ROSENFELD, OSKAR: DAS PROBLEM EINER JÜDISCHEN KUNST

 

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Aus: Esra 1 (1919), H. 1, S. 8-16.

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Tran-skription

Man mag ein Kulturproblem anfassen wo man will, immer behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Ganz besonders, wenn man es mit den Mitteln der Logik, des schlüsseziehenden Verstandes versucht hat, also von seiner Außenseite her. Denn hier bedeutet es nichts anders als so lange und so viel von der Lebendigkeit der Eindrücke abstrahieren, bis man sich ein System zurückgelegt hat und sich dann in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet; oder anders ausgedrückt: anstatt einer Ganzheit einer Lebensäußerung ein Stückwerk zu erlangen, daß sich im Wort fixieren, praktisch sicher handhaben und überblicken läßt. Diese Darstellungsweise ist notgedrungen eine verstofflichende, entseelende undwie könnte man sie auf ein Problem anwenden, das nur individuell zu erleben ist. Darum muß man vor einer geistigen Erscheinung wie der jüdischen Kunst die Methode anwenden, die der Künstler dem Leben gegenüber anwendet: man muß die Methode wechseln. Sonst beginnt die exakte Betrachtungsweise der Dinge – wie oft hat es die Erfahrung bestätigt – sich selbst als einseitig zu betrachten. Sobald sich das zu erforschende Material über unsere Sinne ins Unkontrollierbare verliert, noch nicht sanktioniert durch die menschliche Konvention, durch die Geschichte der Kunst, müssen wir das Sinnbildhafte, worauf schließlich alle Geistesschilderung angewiesen bleibt, als ein Symbol nehmen, obwohl es uranfänglich bloß ein Bild fürs Auge war. Wir müssen Einsicht nehmen in alle Verhältnisse des Stofflichen, in die physische Struktur des Juden, der geistige Werte geschaffen, wir müssen Ehrfurcht haben vor den Produkten, für die wir leider noch längst nicht hingebungsvoll genug sind, mit ihren ethischen, ästhetischen, religiösen, sozialen Nebenbedeutungen.  

Sobald der Jude den ihm angestammten Herd verlassen hatte, änderte sich sein Verhältnis zur Gemeinschaft, zur Familie, zum Besitz. Sein Heim verlor den festen Boden, er hatte keinen Mittelpunkt mehr für seine sozialen Bedürfnisse und darum blieb ihm nichts anderes übrig als Individualist zu werden. Wir sehen im Mittelalter seine Versuche, auf den alten Kulturen Europas heimisch zu werden, den Rasseninstinkt zur Polygamie abzustreifen und damit auch in neue Bahnen des Erotischen einzulenken. Es ist eine neue, noch nicht anerkannte Tatsache, daß das physische Leden des Juden durch die Umwertung des Geschlechtslebens, indem er von der Vielweiberei zur Einehe sich wendet, einen individualistischen Zug annimmt. Zweifellos liegt eine tiefe Verwandschaft zwischen den erotischen Antrieben und den anderen starken Phantasieentladungen vor, insbesondere den kunstschöpferischen. Denn es ist unleugbar, daß auch im künstlerischen Verhalten ältere Kräfte mitwirksam werden und die individuell erworbenen durchsetzen: geheimnisvolle Synthesen von Einst und Jetzt, beidemale der Rausch einer heimlichen Wechselwirkung. Ganz unmerklich gleitet ästhetisches Entzücken in erotisches über. Und darum können wir den Kunsttrieb einer Wiedererweckung des Urältesten nennen, eine Belebung jener Instinkte, die durch Gesetz und Tradition gebunden, jetzt allmählich freizuwerden beginnen. 

Im Künstler zerbricht nun ferner sein besonderer Zustand die Norm und letzte Erklärung dieses Phänomens liegt ausschließlich auf geistigem Gebiet. Deswegen muß dieses erst alles Problematischen entkleidet werden. 

