SZÁNTÓ, SIMON: CAUSERIE ÜBER ERZIEHUNG DURCH JUDENDEUTSCH

 

Zur Biographie: Simon Szántó

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 17. Jahrgang, Ausgabe 29 vom 20.07.1877, S. 230f / Ausgabe 30 vom 27.07.1877, S. 239 / Ausgabe 31 vom 03.08.1877, S. 247f 

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Tran-skription

I.

Fragen, bunt und wirr, schwirren vor dieser Ueberschrift aus dem Lesekreise empor, Seemöven gleich, die der Sturm aufscheucht. Wie auch anders? Wer wird erziehliche Momente im Jargon finden, wer dem gefürchtetsten Feinde aller jüdischen Salons hier das Wort reden wollen? Was wäre Erziehung ohne Eleganz, was diese ohne Hochdeutsch? Was aber ist Hochdeutsch ohne Französisch, und was Französisch, so es jüdischdeutsch gesprochen wird? – So zürnt mir die ganze Damenwelt und zieht sich hinter die Flacons zurück. Zürnender noch entsenden ihr blitzendes Geschoß jene gewaltigen Söhne Teutoniens, die Machthaber der öffentlichen Meinung, die Religionen auf Aktien gründen und dem lieben Gott die Sympathien des Publikums durch Reclamen erringen möchten. Es sind die Männer von nie verlegenem Esprit, die von der Fibel bis zur Bibel, vom Wiegenlied bis zur Völkerbeglückung vor keiner Aufgabe zurückbeben; sie können Alles, wissen Alles – nur Eines nicht: – unpunktirten hebräischen Text lesen. Zaghaft wie der Priester Iliums rufen sie: Wir fürchten den Jargon, selbst wenn er Geschenke bringt. Dieser Jargon ist das große hölzerne Pferd, in dessen Bauche riesige hebräische Wörter unpunktirten Textes lauern; darum sei es versenkt, wie der Nibelungenhort, daß kein Zweifel an unserer Größe jemals hindernd dem Verschleiße unserer Porträts in den Weg trete. Mit dieser Partei – ich fühle es – habe ich’s nun gründlich verdorben; doch hoffe ich, mit der andern nicht besser zu stehen.

Denn vergebens nicken Eure welken Wipfel mir so freundlich zu, Ihr letzten Paar Zedern auf dem alten Libanon, die Ihr in guter Einfalt meinet, der Erzvater Abraham habe schon jüdischdeutsch gesprochen, und die Ihr darum Euere Kinder den deutschen Schulen entziehet, damit sie sich das liebe „Loschen“ nicht verderben. Ach! könntet Ihr so gut lesen, wie Ihr aus purer Gottesgelehrheit nicht zu schreiben verstehet, ich würde Euch sagen, wie es dem Nachtfalter ergehe, der in den lauten Morgen hinein sich verspätet und verirrt. Legt Euch schlafen, liebe Leute, denn es ist schon Tag geworden. Aber auch Euere Zufriedenheit falle nicht auf mein Haupt, geharnischte und promovirte Ritter des Rückschrittes, die Ihr in jungorthodoxer Aufgeräumtheit so muthwillig nach den Früchten des Fortschritts werfet, und für ein Verlornes so gerne den Muth der Meinung bewähret, weniger, weil Ihr die Meinung dafür, als den Muth dazu habt. Schon höre ich aus Eueren Reihen herablassend grüßende Stimmen zu mir herüber tönen. Die Einen voll grauer Gelehrsamkeit – Manuskripte sind ihr Thron, Notizen ihrer Füße Schemel, Bibliothekenstaub ihres Kleides Schmuck, Büchermotten ihre beflügelten Boten. Sie beweisen klar und deutlich, daß der Jargon seine geschichtliche Berechtigung habe, und von dem Wesen des Judenthums unzertrennlich sei.

