Zur Biographie: Margarete Susman

In: Das Flugblatt 4, 1918 [Quelle: http://www.margaretesusman.com]

Link zum Text

Wir deutschen Frauen waren bisher noch weit weniger poli­tisch, als es die deutschen Männer waren. Wohl war es bei den Frauen auch weniger zu verwundern, daß sie sich den politi­schen Fragen fernhielten, weil sie keine Stimme in ihnen hat­ten. Aber das kann bei weitem nicht zur Erklärung ihrer unpoli­tischen Haltung ausreichen; gab es doch in anderen Ländern Frauen, die leidenschaftlich um diese Stimme kämpften, wäh­rend die deutschen Frauen, auch gerade die der gebildeten Stände, mit verschwindend wenigen Ausnahmen gar nicht das Bedürfnis hatten, in den öffentlichen Fragen mitzureden. Die englischen Suffragetten wurden bei uns mit einem Achselzuc­ken abgetan, als närrische Mannweiber verspottet, und vollends die Frauen der französischen Revolution und die leidenschaft­lich und bis zum Märtyrertum politischen Russinnen erschie­nen uns Deutschen als fremde, schreckhafte und nicht mehr weibliche Typen.

So fand die deutschen Frauen der Krieg. So brach das Ent­setzliche, von Grund aus Fremde über sie herein, und sie hat­ten ihm nichts an Fragen, Erkenntnissen, Entscheidungen entgegenzuhalten – mit maßloser Gewalt schlug die Woge über ihnen zusammen und warf alle ihre bisherigen Begriffe von Recht und Pflicht, von Unschuld und Liebe mühelos über den Haufen. Was der Krieg in ihnen auslöste, war eine jäh und zusammenhangslos aufflammende, an alten Symbolen und übermächtigen Worten ungeprüften Inhalts sich entzündende Begeisterung und bei den besten eine dienende Bereitschaft, eine heiße Hingebung und schmerzliche Liebe angesichts der jäh heraufsteigenden Flut von Leiden und Verzweiflung. Eine Unsumme von reinstem Opfermut, helfender Güte, schwei­gendem Heldentum wurde im Dienst dieser furchtbaren Sa­che verbraucht; freiwillige Hilfskräfte gaben sich ihr in Mas­sen und aus reinem Herzen hin.

Nicht an reinen Herzen hat es in Deutschland gefehlt – es fehlte an dem System, in dem ihr Tun und Geben fruchtbar werden konnte zum Segen für die Gesamtheit; denn im be­stehenden System war die Möglichkeit der lebendigen Ver­antwortung der Einzelnen für das Ganze ausgeschaltet. Frei­willigkeit im Dienst des Geschehenden gab es in überströ­mender Menge; aber Freiheit: lebendige Entscheidung für oder gegen das Geschehen, gab es nicht; und konnte es nicht geben; denn jeder Schritt über das Geschehen hinaus war schon zuvor gebrandmarkt als Schande und Verrat. So wur­den die Frauen willenlos mitgerissen – dahin, wo man sie ha­ben wollte, wo man sie brauchte. Aber das Wort Krieg, das in der ersten Zeit mit Flammenschrift in ihren Tagen und Nächten gestanden hatte, verkohlte langsam zu trostlosem Schwarz. Und in wie zahllosen Frauenseelen mag im Lauf dieser vier langen Qualjahre immer deutlicher und brennen­der die Frage heraufgetaucht sein: Mußte dies sein? Kann das Unmenschliche sein müssen? Und darf es sein? Dürfen wir dieser Sache dienen? Aber sie konnten nicht hindurchdringen durch das dichte Geflecht von Vorurteilen, allgemei­nen Bindungen und falschen, machtvollen Ideologien, in das man ihr Leben eingepreßt hatte. Das innerste Menschliche, das freie Gewissen konnte die mächtige Umschnürung mit Vorläufigem nicht zersprengen; denn es war noch nicht er­starkt durch das, was ihm allein zu sich selber helfen kann: die Erziehung zur Freiheit. So blieben die Frauen eine dumpfe tragende Masse, auf deren Rücken sich all das Grauen­volle abspielte, und das einzige, worin ihr Weh und ihre Ge­wissensnot sich äußerte, waren Tränen.

Aber diese Tränen haben sie einen gewaltigen Ruck vor­wärtsgetrieben zur Politisierung. Sie lernten sehen, wie tief die Politik in ihr Leben einschnitt, ja, wie die politischen Ereignisse plötzlich die ihres eigenen Lebens wurden; immer mehr von ih­nen versuchten, sich den drückenden Schlaf aus den Augen zu reiben und endlich klar zu sehen, was mit ihnen und durch sie geschah. Sie konnten die toten Schlagworte nicht mehr hinnehmen, an denen sie ihr Liebstes, ihr Land und die ganze Welt zu Grunde gehen sahen. Sie fühlten sich in diesen Ölbergstunden des Menschlichen angeredet, aufgerufen mit den gewaltigen Anklageworten Christi: Könnet ihr denn nicht einen Augen­blick mit mir wachen? Und sie lernten immer klarer begreifen, daß äußerstes Wachsein jedes Einzelnen, lebendigste Ent­scheidung jeder Seele bereit sein muß und nottut, wo es um das Letzte, die Rettung des Menschentums selbst geht.

Gewiß waren es immer nur noch einzelne Wenige, die diese gewaltige Stimme schon lange klar aus dem verworrenen und so furchtbar verwirrenden Geschehen sich loslösen hörten, die begriffen, was von ihnen gefordert wurde. Zu fest waren die Bindungen durch das Bestehende, zu fern und vernichtend die Antworten, die auf die letzten Fragen drohend herauf tauchten. Aber selbst für die, die ihnen mit Ernst und Wahrheit zustreb­ten, war der Weg dahin durch politische Erkenntnis nicht ge­bahnt.

Und sicher ist es kein Zufall, daß gerade für die deutschen Frauen dieser Weg so ungangbar geblieben ist, daß Politik bei uns bis jetzt als ein dem weiblichen Wesen an sich Fremdes an­gesehen wurde. Von weither ist dies alte Vorurteil bedingt: es lag in unserer besonderen Auffassung des Wortes Politik, die ihrerseits wieder gestützt und getragen wurde von der eigen­tümlichen moralischen und geistigen Verfassung, zu der sich das deutsche Wesen seiner Grundtendenz nach bis in unsere Zeit hinein entwickelt hat. Diese Grundverfassung des deut­schen Wesens, aus der sich letzten Endes die gesamte Gestal­tung seines Lebens in der neueren Zeit herleiten läßt, ist das, was man die deutsche Innerlichkeit nennen möchte und was man kurz zusammenfassend als das verhängnisvolle Erbteil der großen schöpferischen deutschen Metaphysik in unschöpferi­schen Zeiten begreifen könnte. Denn diese metaphysische Kraft, die Kraft zur Idee, Deutschlands größte Gabe in schöpfe­rischen Zeiten, mußte ihrem Wesen nach in unschöpferischen Zeiten seine größte Gefahr werden – eine Gefahr, der Völker mit einfacheren, leichter lösbaren moralischen Aufgaben und Begriffen entgehen. Denn eben jene gewaltigen, hoch über al­ler Empirie lebenden Ideen der deutschen Metaphysik, die es den Menschen unmöglich machten, sich unmittelbar und ein­deutig an ihnen zu orientieren, weil dem Einzelnen keinerlei inhaltlich bestimmte oder bestimmbare Aufgabe, ja auch ei­gentlich kein Ort darin zugewiesen war: das gewaltig Überin­haltliche, Allgemeine, lediglich Richtung gebende und damit allem Bestimmten und Äußeren grundsätzlich Fernbleibende, das seit Luthers Isolierung des Einzelgewissens die ganze deutsche Metaphysik und Moral durchzieht, wiesen den Deutschen immer tiefer und ausschließlicher in sein Inneres. Und es kam wie es kommen mußte: im Maße als die schöpferische Kraft in Deutschland abnahm, im Maße also, als die gewaltigen Gedan­ken und Vorbilder, die nur durch ihre eigene Schöpferkraft den Abgrund zu überbrücken vermochten, nicht mehr lebendig er­lebt und erfüllt werden konnten, wuchsen Inneres und Äußeres immer hoffnungsloser auseinander. Das deutsche Volk, das sich mit Recht als das tiefste Volk Europas empfand – so weit es nämlich die Tiefe als eigentümliche Dimension seiner großen Geister angeht – begann immer mehr, sich bei seiner eigenen Tiefe auszuruhen, die ungeheure Aufgabe in dieser Tiefe zu vergessen und im bloßen Leben nach innen und für das Innen, im Verschmähen und Liegenlassen des Außen bereits die Er­füllung dieser Aufgabe zu sehen. So wurde die Innerlichkeit immer mehr eine Zuflucht der Gebildeten, der Studierstuben und vor allem auch der Frauen, die noch nie einen Zusammen­hang mit dem äußeren Leben gekannt hatten. Gewiß trieb die Innerlichkeit gerade bei den edelsten Frauen noch schöne, un­endlich reine Blüten; aber der Zusammenhang des Innern mit dem Außen, den unmittelbar nur der schöpferische, repräsenta­tive Mensch darstellt, der aber als Forderung der Sinn aller Mo­ral ist, ging immer hoffnungsloser verloren. Denn im selben Maße, als man sich in die Innerlichkeit zurückzog, verdarb das Außen, dem die lebendige Liebe der Menschen entzogen wurde und schwoll zu einer leeren, unförmlichen und übermä­ßigen Gewalt empor. Die nach innen gewandten Seelen ver­standen zuletzt nicht mehr, was geschah, sahen gar nicht, wie das Außen, das Geist von ihrem Geist hätte sein sollen, durch sie selber peisgegeben, blind, leer und seelenlos weitertrieb. Sie sahen da noch einen Altar für ihre heiligsten Opfer, wo längst ein kahler Machtwille menschenfremde Gesetze gab.

Und so geschah das Furchtbarste und Trostloseste: daß Deutschland der ganzen Welt als ein verlogenes Land erschien. Kein Mensch außerhalb Deutschlands konnte diesen Abgrund zwischen dem Geist der Einzelnen und den Taten der Gesamt­heit verstehen. Und noch unfaßlicher mußte es scheinen, wie dieser reine nachdenkliche Geist der Einzelnen, den man ver­ehrt hatte, sich plötzlich ohne Einschränkung hinter die politischen Gesamthandlungen stellen konnte. Und doch log gerade hiermit gewiß niemand in Deutschland, weil nur so verschwin­dend wenige sich dieser Kluft zwischen dem deutschen Geist und der deutschen Politik überhaupt bewußt wurden. Man ver­schob, verschleierte, duldete, nahm hin, weil man immer noch in diesem Deutschland das eigene Deutschland sah und sehen wollte. Und es wurde nicht nur von den Regierenden als Verrat betrachtet, wenn ein Mann oder eine Frau während des Krieges aufstand und verlangte, daß, was im deutschen Namen ge­schah, auch wirklich deutsches Wesen und Wollen ausdrücken solle.

Denn das war das Verhängnisvolle: Der überwältigenden Mehrzahl der Deutschen und vor allem auch der edleren deut­schen Frauen genügte es völlig, rein zu sein vor sich selbst, un­befleckt mit persönlicher Schuld. Und in wie vielen mag auch nur die eine furchtbare Frage aufgetaucht sein: Welches Recht haben wir Frauen voraus vor den Männern, daß uns die furchtbare Gewissensqual erspart bleibt, unsern Bruder töten zu müssen? Was gibt uns das Recht auf unsere Reinheit in ei­ner Welt, in der jene, die nicht schlechter sind als wir, sich hoffnungslos beflecken im Kampf des Einzelnen mit seiner unmenschlichen Pflicht? Soll darum unsere Sterbestunde leichter sein als die ihre? Wahrhaftig, diese Reinheit wird im Himmel und auf Erden nicht gewogen werden gegenüber dem, was wir alle ohne Ausnahme an Schuld der Gesamtheit auf uns geladen haben. Müßte nicht schon an dem einen Bei­spiel jeder, der vor diesem Schwersten persönlich bewahrt ge­blieben ist, müßten nicht vor allem die Frauen in ihrer Ge­samtheit hieran mit einem Schlage inne werden, wie wenig das Gewissen zu isolieren, wie unmittelbar es der Gesamtheit verhaftet ist, die für uns handelt?

Aber diese Einsicht war darum so schwer zu gewinnen, weil das Wort Politik durch die Entseelung des Außen einen so fal­schen Sinn gewonnen hatte, daß es fast wie eine Befleckung des rein Menschlichen erschien, sich mit ihr zu befassen. Man ver­stand bei uns unter Politik ein Ordnen äußerer Zusammen­hänge, zu dem wohl ein sicherer, fachmännisch kundiger Blick und eine feste Hand, aber keinerlei menschliche Qualität verlangt wurde. Ja, letzthin verstand man unter Politik nur noch ein Überlisten, ein Ergattern von Vorteilen, von Besitz und Macht, ein Feilschen um ein Stück Land, Erzlager und Koh­lenbecken – und zu allerletzt ein Feilschen darum mit Millio­nen lebendiger Seelen. Wer einmal offenen Auges in diesen Abgrund geblickt hat, dem mußte es gewiß sein, daß nur eine Umwälzung der gesamten Lebensgrundlagen aus ihm heraus zu einem neuen bessern Leben führen könne.

Und doch ist der Sinn des Wortes Politik einfach und klar ge­nug; Politik bedeutet nichts anderes als die Ordnung der menschlichen Beziehungen in großen Gemeinschaftsgebilden – der menschlichen Beziehungen in ihrer Totalität, der nieder­sten, wie der höchsten. Wie es geschehen konnte, daß mehr und mehr der verderbliche Wahn Platz griff, daß diese Beziehungen mit dem wachsenden Umfang der staatlichen Gebilde keine moralischen, d. h. menschlichen, sondern nur noch technische, wirtschaftliche seien und damit letzten Endes nur nackte Machtfragen, denen die dürftige Umschleierung mit einer fa­denscheinig gewordenen Moral um so häßlicher stand, darauf besitzt jedes Land seine besondere Antwort. Aber nirgends ist die Politik so kahl und aller menschlichen Gesichtspunkte bar geworden, wie im Lande der das Außen brach liegen lassenden Innerlichkeit. Nirgends ist der Gedanke der Freiheit in so erd­gelöster Reinheit über den Häuptern der Menschen empfangen wie in Deutschland, wo sie das reine Sollen bedeutete; nirgends ist der Gedanke der mit dem Sollen identischen Freiheit so mißbraucht und in den Staub gezogen worden wie im preu­ßisch–autokratischen Deutschland. Denn Deutschlands gewal­tigste Träume verliefen sich in die kraftlos gewordene Inner­lichkeit.