Das geistige Leben des mittelalterlichen Juden bestand im Zurückschauen, im Umwenden nach Gewesenem, im Sehnen nach einem Ideal, das zertrümmert war und das die Erregung des Gemüts und der Wünsche der Seele niemals zu neuem Leben erwecken konnte. Dieses Sehnen ging unerfüllt durch sein ganzes Leben und das ist auch das Tragische des niemals sich erfüllenden Geistesmenschen, daß er für den Inhalt seines Denkens keine feste körperliche Form finden und sich darin begrenzen kann. Das ist die Tragik der großen Propheten, der großen jüdischen Dichter in Spanien, ihr immerwährendes Ausholen zur Tat, ihre ausschweifenden Gefühlsregungen, der unerschöpfliche Atem ihrer dithyrambischen Ergüsse. Dabei aber schlummerte in ihren Worten schon das Pathos, der Rhythmus, der Uranfang jeder Kunst, daher schon die Vorahnung der Musik in den Dichtungen des David und Salomo. Das Gemüt dieser Juden verschwendete sich an dem Unfaßbaren, Metaphysischen, es hatte keine Grenzen, keinen Horizont und ward zum Unheil. Die große jüdische Seele suchte eine Zufluchtsstätte in der Ekstase, in der Mystik, sie wurde hingebungsvoll für eine Idee. Die kleine jüdische Seele haschte nach des Augenblicks Nutzen, nach dem Erwerb, sie wurde engherzig und schuf sich das Ghetto. Die große jüdische Seele rang nach dem Unendlichen, sie vernichtete alle Begriffe des animalischen Daseins. Sie gebar den ersten Märtyrer. Die kleine jüdische Seele opferte sich dem Alltag, sie mißachtete die edle Hingabe des Fanatikers. Sie gebar den ersten Assimilanten.  

Der psychische Zustand war gewiß kein Nährboden für Phantasieschöpfungen. Der Instinkt war gebrochen, eingedämmt, und wenn er sich zum Intellekt verfeinerte, um in der Natur eine Ergänzung seines Wesens zu finden, dann schnürte sie ihm die Kehle zu. Die Freiheit machte ihn erzittern und er sah ein, wie sehr uns die Natur ihre unerbittliche Gleichgiltigkeit für unseren Jammer fühlen läßt. In diesen Juden lebte nichts als die schwache Bewegtheit zu einem beschaulichen Glück, zu einer Harmonie der Wünsche und Empfindungen. Und hiebei wurde er empfänglich für die zarten Zierrate seines täglichen Lebens, er verschönte sich seine Inbrunst mit Schmuck und Glanz und in seinem Heim, in seinem Gotteshaus nahm die idyllische Schönheit kein Ende. Darum war seine Kunst eine Kleinkunst, ein Formenspiel, beschränkt auf die ornamentale Ausschmückung gewisser ritueller Gegenstände und Gebetsfolianten. Sie war mehr Kunsthandwerk als Kunst. Und darum hatte sie nicht die Schwerkraft einer selbständigen Offenbarung mit den ihr zukommenden Gesetzen, sie war eine anmutige Begleitung zu der Melodie eines begrenzten Daseins, ohne Größe und ohne Wucht, da sie dem Geist des mittelmäßigen, sinnlich begabten Menschen entsprang. Und ihr fehlte der Keim der Entwicklung, weil sie kein Vorbild hatte in der Natur, vielmehr ein Produkt war des grüblerischen Intellektes. Diese Naturentfremdung blieb dem Juden bis in das XX. Jahrhundert haften und sie ist nicht anders zu erklären als durch eine gewisse Furcht, Ehrfurcht vor der Freiheit, als eine Furcht, die in Haß so leicht umschlagen kann, wenn man ahnt, daß die Freiheit der Natur durch Liebe nicht zu bezwingen ist. 

Verstümmelte Überreste dieses Hanges zur Kleinkunst, zur Verschönerung des werktätigen Lebens haben sich bis in die gegenwärtige Zeit hinübergerettet, wir finden sie als unbewußte Äußerungen in den Stuben der religiösen Juden, wir erkennen sie als zweckdienliche Faktoren im Kunstgewerbe des Bezalel. 

