MEISELS, SAMUEL: DER JÜDISCHE WORTWITZ

In: Wiener Morgenzeitung (6.1.1924), 10.

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Transkription

Der jüdische Witz, der mehr aufs Begriffliche als aufs Anschauliche eingestellt ist, äußert sich zumeist, seiner Eigentümlichkeit entsprechend, in einem packenden, verblüffenden Wortspiel. Der jüdische Witz ist Wortwitz. Er sucht die Sache durch das Wort, den Gegenstand durch seine Benennung zu überwinden; er kümmert sich weniger um die Dinge als um ihre Namen. Nicht das Mannigfaltige, sondern das Vieldeutige ist seine Domäne. Nicht die Aufdeckung ähnlicher Merkmale in verschiedenen Dingen, sondern das Herausgreifen verschiedener Deutungen in gleichlautenden Worten ist seine Aufgabe. Nicht das Gleichsein, sondern der Gleichklang bildet seinen Wert. Deshalb ist in ihm eine Art von Rhythmus, etwas Vibrierendes und Schwingendes, ein anregender und aufheiternder, wenn auch die Lachmuskeln selten berührender Wohllaut, und mag er auch die größten Ungereimtheiten sagen – es reimt sich immer.

Er greift das Wort aus irgendeiner Wendung heraus und läßt es in allen möglichen aber auch unmöglichen Nuancen spielen. Er zerlegt das einzelne Wort in seine Silben, wechselt die Betonung, schiebt nach Willkür andere Vokale dazwischen, bis er den Spruch in seinen Widerspruch aufgelöst und die frühere Behauptung in ihr Gegenteil umgewandelt hat. Dabei sagt er dasselbe, was früher gesagt worden ist, und hebt dennoch das früher Gesagte auf. Darin besteht denn auch seine ganze Fertigkeit.

Wenn Kürze wirklich des Witzes Würze ist, so ist der Wortwitz der würzigste unter allen anderen Witzgattungen. Denn: Kürze ist des Wortwitzes Tugend. Der Wortwitz ist

nicht mehr als ein Wurf, der gelingt, eine rasche Wendung im Vorbeigehen, und er schafft nur Neues, indem er das Alte wiederholt. Seiner Wesensart entspricht es nicht, Neues zu

schaffen, sondern das Empfangene in anderer Gestalt wiederzugeben. Der Wortwitz schafft nichts, weil er kein Produkt des schöpferischen Geistes ist. Er ist das Erzeugnis einer übersprudelnden Laune, das freie Spiel einer voltigierenden Augenblicksstimmung, die, wie ein geschickter Ballspieler den Ball, das Wort von sich schleudert und es sozusagen im Sprung wieder auffängt.

Wer einen Wortwitz macht, bei dem muß das Gefühl für den im Worte schlummernden Rhythmus stark lebendig sein. Denn häufig wird nur durch die Veränderung des Tonfalles die gewünschte Wirkung erzielt. Jener Schauspieler, der mitten in einer „Carlos“-Aufführung als Marquis Posa statt „O Sir“ das Wort „Osser“ in den Zuschauerraum hineindonnert— wodurch das geflügelte Wort „Osser, sagt Schiller“ entstanden ist —, hat nichts weiter getan, als die bekannte Anrede auf einen Ton tiefer gestimmt.

Einen stark entwickelten Sinn für die Betonungsmöglichkeit des einzelnen Wortes bekundet auch jener Heiratsvermittler, der einem jungen Mann auf die Bemerkung, daß er nur ein ehrbares Mädchen heiraten würde, die vielsagende (nebenbei gewisse Kreise trefflich charakterisierende) Frage entgegenhält: „Legen Sie mehr Wert auf ehr oder aus

bar?“ Hier zeigt sich eine neue Abart des Wortwitzes, die darin besteht, daß sie das einzelne Wort zerlegt, Silbe von Silbe trennt und dadurch des Wortes Einheit in eine Vielheit auflöst, deren Bedeutung seinen ursprünglichen Sinn in scherzhafter Weise entstellt. Ähnlich verhält es sich auch mit dem bekannten Ausspruch: „Ein Mädchen mit zwanzig Jahren hat Hochzeit, bei einem Mädchen von dreißig Jahren ist’s hoch Zeit.“ So soll ein mit Töchtern reich  gesegneter Vater einmal gesagt haben; diesem Mann war es also kein Wortwitz, sondern ein Erfahrungssatz.

Vom Augenblick geboren, ist der Wortwitz von der Gunst des Augenblicks abhängig. Dieses blitzartige Aufleuchten, dieses rasche, zeitlich kaum zu begrenzende Zusammentreffen von Wort und Wort mag vielleicht auf eine gewisse Gedächtnisroutine zurückzuführen sein: ein Wort weckt die Erinnerung an alle seine eigenen Bedeutungsmöglichkeiten oder an ein anderes Wort gleicher Klangfarbe. Bei Ludwig Börne, der häufig den Wortwitz anwendete, können wir es an manchen Stellen beobachten. Einen Brief aus Bruchsal datiert er einmal: „Trübsal, den 18. November 1820″, und fügt gleich hinzu: „Bruchsal heißt der Ort, aber mir ist er ein Trübsal und Scheusal. Wenn die Verzweiflung Witz gibt oder nimmt, so werde ich hier ein Voltaire oder ein Kretin. Ich möchte aus der Haut fahren, hätte sie nur eine Öffnung, die groß genug wäre, mich durchzulassen.“ Ein anderes Mal schreibt er aus München am seine Freundin Jeanette Wohl

und bittet sie, den Ortsnamen so auszusprechen, daß sie an den Nachmittagsgottesdienst der Juden erinnert werde (Börne meint das Wort Minchah, das wahrscheinlich im Frankfurter Jargon „Minchen“ ausgesprochen wurde). In Anerkennung und Dankbarkeit für die geistige Förderung, die ihm durch Jeanette Wohl wurde, unterzeichnet er seine an die

Freundin gerichteten Briefe „Dr. Börne geb. Wohl“. Aus dem geborenen Wohl wird aber bald ein Wohlgeboren, und mancher Brief ist unterschrieben: „Dr. Börne Wohlgeboren.“ Kein schlechter Witz für den, der den Zusammenhang kennt; dagegen eine Geschmacklosigkeit für den, der diese Unterschrift mißversteht, oder sie gar ernst nimmt.

            Ebenso wie die verschiedenen Bedeutungen ein und desselben Wortes nützt auch der Wortwitz die etymologischen Abstufungen und Schattierungen und löst nicht selten substantivierte Infinitive, Adjektiva und Partizipia in ihre ursprüngliche Form auf. Saphir war darin Meister. Wenn er einmal sagt: „Ein Doktor der Rechte ist nicht immer der rechte Doktor,“ so wird ihm mancher recht geben. Oder wenn er auf die Frage, warum man einen Gesandten nicht einen Geschickten nenne, die Erklärung gibt, daß ein Gesandter zwar gesandt, aber meistens nicht geschickt ist, so hat er diese Erklärung höchst geschickt formuliert. Oder wenn er dem Baron Rothschild, den er wegen eines versprochenen Darlehens besucht und von diesem mit den Worten empfangen wird: „Sie kommen um ihr Geld, Herr Saphir?“ prompt antwortet: „Nein, Herr Baron, Sie kommen um ihr Geld“, so hat er den Doppelsinn der Wendung „um etwas kommen“ gewissermaßen im Fluge für sich ausgenützt. 

danke nnd Forni bilden eine Einheit. Die beiden Einhciten
konnen sich nicht vollstandig decken, aber jede von beiden
starkt und vertieft die anderc.