Was diesen Krieg verloren hat, das ist das unpolitische Deutschland – aber unpolitisch nicht etwa im Sinne einer nur ungeschickten und unerfahrenen Politik, sondern im Sinne der vom Menschlichen verlassenen leeren Machtorientierung und schwankenden Doppelzüngigkeit. Denn was man auch von den feindlichen Ländern sagen möge, wie hoch man ihren Anteil an der Gesamtschuld werten mag: das eine wird man ihnen allen zugeben müssen: daß die Politik eines jeden von ihnen die Wirklichkeit des Landes und damit auch die Seele seiner Men­schen irgendwie ausdrückt. So kommt es, daß, wenn auch kei­nes der Völker in diesem Kriege rein ist – wie wäre das ange­sichts einer so furchtbaren Wirklichkeit möglich? – doch die Politik der Anderen wenigstens nicht jedes menschlichen Ge­sichtspunktes bar war wie die unsere. Und so kommt es, daß – ­wie gewaltsam wir uns dagegen sträuben mögen – es schließ­lich das moralische Übergewicht war, das uns besiegte (sowie es schon das Moralische war, was Deutschland vor dem Kriege so furchtbar wie nie zuvor ein Land in der Welt vereinsamte). Aber das geschah nicht etwa, weil die einzelnen Engländer, Ameri­kaner oder gar Franzosen moralischer gewesen wären als die Deutschen, sondern weil sie politischer waren, d. h. weil mehr von ihrem Menschentum in ihrer Politik war.

Und ganz gewiß ist es kein Zufall, daß gerade die Frauen Englands und Amerikas, der Länder, in denen dies am deut­lichsten der Fall ist, im politischen Leben eine so völlig andere Rolle spielen und spielen wollen als die deutschen. Wie wir die Politik verstanden, konnten wir diese Teilnahme am politi­schen Leben unmöglich begreifen. Wir konnten nicht verste­hen, daß es jenen Frauen um nichts anderes ging als um die Be­stätigung ihres Menschentums. Denn wir wußten ja nicht, daß alles Menschentum im Leben der Gemeinschaft wurzelt und damit die lebendige Verantwortung des Einzelnen für das Ganze bedeutet.

Bei uns verlangten die Frauen von sich, daß ihr Tun persönlich gut, rechtlich, hilfreich und voll Liebe sei. Jede Verantwor­tung gegenüber den großen Geschehnissen des Gesamtlebens lag ihnen fern; hier war ihr Verhältnis das des dienenden Glaubens. Aber nur als religiöses Verhalten ist der G1aube sittlich; d. h. ein Glaube darf nur da stattfinden, wo ein unserm Verstande grundsätzlich Unzugängliches, ein Letztes, durch uns nicht weiter Aufzulösendes vorliegt. Allem andern gegenüber ist der Glaube Schwäche und Schuld. Denn es ist unsere menschliche Pflicht, die uns gewordenen Werkzeuge in dem übermächtigen Dunkel und Dickicht unseres Lebens zu gebrauchen, uns Wege zu hauen ins Unwegsame und das Licht unseres Verstandes den ganzen Umkreis erleuchten zu lassen, den sein Schein noch ir­gend zu erreichen vermag. Nicht eher dürfen wir den Schleier niedersinken lassen, als da wo er mit allen Kräften nicht mehr gehoben werden kann. Dann erst wird ein Wirkliches, kein nur Geträumtes, Selbsterschaffenes dahinter verehrt werden kön­nen.

Gewiß war es den deutschen Menschen der Gegenwart auch über die Maßen schwer gemacht worden, hier bis ans Ende zu gelangen, weil ein raffiniertes, bis in alle Einzelheiten des öf­fentlichen und privaten Lebens hinein ausgebildetes System die Menschen zur Verantwortungslosigkeit erzog. Aber eben dies ist es, was von heute an anders werden muß. Daß von nun an jeder Einzelne sich selbst für die Gesamtheit verantwortlich fühlen lerne, daß er aufblickend gewahre, welch ungeheurer Verrat an seinem Menschentum begangen worden ist, und wie er dadurch selbst zum Verräter am Menschlichen wurde, das ist der letzte, tiefste Sinn der deutschen Revolution. Es ist eine ge­waltige Umkehr, die da geschehen muß. Kein Mensch, der dem alten anhing, darf glauben, anders als durch ein innerstes Be­kehrungserlebnis, durch eine volle Erkenntnis der begangenen Schuld und den heiligen Willen, sie wieder gutmachen zu hel­fen, sich auf den Boden des Neuen stellen zu können.

Damit gilt es zu erfassen, daß der innerste Sinn der Revolu­tion Sühne ist. Das bedeutet, daß sie nicht für die Gegenwart, sondern erst für die Zukunft handelt, daß das Schicksal der Ge­genwärtigen auf jeden Fall in ihr bedroht und fragwürdig ist und daß nicht wir es sein dürfen, die ihre Früchte ernten wol­len. Zahllose Menschen unserer Generation und jüngere als wir ruhen im Boden; wie dürften wir Überlebenden uns da weh­ren, wie sie Saat für die Zukunft zu werden? Unsere Generation hat die Aufgabe des Sühnens und des Wiedereinrichtens. Dazu muß sie bereit sein.

Aber damit diese in ihrer Strenge ungeheuerliche Forde­rung auf den Schultern der schon so tief gebeugten Menschen nicht zu schwer werde, bedarf es vor allem der Kraft, die alles vermag, weil sie alles glaubt, alles hofft, alles duldet: es bedarf der Liebe. Nur sie, die nicht eifert, die das Böse nicht zurech­net, kann den über alles Verworrne, Häßliche und Halbe des Heute in die Zukunft hinübergespannten Bogen der Revolu­tion in seiner ernsten, fordernden Größe erkennen und ohne Haß und Verzweiflung sühnen lehren. Sie allein kann dem Heutigen den schärfsten Stachel nehmen, die brennenden Wunden mit heilendem Glauben verbinden und dem geängsteten Geschlecht den schmalen Weg weisen, auf dem es zwi­schen lauer Verstocktheit und verwüstendem Chaos fest und sicher hinübergeht zu einer bessern Welt.

Hier steht den Frauen der unmittelbarste Zugang zur Revo­lution offen. Nicht nur, weil die Liebe die Stelle ist, die der Krieg am tiefsten in ihnen verwundet hat – sondern auch, weil dies das Wort ist, auf das jede echte Frau wie auf das erste flam­mende Signal aus einer bessern Welt hört. Wenn die Frauen gewiß sein werden, daß die Revolution im Zeichen der Liebe steht, wird keine Frau sich von ihr ausschließen wollen. Aber es muß viel weiter kommen: es muß dahin kommen, daß die Frauen der Revolution nicht nur dienen wollen, weil und sofern sie im Zeichen der Liebe steht, sondern weil sie ihre eigene Liebe hineingeben, sie durch ihre Liebe erwärmen und zu sich selbst führen wollen. Dazu ist heute der Weg offen.

Die weitaus überwiegende Mehrzahl der deutschen Frauen ahnt freilich heute noch nicht, was ihnen mit der politischen Gleichberechtigung und durch sie werden soll: daß sie mit ihr nicht nur zu freien bewußten Menschen, sondern auch zu Men­schen ihrer eigensten Art erzogen werden sollen. Denn die glei­che Verantwortung für das öffentliche Leben soll ganz gewißnicht zu der so sehr gefürchteten Vermännlichung der Frauen führen; diese pflegt nur eine Art Mimikry tapferer einzelner Vorkämpferinnen in Zeiten zu sein, wo die Gleichberechtigung noch aussteht. Mit einer Vermännlichung der Frauen über­haupt ginge unserm Leben eine tiefe Kraftquelle verloren. Die Lahmlegung irgendeiner Kraft aber ist nie und nirgend Sinn und Absicht einer sozialistischen Bewegung – ganz im Gegen­teil ist es ihr Ziel, alle Kräfte lebendig zu sich zu entfalten, zu ih­rer äußersten Fruchtbarkeit zu steigern. Dies und nichts ande­res muß auch der Sinn der politischen Gleichberechtigung der Frauen sein. Was wir bedürfen, ist nicht eine bloße Vermeh­rung der Stimmen; es ist der Ausdruck eines bestimmten leben­digen Wollens, das bisher in unserm öffentlichen Leben fehlte.

Wie oft hatte man während des Krieges das – vielleicht damals noch täuschende – Gefühl: Hätten die Frauen in aller Welt Stimme gehabt, so hätten sie dies Unmenschliche verhindert. Und es schien einem, als müßten sich alle diese unterdrückten Stimmen zu einem gewaltigen, lang anhaltenden Schrei über die ganze Erde hin vereinigen. Dieser Schrei einer lebendig ausbrechenden Liebe, eines ins Herz getroffenen Menschen­tums fehlte bis heute in unserer Welt. Die Frauen waren stumme, willenlose Handlangerinnen des männlichen Willens. Jetzt aber gilt es, eine menschliche Welt zu schaffen und dazu auch die Frauen frei zu machen zu dem, was sie ihrem Wesen nach sind.

Gewiß als freie, verantwortungsvolle Seelen nichts anderes als was alle Menschen sind oder sein sollen. Aber dieselbe Freiheit wird in der Frau andere Kräfte freimachen als im Mann. Denn wenn ein letzter Wesensunterschied hier nicht aufgestellt werden kann, weil das Menschliche ein zutiefst Ge­meinsames ist, so tritt doch von diesem aus ein Vorletztes scharf auseinander. Man könnte es dem letzten identischen Gehalt gegenüber gleichsam einen Unterschied der Methode nennen. Die Frau wendet sich, ihr Leben anders an als der Mann. Wo der Mann sein Letztes stets irgendwie im Einzel­nen, Werkhaften, Formhaften und damit doch letzten Endes der Seele Äußeren festlegt, zieht die Frau das Letzte, auch wo sie durchaus überpersönlich fühlt und erlebt, immer tiefer in sich, in das unmittelbare, subjektive und ganze Menschentum hinein, kann es nur von hier aus, als aus seiner innersten Kraftquelle immer wieder erneuern und alles Einzelne allein an ihm begreifen. So ist sie innerlichst gezwungen, alles und jedes immer wieder am ursprünglich Menschlichen, an der Ganzheit ihres Lebens nachzuprüfen, umzuleben – und dies allein ist ihre spezifische weibliche Art von Schöpfertum.

Und ist es nicht dies vor allem andern, was unserer so unend­lich weit vom Menschentum entfernten Zeit nottut? Lange ge­nug hat das Licht des männlichen Wesens allein seine kühlen Strahlen in alle Einzelheiten und Ausläufer unseres Lebens ge­sandt; was wir jetzt vor allem andern brauchen, ist die lebendige Wärme eines unmittelbaren Lebens. Und wenn es der neuen Zeit gelingen wird, die Frau allmählich dazu zu erziehen, daß all die bisher so eng verschlossene Wärme ihres Wesens frei wird für den ganzen Umkreis des Gemeinschaftslebens – so wie sie es schon vielerorts für soziale Einzelaufgaben geworden war – dann wird ganz gewiß unser gesamtes Leben ein mensch­licheres Antlitz zeigen.

Dahin drängt alles. Wir sind so arm geworden an menschli­chen Werten, daß ein tiefes Frösteln durch die Welt geht. Wo­nach wir uns vor allem andern sehnen, das ist Menschlichkeit, Liebe, Glauben und damit im tiefsten, wundesten Winkel un­serer Herzen ein neues lebendiges religiöses Erleben. Aber hier liegt das dunkelste Problem und die allertiefste Not unserer Zeit. Gerade manche der besten Frauen scheuen auch vor der neuen Bewegung als einer religionsfeindlichen instinktiv zu­rück. Und es ist kein Zweifel, daß die sozialdemokratische Be­wegung das Religiöse im üblichen und vielleicht sogar zunächst in jedem Sinne gewaltsam von sich ausschließt. Einmal, weil sie überhaupt von allem nur Überkommenen, Festgeworde­nen, von allem, was nur noch Form, Name und Dekoration ist, befreien will, dann aber auch, weil sie als freie menschliche Tat selbst die Befreiung vom Himmel auf die Erde herabholen will.

Aber wo wäre auch etwas, an das sie noch lebendig anknüp­fen könnte? Lebten wir nicht ohnehin in einer tief irreligiösen Zeit? Wäre dieser grauenvolle Krieg, so wie er war, auf unserer Entwicklungsstufe überhaupt möglich gewesen, wenn nicht Gott und Christentum in unseren Seelen tief erstorben gewesen wären? Welche Kraft zum Göttlichen, zum ewig Menschlichen hielt diese Welt noch zusammen? Haben wir in dieser Zeit nicht den Heiland grauenvoll wie nur je gekreuzigt? Ist nicht sein blutüberströmtes Menschengesicht der eigentliche Ausdruck unserer Zeit? Eine gottleerere Welt ist nie gewesen, solange wir rückwärts schauen können. Und wenn nun, da wir wirklich neu werden wollen, die neue Zeit mit den Resten einer Halbreli­gion, die keine Kraft und Wahrheit mehr bewiesen hat, als mit einer gefahrvollen Lüge aufräumen will – wer wollte es ihr ver­denken?

Aber eine Hoffnung bleibt. Wie aus dem so lange und furchtbar geschändeten Menschentum jetzt von selbst der Mensch als die glühende Idee unserer Zeit herausspringt, so wird, wenn wir noch einmal wahrhaft lebendig werden kön­nen, auch die Tötung des Göttlichen gewaltsam ein neues Göttliches aus sich erzeugen. Denn Gott und Mensch gehören untrennbar zusammen, und das Auferstehen des einen wird auch die Auferstehung des andern sein.