Das Jahrhundert der Aufklärung und der Emanzipation riß auch den Juden mit, ihn vor allem, der so lange gewartet hatte, da er, Ideale aufgepackt, niemals mit sich fertig wurde, indem immerwährend durch die Pforten seiner Seele neue Bilder, neue Forderungen sich einschlichen. Aber der Erlösung, der Erfüllung seines hoffnungsfreudigen Wesens blieb er gleich ferne. Die Fluten des Zeitgeistes wußten nicht viel mit ihm anzufangen. Sie schärften seinen Blick für das Geometrische des Weltbildes und machten ihm zum Intellektmenschen. Ein positives Ideal hätte früh schon den Juden über sein Vermögen hinaus schöpferisch machen können. Er hätte an der Harmonie des herausgestellten Werkes ausruhen können. Das Unschöpferische aber der jüdischen Intelligenz bedrückte das Gemüt und der Geist empörte sich gegen die Tat, weil er ihrer nicht fähig war. Und eines ist so recht bezeichnend für das Klima des neuen Juden: er hat die materiellen und geistigen Güter in der Hand und konnte sich nicht zur Tat entschließen, unwillend, was für eine Tat er vollbringen solle. 

Es ist natürlich, daß dieser nach keiner Richtung hin Kulturwerte schaffende Jude nach mancherlei Wirrnissen und Umwegen zum Problem des jüdischen Volkes gelangt. Und da kommen plötzlich die Fragen über ihn: Wieweit reicht mein Sinn für das Nationale überhaupt? Werden nicht bald die Erkenntnisse, die ich von meinen Voreltern her im Blute habe, aufgebraucht sein? Kann ich die Kraft meines Geistes mit der Intensität meiner Sinne in Einklang bringen? Jeder junge Jude, glaube ich, ist einmal vor diesem Abgrund gestanden. Er hat sich dem Wunsche nach einer Wiedergeburt des Judentums hingegeben und angstvoll und mit süßer Erregung zugleich mißt er seine Kräfte. Wie wenige von diesen neuen grübelnden Köpfen haben noch den festen, einseitigen, eindeutigen und doch alles umfassenden Glauben! Und doch sollte der, dem dieser alte Gott verloren gegangen, nicht verwaist sein. 

Welch Fülle von Intellektmenschen! Ich könnte eine große Anzahl solcher nennen, die mitten in der neuen jüdischen Geistesbewegung stehen. Aber es heißt seinen Intellekt begrenzen, ihn einstellen auf die Notwendigkeiten jeder Zeit, damit seine Energie für die Zeit wirksam werde. Sobald der Intellekt an dem Widerstand seiner Zeit scheitert, bedarf er einer Zufluchtsstätte für sein zertrümmertes Wollen. Denn Zeitläufe von höchst entwickeltem Kulturbewußtsein, von großem politischen Drange, von starkem Gemeingefühl verlangen einen Reservator der Gefühle, einen Ermahner des schönheitsdurstenden Gewissens. Große Ereignisse, Bekenntnisse zu einer bedeutenden Idee zwingen den Menschen, sich für einen Glauben zu entscheiden und wenn nun einmal der Glaube nur bei Wenigen das tiefste Erlebnis war, (Hiob, Jesaia, Spinoza, Augustinus, Kierkegaard), entscheidet man sich für den Aufenthalt des Gemüts, für die Kunst. Und wer könnte leugnen, daß die Juden, das merkwürdigste Volk der Geschichte, dieses Reservators bedürfen? Ein Volk, dem immerwährend neue Erlebnisse, Erkenntnisse, Schicksale zuströmen, wird gewiß in seinen Grundfesten erschüttert werden, wenn zwischen Erlebnis und Tat kein Ausgleich besteht. Ihn stellt der Künstler her. Denn er ist zeitlos. Er kann nur Schiffbruch leiden an seinem eigenen Ideal. Er ist ebenso ewig wie die Natur und ebenso fruchtbar. Darum stehe ich nicht an zu erklären, daß nicht der politische Tatenmensch, sondern vor allem der Künstler die Gesundung des jüdischen Lebens einzuleiten berufen ist. 

