KOMPERT, LEOPOLD: DIE BEIDEN SCHWERTER
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In: Leopold Kompert: Die beiden Schwerter. In: Ders.: Geschichten einer Gasse [1865], zit. nach: Leopold Komperts sämtliche Werke in zehn Bänden. Hg. von Stefan Hock. Leipzig: M. Hesses Verlag 1906, Bd. 5., S. 281-332
[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]
Vier Wochen nach diesem Besuche Josefs des Zweiten auf dem Pfarrhofe in Kojetein langte an den Dechanten eine aus dem kaiserlichen Kabinette herrührende beträchtliche Geldsumme mit der Weisung an, diesen Betrag dem jungen „Samuel“ Fingerhut für die „vorzuhabende Reise“ einzuhändigen.
Mitten unter den Zurüstungen zum bevorstehenden Türkenkriege, mitten im Sorgendrange über die von Tag zu Tag schlimmer lautenden Nachrichten aus den Provinzen, Entwürfe hegend und vernichtend, halb an sich irre geworden, und dann wieder mit einem Hoffnungslächeln selbst einen geringen Erfolg seiner Regierungsmaßregeln begrüßend, hatte der Kaiser den Sohn des jüdischen Handelsmannes und das böhmische Städtchen nicht vergessen.
Samuel Fingerhut kam getreulich dem Willen des Kaisers nach. Mit blutendem Herzen fügten sich Vater und Mutter in das Unabänderliche und segneten Josef den Einzigen, nachdem sie durch den Pfarrer belehrt worden waren, wie sich für den Kaiser kein anderer Ausweg gezeigt, ihnen den einzigen Son zu erhalten – als indem er ihn ihnen nahm.
Samuel Fingerhut nahm seinen Weg zuerst nach Holland, der alten Heimatstätte der Glaubensfreiheit. Er hielt sich aber daselbst aus uns unbekannten Gründen nur kurze Zeit auf, dann ging er nach Antwerpen. Dort in der Scheldemündung lag ein Schiff, das in den nächsten Tagen die Fahrt nach dem fernen Amerika antreten wollte. Samuel Fingerhut besann sich nicht lange und nahm einen Platz auf dem Kauffahrer, der eigentümlicherweise den Namen „Josef der Zweite“ trug. Glücklich und wohlbehalten kam er in dem damals schon aufblühenden Neuyork an.
In der fernen neuen Heimat gelang es ihm bald, es zu Wohlstand und Ansehen zu bringen. Sein Haus erwuchs allmählich zu einem geachteten und weithin genannten. Hochbetagt, von einem Kreise blühender Kinder und Enkel umgeben, beschloß er vor wenigen Jahren sein Leben. In seinem Testamente fand man ein beträchtliches Legat verzeichnet, das zu gleichen Teilen an die Armen christlicher und jüdischer Konfession seiner Vaterstadt Kojetein, und zwar unmittelbar durch einen seiner Enkel, der zu diesem Zwecke die Reise nach Böhmen anzutreten hatte, verteilt werden sollte.
In einer dem Testamente beiliegenden Aufzeichnung erzählte Samuel Fingerhut seinen Kindern und Enkelkindern, unter welchen wunderbaren Umständen er den Weg nach Amerika gefunden, welchen Gefahren er entgangen und wie Kaiser Josef der Unvergeßliche in sein Leben eingegriffen habe, – er erzählte ihnen die Geschichte von den „beiden Schwertern“.