Wenn es der neuen Zeit gelingen wird, das zu schaffen, was wir mit aller Inbrunst ersehnen: einen neuen Menschen, so wäre damit auch das religiöse Werk getan. Gewiß sind gerade wir von der Erfüllung dieser ewigen Aufgabe durch den tiefsten Abgrund getrennt. Aber nur aus gewaltigen Umwälzungen wurden stets die neuen Religionen geboren. Noch ungewiß der Kräfte, die sie wachrufen wird, wie jede noch so junge Bewe­gung, muß freilich auch diese durchaus zweifeln, ob so Gewal­tiges aus ihr hervorgehen könne. Aber die Grundlagen sind ge­geben. Sie sind es als die tatsächlichen Vorbedingungen durch die radikale Umwälzung, und sie sind es vor allem dadurch, daß mit dem Augenblick des Ausbruchs der Revolution ein rein Utopisches den Scheitel der Wirklichkeit berührt hat. Sollte nicht mit dieser bloßen Berührung schon unmittelbar ein bisher noch namenloses Religiöses in die Bewegung eingeströmt sein? Gerade wir Frauen sollten in ihr das Religiöse nicht vermissen; den wenn irgendwo, so ist dies sichtbar an der Geste, mit der die neue Zeit die Frau in sich empfängt. Zum ersten Mal wird un­ser Land nicht mehr allein die Stimme seiner Männer, es wird die Stimme seiner Menschen hören. Wenn wir uns den letzten menschlich –göttlichen Offenbarungen zuwenden und sehen, mit welchem brennenden Getroffensein, mit welcher namen­losen Liebe und Reue die von Christus zum ersten Mal rein als Menschen gewerteten Frauen zu seinen Füßen niedersinken, so muß uns klar werden, daß dies Geschenk ein religiöses, ja ein tief christliches Vermächtnis ist. Und von welcher nüchternen Klarheit es auch in unserer Zeit umgeben sein, wie kalt sein Name klingen mag – in dem Aufruf der Frauen zu allgemeinsa­men Aufgaben und Zielen: in der Versammlung aller Men­schen zum Menschentum lebt doch in jeder Form ein religiöser Sinn. Wir aber müssen sorgen, daß das unfaßlich kostbare Ge­schenk, das wir noch in ungeübten, zitternden Händen halten, in ihnen allmählich zu dem werde, was es zu sein bestimmt ist: zum Zeugnis unserer eigenen menschlichen Kraft.

➥ Zur Biographie: Franz Steiner

In: Selbstwehr, 4. Jahrgang, Ausgabe 15 vom 15.04.1910, S. 1f

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

In der jüdischen Presse ist seit dem Erscheinen des sensationellen Artikels des bekannten Nationalökonomen und Zionisten Franz Oppenheimers über „Nationalbewußtsein und Stammesbewußtsein“ in der „Welt“ vom 18. Februar ein lebhafter und bedeutungsvoller Meinungskampf über Ost- und Westjudentum entbrannt, an dem sich in erster Reihe die hervorragendsten Köpfe der jungjüdischen Bewegung beteiligen, ein frischer und ernster wissenschaftlicher Kampf, der – wie nicht anders zu erwarten stand – die vielfältigsten und verschiedenartigsten Anschauungen über Volkstum, Sprache, Rasse und Milieu, Kultur und Sitte, über Judentum und Zionismus zutage gefördert hat und noch lange kein Ende absehen läßt. Die Vorhersage Oppenheimers trifft ein: das Ventil ist geöffnet, der Ueberdruck im Kessel beginnt abzuströmen.

Dieses Abströmen fing – ein Beweis, wie stark der Ueberdruck – explosionsartig an. Die Wiener Zionisten – stets im Opponieren groß – begannen mit einem geharnischten Protest gegen Oppenheimer. Feiwel in Berlin rückte mit einer sehr gedankenreichen, tiefgrabenden, aber nicht unvoreingenommenen und vielfach die Grenzen der wissenschaftlichen Disputation überschreitenden Abhandlung als erster gegen Oppenheimer zu Felde. Bald aber meldeten sich andere zum Worte, die zustimmten und ergänzten und die Frage des unleugbaren Gegensatzes oder mindestens des tiefgreifenden Unterschiedes zwischen dem jüdischen Osten und Westen immer mehr ausweiteten, vertieften und durchdachten, so daß die Erörterungen, die offenbar einem akuten, tiefempfundenen Bedürfnis entgegenkamen, sich zu einer großen Literatur von Wert und Bedeutung ausgewachsen haben.

Es ist unmöglich, in dem bescheidenen Rahmen unseres Blattes auch nur auszugsweise den interessanten Inhalt dieser Gutachten wiederzugeben. Wir mußten uns vielmehr schon seinerzeit darauf beschränken, nur einige wenige Stellen aus dem Hauptartikel Oppenheimers, der die ganze Debatte geweckt, viele meinen: „heraufbeschworen“ hat, zu zitieren. Anderseits ist die Frage eine so tiefeinschneidende, aktuelle und wichtige, daß es nicht angeht, darüber schweigend hinwegzugehen. Es sind uns schon eine Anzahl Aeußerungen über die Ost- und Westjudenfrage zugekommen, die wir, teils weil sie unreif, teils weil sie dem Rahmen und Wesen des Blattes nicht entsprachen, nicht veröffentlichen konnten. Wir haben uns aber, vielfach geäußerten Wünschen entsprechend, entschlossen, ganz kurze, präzis und sachlich gehaltene Gutachten, die von Autoren aus Böhmen über diese Frage einlaufen, von Fall zu Fall zu publizieren, wobei wir uns aber wegen Platzmangel eventuelle sinngemäße Streichungen vorbehalten müssen.

Für heute beginnen wir mit folgendem Gutachten:

Nationalbewußtsein u. Volksbewußtsein

(Gekürzt.)

Die Begriffseinteilung, die Oppenheimer zwischen Stammes-, Volks-, National- und Kulturbewußtsein macht, scheint mir unzureichend, unklar, ja unzutreffend. Es macht den Eindruck, als ob hier in einer rein persönlichen, sozusagen einer Herzensangelegenheit den Wissenschaftler – man verzeihe – die Wissenschaft ein wenig im Stiche gelassen hätte oder als ob der Aufsatz in Eile und unausgegoren in Druck gegangen sei. Denn die Distinktionen entbehren fast durchweg der festen, klaren Umrissenheit und gleiten oft verschwommen ineinander über. Oppenheimer meinte das Richtige, aber er sagt es so, daß es Widerspruch erregen muß. So scheint mir, daß das Mißverständnis auf Oppenheimers Seite liegt, wenn er sagt: „Die meisten von uns (Westlern), die allermeisten, nennen sich Nationaljuden auf Grund eines Mißverständnisses.“ Trotzdem wir Juden zweifellos im Osten und Westen soziologisch ganz verschieden determiniert sind, sind wir doch ebenso zweifellos in Ost wie West nicht nur Stammesjuden, sondern – sofern wir eben zionistisch, d. h. noch oder wieder jüdischnational gesinnt sind – auch Nationaljuden, wenn dieses Nationaljudentum auch mehr Nationalbewußtsein als ursprüngliches, instinktives Nationalgefühl ist.

Es geht nicht an, Stammesbewußtsein und Volksbewußtsein in einen solchen Gegensatz zu bringen, wie es Oppenheimer tut. Diese Distinktion, diese Gegensätzlichkeit ist eine erdachte, keine wirklich bestehende, ebenso wie sich Nationalbewußtsein nicht in Volks- und Kulturbewußtsein spalten läßt. Das, was Oppenheimer unter Stammesbewußtsein zusammenfaßt – „gemeinsame Abstammung, gemeinsames Blut, (ehemalig) gemeinsames Volkstum, gemeinsame Geschichte“ – ist schon auch Volksbewußtsein und Nationalbewußtsein, und das, was er unter Volksbewußtsein und Nationalbewußtsein verstanden wissen will – „Gemeinsamkeit der Sprache, der Sitte, der Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen usw. und der geistigen Kultur“ – d. h. die gegenwärtige physische und psychologische Struktur des Volkes gehört insgesamt – sogar die Sprache läßt sich hier miteinbeziehen – unter den Begriff der Kultur. Nicht das Volksbewußtsein ist die psychische Wiederspiegelung des Milieus, sondern das Kulturbewußtsein, und nicht in der Verschiedenartigkeit des Nationalbewußtseins liegt der Unterschied zwischen Ost und West – das Nationalbewußtsein ist sogar im Westen, weil bewußter, auch betonter und ausgeprägter – sondern lediglich in der Kulturhöhe, und daraus braucht durchaus weder eine Anmaßung noch ein Hochmut des Westens dem Osten gegenüber deduziert werden.

Die Kulturhöhe allein ist das entscheidende Moment der Distinktion zwischen östlichem und westlichem Judentum und alle Beispiele, die Oppenheimer bringt, illustrieren durchgehends nur, daß Nationalbewußtsein und Kulturbewußtsein zwei verschiedene Dinge sind. Und hier muß man Oppenheimer vollkommen beipflichten: „Wir (Westler) können nicht Kulturjuden sein, denn die jüdische Kultur, wie sie aus den Ghetti des Ostens aus dem Mittelalter herübergerettet worden ist, steht unendlich tief unter der neuzeitlichen Kultur, deren Träger Deutsche, Franzosen, Engländer, Amerikaner usw. sind.“ Und wir sind tatsächlich zu 95% oder mindestens zu 75% aus westeuro- päischen Kulturelementen zusammengesetzt.

Das ist – so schmerzlich sie auch vielen klingen mag – eine Tatsache, und so sehr auch die Jargonliteratur geschätzt und bewundert werden mag, so sehr auch die Anfänge einer neuhebräi- schen Kultur und Literatur begrüßt werden müssen, wir modernen Westjuden können – von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen – nicht mehr Kulturjuden sein, weil wir die hebräische Sprache, die hebräische Kultur nicht mehr in uns aufnehmen können oder nicht wollen. Uns ist die deutsche, französische Kultur usw. verwandter, näher geworden als die ostjüdische. Das gilt ebenso von Herzl, Nordau und – Oppenheimer, wie es für die überwiegende Majorität der Westler überhaupt gilt, und man müßte, wenn man Oppenheimer deswegen verdammen und als Nichtzionisten verschreien wollte, dann auch Herzl einen Nichtzionisten nennen, denn er war Kulturdeutscher. Aber so wie Herzl sich dagegen verwahrt hätte, nicht Nationaljude zu heißen, nicht jüdisches Volksbewußtsein gehabt zu haben, so beruht es meines Erachtens auf einem Mißverständnisse Oppenheimers, wenn er wegen seines deutschen Kulturbewußtseins sein jüdisches Nationalbewußtsein bezweifelt.

Ich möchte ein Beispiel anführen, ein recht triviales, aber darum um so schärfer in die Augen springendes, das, glaube ich, das ganze Verhältnis des Westens wie des Ostens zum jüdischen Volke und zum Zionismus charakterisiert: Der Jude des Westens ist der „aus der Art geschlagene“, d.h. aus der Enge des Vaterhauses in die Welt verschlagene Sohn des jüdischen Volkes, von der Familie schon als verloren geglaubt, anders in Art und Sitte, Sprache und Kleidung, als Eltern und Geschwister daheim, aber doch der echte, legitime Sohn. Und nun kehrt er als Zionist in sein Vaterhaus zurück, und siehe da: er ist nicht „verloren“, er verleugnet trotz seines besseren Gewandes seine Eltern nicht, nicht seine Brüder, sondern fühlt sich eines Sinnes mit ihnen vermöge des Stammes, des Blutes, der Rasse, der Nationalität nach, nur nicht der Kultur nach. Denn er kann unmöglich eine höhere Kultur, die er sich oft mühsam erworben hat, einer niederen oder erst in der Entwicklung begriffenen zuliebe aufgeben. Er fühlt sich eins nicht aus Gnade, nicht aus Rachmonith, nicht aus Mizweh, sondern auch tiefster Ueberzeugung und innerster Liebe zu seinem Blute, und weil er liebt, will er die Seinen befreien, ihnen helfen, sie in eine neue Kultur hinüberführen. Das ist der Standpunkt der westlichen Zionisten, und wahrhaftig – es ist nicht der schlechtere, minderwertige, es ist ganzer, nicht verwässerter, nicht Wohltätigkeitszionismus, sondern Zionismus aus Liebe und Treue.

Die Liebe zum jüdischen Volke eint Ost und West, und in dieser Hinsicht gibt es keinen zweifachen Zionismus und keine verschiedenen Standpunkte.

Und wieder hat Oppenheimer recht, wenn er sagt: „Nicht in der Diaspora, erst in Palästina kann und wird eine neue jüdische, vollwertige Kultur aufblühen und erst in Palästina kann der Westjude wieder Kulturjude werden, er oder, besser gesagt: sein Enkelkind.“ Daran glauben wir alle, Ost und West, an die jüdische Renaissance in Palästina, und wir glauben, daß es dann auch wieder eine Sprache geben wird: sie heißt hebräisch.

Und hier erst kann wieder von einer „Mission“ die Rede sein und hier können wir dann auch dem Mystiker Buber folgen, der den Sinn des Judentums nicht in der Vergangenheit sucht, sondern in der Zukunft, im jüdischen Palästina. Dort kann vielleicht der neue Messias erstehen – für die ganze Welt.

 

 

Zur Biographie: Mirjam Scheuer

In: Selbstwehr, 20. Jahrgang, Ausgabe 13-14 vom 29.03.1926, S. 13

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Die Schierigkeit, das Wesen des radikalen Zionismus darzulegen, ist identisch mit der Schwierigkeit, der zionistischen Ideologie das Supremat in unserer heutigen Arbeit zu sichern. Diese Schwierigkeit ist sehr groß, da die Behauptung, daß die zionistische Ideologie dieses Supremat verloren habe, als nicht diskutabel, fast als eine Beleidigung der Organisation empfunden wird. Während sich der Majoritätszionist ohne weitere Empfindlichkeit von seiner Leitung im Ijaraufruf sagen läßt, er müsse „in seinem Herzen begreifen lernen, was der Zionismus bedeute – und daß es keinen Ersatz für Zionismus und keine Abschwächung seiner Wahrheiten geben kann“, empfindet er die gleiche Feststellung im Programme der Radikalen als eine ungeheuerliche Verdächtigung. Deshalb greift er dort, wo der radikale Zionismus in Erscheinung tritt, – beim Kampfe gegen die Politik der Leitung, beim Kampfe um die Souveränität des Kongresses, beim Kampfe um das Jewish Agency-Projekt, – diese zufälligen Anlässe heraus, um den radikalen Zionismus damit zu motivieren. Er will nicht begreifen, daß diese alle nur zufällige, wenn auch bedeutungsvolle, verhängnisvolle Anlässe sind, an denen sich die Einstellung des radikalen Zionismus manifestiert: daß dieser selbst aber nicht Opposition gegen „Personen“ oder gegen ein Projekt bedeutet, sondern eine prinzipielle Anschauung ist, die keinen aktuellen Ursprung aus politischen Ereignissen nahm, sondern tief und wesentlich die zionistische Existenz aller ihrer Anhänger kennzeichnet. Der radikale Zionismus ist die Forderung nach dem unbedingten Supremat der zionistischen Ideologie innerhalb der zionistischen Bewegung; das ist keine neue und keine sensationelle Forderung. Sie wurde es erst dadurch, daß der Majoritätszionismus sich neben der theoretischen Anerkennung des ideologischen Supremats ein Aktionsprogramm anfertigte, das die weitesten Abweichungen von der Theorie gestattete. Dieses Aktionsprogramm, nach dessen Weisungen die Organisation geführt wird, machte die Bewegung zu einer Kette zusammenhangloser Ereignisse, zerlegte sie in einzelne Phasen, die jeweils von den Forderungen des Augenblicks und dem Streben nach dem Augenblickserfolgt geformt waren. Sie raubte ihnen die Kontinuität, die aus der Reihe aufeinanderfolgender Schritte die einheitliche Bewegung schafft: diese Kontinuität ist die Ideologie. Da sie fehlte, wurden die einzelnen Effekte unter dem einzigen Ziel größtmöglichsten Erfolges im Augenblick angestrebt; und wo immer dies das einzige Ziel ist, ist der einzige Weg dazu das Kompromiß, das alles um des Erfolges willen zu geben bereit ist. Die Organisation hatte nur einen Besitz zu vergeben: ihre Ideologie. Diese mußte, wo immer ein Kompromiß geschlossen wurde, zum Opfer gebracht werden; und sie wurde zum Opfer gebracht. Wie schrankenlos diese Kompromißbereitschaft war, zeigte sich in der Frage der Jewish Agency.