In Griechenland, diesem selbstsicheren Schollenvolk, blieb die Kulturtätigkeit des Künstlers unter der Schwelle des Gesamtbewußtseins. Die Russen erkannten ihre Dichter als die Boten der Wahrheit, als Propheten. Bei einem Volk hingegen, das nicht nur gefesselt, das auch krank ist, muß der Einfluß der schaffenden Persönlichkeiten ein ungleich intensiverer sein. Daß er es noch nicht ist, liegt vor allem darin, daß er dem natürlichen Leben der jüdischen Gemeinschaft fern steht. Er spricht noch eine andere Sprache als die Menge, sein geistiger Nährboden wird von unzuverläßlichen, fremden Quellen befruchtet, er hat andere Ziele und die Brücke ist noch nicht vorhanden. 

Allerdings muß ich gestehen, daß die jüdische Gesellschaft, diejenige, die nach außenhin das Judentum repräsentiert hat, dem Künstler bisher nicht günstig war. Der Drang nach Nüchternheit, der praktische Sinn für den Erwerb, der Hang zum Augenblick – dies alles ist für den Gesellschaftsjuden typisch und darum wird er jeden, der außerhalb der Grenzen seiner praktischen Vernunft steht, für töricht halten, für überflüssig, für einen Phantasten, wenn er Scheu hat – für einen Heiligen. Er schafft eine Rangordnung für den tätigen Bürger und für den ekstatischen Zweifler. Er überschätzt die Zeit und ihre Begriffe, er baut fürs Heut, kann nicht warten, er hat übertriebene Vorstellungen von dem, was zeitgemäß ist, er will sich in den augenblicklichen Erscheinungen erkennen und nennt sie „modern“. Da er mit seinen halben Gefühlen sich an nichts Ganzes anschließen kann, übertreibt er sich selbst, steigert sich ins Maßlose. Er ist: Anarchist, Aristokrat, Übermensch, Asket, Photograph, Theatergeher, Melancholiker, Schachspieler, Mystiker, Darwinist, Kritiker, Prophet, Aviatiker, Bolschewist, Automobilist. Er ist der typische Dilettant. 

Bei keinem Volke finden wir so viele und so vielerlei Dilettanten wie bei dem jüdischen. Es ist die Sehnsucht, den überschüssigen Drang irgendwie loszuwerden, sich durch Spiel zu betäuben, im Tändeln sich zu vergessen. Es gibt wenige Gruppen, in denen sich keine Talente finden, Begabungen jeder Gattung, aber schließlich nichts mehr als Schnörkeleien und immer wieder Entfernungen vom positiv geschauten Judentum, drapierte Gefühle, aus denen hie und da die Zipfel der Tradition hervorschauen. Dieses Sichwegwenden von seinem eigenen Ich ist psychologisch sehr leicht erklärlich und das romantische Grauen davor, in allen Dingen der Außenwelt immer nur sich selbst zu finden, gehört hieher. Der Jude, den man immer zu sich hinstößt, der das jüdische Element in allen Zügen seines Lebens, seines Heims, seiner Gesinnung, seines Kults wiederfindet, will sich nicht auch noch in der Kunst sehen. Er hat den Anschluß an die natürliche Tradition verloren und sucht den Weg zu Impulsen, zu Erlebnissen, zu Sensationen, die seiner Rasse fremd, um so verlockender erscheinen. Das Verlassen der eigenen Art springt oft auf den Künstler selbst über. Warum will er fremden Völkern Sklavendienst leisten als in seinem eigenen freier Fürst sein, ein Leid- und Schicksalsgenosse und ein Bildner der Sehnsucht? Ist es denn möglich, daß er sich der anderen Gemeinschaft voll und ganz zugehörig fühlt? Wäre dies nichts anderes als das Problem der Assimilation, dann müßten atavistische Triebe den Enkel an den Urahn mahnen. Aber hier liegt die große Tragik, die pathologische Krankheit von fast zwei Jahrtausenden des jüdischen Volkes. 