Wann, rufen sie mit notizenschwerer und citatenmächtiger Entrüstung aus, wann sprach man je korrekt in Israel? Etwa zu Esra’s Zeiten, wo man vor lauter fremdländischen Müttern zu keiner Muttersprache gelangte? Sprach der unsterbliche R. Michel B. Josefes aus Krakau korrekt? Gehet hin und leset die wenigen deutschen Sätze, die er als Ansprachen bei Ehescheidungen formulirte, wie sie dem vierten Bande des SchulschauAruch beigedruckt sind, z. B. „Tomer dö host joi e Neder oder e Schwöe geton, oder andere selische Sachen as dö willst gebinget dröm welin mir dir mathir sein.“ Wo ist das Regel und Gesetz? Die Redefreiheit kennt nicht einmal grammatikalische Fessel, schließen sie triumphirend die gelungene Abhandlung. Fromm die Hände faltend, setzt sinnbildernd ein anderer hinzu: Sind diese Sprachschnitzer nicht wehmuthsvolle Cypressenblätter, die wir zum Andenken der Zerstörung Jerusalem’s mit in den Kranz der Rede flechten. Schrieben unsere Väter nicht so sinnig das Sprüchen auf jedes Haus: Schwarze Tint’ auf weißem Grunde, geb von Zions Fall Euch Kunde? Laß diese rührende Treue uns bewahren. Nein und abermals nein! ruft mit Energie dort ein Dritter. Nur keine Concessionen an den Zeitgeist! Religion unterliegt keiner Zeitgemäßheit; der Jargon aber ist ein Minhag, daher unzerstörbar, unverwüstlich wie Israel – was sage ich Israel? – „Jissroel“ muß es heißen! Rückwärts Jissroel, – das sei dein Fortschritt. – Gewiß! alle diese Parteihäupter könnte ich mir jetzt zu guten Freunden machen, müßte ich nur nicht wie jener Grieche sagen: Meine lieben Freunde, es gibt keinen Freund, am wenigsten da, wo es sich um Wahrheiten handelt. Wahr aber ist’s – doch halt! Während ich zu Sagunt berathe, geht mir Rom zu Grunde, und über den Wirbel der Parteien vergesse ich die brennendste Frage zu beantworten, eine Frage, die ihre volle Berechtigung hat.

Dort hinten nämlich stehet ein liebwerther Amtsbruder, ein letzter Vorposten deutscher Aufklärung, mit dem erhabenen Bewußtsein einer gründlichen Kenntniß sämmtlicher zehn Redetheile, einsam und ungekannt zwischen fleischgewordenen Sprachschnitzern, und sinnk rathlos und fragt staunend: Was um alle Welt bedeutet das Wort „Causerie?“ Aber wahrlich, es ist nicht meine Schuld, daß ich den wildfremden Ausdruck benütze, von den Nachbarn jenseits des Rheines erfunden. Diese begreifen darunter bald ein leeres Schwätzen und Plaudern, bald jenes leichte Hinschlüpfen im Gespräche, das sich unverlegen über die höchsten Interessen ergehet, Alles berührt, nirgends verweilt, überall zum Abschluß bringt und doch nirgends erschöpft. Wieder aber heißt Causerie die Gesammtheit jener landläufigen Redensarten, wohinter man im täglichen Verkehre Gedanken und Gedankenlosigkeit so leicht verbirgt. „Freuet mich, Sie kennen zu lernen,“ „auf Wiedersehen.“ Diese und ähnliche Formeln gehören in das Gebiet des Causerie, und sind so bestimmt ein Ausdruck der Gesinnungen, als das „gehorsamer Diener,“ womit wir uns begrüßen, einen rechtskräftigen Dienstvertrag begründet. Und dennoch geben diese abgegriffenen Redensarten ein sprechendes Zeugniß vom Charakter der Nation. Es ist nicht so zufällig, wenn der Franzose fragt: „Wie tragen Sie sich?“ der Engländer: „Wie thun sie thun?“ der Hebräer: „Ist Friede mit Dir?“ der Römer: „Wie bist du kräftig?“ der Grieche: „Was treibst Du?“ und der Deutsche: „Wie befinden Sie sich?“ Dem Ersten gehet geselliges Leben, dem Zweiten die praktische That über Alles. Der Dritte ringt nach der Friedenspalme, der Vierte schätzt Kraft und Ausdauer, der Fünfte lebensvolle Geschäftigkeit und der Deutsche sich in sich selbst zurecht zu finden. So spricht sich in der Causerie eines Volkes Sinnen weit unzweideutiger als selbst in Poesien und Volksliedern, in Sitten und Bräuchen aus. Denn die Poesie, als solche, eignet keinem Volke, darum muß des Letzteren Sein und Wesen erst wie das Salz aus dem Meerwasser gewonnen werden, d. h. die Poesie muß verduften, und der Bodensatz ist erst das Volksthümliche daran. Noch unzuverlässigere Führer auf diesem Gebiete sind Sitten und Bräuche. Denn Völker, wie kleine Kinder, erfinden weniger Manieren als sie nachahmen, und man weiß wieder nicht, was aus eigenem, was aus fremdem Geiste stammt. Aber die Causerie, die wächst aus dem Volke heraus, ist mit dessen Wesen Eines und kann dem Pädagogen nicht gleichgiltig sein, den das Interesse seines Berufes leitet, menschlichen Verirrungen und ihren Ursprüngen nachzuforschen.

