FUCHS, RUDOLPH: ZU MAX BRODS DICHTERISCHEM SCHAFFEN

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In: Juedische Rundschau, 32. Jahrgang, Ausgabe 100/101 vom 16.12.1927, S. 714

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2651273]

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Gerhart Hauptmann sagt irgendwo, wenn ich nicht irre, im ״Griechischen Frühling“, daß die dichterische Kraft immer im Nationalen wurzle. Seit jener Zeit hat der Begriff des Nationalen eine tiefe Wandlung und Umwertung erfahren. Klar geschaut ist in jenem ungefähr wiedergegebenen Ausspruch der Zusammenhang des Dichters mit einer Gemeinschaft. Der Dichter auf olympischer Höhe, dem oben die Götter und unten die Magen und Sippen weggestorben sind, ist dem menschlichen Wirkungsbereich entrückt und also unlebendig. Auf Max Brod angewendet heißt es: Er ist ein nationaler Dichter. Er schafft aus dem Judentum, jenem, das ihm anhaftet, dem mitteleuropäischen, österreichischen, böhmischen, Prager Judentum, und er schafft für dieses selbe Judentum. Er gibt ihm in dichterischer Form zurück, was er von ihm empfangen hat, gibt ihm vielfältig zurück, bereichert es, formt, belebt es. Ein jüdischer Dichter.

Brod liebt das Leben. Er ist Philosoph und bejaht die Erde. Das ist in Zeiten unbegrenzter Fragen, auf welche die Wenigsten Antwort wissen, sehr viel. Den Diesseitsglauben der Väter löst er im Inhalt des Lebens auf. Das Wort Gott kommt fast gar nicht mehr in seinem Roman vor, und doch ist es überall vorhanden. Das Glück ist Gott, das Unglück auch, und vor allem ist es der Weg, der zu diesem und jenem führt. Nicht aus dem Dunkel des Blutes, aus der Finsternis der Nacht kommen die Fragen, nicht von einem unbekannten Oben die Antworten, sondern beide aus dem Wollen und Wünschen, aus dem Vermögen und Unvermögen, aus Kraft und Ohnmacht, aus der Harmonie und dem Widerstreit der Gefühle, aus dem Leben selbst. Darin ist Brod, der Gottsucher, ein moderner Dichter.

Aber noch in einem anderen Punkte hat sich Brod der vorgeschobenen Linie genähert, die der Wellenschlag der neuen Zeit im Strand gezeichnet hat. Es ist die Art der Darstellung. „Die Frau , nach der man sehnt“ ist der Bericht eines dreifachen Liebesschicksals. Die neue Sachlichkeit ist es, die inmitten der blühenden Phantasie in Brods Roman einen seltenen Triumph feiert. Über alles geht ihm die Wahrheit. An mehr als einer Stelle ist, wenn nicht gerade der Einfluß, so doch das Freundsein Franz Kafkas zu spüren. Aus Kafkas wahnwitziger Phantasie sprach mit lautem Munde die Wahrheit. „So ist das Leben“, mehr wünschte er eigentlich nicht zu enthüllen. Darin gleicht ihm Max Brod und ist sein Freund. Ob das Schwanken einer zum Glück erhobenen und zum Unglück hinabgestoßenen Seele durch Größe ausgezeichnet ist oder nicht, wer will es entscheiden? Aber es hat seinen Platz unter den Wahrhaftigkeiten des Lebens und Brods Roman wird ihn als Lebensbericht behaupten.

Diese drei Momente, nämlich: daß das Erlebnis aus dem Leben einer Schicht geschöpft und ihr im Kreislauf als Kunst wiedergegeben wird; daß ferner dem Glauben an den Menschen, an die Erde, das Wort gesprochen und dem häßlichen Nihilismus zufälliger Nichtselbstmörder – sie sind nicht so selten, wie man glaubt, und wo zehn zusammenkommen, um zu beten, zu arbeiten oder zu spielen, ist sicher ein falscher Mitlächler unter ihnen – daß er also diesen mit Wucht begegnet; daß er schließlich die Mittel einer neuen, in der Entwicklung begriffenen Erzählerkunst, jene des Berichtes, anwendet und seiner Phantasie die Gewissenhaftigkeit als Gefährtin zugesellt und beiden Licht voranschickt, das nicht mystisch, sondern taghell leuchtet; all dies macht seinen Roman zu einer freundlichen Erscheinung und beweist die große, unzerstörbare Jugend des Dichters.