Dieser Geistes- und Willensdegeneration konnten sich bis nun nur einige Einzelne entziehen, Menschen mit klar ausgebildetem Bewußtsein, mit seltener Energie und einem zähen Hinstreben zu der Macht ihres eigenen Blutes. Es war ein Bereithalten der Kräfte in ihnen oder das Erwachen zu sich selbst, die Kristalisation schlummernder Elemente. Während die Sehnsucht der Vielen wie eine Fatamorgana durch ihr ganzes Leben zog, ungeformt und unformbar, stellten die Einzelnen ihre Sehnsucht in ihren Werken dar, sie ruhten aus, indem sie ihre Werke als Bruchstücke ihrer großen Konfession aus sich herausschleuderten. Das war ihre Aktion. Sie befreiten sich, sie wurden frei und nur der freie Jude kann ein freier Künstler sein. Die Freiheit ist das Klima des Geistesmenschen. Aber die Freiheit macht einsam und je weiter sich der Freiheitsmensch vom Golusmenschen entfernt, desto intensiver quillt sein Wille zur Tat auf. Als Herzl zur Tat schritt, ward er der einsamste Jude, einsamer vielleicht als der klagende Jesaias draußen vor den Toren Jerusalems. Gerade der einsame, in die Verbanntheit verschlagene Phantasiemensch kann den Zusammenhang mit dem vergangenen, gegenwärtigen und kommenden Volkstum finden, durch seine gestaltende Sehnsucht, die fernwirkende. Alles, was im Organismus des Volkes Verzweiflung und Zerissenheit ist, wird im Künstler zur Harmonie. Der Künstler nimmt unbewußt die Tragik seines Volkes auf sich und verlleibt sich sie ein. Dann aber lebt er die Tragik seines Volkes mit, er hat die Geschichte und das Blut aller Märtyrer in sich, die vor ihm gelitten haben. Und indem er die Mission, Jude zu sein, auf sich nimmt, erhöht er den Sinn seines Lebens, das Vergangene wird ihm gegenwärtig, er regiert das unterirdische Schicksal seines Volkes. Der Selbsterziehungsprozeß des Schaffenden, des Einzelnen, Einsamen also, bildet den fruchtbaren Boden für die geistige Entwicklung und darum muß man sich dazu bekennen, daß das Problem der jüdischen Kunst – hier Schaffungstrieb bedeutend im weitesten Sinne – zu einem der Grundprobleme des jüdischen Volkes wird. 

Damit wird die Bedeutung der jüdischen Kunst durchaus nicht überschätzt. Denn wir haben ja das Schauspiel erlebt, daß als Ausdruck des neuen Gefühlslebens gleichsam vulkanisch künstlerische Triebe hervorbrachen und vollwertig sich durchsetzten. Allerdings könnten in einer Epoche, in welcher bei Beurteilung von Kunstwerken immer noch eine besondere Bedeutung auf die Heimatkunst gelegt wird, die bildnerischen Schöpfungen jüdischen Geistes leicht verurteilt sein, eine unverständliche Rolle zu spielen. Der Maler palästinensischer Motive hat noch kein Anrecht, sich einen jüdischen Künstler zu nennen. Das rein Örtliche, Stoffliche also, gibt nicht den Ausschlag. Es muß etwas Geistiges hinzutreten. In der Literatur ist die Struktur der Rasse leichter zu erkennen, weil schon in der Sprache ihre Grundelemente verborgen liegen. Die bildende Kunst hingegen besitzt in der Formgestaltung, in Linie und Farbe, Ausdrucksmittel, welche als Gemeingut aller Kulturvölker das hinter der Form ruhende Wesen nicht leicht herauserkennen lassen. Wenn nun trotz dieser Schwierigkeiten Werke von Künstlern jüdischer Rasse als jüdisch empfunden werden können, so ist damit ein Beweis für den Einschlag jüdischer Psyche erbracht. 