So gerieth auch ich in das AntiquenCabinet des Judendeutsch, wo die abgegriffenen Münzen aller Länder und Zeiten durch sonderbare Fügung liegen geblieben sind, und Kuh und Bär in messianischer Weise auf einer Weide wandeln. – Indessen ging ich doch wie Saul nur Esel suchen und fand Kronen – eine Fülle von Geist, naturwüchsiger Beweglichkeit und sprühendem Mutterwitz. Ich suchte schrankenlose Willkür und fand Demuth, tief religiöses Empfinden, strenge Zucht und pädagogische Maßregel. Ist es dem Leser genehm, mache er mit mir einen Ritt zu diesem alten Gerülle, und er wird ohne übertriebene Vorliebe für wildromantische Partien, doch manchem das Lob nicht versagen können.

II.

Muß man den Mund doch, ich sollt meinen,

Nicht weiter aufthun zu einem Helfgott

Als zu einem Kreuzsakerlott.

Schiller, Wallenstein’s Lager.

Der jüdischdeutsche Jargon ist das Kind wilder Kämpfe, aus denen die deutsche Sprache als Krüppel zu den Juden heimgekehrt ist, und was Ihr unschön daran findet, sind zuweilen nur ehrende Narben und Stelzfüße, die an die seltsamste Wahlstätte streitender Gewalten mahnen. Denn lebendig auch auch hastig wie der Giesbach sprudelt der Quell im jüdischen Geiste, dem der Weg von der Seele bis zur Lippe viel zu weit oft dünkt. Müde hetzt er dann das träge Wort, daß dieses keuchend und schon hinkend das Ziel erreicht. Kurz drückt sich der Semite aus, der Hauche oft für Worte, einen Gurgelton für reiche Beziehungen hat. Darum sind ihm zu behäbig die abendländischen Zungen, die mit architektonischer Besonnenheit Wort und Sätze fügen, und die Gedankenglieder alle ganz behaglich durch ihrer Sprache breites Lager strecken. So haben selbst Spaniens jüdische Exulanten ihr „Ladinum“ und sprachen einst die Juden das Griechische und Römische nicht besser. Aber in Deutschland zerwühlten noch andere Kämpfe wild das Feld der Sprache, denn hier erfuhr der Jude dieselbe Abstoßung, mit der des Magnetes verwandte Pole feindlich auseinander fliehen, und das Land, wo er so manchen Charakterzug, dem seinigen befreundet, traf, ward der klassische Boden des Hepheprufes. Da schied aus dem stets verjüngenden Verkehre, der immer neue Formen schafft, die deutsche Sprache in des Juden Munde, und im Ghetto hielt man doch die alten Reiser fest, die der Baum der Rede in früheren Herbsten abgeworfen, unbekümmert darum, daß inzwischen draußen neue Lenze frischbelaubte Zweige brachten. Bald machte man aus der Noth eine Tugend, hielt die Abgeschiedenheit für ein schützend Bollwerk und das Judendeutsch ward die geheime Ordenssprache, von eingeweihten nur verstanden. Das ist der Ursprung jener Bastardrede, die der ferne Osten mit dem nahen Westen hat erzeugt, des Jargons, den man eben so gut deutschjüdisch als jüdischdeutsch nennen könnte, weil des einen wie des anderen Elementes viel darin ist.