Da die Kontinuität der Arbeitsepisoden fehlte, mußte jede dieser Episoden sich vollziehen, als wäre sie allein vorhanden: mit Beanspruchung aller Kräfte. So sahen und sehen wir bei jeder zionistischen Aktion Befehl zur Anspannung aller Kräfte, die Vorstellung, daß es heute und nur heute um alles ginge, – der Zustand einer perpetuellen Krisis, in die keine Kraft von gestern kam und keine für morgen aufbehalten wurde, in der alles nur dem Heute galt.

Der radikale Zionismus hat kein realpolitisches Aktionsprogramm neben seinem prinzipiellen Programme. Er hat nur das eine Programm, die unverletzliche zionistische Ideologie als einziger Motor aller zionistischen Arbeit. Deshalb gibt es für ihn kein Kompromiß, denn Ideologie und Kompromiß sind antagonistische Begriffe. Ideologie ist essentiell Unbedingtheit; Kompromiß bedeutet Bedingtheit. Das eine ist der Tod des anderen.

Wo immer der radikale Zionismus praktisch erscheint, muß er demnach dem Wesen des heutigen Majoritätszionismus entgegengesetzt sein. Da er nichts mehr und nichts anderes als das Phänomen des Zionismus darstellt, gelingt es dem Beschauer, der gewohnt ist, sich alle Zionisten unter bestimmten Ettiketten zu einer Art Kongreßpanorama zu gruppieren, wo er sich von links nach rechts und in allen Farbennuancen des Zentrums von tiefschwarz bis stagelgrün leicht zu orientieren vermag, nicht, den Radikalen zu placieren. So glaubt er in ihm einen gelegentlichen Oppositionellen ad hoc, zur Jewish Agency und derlei, zu verstehen und begreift nicht, daß es nicht die Anlässe, daß es der Geist ist, welcher die Anlässe der Jewish Agency und derlei geschaffen hat, gegen den es hier geht.

Der radikale Zionismus ist keine Fraktion. Er hat kein ephemeres Kongreßmotiv und kein Separatsprogramm. Er ist die sichtbar gewordene gewaltige Strömung, die ehedem in der Organisation universell war und heute auf einen kleinen Teil der Organisation beschränkt ist, morgen aber wieder universell sein wird: der unbedingte, kompromißlose herzliche Zionismus.

Zur Biographie: Mirjam Scheuer

In: Selbstwehr, 19. Jahrgang, Ausgabe 9 vom 27.02.1925, S. 2f

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Sokolow, der soeben seine Reise beendet, die nach den Triumphzügen Ussischkins und Weizmanns als die dritte Heerschau der letzten Monate über das aktionsbereite Judentum Europas gelten kann, – Sokolow schrieb eine Novelle „Der neue Jude“, die der Wiener Renaissanceverlag jetzt als Büchlein erscheinen läßt. Sie enthält den Werdegang eines Bochers, der tiefreligiös und von genialer Begabung, von allen Formeln politischer und ethischer Gegenwartsfragen unangefochten, zur Erkenntnis gelangt, daß „Jude sein“ wahre Religion wie wahre Volksarbeit in sich schließt und sein Leben als „persönlicher Zionist“ in Palästina aufbaut. Diese kleine Novelle enthält im Kerne all das, was Stärke und Schwäche der gegenwärtigen jüdischen Erzählung ausmacht, die seit der Umwandlung und Verkörperung des jüdischen Volksgedankens nur noch einen Gedanken hat: Das Leben des Juden, wie es ist, wie es war, sein sollte, sein wird. Die Sorge, die sich in diesen ständig variierten Themen äußert, ist recht sonderbar: einerseits erscheint sie geradezu wissenschaftlich bemüht, das Heute für die Kultushistorie des späteren. besseren Volkes aufbewahren zu wollen, andererseits ist sie oft tendenziös, eine Erweckungs- und Einkehrlektüre, die von rechtswegen durch eine Mission herausgegeben werden müßte.

Es ist das kein künstlerischer Fehler, aber ein besinnlicher. Die Literatur darf Prophet und Tyrtaeus sein, es ist ihre Pflicht, den Gefühlen der Gesamtheit einen höheren Ausdruck zu geben, sofern dieser ein persönlicher ist (nur dann ist er ein höherer). Und sie darf und muß nur das schildern, was sie sieht. Aber das Sonderbare ist, daß diese Literatur eben nur den Juden sieht, immer wieder ihn, die Anderen nur als seine äußeren Bedingtheiten, ohne daß sie ihr ein eigenes Interesse erwecken könnten. Das ist die Weiterentwicklung unseres Intellekts: beim ersten Auszug nahm man die Schätze der andern mit, so viel man von ihnen erraffen konnte. Beim zweiten Auszug trennte man sich von ihnen durch eine sorgfältige Zwischenschicht. „Rückkehr ins Judentum?“ Rückassimilierung an einen Begriff, der uns ebenso fremd ist, wie es uns der der Wüste war, an den wir uns zuerst assimilierten. Rückassimilation an sich selbst und als vorsichtige Zwischenschicht zwischen dem Gestern, das der Jude unter Fremden erlebte, und dem Morgen, das er unter Juden erleben soll, wird das Heute als eine Isolation, wo er sich beschauend mit sich allein ist, eingeschaltet. (Dieser Einstellung ermangelt nur jene Literatur, der die Vorbedingung der Assimilation des Gestern fehlt, die eine jüdische Vergangenheit hat: die der Ostjuden. Aber von der ist hier nicht die Rede.)

Wenn der Jude (des Westens) sich als Jude fühlen werde, so müßte er nicht eben an dem heutigen Zeitpunkte sich selbst erforschen, abschildern und moralisieren. Das Gegenteil wäre der Fall, ein letztes dankbares und inniges Beschäftigen mit den Anderen, denen er, ob räumlich oder geistig, morgen schon entfremdet sein wird. Ein letztes Zusammenfassen, Erfassen der Güter, mit denen er zum letzten Male so vertraut ist, so wie man aus einer schönen fremden Landschaft sich Andenken mit nach Hause nimmt. Aber der Jude ist seiner selbst nicht sicher. Solch letzte Steigerung dessen, was er bisher genoß, wäre eine Gefahr, sich aufs neue zu verlieren. Und dann ist das Eigene noch gar nicht erfaßt. Dieses Heute ist der Augenblick, wo das Fremde schon losgelassen, das Eigene noch nicht ergriffen wird. Und so faßt er mit beiden Händen danach.

Die Gegenwart des Juden wird mit einer fast feindseligen Objektivität in Lacretelles „Silbermann“ dargestellt. Der hochgesinnte junge Arier, der sich des Juden annimmt, weil er dessen geistige Ueberlegenheit im gleichem Maße bewundert, wie dessen bedrängte Lage seine ritterlichen Instinkte entflammt, fällt von dem Juden ab, durch die schäbigsten und menschlichsten Nöte getrieben. Das Buch schildert beide Jünglinge, den einen als Menschen, den andern als Rassetypus mit gleicher künstlerischer Sorgfalt. Der Jude nimmt allen geistigen Besitz der anderen in einer nachschöpferischen Weise auf (die, sehr gut geschildert, ein Zwischending zwischen Produktion und Reproduktion darstellt), ist tapfer, verbissen, prahlerisch und berechnend, erhebt den anderen auf den Fittig seiner erborgten Fähigkeit zur Höhe – das alles, dieses Spiel und Widerspiel, zeigt mehrmals den Juden allein, zeigt weniger ihn im Verhältnis zu seiner Umgebung, als seine Umgebung im Verhältnis zu ihm. Diese schonungslose Novelle ist sehr schön. Sie stellt schon einen höheren Grad der Selbstbetrachtung dar, jenen, der sich den andern zum Maßstab nimmt, nicht um zu dem optimistischen Schluß zu kommen, daß jener wenigstens nicht besser ist, sondern zu dem realistischen, daß sie „beide elend sind.“

Aber sonst ist für unsere Literatur dieser Zeit die Sehnsucht nach der positiven, nicht nach der objektiven Selbsterkenntnis typisch. Man sucht den Helden im Juden, den Helden, der nach Carlyles Definition den ritterlichen und persönlichen Wert in gleich ungewöhnlichem Maße besitzt. Daraus resultiert die Schilderung heroischer Judenkämpfe, die, so wie seinerzeit im Buche „Jiskor“ ziemlich lesebuchhaft in dem Büchlein Poljekins „Helden und Kämpfer“ (Renaissanceverlag) dargestellt wird. Es ist der Fehler unserer Sehnsucht, daß wir solche Schriften, seien sie literarisch auch noch so belanglos, nicht ohne Ergriffenheit lesen können. Wenn wir diesen Fehler überwinden, so sehen wir, wie wir uns selbst ins Romantische zu verlocken trachten, wie der Kampf des Morgen mit dem Zauberschleier der Aventiure verhüllt wird, um die Abenteurer- und die Heldenlust zu entfachen. Das ist die Art eines Volkes, das seine „Wiedergeburt“ so wörtlich nimmt, daß es sich jetzt in den Gymnasiastenjahren glaubt und an die edle Tatenlust der Halbwüchsigen appelliert. Aber Kunst ist es nicht. Aufrufe und Angelegenheiten der Flugblätter und Zeitungen. Literatur gibt das Gefühl des Einzelnen nur dann wieder, wenn es sein persönliches Gefühl ist. Tendenziöse Literatur muß sich in Acht nehmen, sonst kommt sie auf den Hund oder gar auf den Judenfresser Bartels, der neulich (in seinem „Deutsches Schrifttum“) seine „Deutschvölkischen Gedichte“ so charakterisierte: „Daß meine Sammlung dichterisch nicht mit Arndt und Dingelstedt zu vergleichen ist, weiß ich selbst genau, aber es gibt keine zweite, die die Entwicklung von 1923–24 so deutlich spiegelt …“

Ohne im Entferntesten zu glauben, daß jemals ein jüdischer Schriftsteller sich auf dem Niveau Bartelsscher „Gedichte“ befinden könnte, muß man doch vor der Gefahr warnen, die Entwicklung widerspiegeln zu wollen. Morgenröte ist kein kontinuierlicher Zustand; sie hat vorüberzugehen, um das volle Tageslicht auf die Dinge fallen zu lassen. Etwa so, wie das in Gronemanns beiden Büchern geschah, in „Tohuwabohu“, das die Erlebnisse der Juden, in „Hawdoloh und Zapfenstreich“, das die Erlebnisse des Juden darstellte, – nein, nicht darstellte, sondern bemerkte, mit jener scharfen und geistvollen, nachdenklichen und überlegenen Genialität, die die des Epigrammatikers ist.

Dort, wo unsere Literatur nicht auf das individuelle Empfinden zurückgeht, sondern wo der dichtende Mensch nur dichtender Jude ist, gibt es nur zwei reine Quellen der Kunst: vorerst den Osten. Nicht derart wie in Bernhards interessantem Schauspiel „Jagd Gottes“ (Volksbühnenverlag, Berlin), das einen, wie mir scheint, völlig westlichen Konflikt (den „Vaterkomplex“) ins Milieu einer ostjüdischen Gemeinde transponiert und damit, anscheinend absichtlich, nichts als eine ungeheure Verwirrung zustande bringt. Sondern jenes Ostjudentum, das Buber vermittelt und die Uebersetzungen jüdischer und hebräischer Dichtungen, um dessen Material sich Eliasberg bemühte und dessen Volkslieder Nadel und Kaufmann uns brachten (das größere Sammelwerk ostjüdischer Lieder von Günzburg und Marek, Petersburg 1901, ist leider dem deutschen Leser noch nicht leicht zugänglich).

Und als zweites die Forderung jüdischer Dichtung und Betrachtung auf anderen Zeiten, so wie dies dem „Weltverlag“ jetzt mit der Heraushabe der Confessio judaica Heines gelingt. (Die allerdings Eulen nach Athen trägt, denn welche Zeilen von Heinescher Hand gibt es, in der er sich nicht, nolens volens, als Jude bekannt hätte): oder die Nachdichtung biblischer Lyrik, wie sie in einem prächtigen Deutsch durch Manfred Sturman vollbracht wurde („Althebr. Lyrik“, Allgem. Verlagsanstalt, München).

Alles dieses und nur dieses ist jüdische Literatur, weil es Kunst ist, die selbstverständlich und aussichtslos jüdisch ist. Dort, wo die Absicht zum Jüdischen besteht, mag das Jüdische zustandekommen, nicht aber die Literatur.

➥ Zur Biographie: Max I. Salzberg

In: Selbstwehr, 4. Jahrgang, Ausgabe 46 vom 18.11.1910, S. 1ff

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Es war an einem Donnerstag nach dem Markte. Die Bauern und die Händler, die sich den ganzen Tag zwischen den beladenen Wagen, Buden, Tieren und den mannigfaltigsten Waren rufend, schreiend, herumgetummelt hatten, zogen sich zurück. Mit ihnen verschwand auch der Lärm und nur der schwere, stickende Geruch, der aus den verödeten, schmutzigen Gassen aufstieg, verriet noch vom Leben und Treiben des Tages.

Es schlug Mitternacht; die trüben Petroleumlaternen wurden ausgelöscht und das Städtchen R. verschwand in der Dunkelheit. Die Knarren der Nachtwächter hallten in der Dunkelheit.

Nur bei David, dem Schneider, war noch Licht. Auf dem breiten Arbeitstisch, zwischen den Geräten, brannte die niedrige Blechlampe, die man noch häufig in Russisch-Polen sieht. Der bauchige Zylinder war stark eingeräuchert und oben ausgebrochen; darüber hing ein Stück gelbes Papier, das als Schirm diente.