Der Schritt vom Praktischen ins Ideale, von der Vernunftsklause in das Reich der Sinne ist das beredteste Zeugnis für ein Neues im Judentum. Es ist der Ausfluß eines starken Willens zur Freiheit, es ist das Kennzeichen einer seelischen Kraftprobe, es ist der Beweis der Stärke und Lebensenergie eines Volkes. Die jüdische Kunst ist aber auch das beste Mittel zur Bekämpfung des Dogmas, der Dogmen überhaupt, worunter kein Volk mehr litt als das jüdische. Das Dogma der Ethik war erstarrt, versteinert und bedurfte immer neuer Beweise seiner Existenzberechtigung. Es war ein Zeichen inneren Mangels, aber die jüdische Kunst sei ein Zeichen des Überflusses. Gerade zur Zeit des politischen Verfalles der Völker erreichte die Phantasie des Künstlergeistes die höchste Blüte und immer wenn etwas zu grunde geht, das nicht lebensfähig und lebenswert ist, tritt etwas Neues an Stelle des Morschen. Auch das jüdische Volk stand vor drei Jahrzehnten am Abgrund der Auflösung und der nationale Geist war es, der dem kranken Körper frisches Blut zuführte. 

Der arischen Kunst gab der Mythos neue Nahrung. Das Christentum schuf sich in den Apostellegenden eine neue Mythologie. Dem Judentum war die Mythologie fremd, weil es dort, wo es kulturbringend ins Leben trat, bereits Menschheitsgeschichte war. Das Judentum bedurfte auch nicht der Mythologie, es besaß Geistiges an Stelle des Figuralen. Im Augenblick aber, wo das Geistige in ein neues Stadium tritt, wo es in voller Bewußtheit einer Umwandlung sich unterzieht, bedarf es des Künstlergeistes zu seiner Fixierung. 

Das Judentum, dessen Ethik das Gehirn der Kulturvölker wie mit einem Blitzlicht erhellt hat, mag scheinbar alle seine Waffen aus der Hand gegeben haben und nun tritt es wieder in die Weltgeschichte ein, aber in einer anderen Form, als ein Beweis für die Unzerstörbarkeit von Rassen, die den Glauben an sich noch nicht verloren haben, als ein Beweis für die Unsterblichkeit einer höheren Glaubensmission. 

Neben einem zeitgemäßen politischen und sozialen Ideal besinnt es sich auf die Macht seines geistigen Kapitals. Es will sich konzentriert, geformt sehen und da seine Heroen noch nicht lebendig gemacht wurden, will es sich geistige, ästhetische Denkmäler setzen.  

Die jüdische Kunst als reinste Trägerin und Beherrscherin aller Kulturelemente wird ihm den Spiegel vorhalten, damit er erkenne, ob sein Blick sich verzerrt oder erhellt hat. Denn hier gilt es nicht bloß den Überschuß an Vitalität in einen Strom abzuleiten, sondern zugleich auch ein Neues, Weiteres zu schaffen, nicht bloß eine Ergänzung des Daseins, sondern die Verkörperung des Daseinsinhaltes. 

Aus dieser knappen Analyse möge ersehen werden, wie die Kräfte der Schaffenden nach einem Zentrum hinstreben, wie sie ihre Existenz als produktives Element in ewig sich erneuerndem Ringen bezeugen. Will die jüdische Kunst die Kontrolle haben über die Entwicklung, dann muß sie beides zugleich sein, Wirkkeit und Symbol. Und ihr höchstes Gesetz muß lauten: Du sollst dir ein Bild und ein Gleichnis machen. 

Es ist das wunderbare Wesen der jüdischen Natur, sich in den dunklen Mantel der eigenen Seele zu hüllen und sich durchleuchten zu lassen von den tiefen Schönheiten einer geträumten Welt. Der große einzige Weg des jüdischen Geistes ist die Sehnsucht, die niemals stille steht, weil sie sich niemals erfüllen kann. Zu immer neuen Sehnsüchten steigt er hinan. Und darin liegt auch der Sinn der gegenwärtigen Erneuerung.