Oder ist sie nicht deutsch diese Treuherzigkeit, wenn der Jude, der alleinige Träger germanischer Sprache, selbst in solchen Ländern bleibt, wohin vor ihm noch keine deutsche Zunge reichte, und dahin ihn mittelalterliche Nächstenliebe verschlagen hatte? Ist sie nicht auch deutsch diese Neigung zum Zwiespalte, die, wie sie die Nation in Stämme, so die Sprache in Mundarten auseinander treibt. – Ja auch der Jargon hat seine Dialekte, wovon der polnische Zweig füglich des Jargons Jargon heißen mag. Deutsch ist die Kraft und Fülle, die Sinnigkeit und Gestaltungsfähigkeit des Ausdruckes, deutsch ist aber auch der Mangel an Selbstvertrauen, der Abfall von sich selbst, jene übertriebene Gastfreundschaft, die fremdländischen Worten gerne Bürgerrecht oder doch Duldung gewährt.

Hat der Deutsche seine lateinische Verben auf iren, hat der Jargon eine gleich respektable Liste hebräischer Zeitwörter auf en. Das Calculiren hat dem „cheschbenen“ so wenig vorzuwerfen, als das „patern“ dem „Expediren“; und die Sylbe igan „chomezig“ ist gerade so berechtiget, als der Ausgang lich an appetitlich. Hier wie dort rächt sich zuweilen der Sprachgeist und treibt das in seinen Brunnen gefallene Fremdwort so ungestüm herum, bis er zur Unkenntlichkeit deutschen Klang bekommt. Fragt Ihr, wie ist aus periculum in mora (Gefahr im Verzuge) das jüdische prikelemore geworden? wie „stantepee“ aus stante pede (stehenden Fußes), aprenowis aus ora pro nobis (bitte für uns), zanzones aus sans soin (ohne Sorge), pasletan aus pour passer le temps (zum Zeitvertreib)? Ich antwortete: ganz nach jenen Gesetzen, die Armbrust aus arcubalista, Priester aus presbyter, Pilgrim aus peregrinus, Arzt aus artista, Pumpernickel aus bon pour Niklas und Hokuspokus aus hoc est corpus entstehen hießen. Aber selbst die äußere Erscheinung des Wortes in Aussprache und Vortrag hat im tierländischen Jargon ihre ausnahmslose Regel, die also lautet: Sprich die deutschen Vokale gerade so unrichtig, wie die deutschen Juden die hebräischen Selbstlaute aussprechen, d. h.: Die kurzen geschärften Laute mögen unverändert korrekt bleiben, aber von den langen und gedehnten büße das A den Fehler seiner Gestalt und töne fortan wie O; das lange O hingegen werde ein Oi, und das U bequeme sich wie Ö zu lauten. Endlich aber mögen E und I zwar unverkümmert bleiben, nur von dem Chlaute schleppen sie wie im Hebräischen ein A mit (Patagenuba). Nun wird wohl jeder begreifen, daß man ganz consequent woröm statt warum sagt, da doch auch aus dem Hebräischen „baruch“ ein „boröch“ in unserem Munde wird. Es ist klar, daß uns Sack und Pack ungeschmälert bleiben können, wenn auch jedes Haar auf dem Haupte und jedes Gras auf dem Felde zu Hoor und Groos wird. Blühen uns vor Roisen keine Rosen, so können wir doch hocken und hoffen wir irgend Einer, und geht es uns auch racht schlacht, so verstehen wir uns zu drehen und zu wenden.

(Fortsetzung folgt.)

Ausgabe 30 vom 27.07.1877, S. 239

(Fortsetzung).

Ist da keine Ordnung und Methode? Die unrichtige Aussprache der Doppellaute hat nicht einmal der Jargon verschuldet, denn süddeutsches Provinzialgewächs ist’s, wenn ein Bam aus jedem Baum wird, und der Jude want statt zu weinen, wie sehr er in Letzteren geübt ist. Höherer Jargon, also über alle Regel erhaben, ist jedoch die homöopathische Laune, Fehler hüben durch Fehler drüben zu tilgen. Sagt man z. B. gel statt gelb, so glaubet ja nicht, dieß b gehet der deutschen Sprache verloren, denn man hat dafür blob statt blau – und doch hat auch diese Erscheinung deutschen Grund und Boden.