Der greise Schneider saß gebückt über einer grauen Bauernkutte und nähte. Auf dem Kopfe trug er ein kleines Käppchen; seine in Eisendraht eingefaßte Brille, an einer Seite mit einem Bindfaden am Ohr befestigt, war bis zur Nasenspitze heruntergerutscht.

Es geschah oft genug, daß der alte David die Nacht von Donnerstag auf Freitag durcharbeitete. Doch diesmal schien er aus einem anderen Grunde zu wachen, denn langsam stach die Nadel in die graue Leinwand. Zuweilen legte er sogar die Arbeit in den Schoß, nahm das aufgeschlagene Psalmbuch, das neben ihm lag und überflog einige Seiten, mit den Augen diesmal über die Gläser hinwegschauend. Doch auch dabei blieb er nicht lange. Unwillkürlich, während seine Lippen langsam die heiligen Worte sprachen, richtete er seinen Blick nach dem kleinen Fenster und seine Gedanken wagten sich weit in die Dunkelheit hinaus. Sie irrten in unbekannte Gegenden, suchten und forschten, als verfolgten sie jemanden, bis ihn ein tiefer Seufzer aus seiner eigenen Brust aufweckte; dann setzte er das Nähen wieder fort.

Auch seine Frau, Lea, wachte. Sie saß auf der Bank neben dem Ofen und putzte eifrig die Messingleuchter, als ob sie heute gar nicht von sechs Uhr morgens bis zum Abend auf dem Markte gewesen wäre.

Eine Unruhe schien den ganzen Raum zu durchzittern. Die neue, weiße Gardine, welche die Stube in der Mitte teilte, das blitzernde Kupfergeschirr auf dem Regal vereinigten sich mit der Flamme der Lampe und füllten den Raum mit einem eigentümlichen, weichen, unbestimmten Lichte, in dem alles sein gewöhnliches Aussehen vertauscht in ein edleres, feierliches. Der Kater, der zusammengerollt auf dem Ofen schlief, fuhr zuweilen auf, sah sich um und sprang dann mit einem Satz auf den Boden; dort blieb er stehen, schaute nach der Tür und auf seinen Herrn, miaute und kletterte dann zurück auf seinen Platz.

So verstrich die halbe Nacht, ohne daß die beiden Alten ein Wort miteinander sprachen, und doch beschäftigte beide derselbe Gedanke. Beide bebten in derselben Ungeduld, beider Herzen begannen schneller zu schlagen, sobald sich das mindeste Geräusch hören ließ.

Sie erwarten ihren Jüngsten. Ein paar Tage vorher war ein Brief aus Berlin gekommen, in welchem Abraham mitteilte, daß er sein Studium beendet hätte und daß er zum Sonnabend nach R. kommen würde, um seine Eltern zu besuchen.

Der Apotheker, zu dem man den Brief hingetragen hatte, damit er die deutschen Wörter, die oben auf dem Briefbogen gedruckt waren, vorlese, sagte: Abraham sei ein Doktor, und dieses Wort machte die Armen Eltern schwindlig. Freilich, fügte der Apotheker noch das Wort „der Philosophie“ hinzu; sie verstanden ihn aber nicht, und was sollten sie auch damit. Ihr Kind ein Doktor! Mit Stolz sahen sie schon im Geiste, wie alle Kranken ihres Städtchens sich drängten; jeder will schneller an ihren Sohn herankommen und jeder segnet ihn laut und überschüttet auch sie mit tausend Wünschen.

David, der einst gehofft hatte, in seinen Sohn einen großen Rabbiner zu sehen, und der bisher noch immer einen Groll gegen ihn gehegt, weil er das Talmudstudium verlassen hatte, verzieh ihm jetzt und wartete ungeduldig, ihn endlich wieder in seine Arme schließen zu können.

Endlich, bei Anbruch des Tages, hielt ein Wagen vor der Tür. Abraham war bei seinen Eltern.

*

Davids Gesicht verfinsterte sich, als er vernahm, daß Abraham kein Mediziner sei. Die Mitteilung zerstörte nicht nur seine Illusion, den Sohn als Mittelpunkt nicht nur seine Illusion, den Sohn als Mittelpunkt aller Segenswünsche der Kranken zu sehen, sondern sie erweckte auch in ihm Zweifel und Sorgen. In der Nähe seines Kinder jedoch gelang es ihm, sie zeitweilig zu vergessen.

Die alte Lea war auch anfänglich betroffen, als sie erfahren hatte, daß ihr Sohn keine Kranken behandelte. Sie beruhigte sich jedoch bald. Sie sah ihr Kind in ihrem Hause und mehr brauchte sie nicht. Sie hörte ja wieder nach so langer Zeit den Namen „Mutter“, und begann ihr Atem zu stocken und ihre Lippen flüsterten leise: „Mein Kind, mein Kind!“ Und jedesmal, wenn dieses Wort an ihr Ohr klang, während er am breiten, weißgedeckten Tisch saß und in ein Buch vertieft war, schaute sie von der Küche aus so liebevoll, so innig auf ihn, bis Tränen in ihre Augen traten. Sie hatte nur einen einzigen Gedanken: ihren Abraham. Die Zeit schien ihr ungewöhnlich schnell zu gehen. Früher pflegte sie manchmal das Schlagen der Uhr zu überhören, doch jetzt vernahm sie jedes Ticken und beklagte jede Minute, die verging, denn mit Angst sah sie den Dienstag sich nähern, an dem Abraham abfahren wollte.

David war durch seinen Gast nicht weniger beglückt, aber die Zweifel an der Zukunft seines Kindes verstörten ihm die Freude. Abraham hatte sich mit ihm freilich deutlich darüber ausgesprochen; allein er hatte nicht alles begriffen. Gern hätte er manche Frage gestellt, aber er fürchtete, es könnte seinem Sohne wehtun, falls auch er solche Zweifel hegte.

Abraham hatte erzählt, er sei an einer sehr bedeutenden Zeitschrift als Kunstkritiker angestellt und verdiene soviel, daß er auch seine Eltern unterstützen könne. Kunstkritiker sein, sagte er, hieße Bilder und andere Kunstwerke beurteilen.

Ueber dies alles grübelte David nach, während er, wie gewöhnlich an freien Tagen, vor einem Psalm= oder Mischnahbuch saß. Er beurteilt Bilder und andere Kunstwerke für die Zeitung! Sein Geist blieb bei dem Wort „Bilder“ haften, dies begriff er. In R. gibt es auch Bilder zu verkaufen. Dieser Begriff ruft immer etwas Fremdes, Kaltes in ihm hervor. Er sah sie oft im Vorübergehen in dem Schaufenster des nichtjüdischen Buchhändlers. Darunter befanden sich aber auch solche, die von der christlichen Religionsgeschichte handelten, und er wandte den Blick ab, wenn er unwillkürlich dahingeschaut hatte. Und Abraham beurteilt Bilder! Mitleid mit seinem Kinde zerriß ihm das Herz. Dazu mußte er soviel lernen, soviel studieren! Und wie kann eine solche Beschäftigung wohl einträglich sein? Der Buchhändler handelt ja mit Bildern, besitzt so viele und ist dennoch so arm, daß er immer noch für den Rock schuldet, den er ihm gemacht hat.

*


Es war einer der heißen Frühherbsttage, an dem die schon entkräftete Natur eine Schwäche

empfinden läßt, als könnte sie die glühenden Sonnenstrahlen nicht mehr ertragen. Man glaubt, daß die drückende Hitze nicht auf allem lastet, sondern daß die Sonne aus dem Innern alles Wesens herausglüht und allem einen müden, leidenden Ausdruck verleiht. Die lehmige Landstraße erscheint wie ein kupferner heißer Kessel, wie von innen erhitzt auch der gelbgebrannte Rasen, und aus dem kränklichen, schon blassen Grün der Bäume schauen die einzelnen gelben Blätter wie müde gequälte Augen.

In einem Bauernwagen, gebettet auf frischem Heu, fuhren die drei bis zum Njemen. Dann nahmen sie den Dampfer nach dem nächstliegenden Dorfe, wo Abraham die Eltern eines Freundes besuchen wollte.

Als sie auf dem Rückwege den Dampfer verließen, war die Sonne schon im Sinken. Schweigsam gingen sie heimwärts am Strom entlang, und da sie an einen Wald gelangten, der sich unmittelbar am Ufer erhob, ließen sie sich auf das Moos nieder, um ein wenig zu ruhen.

Kein Windhauch regte sich und doch erfüllte die Luft eine feuchte Kühle und erfrischte die ermattete Natur. Der Njemen floß ruhig dahin und schien bewegungslos, glatt wie ein Spiegel, nur in der Ferne hörte man ein schwaches Gemurmel. Und während er röter und glühender wurde, je näher er den Flammen im Westen kam, kroch eine schwache Dunkelheit langsam von Osten heran, die Glut immer dämpfend; sie vereinigte sich mit dem Dunkel, das zwischen den Bäumen hervorquoll, und breitete sich über den Boden aus, immer höher, immer dichter, die Stämme allmählich verschlingend. Die Berge in der Ferne wechselten ihre Purpurkappen in graue und traten schärfer am noch erleuchteten Himmel hervor.

Der friedliche Abschied des Tages weckte in dem alten Schneider ein bisher nicht gekanntes Gefühl. Zuerst hatte die ungewohnte Umgebung etwas Entfremdendes für ihn, als ob sie sich fern von seiner Empfindung halten wollte, und es war ihm zumute, wie einem Bettler in einem geschmückten Saal zwischen geputzten, ihm unbekannten Gästen. Doch allmählich kam alles in der Dämmerung seinem Gemüte näher und er fühlte auf einmal sein ganzes Wesen harmonisch mit der Natur vereint: alles war ihm lieb, alles war ihm teuer.

Die schweren Gedanken und Sorgen, die er wie eine zusammengeballte Last auf seinem Herzen fühlte, lösten sich auseinander. Sie schwebten nur noch vor seinem Geiste, aber sie quälten ihn nicht; er atmete leicht und frei. Ein Schauer durchströmte ihn und es war ihm feierlich zumute, wie am Jomkippurabend in der hellerleuchteten Synagoge.

Sein Geist blieb jedoch nicht lange bei der Wirklichkeit. Aus verworrenen Vorstellungen tauchte eine enge Dachstube auf, mit nackten Wänden; in der Mitte nur ein halb zerbrochener Tisch, darauf eine brennende Kerze. Sie beleuchtete das blasse, halb verhungerte Gesicht seines Abraham, das einem dicken, deutsch geschriebenen Buche zugewandt war.

Er erschrak über dieses Bild, fuhr auf und wandte sich schnell seinem Sohne zu, der sinnend zwischen ihm und seiner Frau saß. Sein Herz preßte sich zusammen, er fühlte, wie seine Augen heiß wurden, als müßte er weinen. Mit seiner zitternden, mageren Hand ergriff er die seines Kindes und drückte sie innig.

Abraham spürte die innere Erregung seines Vaters und empfand, daß dieser Moment geeignet sei, mit ihm über seinen Beruf zu sprechen.

„Vater,“ sagte er, „hast du mich in dieser Stunde lieber als sonst?“
„Ja, mein Kind, mein Herz ist übervoll.“
„Siehst du, Vater, so wirkt die Natur. In ihrer Nähe werden alle unsere Empfindungen groß und

mächtig, daß wir hinauswachsen über uns selbst, sogar über unsere Leiden. Wir alle brauchen die Natur, wir alle empfinden sie, bewußt oder unbewußt.“

„Mein Kind, du hast mich mit deinem Besuch glücklich gemacht, aber wenn ich an deinen Beruf, an deine Zukunft denke … Nach so langem Studieren und Leiden wollte ich, daß du der Welt nützest, daß man dich nötig hätte.“

„Ich habe ja einen sehr guten Beruf, ich bin Kunstkritiker, wie ich es dir schon erzählt habe. Es ist wahr, daß nicht alle Menschen die Kunst brauchen, aber viele haben sie nötig wie die Natur selbst; sie ist ihrer Seele so wichtig, wie dem kranken Körper die Medizin. Vielleicht würdest du es verstehen, wenn ich dir ein solches Kunstwerk zeigen könnte. Fremd war dir auch die Natur und doch fühlst du jetzt, wie sie dich verändert und beglückt.“

David verstand auch jetzt nicht alles, was sein Sohn ihm sagte, doch heute empfand er eine Wahrheit, die er zwar nicht ganz begriff, von der aber sein Sohn überzeugt war.

Unterdessen war der Abend ganz herausgebrochen und löste alles in sich auf. Nur auf der Wasserfläche zitterte der Mond und bei dem matten Scheine las Abraham ein Zugeständnis und eine Beruhigung in den leuchtenden Blicken seines Vaters.

Ein leichter Wind rauschte durch die Bäume und brachte von ferne eine kräftige Stimme mit sich. Es war der Bauer, der mit dem Wagen sie abzuholen kam. (Isr. Familienbl.)

Link zum Text
Transkription

 

➥ Zur Biographie: Felix Salten

In: Jüdische Volksstimme, Brünn, 1.3.1909, S. 1-2

 

 

[Text des Vortrags am Festabend der Bar Kochba am 22.1.1909 in Prag, Teil 1]

Als die Veranstalter dieses Abends mich fragten, über welches Thema ich sprechen will, sagte ich ohne Besinnen: Ueber den Abfall vom Judentum. Ich dachte, jetzt werde ich endlich sagen können, was ich auf dem Herzen habe, werde mich endlich über diese Dinge aussprechen können, die mir so viel Ekel, Verdruß, Beschämung bereitet haben. Je näher aber der Abend kam, desto deutlicher und ängstlicher kam es mir zu Bewußtsein, daß es sehr schwer ist, über den Abfall vom Judentum zu sprechen; das ist eine so persönliche Angelegenheit und in allen ihren Zusammenhängen so empfindlich, daß man eigentlich nur mit jemand darüber sprechen kann, mit dem man sehr intim ist. Wie soll ich da, in einer fremden Stadt, vor fremden Menschen darüber sprechen? Es besteht die Gefahr, daß in meine Rede ein entsetzlicher Ton von Vertraulichkeit kommt, den Sie vermutlich nicht wollen und den ich bestimmt nicht will. Zunächst werde ich also nicht sagen, was ich auf dem Herzen habe. Man kann ja auch das persönliche, augenblickliche und aktuelle bei dieser Frage vollständig beiseite lassen.