„Tycho Brahes Weg zu Gott“ war Brods Gipfelleistung: sie schloß eine Epoche der Objektivierung ab. Des Dichters Persönlichkeit ergoß sich damals in die historische Form. In seinem neueren historischen Roman „Reubeni“ ist schon deutlich der Einbruch der realen Gegenwartswelt zu spüren; man beachte die Gespräche Reubenis mit seinen Zeit- und Weggenossen, und wird zwingend den Alltagston heraushören. Der Widerstreit der alten und der neuen Welt spielt sich nicht nur bewußt im Inhalt, sondern unbewußt auch in der Form ab. Mit dem neuesten Roman „Die Frau, nach der man sich sehnt“ ist Brod vollends zu seinen Ursprungsquellen zurückgekehrt. Gereift, mit Wissen und Erlebnissen beladen, macht er bei seiner Jugend halt.

Drei Frauen sind es – Dorothy, Agnes und zuletzt und hauptsächlich Stascha -, die im Leben des seltsamen Helden, des Offiziers a. D. Mayreder, die entscheidende Rolle spielen. Heidentum, Judentum, Christentum: dreieinig sind sie, nicht zu trennen. Dorothy, wiewohl es nirgendwo gesagt wird: christliche Gesellschaft. Agnes: zwar nicht heidnisch, aber entchristet, sagen wir: konfessionslos. Stasche: Jüdin. Dies zumindest in jenem tieferen Sinne, der nicht nach Rasse und Religion, sondern nach der ganzen Lebenslage entscheidet. Möglicherweise also: durch brod Jüdin geworden. Stascha ist Mayreders Schicksal. Sie ist die ungebändigte Lebenskraft, eine elementare Göttin, Opferflamme, die den Leib des Geliebten versengt und sich selbst verzehrt. Nach unerforschten Gesetzen begibt sich die Geschichte Mayreders, mit ihrem fieberhaften Anfall, gloriosen Aufstieg und dem schwelenden ergreifenden Ende. Und wie alles Religiöse letztlich nichts anderes will, als das Dasein der Liebe. Denn nach Brod ist die Liebe eine Religion, die unerforschlich ist, wie alle Ratschlüsse Gottes. Ihren Geheimnissen mit kalter Berechnung nachzugehen, ist Frevel. Den Frevler verschlingt das lieblose Leben und läßt ihm kaum einen schwachen Begriff von den Höhen, auf denen er einst gläubig, kindlich vertrauend wandelte. Über dem Buch liegt ein Schein aus jenen unsagbaren Tagen. „Staschatage“ nennt sie Mayreder in seinem offenherzigen Berichte. Das Herz dieses alternden Mayreder, der seine Geschichte erzählt, ist wie vom Feuer versehrt und klaffend, kein Schrein zur Bewahrung von Geheimnissen mehr. Ein Überlebender erzählt vom Diesseits, und es ist fast so, als erzählte einer Jenseitiges. Zwischen Gräbern verliert sich seine graziös verkommene, edle Gestalt.

Eigentümlich, wie man erst nach der letzten Zeile diesen Roman begriffen hat. Er will nicht widerspruchslos hingenommen werden. Es stehen peinliche und fürchterliche Dinge darin. Es ist ja ein Bericht, und peinlich und fürchterlich ist das Leben oft genug. Alles jedoch hat in einem höheren Sinne die Wahrheit für sich. An einer bezeichnenden Stelle heißt es in dem Roman: „Es gibt eben zweierlei Anblick des Lebens. Einer ist blühend, gesund, von Balsamwind überhaucht – der andere zeigt nichts als Fressen und Gefressenwerden. Beide Anblicke sind wahrscheinlich gleich wahr und unwahr. Aber eine Bloße Stimmungssache ist es doch wohl nicht, ob sich einmal der eine, einmal der andere hervorkehrt.“

Trotz allem: ein Hohelied der Liebe. Brod mußte erst „Tycho Brahe“ und „Reubeni“ schreiben, um wieder dort vorüberzugehen, wo er in jüngeren Jahren seine „Jüdinnen“ geschaffen hat.