Es ist leicht begreiflich, daß der Wortsatz einen reichen Zufluß aus dem Hebräischen erhält. Den Reigen eröffnen hier Bezeichnungen für religiöse Begriffe, für die Sinnbilder des Cultus und Ausdrücke für allerlei Denk und Schlußformen zur Erleichterung der Disputationen. Die Ersteren sind selbstverständlich bei einem Volke, dessen Religion in alle Beziehungen des leiblichen, geistigen und geselligen Lebens eingreift, und die Letztern verdanken ihre Existenz jenen geistigen Wettkämpfen, den gymnastischen Uebungen gelehrter Athleten, die des Juden olympische Spiele waren, wie die religiösen Themen seine Rennbahn und Schleuderstätte. Da drang denn mancher Kunstausdruck für Einräumung und Widerlegung, Einwurf und Dilemma in die tägliche Verkehrssprache. Endlich wurden Stimmungen, Gefühle, Zustände und Lebensstellungen, die mächtig das Menschenherz ergreifen, hebräisch benannt.

Bezeichnend für jüdischdeutsche Zustände ist unter den letztangeführten das Wort „Bilbul“ – ein Schreckenswort, das oft wie der Blitz unter die Harmlosen fuhr, und Alles Blut gerinnen, alle Pulse stocken macht. Bilbul ist nämlich die lügenhafte Beschuldigung, welche, wie Gebrauch des Christenblutes an Ostern, Vergiftung der Brunnen u. dgl. zum Vorwande einer Judenhetze ersonnen wurden. Wörtlich heißt Bilbul so viel als Verwirrung, Trübemachen, um besser fischen zu können, und mit diesem Wort, das das Volk erfand, widerlegen sich die Märchen alle, die noch heute mancher für baare Münze ausgeben möchte. – Doch genug über das Stoffliche des Jargons, das wir nun gelehrten Sprachforschern überlassen mögen, die an dergleichen ihr Behagen haben. Wir blicken sehnsüchtig doch vergeblich nach dem reichen Schatz hebr. Wörter, die vordem ein Judenkind mit in die Schule brachte, daß der Schüler vom Hause aus so vieles verstand, um das ihn heutzutage mancher Lehrer beneiden darf.

Betrachten wir nun die erziehlichen Momente und Einflüsse der jüdischdeutschen Causerie in dieses Wortes weitester Bedeutung; so fällt uns zunächst die Fülle von Wortspielen auf, die gleichsam wild und ohne künstliches Dazuthun auf dieser Redeflur hervorschießen müssen. Wie Juvenal von seinem Zeitalter behauptet, es sei schwer, keine Sartyre zu schreiben, so kann man mit gleichem Rechte sagen: Schwer ist’s keinen Wortwitz im Jargon zu machen. Hier ergehet sich der Humor des Zufalls, der in allen Calembours waltet, zwischen zweien Sprachen, schüttelt das Kaleidoskop, dessen Wortmosaik zwischen den Zerrspiegeln verstümmelnder Aussprache die abenteuerlichst verschlungenen Lautgestalten zeigen muß. Zudem ist des jüdischen Volkes Denkkraft fast rascher als gründlich, vergleicht eher als sie unterscheidet, gelangt früher zu Einfällen als Einsichten. Da lauert ohnehin der Witz hinter jedem Gedankenberge, stets bereit, gewappnet hervorzuspringen, und nächst dem Gebete war der Witz fast die einzige Blume, die im Ghetto üppig wachsen und gedeihen durfte. So kam es, daß die ganze jüdischdeutsche Conversation zu einem großen bunten Maskenballe wurde, wo jedes Wort hinter einer fremden Larve hervor seinen Nachbar stichelte. Gehet nun in diesem Jargon eine ganze Welt sprühender Einfälle zu Grunde, so verliert auch der Jugendbildner manches vortreffliche Reizmittel, wie man dieses heutzutage in Räthseln und Scharaden sucht, Lockmittel, die Denkkraft gleichsam zu necken, und aus ihrer Ruhe aufzustacheln.