              Wichtig ist nur, ob der Abfall vom Judentum für das Judentum selbst etwas bedeutet, ob er ein Symptom für den Zustand des Judentums ist, oder nur ein Symptom für den Zustand einzelner Juden. Es ist natürlich beides der Fall. Aber dieser Abfall hat seine Gründe, die so wenig tief gehen und so an der Oberfläche sitzen, daß man sie aufzeigen muß. Ich habe einen Freund, der getauft ist – heutzutage hat jeder einen Freund, der getauft ist – und so oft wir beisammen sind und diese ruhmvolle Angelegenheit in seinem Leben gestreift wird, vermag ich es nicht zu verbergen, daß ich darüber noch immer nicht hinweggekommen bin; und dann lächelt er und sagt; „Wie kann man nur ein aufgeklärter und moderner Mensch sein und sich über die Taufe nicht hinwegsetzen!“  Ich aber muß ihm dann immer antworten: „Wie kann man ein aufgeklärter und moderner Mensch sein, und sich taufen lassen?“ Dieses Gespräch deckt einfach ein Mißverständnis auf. Der eine glaubt, er sei vollständig aufgeklärt und modern, wenn er sich taufen läßt, und der andere, weil er die Taufe perhorresziert.

              Es fragt sich eben, ist man modern, wenn man die Nützlichkeiten der Epoche spürt und ihnen folgt? Die Nützlichkeiten sind nicht immer die Notwendigkeiten; schon die Verwechslung ist fatal, wie sehr hereingefallen ist aber einer, der etwas für Nützlichkeiten hält, was dann gar nichts nützt.

              In welchen Schichten der Bevölkerung spielen sich nun diese Gespräche ab? Immer in der gesellschaftlichen Oberschicht, immer unter den wirtschaftlich Fortgeschrittenen. Taufen läßt sich jemand, der auf einem Punkte der inneren und äußerlich erkennbaren Kultur angelangt ist, wo er das Bedürfnis nach einem festen Boden in sich spürt. Diese Menschen fühlen: „Ich lebe in einer Kultur, aber ich fühle mich nicht eingewurzelt, ich – bin  ein Jude. Aber ich brauche einen festen Boden und suche Wurzeln zu schlagen.“ Das sucht nuin den Boden anderer Leute und wird zurückgewiesen; das will Wurzel schlagen und der Boden weigert sich die Wurzeln aufzunehmen. Das ist ein so beschämendes Gefühl, wie es nur ein Gärtner empfindet, der einen dürren und tückischen Boden bebaut, der ihm alle Keime vernichtet. Das Gefühl der Verlegenheit über etwas, was nicht gelingt, was immer daneben geht.

              Woher kommt nun der immer steigende Drang, vom Judentum abzufallen, und die Idee, man könne das Judentum loswerden, wie man aus einer Elektrischen aussteigen kann? Das kommt von dem Tage her, an dem wir eben emanzipiert wurden. Kaum hundert Jahre also ist es her, ungeheuer wenig in unserer Zeit, die so rasch vorwärtsstürmt, gegen unsere Jahrtausende lange Geschichte gehalten weniger als nichts. Wir sind eigentlich erst seit ein paar Stunden emanzipiert. Stellen Sie sich nun ein Volk vor, das nach einem Druck von 15 Jahrhunderten, voll unglaublicher Grausamkeit, das nun plötzlich entschnürt wird, plötzlich die Möglichkeit hat, in die Gesellschaft einzutreten. Es ist unmöglich, sich ein Volk vorzustellen, das nach diesem Druck noch existiert, geschweige denn ein Volk, das noch zu einer Kulturleistung fähig wäre. Stellen Sie sich aber ein Volk vor, das diesen Augenblick erlebt. Es ist nicht nur das größte Erlebnis dieses Volkes, es ist das größte Erlebnis, das man sich überhaupt ausdenken kann.

Vergegenwärtigen Sie sich die Stimmung der ganzen Zeit. Das Weltmotto war: Alle Menschen werden Brüder. Die Zeit, in der die Worte geschrieben wurde: Unser Schuldbuch sei vernichtet, diesen Kuß der ganzen Welt. Kosmopolit war das Wort der Mode. Unter den Klängen, unter diesen Hymnen schritt das Judentum aus dem Ghetto heraus. Die Juden haben zunächst wirklich daran geglaubt: Von jetzt ab werden alle Menschen dasselbe Recht haben. Für diese Befreiung glaubten sie sich nicht anders bedanken zu können, als indem sie alle ihre besonderen Merkmale verwischten, versteckten und aufgaben. Denken Sie sich einen Menschen, der jahrelang im Souterrain gewohnt hat, der meine Treppe gekehrt hat; und nun sage // ich eines Tages, der Mann ist ein Mensch wie ich, er hat dasselbe Recht wie ich; von heute an kommst du in meinen Salon. Sowie er hereinkommt, wird er sich in diesem Milieu unsicher, dumm und in mancher Beziehung lächerlich benehmen, er wird höchst ungeschickt sein. Entweder indem er einfach gesteht: ich kann mich nicht hineinfinden. Oder es beherrscht ihn der Wunsch: man soll mir’s nicht anmerken. Und das war die Situation der Leute, die aus den Gassen kamen, wo man es ihnen eben immer angemerkt hat. Sie haben Eigenschaften entwickelt, die der momentanen Verlegenheit entsprangen, und mit dem uns gegenüber gebräuchlichen Wohlwollen sagte man: das sind spezifisch jüdische Eigenschaften. Und wir selber glauben an dieses Wort und nehmen Reißaus mit einer Feigheit und einer Pünktlichkeit, wo wir jüdische Eigenschaften sehen, wie man nicht vor dem Satan flüchten kann. Dabei ist es für mich klar, aber vielleicht auch für Sie, und ich habe überhaupt nicht die Ambition Sie zu überzeugen, man kann überhaupt nicht überzeugen: Sie hören zu und dann geht jeder weg und denkt sich wieder das Seine, wie ich mir das meine denke. Für mich ist es einfach ergreifend, wie die Juden, den Liberalismus aufgenommen und ihren Söhnen und Enkeln übergeben haben. Sie haben es einfach in ihrem Zartgefühl vermeiden wollen, daß die ehemaligen Bedrücker an die peinliche Geschichte erinnert werden, daß sie einmal Bedrücker gewesen sind. Das ist wieder ein Beispiel für die „spezifisch jüdische“ Rachsucht. Wenn der Gegner, der uns fünfzehn Jahrhunderte geknechtet und getreten, auf allen Straßen gepeitscht und für fünfzig Gulden erschlagen hat, wenn der uns endlich losläßt, ist unser einziger Gedanke: ihn nur nicht daran erinnern!

Auf diesen Grundlagen basiert der Liberalismus, der heute Judenliberalismus geschimpft wird. Und die Juden haben sich für verpflichtet erachtet, diese Bedingung zu erfüllen und haben mit einer, beinahe möchte ich sagen „deutschen“ Treue daran festgehalten. Aber die Sache hat nicht gestimmt. Man kann nicht aus dem Judentum aussteigen wie aus einer Elektrischen. Und man kann nicht verlangen, daß ein Volk, daß Völker, die Jahrhunderte lang im Juden den Menschen zweiter Güte gesehen haben, vertragen, daß der Mann sich so benimmt, wie wenn der Mann gleich wäre. Das ist doch so natürlich. Denken Sie doch nur einmal an den Mann im Souterrain. Es ist all das eingetreten, was heute als Antisemitismus bezeichnet wird. (Doch darüber will nicht reden).

Und drei Geißeln haben uns überall entgegengehoben, drei Worte, unter denen jeder Jude in der Seele zusammenzuckt: Die Befreiung aus dem Ghetto, für die wir danken müssen, wie freigelassene Sklaven und dann: „ihr genießt Gastrecht“ – und das rief man immer gerade dann, wenn die Juden etwas bezeugt hatten, was ehrlicher, blutiger Patriotismus war; und endlich: „wir haben Euch die Kultur geschenkt.“ Hier sei eingeschaltet. Es gibt doch Juden, die etwas der Welt zu sagen haben, und so Wichtiges, daß sie es sagen müssen; und nun heißt es: du darfst reden, aber erst mußt du aufhören, Jude zu sein. Es gibt tausend Beispiele. Gustav Mahler hätte nie in die Oper kommen können, wenn er nicht den Umweg durch ein anderes Institut genommen hätte. Ich wollte das gar nicht lächerlich machen und meinte das gar nicht lustig. Daß Sie lachen, bringt mich auf die Geschichte Feilbogen. Sie war nur möglich, weil die Angehörigen unseres Volkes nach Rom gehen und dort nichts besseres zu sehen haben als den Hohepriester einer Religion, an die sie nicht glauben. Sie gehen in die Sixtina, mit der sie keine Zusammenhänge haben, aus Snobismus, weil sie glauben, daß es nobler ist, einen christlichen Priester zu sehen als einen jüdischen. Den Fall habe ich bis heute nicht verdaut, wie die ganze Judenheit geglaubt hat, sich wegen dieser Schweinerei entschuldigen zu müssen. Wir müssen uns nicht immer entschuldigen, wenn in einem Volk von acht Millionen einer eine Schweinerei macht.

*) Diese Rede wurde auch in der Zeitschrift Selbstwehr (Nr. 4/1910) abgedruckt (PHK).

 

 

➥ Zur Biographie: Karl Müller

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 26. Jahrgang, Ausgabe 23 vom 04.06.1886, S. 219f

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Der erste böhmische Lyriker, der zweitbeste Epiker, ist heute auch schon nahe daran, der erste dramatische Schriftsteller des böhmischen Volkes zu werden. Emil Frieda, wie der unter dem Pseudonym Jaroslav Vrchlický schon weit über Böhmens Grenzen hinaus bekannte Poet eigentlich heißt, ist in jeder Beziehung eine phänomenale Erscheinung. Sowohl was Tiefe der Gedanken bei allen seinen Werken betrifft, die vor allem Andern Geist und nur Geist enthalten, als auch in Bezug auf Formvollendung, in der Vrchlický nicht seines Gleichen hat, ist er groß, aber geradezu verblüffend wirkt seine Fruchtbarkeit. Ein Mann, der zugleich durch ein Amt gebunden ist – Frida ist Secretär der böhmischen polytechnischen Hochschule – der sich an allen hervorragenderen böhmischen Blättern betheiligt, hat bis heute, wo er das dreißigste Jahr seines Lebens gar nicht lange überschritten, seinem Volke schon eine Bibliothek von nahezu einem halben Hundert von durchgängig werthvollen Werken geliefert, worunter allerdings einige wenige Uebersetzungen, aber von solcher Art sind, daß selbst diese hingereicht hätten, des fleißigen Dichters Ruf dauernd zu begründen. Ich erwähne hier blos Dante’s „die göttliche Komödie“, eine reichhaltige Anthologie moderner italienischer Poeten, Victor Hugo’s Gedichte, Hafiz’ Gedichte, Lecont de Lisle’s „Kain“, Giacomo Leopardi’s Gedichte u. s. w. An Originalsammlungen lyrischer Natur zählen wir von Vrchlický nicht weniger wie fünfzehn stattliche Bände, von epischen zehn, eine Sammlung „sentimentaler Erzählungen“ in Prosa nnd an dramatischen Werken die großen Tragödien: „Der Tod des Odysseus“, „Liebe und Tod“, „Julian Apostata“, „Hippodamie“, Drahomira“; die Lustspiele: „Im Fasse des Diogenes“, „Das Urtheil der Liebe“, „Die Nacht auf dem Karlstein“; die Komödie „Zum Leben“ und das soeben volle Häuser im böhmischen Nationaltheater machende Lustspiel „Rabinerweisheit“. Dieses dreiactige historische Lustspiel spielt Ende Mai 1608 in Prag zur Zeit Kaiser Rudolf’s und bildet die Hauptfigur des äußerst geschickt aufgebauten Stückes der ob seiner tiefen Gelehrsamkeit und humanitären Gesinnung hochgeachtete Prager Rabbiner Jehuda Löw ben Bezalet, dessen Ruf zu den Stufen des Kaisers reichte. Rudolf II. ließ sich damals ganz von seinem Leibkammerdiener und Rath Philipp Lang von Langenfels leiten, einem grundschlechten Men- schen, der, leider viel zu spät, entlarvt, schließlich im weißen Thurme sein Leben beendete, und der ebenfalls im Lustspiele auftritt.

Von Rabbi Jehuda erzählte man sich, daß er geheime Künste treibe, in die Geheimnisse der Alchymie und Goldmacherkunst eingeweiht sei und dergleichen mehr. Selbstverständlich, daß sein vor der Außenwelt sorgfältig gehütetes, angebliches Laboratorium die Neugierde der Menge ungemein in Anspruch nahm, und das umsomehr, als ja selbst seine Gattin Perl das Geheimniß der „schwarzen Kammer“ nicht kannte. Thatsächlich war aber diese vermeintliche Hexenküche nichts anderes als die einbruchsichere Depositenkammer für die von dem Menschenfreunde Mardochaj Mais hinterlassene Stiftung von 30.000 Thalern, welche als Begräbnißfond für arme Juden dienten und deren Verwaltung dem Rabbi oblag. Der Rabbi wohnte in der Langen Gasse im Hause „zum steinernen Löwen“ und fand, als er hier einzog, eine ganz eigenthümliche Einrichtung vor, welche wohl auch mit Ursache zu allerhand Gerüchten gewesen ist. Es ist das eine Architekturspielerei seltener Art. An die Kammer, welche zur Aufbewahrung des erwähnten Begräbnißfondes diente, reihten sich noch drei gleiche Kammern an, die von einander wechselseitig völlig abgegrenzt, durch eine correspondirende Achse in Bewegung gesetzt wurden, wodurch auch ein gemeinsamer Zutritt zu allen, von einer Seite aus, durch die entsprechende Drehung der Bodenscheibe vermittelt wurde. Hier beherbergte der menschenfreundliche Rabbi mitunter Obdachlose und solche Personen, die sich eine Zeitlang zurückzuziehen bemüßigt sahen. Und um diesen Theil der Wohnung des Rabbi dreht sich die ganze Handlung des Lustspieles, welche zum Theile auf der Wette des lustigen Hofmalers Bartholomäus Spranger beruht, das Geheimniß der schwarzen Kammer zu erforschen, was ihm schließlich auch gelingt.

