KOMPERT, LEOPOLD: DIE KINDER DES RANDARS [1848] KAP. 8: DIE RÜCKKEHR

Zur Biographie: Leopold Kompert

Transkription

In: Leopold Komperts sämtliche Werke in zehn Bänden. Hg. von Stefan Hock. Leipzig: Max Hesse 1906, Bd. 1, S. 146-148.

[…]
Über die Stiege herab kam gerade eine hohe Männergestalt in polnisch-jüdischer Tracht langsam gewandelt. Als sie an Moritz vorüber wollte, fuhr er auf, ein freudiger Schreck durchbebte ihn.
„Mendel Wilna,“ schrie er, „das ist Mendel Wilna!“
Der Bettler war darauf stehen geblieben; er sah den unbekannten Knaben lange an.
„Schmah Jisroel,“ rief er endlich, „ist das nicht Schmul Randars Sohn, ist das nicht Moschele?“
„Hätt‘ ich Euch denn gleich erkannt, wenn ich’s nicht wär‘?“ sagte Moritz.
„Also Salem Alechem! (Friede mit Euch!)“
„Alechem Salem! (auch mit Euch), „gab Moritz zurück. Sie schüttelten sich freudig die Hände.
[147/ ] Mendel wußte nicht Worte genug für das Glück zu finden, daß er Moritz auf eine so unerwartete Weise getroffen habe. Er fragte nach Vater und Mutter und ob noch viel Schnorrer zu ihnen ins Haus kämen. Moritz beantwortete diese Fragen, so gut er vermochte.
„Ich bring jetzt die Erd‘ aus Jeruschalaim mit“, sagte er dann, „die ich deinen Eltern versprochen habe. Ich trag‘ sie schon über fünf Jahr bei mir herum und hab‘ sie nicht abgeben können, weil ich nicht nach Böhmen gekommen bin. Das ist schon eine lange Zeit, man wird mich beim Randar schon ganz vergessen haben.“
Moritz beteuerte ihm, daß man zu Hause seiner oft erwähnt, ja daß er selbst einige Augenblicke vorher an ihn gedacht habe.
„Also denkst du noch an Jeruschalaim,“ rief Mendel laut, „hast du noch den Schabbes im Sinn? Und wie du mit mir hast gehen wollen und ich dich habe zurückschicken müssen? Großer Gott! welch ein gebrochen Herz hab‘ ich damals gehabt; ich hab‘ ein paar Meilen müssen fortgehen, bis ich dich aus meinen Gedanken habe bringen können.“
„Ich hab mich noch gut vor Augen,“ sagte Moritz, „wie ich damals ausgesehen, ja, ich fühle noch den Schmerz, als ich so allein ins Haus zurück mußte, voll Scham und Furcht, daß man mich auslachen würde.“
Sie waren bei diesen Worten, die Moritz in rein deutscher Sprache gesprochen, unter eine Laterne gekommen, und an dem fremdartigen Klange, sowie beim Schein des Lichtes, erkannte der Schnorrer, daß er nicht mehr das achtjährige Kind des Randars, sondern einen hochaufgeschossenen Knaben vor sich stehen hatte. […]
Moritz bemerkte, daß der Schnorrer mit einem Male//ganz verlegen wurde; er war einige Schritte zurückgetreten wie wenn er sich in einer fremden Person getäuscht hätte. Moritz erbebte im Innern, er glaubte schon, er habe ihm die ‚Sünde‘ angesehen.
„Wie ist mir,“ sprach Mendel nach einer langen Pause, „ich hab gemeint, des Randars Moschele zu finden, und wen seh‘ ich? Verzeihen Sie mir, ich hab‘ mich gewiß geirrt. Wie soll jetzt der Schnorrer noch mit Ihnen reden?“

[…]