Aber eine andere, weit edlere Seite der jüdischen Causerie ist der Mussivstyl, der in steten Anspielungen und Reminiscenzen aus der Geschichte und Literatur der Vergangenheit sich ergeht. Ein Volk, das so tief im Alterthume wurzelt, und kein anderes Erbe als sein altes Schriftthum hat, verliert die Erinnerung daran erst, wenn es sich selbst verloren hat. Aber dieses Volk der Hoffnung hat sich nie aufgegeben, am wenigsten damals, als es noch keiner papiernen Flügel bedurfte, und das Nationalgefühl noch keine Insertionskosten verursachte. Da strotzte die Causerie von Citaten aus der Nationalliteratur, von Anspielungen auf die Helden der Vorzeit. Aus jener holte es sich seine Spruchweisheit, wie: Faule Fische und geschlagen dazu. Wissen ist Waare. Vor Armuth Weißbrod essen. Prediger predige Dir. Weiber haben neun Maß Redseligkeit.

(Schluß folgt.)

Ausgabe 31 vom 03.08.1877, S. 247f

(Schluß.)

Man straft die Tochter, um die Schnur zu treffen. Mancher gewinnt an der Feuersbrunst. Der Sagenschmuck der den Messias verklärt, ward in die Causerie verwoben, und, der junge Knabe hörte eben so früh schon von Hillel’s Geduld, Ijob’s Leiden, Pharao’s Plagen, egyptischer Finsterniß, Methusalem’s Alter. In gleicher Art war Korach der jüdische Krösus, jeder Judenfeind ein Amalek, und der Prophet Elisas die Quintessenz aller Rübezahle und Heinzelmännchen. Wie ein guter Elfenkönig bringt er frommen Leuten Bescheerung, bauet dem fleißigen Forscher Häuser, weiß auf alle Fragen Bescheid, stehet bei allen Knäblein Pathe, sitzt am Pessachabend, ein unsichtbarer Gast, zu Tische. – Das waren die Frührothsstrahlen, die des Kindes Morgentraum durchwebten, das die Causerie, die unsere Struwelpeter, Nußknacker und Bilderbücher vertrat, und wir hegen gerechte Zweifel, ob die Weisheit unserer Kleinkinderuniversitäten dafür Ersatz bieten, und die Gelehrtheit, die heutzutage oft auf allen ihren vier Fakultäten daher gekrochen kommt, die jungen Blüthen zu beschnüffeln, mit jener Causerie sich an pädagogischer Wirksamkeit messen kann.

Doch bei weitem die schönste, edelste und rührendste Seite der jüdischen Causerie war der religiöse Hauch, der sie durchwehete und jedem Worte, das dem Munde entfuhr, zuerst den Zoll der Andacht abverlangte. Das Gebet blühet beim Juden, wie Gras auf fettem Erdreich. Nicht nur sprießt es auf weiten Pampa’s des Morgens wie des Abends, sondern drängt sich auf Hain und Steg überall hervor, und guckt und lugt aus allen Ritzen und Spalten des Tagelebens. Schon das vorgeschriebene Rituale hat für jedes Erlebniß, jede Erscheinung einen formulirten Segensspruch. Der Jude dankt für jeden Genuß des Lebens, für jede Funktion des Leibes, für frohe Nachricht wie für Schreckensbotschaft. Er hat Stoßgebete für Sturm und Regen, Blitz und Donner, Regenbogen und Erdbeben. Gott preist er für Düfte und Blüthen, für Mißgeburten und Leichenäcker, wie für die Macht, die Er gekrönten Häuptern für die Weisheit, die Er den Männern des Wissens verliehen. Und all’ die tausende von Formeln und Segenssprüchen trug ein guter Jude vordem im Gedächtnisse mit sich herum; wie konnte es da anders kommen, als daß der sonst stets wache Gottesge danke auch durch die Causerie wie ein Schutzgeist wandelte und dem Alltagsgespräch Weihe und Adel verlieh.