Der erste Act, eine Art Vorspiel, in dem der Knoten der weitverzweigten Lustspielhandlung geknüpft wird, zeichnet sich namentlich durch den köstlichen Humor in der Scene, in der die lustigen Maler der schönen Jüdin Recha eine Boccaccioartige Serenade darbringen, aus. Effectvoll sind der zweite und der dritte Act, welche in der Wohnung des Rabbi spielen. Wir erfahren da Einiges von den geheimen Sünden des allmächtigen kaiserlichen Kammerdieners und seines Zutreibers, des Leibtrabanten Christoph Geißler. In den drei Kammern beherbergte der edelmüthige Rabbi die den Wellen entrissene Schafferstochter Veronika Kvěch aus Brandeis, deren zwei Schwestern ebenfalls eine Beute der Wollust des Philipp Lang geworden waren, die schöne Goldarbeitersgattin Recha, ebenfalls ein auserlesenes Opfer der Lang’schen Gelüste, und schließlich den Hofmaler Spranger, welcher auch der Rache des allmächtigen Lang ausgesetzt war und bei dem Rabbi Zuflucht suchte, um eine mit seinen Kameraden eingegangene Wette zu gewinnen, welche darin bestand, daß es ihm gelingen wird, in das Innere der Behausung des Zauberers einzudringen und sein Geheimniß zu entdecken. Diese drei Insassen wurden frei, als Lang der Nemesis verfiel, und Veronika Kvěch fiel nun ihrem Liebhaber Stephan Chanovský in die Arme, die schöne Recha eilte zu ihrem Gatten, der bereits sehr eifersüchtig zu werden begann, und der joviale Hofmaler freute sich der gewonnenen Wette. Der Rabbi, der trotz aller seiner Weisheit nun doch einsieht, daß er nicht klug gehandelt, aller er selbst seiner Frau Perl das Geheimniß der schwarzen Kammer vorenthalten, hält sich selbst die Worte des Talmuds vor: „Der Mann gehört ganz dem Weibe und umgekehrt. Euer ganzes Leben soll einem offenem Buche gleichen, worin man auf jeder Seite die Wahrheit lesen kann, und dann wird Euch stets leuchten die Liebe, diese erhabenste heilige Sabbathlampe.“

Die Disposition der Handlung überrascht geradezu durch ihren scenisch wirksamen Aufbau und durch die Charakteristik aller handelnden Personen. Alle sind Meisterstücke, aber eine besondere Vorliebe widmete der Dichter dem Helden des Stückes, dem Rabbi Jehuda Löw ben Bezalel, und er hat da eine Charge geschaffen, die in den Händen eines guten Schauspielers – hier spielte sie der Veteran Šimanovský mit größtem Erfolg – geradezu überwältigend wirken muß. Der Rabbi ist ein echter und rechter Talmudgelehrter, die personificirte altjüdische Gelehrtheit. Ueberhaupt tritt eine stupende Talmudgelehrsamkeit in der ganzen Diction des Stückes hervor; Alles, was der Rabbi sagt, und der spricht gerne und viel, ist eine einzige Kette von Sentenzen und tiefen Wahrheiten. Wir haben da einen Prager Nathan den Weisen vor uns, der aber doch ein ganz anderer ist als jener Lessing’s. Trefflich, wie schon erwähnt, sind auch die übrigen Personen charakterisirt, so namentlich Meister David von Brüssel, der Kammerdiener Lang traurigen Andenkens, des Rabbis Frau Perl und dessen Famulus Jechiel.

Vrchlický hat mit diesem Lustspiele, das ebenso wie seine „Nacht am Karlsstein“ und die Einacter „Zum Leben“ und „Im Fasse des Diogenes“ ein Repertoirstück der böhmischen Nationalbühne bleiben wird, einen glücklichen Wurf gethan, und ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich in diesem Dichter denjenigen Poeten des böhmischen Volkes zu erblicken vermeine, der berufen ist, das leider so sehr, aber ungerecht, verlästerte böhmische Schriftwesen bei dem deutschen Volke zu rehabilitiren. Von Edmund Grün, der auch eine Uebersetzung von Vrchlicky’s Lustspiel „Die Nacht am Karlsstein“ im Manuskript besitzt, erschien soeben eine Anthologie von Gedichten dieses Poeten in Leipzig und eine zweite solche wird im Herbste seitens des Schreibers dieser Zeilen erscheinen. Vrchlický verdient in jeder Beziehung die größte Beachtung.

Zur Biographie: Rosa Menzel-Pomeranz

In: Wiener Morgenzeitung, 22.8. 1924, S. 5., Kurzfassung

Link zum Text

Es gibt zwei Typen derselben: die „russische“ und die „polnische“ Jüdin. Die politischen Verhältnisse vor dem Kriege, besonders die Paßschwierigkeiten seitens Rußlands nach hüben und drüben, die Unberechenbarkeiten für eines Aufenthaltes für Fremde in dem Zarenstaate, hatten die beiden großen Judengruppen Osteuropas einander entfremdet und im Laufe der Jahrhunderte ziemlich tiefgehende Charakterunterschiede gezeitigt.

Besonders die russische Jüdin bot ein Bild extremen Wesens. Entweder: schon mit 16 bis 18 Jahren ganz unwissend, geistig unentwickelt: verheiratet, in dem engen und oft trüben Bezirk des Hauses, der Familie, des Kleinstadtlebens aufgehend, keiner geistigen und sozialen Entwicklung teilhaftig. Oder: als „russische Studentin“ in den Hauptstädten des Westens heimisch – einem vertrockneten, schmachtenden Boden gleich, gierig die reichen Fluten westlicher Kultur in sich aufnehmend, wissenschaftlich gebildet, beruflich geschult, politisch – oft den extremsten Ideen Verständnis und Interesse entgegenbringend.

So die russische Jüdin.

Ein stark divergierendes Bild bietet die sogenannte „polnische“ Jüdin und speziell die „galizische“. (In Galizien, dem größten Kronlande Österreichs lebten vor dem Kriege zirka 1.000.000 Juden.)

Das kulturelle Durchschnittsniveau dieser Jüdin war ein ungleich höheres, das Streben nach Bildung in allen Frauenschichten lebendig – auch allen zugänglich. So, im Lande bleibend, hatte eben die polnische Jüdin den größten Einfluß und den hervorragendsten Anteil an dem kulturellen Aufstieg der Familie, der jüngsten Generationen.

Die polnische Judenheit war stets viel, viel schwächer in wirtschaftlicher Beziehung denn die russische und weltfremder, da das milde österreichische Regime keine Veranlassung zur Auswanderung gab, zum Hin-und-her-Fluten, und die oft weniger als bescheidenen materiellen Verhältnisse der jüdischen Masse wie des Mittelstandes Bildungsreisen und damit Weltkenntnisse und Lebenserfahrung ausschlossen.

Dagegen sorgte und strebte jede jüdische Mutter hier, ihren Kindern mehr Bildung und Wissen zu geben, als ihr selber einst im Elternhaus zuteil geworden. Die jüdischen Frauen Deutschlands nahmen reichen Anteil an der deutschen Kultur.

Daher im heutigen, wieder vereinten Polen der so ansehnliche Prozentsatz gebildeter jüdischer Frauen.

Welche war nun von Anbeginn die Stellung der osteuropäischen Jüdin zu den gewaltigen Problemen der jüdischen Renaissance?

Entsprechend den psychischen und geistigen, den politischen und wirtschaftlichen Unterschieden im Wesen und Leben dieser beiden Gruppen war die Haltung beider dem Zionismus gegenüber lange Zeit eine verschiedene. Das autokratische – und das bedeutet stets: fortschritts- und bildungsfeindliche – Rußland lastete vor allem auf dem Juden, diesem ältesten Enthusiasten für Fortschritt und Wissen. Dazu kamen seit 1882 die furchtbaren Verfolgungen. Sie fügten dem Drange nach unbehinderter kultureller Entwicklung die Sehnsucht hinzu: nach nationaler und politischer Freiheit, nach Sicherheit von Ehre und Leben, nach unbehinderter wirtschaftlicher Betätigung. Die erlösenden Worte der Pinsker, Smolenski usw. bis zu dem Donnerwort „Judenstaat“ mußten den furchtbarsten [recte: fruchtbarsten] Boden im Denken und Fühlen just der russischen Judenheit finden. Und sie fanden ihn auch! Wir alle wissen, wieviel der neue Jischuw in dem Abschnitt bis 1914 der russischen Judenheit zu danken hat. Wie viele bedeutende Führer, wie viele herrliche, jugendliche Pioniere der realen, täglichen, schweren Arbeit in Erez Israel dem großen russischen Reservoir entstammen.

Mit dem Manne trat auch die Frau – von der Jugendlichen bis zur Matrone – in die Reihen der national Gläubigen, Hoffenden, Wirkenden. Und wenn man heute überall in Erez Israel, in den bedeutendsten wie in den bescheidensten Arbeitsstellen des Landes, russische Juden und Jüdinnen antrifft, so ist die einzig richtige Erklärung für diese – manchmal leise aufreizende – Erscheinung die, daß die russischen Juden und Jüdinnen eben vor allen anderen dort waren, vor allen andern ihr seelisches, geistiges, physisches und materielles Scherflein beigetragen haben zu Jischuw Erez Israel. „Not lehrt beten“ und lehrt auch so lange vergessene oder gering eingeschätzte Güter wieder ehren und erstreben.

Die polnischen Juden kamen ein wenig später. Sie kamen mit mehr theoretischen Kultureinschlag, sie waren bedächtiger in der Auswanderung nach der historischen Heimat, weil nicht getrieben von seelischer Not, sie brachten – gemäß ihren Verhältnissen – weit geringere finanzielle Opfer für Erez. Die Einwanderung, speziell aus Galizien, war eine minimale. Die Renaissancebewegung in diesem Lande hatte ein vornehmlich geistiges Gepräge mit schwachem, praktischem Untergrund. Die Frauen schufen Vereine und Organisationen, die hebräische und Geschichtskurse einrichteten, Makkabäer- und andere nationale und historische Gedenkfeiern veranstalteten, ihre Groschen für den Nationalfonds spendeten. Die wohlhabenden Zionisten kauften, meist auf Anregung der Frauen, einen oder mehrere Dunam Boden im Vaterlande. Voila tout!

Der Krieg brachte den großen Umschwung, kehrte das Unterste zu oberst.

In dem gewaltigen Zarenreiche reduzierte sich die Judenheit auf weniger denn die Hälfte. Der schier endlose Zug russisch-jüdischer Flüchtlinge durch fast die ganze Welt gleicht einer blutigen Trasse, auf der alljährlich tausende hinsinken, um sich nicht wieder zu erheben. Ein Bild, das an die schwersten Tage des Mittelalters, an den grausigen Zug aus dem Spanien der katholischen Isabella gemahnt.

Die zweite, sich unablässig vermindernde Hälfte der Juden Rußlands hat in den letzten acht Jahren eine Hölle durchlebt, die jeder Beschreibung spottet. Sie ist leider solange – und wer weiß wie lange noch – für jede ernste finanzielle Mitwirkung am Aufbau der Heimat ausgeschaltet, sowohl infolge politischer Hemmungen wie aus wirtschaftlichen Gründen.

Dagegen tritt allmählich die Judenheit Polens auf den Plan und damit die jüdische Frau dieses Reiches.

Es sind Aussichten vorhanden, daß Polen die Bedeutung Erez Israels für die wirtschaftlichen Interessen dieses Staates richtig einschätzen wird, und damit ist auch eine freundlichere Haltung gegenüber der zionistischen Tätigkeit hier, als: Organisation, Emigration, finanzielle Hilfeleistung für das Aufbauwerk usw. gegeben. Damit ist ferner der Propalästinafrauenarbeit im ganzen Reiche ein weites Feld eröffnet. Das Bewußtsein der Pflicht ihrer historischen Heimat gegenüber mußte im Hintergrunde bleiben, solange die Nachwirkungen des Krieges (der speziell in Galizien ein zweijähriges blutiges Nachspiel fand in dem Bruderkrieg zwischen Polen und Ukrainern) die geringen materiellen Mittel, das ganze reiche Gemüt, Zeit und Kraft der jüdischen Frauen Polens in Anspruch nahm: für die tunliche Heilung der schwersten Schäden, durch Immediathilfe sowohl wie durch Schaffung von Dauerinstitutionen sozial-humanitären Charakters.

Das Dringlichste auf diesem Gebiete ist nunmehr getan und der Ausbau der einheimischen Fürsorgearbeit setzt sich quasi mechanisch fort. Die Zionistin, die Jüdin in Polen überhaupt, darf von der „Momentarbeit“ zur „Ewigkeitsarbeit“ zurückkehren. Daß sie dies redlich will, beweist der rapide Aufschwung der Spenden für Keren Kajemeth in Polen, der eben dem neu erwachten Eifer der Frauen zu danken ist.

Schon im Herbst dieses Jahres soll die organisatorische Zusammenfassung – hoffentlich aller – jüdischen Frauen Polens erfolgen, ohne Unterschied der religiösen oder sonstigen Anschauungen, für eine fruchtbringende, segensreiche Arbeit in Erez Israel.

Der feste Entschluß, die geeigneten Propagandistinnen der Idee, der Arbeitsplan, die Stimmung in der Masse unserer Frauen – alles ist vorhanden und zugerüstet, um ein neues, starkes Element dem Wiederaufbauwerk zuzuführen: die Opferwilligkeit der Jüdinnen Polens und das moralische, geistige und materielle Ergebnis dieser Bereitschaft für Erez Israel.

➥ Zur Biographie: Ella Mensch

In: Jüdische Volksstimme, 11. Jahrgang, Ausgabe 39 vom 28.09.1910, S. 9

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Der Zionismus zählt zu den edelsten und gerechtesten sozial-religiösen Bewegungen unserer Zeit. Aber er ist in der Hauptsache noch eine Männerbewegung, in welcher die Frau noch so gut wie gar nicht die ihr gebührende Rolle eingenommen hat. In „Altneuland“* von Theodor Herzl wird wohl das weibliche Element in die erwachende palästinensische Zukunftskultur hineingezogen, aber niemals geht von ihm eine Initiative aus. Das halte ich für eine empfindliche Lücke in der Bewegung und gerade weil ich hier nicht pro domo spreche, möchte ich mir erlauben, die Träger der Bewegung, von meinem christlich-germanischen Standpunkt aus, auf ein stärkeres Heranziehen der Frau, der Frauenkraft hinzulenken.

Der Zionismus, wenn er mehr als schöne Illusion sein soll, ist meines Erachtens von einer tief religiösen Welt- und Lebensauffassung untrennbar. Aber bei den meisten Zionisten trägt der messianische Gedanke den Charakter einer losen Arabeske, die ganz leicht um den Zukunftsbau herumgelegt ist; sie kann auch ebenso gut fehlen. Die messianische Hoffnung hat ihren konstruktiven Wert eingebüßt. Das Glas Wein, welches der israelitische Hausvater bei der österlichen Feier für den Messias bereit stellt, die Tür, welche für diesen offen gelassen wird, erscheint den meisten doch nur als ein alter Brauch, der rückwärts, aber nicht vorwärts deutet.

