LESSING, THEODOR: ALTER JUDENFRIEDHOF
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In: Selbstwehr, 32. Jahrgang, Ausgabe 12 vom 25.03.1938, S. 3
1899.
Frau Ada Lessing stellt uns das folgende Gedicht ihres Mannes zur Verfügung. Wir lesen dieses Gedicht von Theodor Lessing in diesen Tagen mit doppelter Ergriffenheit.
Verblutete Wandrer, vom Meere des Golus gerettet,
Auf nordischem Acker – in Wälle des Ghetto gedrängt,
Mit höhnender Gnade der Herrscher „für ewig“ geschenkt –
Habt ihr die Väter zum guten Orte gebettet.
Sie lagen so dicht, daß sich Lippen und Hände berührten,
Dann häuften Aschen die Enkel und türmten empor
Ein neues Geschlecht auf der Aeltern gemodertem Chor,
Zum Berge der Rast, den hoch Jahrhunderte führten.
Auf seinem Gipfel weint eine Trauerlinde –
Dort hat man die letzte des Berges noch eingesenkt,
Als endlich ein Leuchten der Menschheit das Ghetto gesprengt,
Großmutter ist’s, und ich bin ihr Enkelkinde.
Oft lehnte der Knabe am Stamm. Es drängten sich Hügel
Wie Küchlein mir zu, und mit Schauder rang Stein wieder Stein.
Und blickt ich hinab auf die Heimat, dann stiegen vom Rain
Die Martern der toten Väter und forderten Flügel.
Nun lieg ich im Fieber der wühlend zergrübelten Nächte,
Dann kommen die Steine, sie haben nicht Name noch Kranz.
Sie sprechen von Treue. Sie fordern. Sie saugen den Glanz
Aus jeglicher Blume, die unsere Erde wohl brächte.
Dann ist es mir oft, bald komme der Berg geschritten
Und lege sich fest auf mein Herz mit hebräischen Zeichen,
Als stöhnten durch meine Träume die Judenleichen
Mit all ihren Qualen, die nun auch ich gelitten.