennen, wie wäre denn sonst der §. 27 entstanden, würde nicht eine bevorzugte Staatsreligion bestehen und vielleicht weiter bestehen sollen (?), wozu wäre es nöthig gewesen erst eine Berathung anzuordnen, um die Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religionskonfessionen u. s. w. zu beseitigen und aufzuheben. Steht diesem nicht der §. 24: »Jeder Staatsbürger kann Grundbesitzer sein, jeden erlaubten Erwerbszweig ergreifen, und zu allen Antern und Würden gelangen,« als eine Ironie gegenüber; und zeigt dies nicht auf das Bestehen einer Staatsreligion, wenn sie auch (vielleicht nach Einflüsterung der Reaktionären) in der Verfassungsurkunde nicht ausgesprochen ist. Gäbe es aber keine Staatsreligion, keine Bevorrechtung eines Dogma’s, keine Bevorzugung eines Kultus, so wären Haß und Neid, und Verfolgung in der letzten Zeit nicht mit so maßlosem Unheil aufgetreten. Nicht durch die Differenz der Dogmen und des Kultus einer Religion, sondern durch deren Zurücksetzung maßte sich die bevorzugte an sie zu bevormunden, ja sie zu knechten; und wie man auch theoretisch beweisen möge, daß die Konstitution gegen ein solches Verfahren, praktisch hat man sich nicht davon überzeugen können. Freilich wird mancher, der nicht mehr weit hat, um sich unter Eisenmengers Fahne zu scharen, ausrufen: Die christlichen Konfessionen sind gleich gestellt, die Juden können warten bis sie uns überzeugen, daß sie dessen reif und würdig sind.

Unwillkürlich erinnert mich dies an den Mann des »Systems,« der mir um seines Systems Willen stets verhaßt war, und Niemand wird mich für seinen Panegyriker halten, wenn ich erzähle, was mir von ihm – der nun in der Eanton-Street zu London eine Ruhe genießt, um die er uns gebracht – in Betreff meiner Glaubensbrüder schon vor längerer Zeit mitgetheilt wurde. Als man ihm die Emanzipation der Juden in Vorschlag brachte, habe er geäußert: Die Juden sind ihrer reif, aber das Volk ist es nicht. Hat er mit diesem Ausspruch gelogen, so zeigt es, Ihr Männer des Staates, die Ihr Euch versammeln werdet, um über den §. 27 der Verfassungsurkunde zu berathen, sprecht es aus das Wort: Gleichstellung, gleiche Berechtigung aller Konfessionen. Zeigt ihm, daß auch dieser Ausspruch wie sein ganzes System auf falscher Ansicht beruhte, und das seine Bornirtheit so viele tausend und tausend treue, an Oesterreich mit heißer Liebe hängende Unterthanen Jahre lang geknechtet, und gräßlich darnieder gedrückt. Wäre sein Ausspruch aber vielleicht die einzige Wahrheit seines Lebens gewesen, dann ist die Unreife des Volkes für die Emanzipation der Juden nur eine traurige Folge der bevorzugten Staatsreligion, in welcher trotz ihrem (?) Prinzipe der Nächstenliebe ihren Bekennern schon in der frühesten Jugend gezeigt wird, daß der Nichtbekenner ihres Dogma’s darum zurück gesetzt werde, weil er nicht »nach ihrer Façon« selig werden will, und dann – dann ist es an Euch, die Ihr Euch beim Reichstage versammeln werdet, seine einzige Wahrheit zur Lüge zu machen, jeden Punkt, der irgend einen Schein von bevorzugter Staatsreligion an sich hätte, aus diesen und andern selbst für christliche Kirchen wichtigen Gründen bei der neuen Gesetzgebung auszuscheiden, damit die Worte unseres gütigsten Kaisers wahr werden mögen. Mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder, sprach unser alle seine Unterthanen väterlich liebende Ferdinand; aber die durch die Staatskirche Bevorzugten können und werden dies nicht glauben wollen; darum Gleichstellung aller Konfessionen, Abschaffung jedes Scheines einer Staatskirche, einer bevorzugten Staatsreligion.