Man urtheile selbst: – Der nächste Ausdruck der Menschenachtung ist wie überall auch hier der Gruß. War nun schon den alten Hebräern Grüßen und Segnen Eines, so drückt sich in der jüdischen Causerie das Wohlwollen fast überschwänglich aus. Wenn die moderne Ehrenbezeugung selbst den tiefsten Bückling höchstens mit einem „allerunterthänigsten Diener“ begleitet, so versteigt sich die ehrende Liebe bei den Juden bis zu der Formel: „Ich sei Deine Sühne,“ d. h. mich treffe Deiner Sünden Strafe, gleich sehr ein Beweis der Hingebung, der Anerkennung göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Fehlbarkeit. Die Gastfreundschaft ladet zum Mitgenuße durch die Formel: „Macht Broche,“ d. h. Sprecht Euere Betform über diesen Kelch, diese Speise, womit dem Gaste die Annahme zur Pflicht gemacht, das Verdienst des Anbieters dem Wirthe abgesprochen wird; darauf erkundigt sich jener, ob kein Priestersprößling, kein Theologiebeflissener bei der Tafel anwesend sei; denn die Ehrfurcht vor Priesterthum und Gottesgelehrtheit gebieten, jene ersten um Permission zu bitten. Der Niesende spricht: Deiner Hilfe traue ich mein Herr; der über eine Todesbotschaft Erschreckende ruft: „Gelobt sei der Richter in Wahrhaftigkeit.“ – Tritt in die Gedächtnißebbe plötzlich wieder die Fluth ein, so gedenkt der moderne Mensch selten der Wohltat, die ihn hiebei von der Stockung befreit. „A propos!“ ruft er freudig aus; während der Jude in ein „Gott sei gelobt, der erinnern läßt,“ ausbricht. Von seinen Leiden spricht er nie anders, als „zur Buße sei es gesagt,“ oder „um meine vielen Sünden Willen“ einzuschalten; denn nur sich, nicht das Schicksal, wagt er anzuklagen. Hegt er einen Vorsatz, so gedenkt er gleich menschlicher Unzuverlässigkeit und verwahrt sich davon, daß ihm kein Gelübde daraus entstehe. Bietet er die Zeit, so bestimmt die Religion den Kalender, und er wünscht einen guten Sabbat oder Jomtow. Die Lenzensstrahlen bringen ihm des Pessach’s Botschaft, und fröstelt der Frühherbst, so „slichezt’s“ ihm, d. h. es wehen die Schauer der Morgenandacht aus der Bußezeit ihn an. Ja! ich kannte einen Juden, der sich oft versucht – fühlte, in ein Sakerlot, oder wie man’s hier zu Lande oft hört, in ein „Saperlot auszubrechen. Doch jedesmal besann er sich rasch und rief: Sapper–u bagojim eth kewodo – das ist ein Bibelvers des Inhalts: Verkündet den Völkern Gottes Ehre. So verklärte die Religion das Alltagsgespräch, benetzt mit dem Thau des Glaubens welkgewordene Redensarten. Des Gottes, dem es bekannt, des Glaubens, den es durch die Welt zu tragen berufen war, vergaß dies Priestervolk niemals! Vom Gottesbewußtsein war seine ganze Athmosphäre durchduftet, sein ganzes Leben ein Gebet, Andacht seine Causerie und seine Rede durchzitterte ein heiliger Psalter.

Dies ist der Geist des Jargons, dem, mit unserem Motto zu sprechen, ein Helfgott stets näher lag als ein Kreuzsakerlot, und ich glaube, darum nicht dem Rückschritt zu huldigen, wenn ich auf die Erziehung durch Judendeutsch hingewiesen. So klar es ist, daß kein Kind zum Mutterleibe wiederkehrt, so ist doch oft ein scheinbarer Rückschritt sehr heilsam. Es ist ein Ausholen mit der Axt, um einen eindringlichen Schlag zu führen. Je weiter die Axt nach rückwärts geschwungen wird, desto kräftiger fällt der Hieb nach vornen zu. Aber wohl gemerkt! die Axt muß fest am Stiele sitzen, sonst schlüpft sie aus, richtet Unheil an, und es bleibt der leere Prügel in den Händen. Wie der Pädagog die alte Causerie noch immer nützen kann, ohne daß das Eisen ihn entgleitet, überasse ich getrost dem ruhigen Nachdenken. Der Schriftsteller ist der Meilenzeiger, der auf den Weg nur hinweist, – darauf zu wandeln, ist des Lesers Sache!