Messiase lassen sich nicht erfinden; sie kommen eben, wenn die Zeit erfüllet ist. Für die Zionisten dürfte denn auch allmählich ihr Messiasglaube von einer Person zu einem Zustande, einem neuen, glücklicheren Erdendasein sich gewandelt haben. Diese Metamorphose merkt man deutlich in „Altneuland“. Theodor Herzl gibt zu, daß dies neue Haus in Palästina, welches er und seine Brüder herbeisehnen in Europa, in Deutschland und in England gebaut worden sei. Zu diesem Neubau, den Juda in Angriff nimmt, hat die jüdische Frau bis jetzt nur noch wenige Steine herbeitragen helfen. Aus Vergangenheit und Gegenwart erklärt sich diese Tatsache. Die Israelitin alter Tradition, die streng orthodoxe, welche noch das Stirnband trägt, dieser Typ, der sich in Galizien, Polen, Rußland findet, kommt selbstverständlich nie auf den Gedanken, aus eigener Erkenntnis politisch-sozial sich betätigen zu wollen. Sie bereitet die Speisen nach dem Ritual, sie zündet am Freitag, sobald der erste Stern am Himmel erschienen ist, die sabbathlichen Kerzen an und fastet an allen hohen Feiertagen, am strengsten am Versöhnungstage, wo sie nicht einmal einen Schluck Wasser über die Lippen bringt. Theologisches Wissen bleibt ihr zeitlebens fern. Der Ausspruch des „Talmud“, daß man lieber das Gesetz verbrennen soll als es einem Weibe lehren, ist ja bekannt. In neuerer Zeit ist das nun freilich anders geworden. Es gibt Schulen, wie z. B. die Schulen der israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M., wo auch die Mädchen in die „Mischna“ eingeführt werden. Sogar eine Art Konfirmation, der christlichen nachgebildet, hat man aufgenommen. Die Reformsynagoge ist noch einige Schritte weiter gegangen. Aber ein großes religiöses Leben in den Töchtern Israels zu erwecken, ist ihr nicht gelungen. Die moderne Jüdin ist in der Hauptsache religionslos und tut sich meistens noch etwas zugut auf diesen negativen Freisinn, der nicht die Frucht von Kämpfen ist, sondern gewöhnlich gedankenloser Bequemlichkeit entspringt. Der Mangel einer religiösen Kultur gibt der jüdischen Frau etwas Heimatloses, nimmt ihr Wurzelhaftigkeit und Bodenbeständigkeit. Von den Idealen ihres Volkes weiß sie wenig. Die jüdischen Mädchen, die in den christlichen Schulen oder in den Simultanschulen sitzen, haben durchschnittlich von den Erzvätern, von Moses und den Propheten bei weitem nicht die Kenntnisse, die ihre christlichen Mitschülerinnen besitzen. Daß man die Psalmen Davids auswendig lernen könnte; kommt ihnen nicht in den Sinn. Als ich einmal ein junges Mädchen auf diesen Schatz religiöser Kultur aufmerksam machte, bekam ich zur Antwort: „Was kümmern mich diese alten, dummen Sachen, wir sind moderne Menschen.“ Ja, daß man nur leider mit dieser Phrase „modern“, die über alle Vergangenheitsgeschichte wegtragen soll, keine wahre Kultur hervorbringt.

Von diesen oberflächlichen Assimilanten haben wir wohl jene anderen zu unterscheiden, welche wie die Frauen der Familie Mendelssohn, wie eine Rahel, eine Fanny Lewald sich ihre eigene Geisteswelt erbauten im planvollen Anlehnen und Hineinwachsen in das Reich unserer großen Denker und Dichter. Sie fanden den Weg nach Weimar und lernten Jerusalem vergessen. Auch die männlichen jüdischen Schriftsteller entfremdeten sich dem Osten mehr und mehr; die Liebe für die Heimatsgeschichte schwand dahin. Woher käme es denn sonst, daß sämtliche erhabene, geistig gehobene jüdische Frauengestalten in der schönen Literatur den Köpfen von Germanen entsprungen sind! Die sinnige „Recha“ in Lessings „Nathan“, die stolze „Judith“ Hebbels, Grillparzers königliche „Esther“, die hochherzige „Rebekka“ in Walter Scotts „Ivanhoe“, die philosophisch veranlagte „Judith“ in Gutzkows „Uriel Akosta“ und viele andere! Wen aber Heinrich Heine sein liebstes weibliches Ideal vorführen will, dann entnimmt er die Farben und Formen dem Madonnenkult:

„Im Dome, da steht ein Bildnis Auf goldnem Leder gemalt,
In meines Lebens Wildnis
Hat’s freundlich hineingestrahlt.

Es spielen Blumen und Englein
Um uns’re liebe Frau.
Die Augen, die Lippen, die Wänglein Gleichen der Liebsten genau.“

Die Differenzierungsbewegung, der aufbrechende Nationalitätengegensatz, hat den Assimilie- rungsprozeß aufgehalten, auf Jahrzehnte vielleicht zurückgeworfen.

* Verlag von Hermann Seemann Nachfolger, Berlin und Leipzig. (Sechste Auflage, Mark 2.–).

Zur Biographie: Leopold Kompert

In: Sonntagsblätter, 5. Jahrgang, Ausgabe 7 vom 15.02.1846, S. 149-154

Stichwörter: Sprachkultur, Okzident-Orient, böhmisch-jüdisch

Link zum Text
Tran-skription

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Umsonst versuchten wir es hier, die etimologische Abstammung des Wortes Schnorrer zu beweisen; es hat keine, oder es hat deren zu viele, wie der Jargon, dem es angehört, das vielfarbige Kind von tausend Eltern ist, ein Augiasstall aller Sprachen des Morgen- und Abendlandes, eine chirurgische Stube voll zerbrochener und verrenkter Gliedmaßen, worunter nur zuweilen eine gesunde Nase oder ein ganzes Schlüsselbein bunt abenteuerlich dazwischen läuft. Dieser Jargon, wir wollen es nicht verhehlen, es ist derselbe, den man nicht nur in den Ghettos, sondern überall in den deutschen Landen, wo man ihm nicht durch verbriefte Privilegien die Thüre vor der Nase zuschlägt, auf Straßen und Gassen zu hören bekommt. Dieser Jargon hat trotz aller Verrenktheit und Verzerrtheit, trotz aller mißtönenden Laute, so viel gesunde, kräftige, drastische und karakteristische Worte und Begriffe, er besitzt einen solchen Reichthum von Witz, enkaustischer Ironie, und jeder andern Sprache mangelnden Satirismen, daß sich vielleicht nur daraus die keineswegs erstorbene Vorliebe für ihn selbst bei dem Gebildeten herleiten läßt. Heine und Saphir haben hie und da gezeigt, wie man mehre solcher Worte sogar der deutschen Sprache einverleiben konnte, und in der That würde man ihr vielleicht nicht so bedeutend Gewalt anthun, wollte man die mit einigen Bedeutungen versuchen, die den Begriff viel straffer, drastischer und wirksamer bezeichnen, als in der eigenen Sprache. Fürwahr ein impium desiderium! Man betrachte z. B. dieses Wort: „Schnorrer“ – wie leicht und treffend hätte man damit das ganze Proletarienthum und den Pauperismus bezeichnen können, dem sie in neuerer Zeit so gewaltige Bissen in den Mund schieben. Was wissen die, die es angeht, von Pauperismus und Proletarienthum? Aber Schnorrer würden sie sehr gut verstehen, das Wort sagt Alles und noch mehr, als in dem ganzen Pauperismus liegt; es hat sogar die deutschen Endlaute für sich und ließe sich bei den Zeitumständen vortrefflich einbürgern.

Diese Art Leute mußten sich durch ihre Schnurren und Witze auf Hochzeiten, Beschneidungen und andern Festlichkeiten ihre Nahrung suchen. Anfangs bildeten sie wohl ein eigenes Handwerk, wie die Meistersänger im Mittelalter; später nahmen jedoch Bettler jeden Geschlechtes die Weise an, womit diese jüdischen Schalksnarren so trefflich bestanden. Sie schnorrten – obwohl ich recht gut weiß, was im Adelung über diesen Punkt steht: schnurren gehen ist so viel als betteln; in der rothwälschen Diebessprache schnorren. Wahrscheinlicher aber ist die Herleitung von Schnurre.

Schnorrer bedeutet so viel als armer Mann, im weitern Sinne herumziehender Bettler, einer, der auf die Wohlthaten Anderer angewiesen ist. Wir wollen sie hier nur im weiteren Sinne vorführen, das heißt als vagirende Bettler, wie sie einen der Grundtöne in dem vielfarbigen Gemälde des jüdischen Volkes bilden. Für das jüdische Leben sind die Schnorrer das, was die Geusen im 16. Jahrhundert für die Niederlande waren, jedoch ohne politischen Hintergrund. Jahr aus, Jahr ein sieht man Tausende von diesen wandernden Bettlern das ganze Ländergebiet der österreichischen Monarchie durcheilen, überall einkehrend, wo sie eine verwandte Seele herauswittern, Zugvögel, die bald hier, bald dort erscheinen, sich niederlassend, wo ihnen etwas winkt, und fortziehend, nachdem man sie befriedigt. Diese Bettler sind von jenem Gesetze selbst begünstigt, das da vor Jahrtausenden schon sagte: Sei wohlthätig gegen die Armen. Nie ist aber auch ein Gesetz vollkommener und buchstäblicher verstanden worden, denn diese „Schnorrer“ sind ganz auf die Unterstützung ihrer jüdischen Mitbrüder angewiesen. Sie sind eine Art Brandschatzer, die die Geldbeutel ihrer Stammgenossen in Kontribuzion versetzen. Man wird es auch aus Nachstehendem ersehen, mit welch lebendiger Liebe und unvergleichlicher Mildthätigkeit man diesen fahren- den Bettlern entgegenkommt, wie nach so vielen Stürmen und Wehen der alte, nie gebrochene Baum dieses Volkes sproßt und Keime treibt.

Diese herumziehenden jüdischen Bettler bilden eine der interessantesten Menschenklassen – voll Kekheit, Anmaßung, Witz, Humor, Schlauheit, Verstellung und allen jenen Eigenschaften, wie sie die Natur dem Bittenden gegenüber dem Gebenden zu verleihen schien. Das Vaterland dieser Schnorrer anzugeben wäre vergebene Mühe, sie komme aus allen Ländern und Gebieten hergeweht, ein ächtes Vagabundenvolk. Das größte Kontingent zu dieser Schnorrerarmee liefern Ungarn und Gallizien; man kann die Anzahl derer, die jährlich aus diesen beiden Ländern auswandern, um das edle Waidwerk des Bettelns zu betreiben, auf einige Tausende anschlagen; weniger ist Mähren, am wenigsten Böhmen selbst vertheilt. Vielleicht eben darum bietet dieses Land ein so gefälliges Stelldichein für die Alle; wie eine Heuschrekenwolke lagern sie darauf, nicht zu bestimmten Zeiten, sondern Jahr aus, Jahr ein in unabsehbaren Haufen. Karawanenweise durchziehen sie dieses Land nach allen Richtungen und Krümmungen, in Begleitung von Weib und Kindern; da wird keine Gemeinde, kein Dorf, selbst der entfernteste Pachthof nicht verschont. Es ist nicht eine Straße in Böhmen, worauf man nicht mehre dieser Wandervögel im vollsten Zuge erblikte, es ist, als wäre dieses Land nur für Marodeurs, worin jeder nach Lust und Belieben pfänden und brandschatzen kann.

Sobald sich Jemand zum „Schnorrer“ berufen fühlt, geht er auf das Amt seines Vaterortes und holt sich von dort einen Paß. In diesem Passe wird dem Vorzeiger dieses gerichtlich bestätigt, daß er berechtigt sei, als fahrender Bettler herumzuziehen. Hat der Schnorrer einen solchen Freibrief an die Geldbeutel seiner Stammgenossen erlangt, so bricht er aus seiner Heimat auf, läßt entweder sein Weib in treuer Freunde Obhut zurük, oder heißt es und die Kinder mitziehen, damit sie ihm in seinem trefflichen Vorhaben hülfreiche Hand böten. Da wird keine Rüksicht darauf genommen, ob die Kinder die Strapazen einer so weiten Reise werden ertragen können, ob sie krumm, blind oder taub sind – je mehr, desto besser, desto stärker kann er an das allgemeine Mitleid appelliren. Mit den wenigen Habseligkeiten auf dem Rüken, an der einen Hand ein Kind, in der andern einen Wanderstab haltend, schreitet der Mann einher, während das Weib einige Schritte hinter ihm hergeht, ein Säugekind an die Brust gelehnt oder ein Wägelchen rollend, woraus, in schmutzige Kissen gebettet, ein gar verkrüppeltes Geschöpf miserabel hervorlugt. Eine solche Familie hat, bei ihrem Herausgehen aus dem Vaterorte, oft nicht mehr, als womit sie ein dürftiges Nachtlager in der nächsten Herberge bezahlen kann; aber Muth und Vertrauen belebt sie und die erste, die beste Gemeinde, die sie berührt, bringt ihr Ueberfluß und Nahrung. Der Schnorrer verzweifelt nie – er kennt sein Volk. Ein Maler könnte sich oft keine lebendigeren Genrebilder wünschen, als sie diese wandernden Schnorrer bieten. Namentlich unter den polnischen Männern findet er eine Masse der schönsten und ausdruksvollsten Köpfe, weniger schön sind die Weiber. Hier hat Elend, Wettersturm und Mühsal die vielleicht einst schönen Züge vor der Zeit verwelken gemacht; aber blikt man auf diese von Lumpen umhüllten Glieder und in dieses zu früh zerstörte Antlitz, so wird man oft von dem unnennbar eigenthümlichen Ausdruke betroffen, der darüber lagert. Das Auge vorzüglich gemahnt oft an den funkelnden Edelstein, der in einer Kothlake liegt. Die Beschäftigung eines Schnorrers ist sehr einfach. Die Wochentage benützt er dazu, um Almosen einzusammeln; da sind es die kleineren Gemeinden und einzelnen Höfe, denen er seinen Besuch abstattet; aber neigt sich die Woche zu ihrem Ende, so sucht er es stets so einzurichten, daß er in eine größere Gemeinde einmündet, um in ihrem Schooße den Sabbath zuzubringen. An diesem Tage verbietet ihm das Gesetz zu wandern – man wird sogleich sehen, wie trefflich dieser Tag dem Schnorrer zu Statten kommt.

Sobald der Schnorrer in einer Gemeinde anlangt, begibt er sich sogleich in die sogenannte „Schlafstube,“ die zum Behufe dieser fahrenden Gäste eigens unterhalten wird, ein Etablissement, wo er für einige Kreutzer ein Nachtlager haben kann. Hier legitimirt er sich vor dem Herbergsvater, der gewöhnlich der Sinagogenküster ist, durch Paß und andere Papiere, und wird von ihm mit dem schönen Gruße, der auch den Arabern eigenthümlich ist, bewillkommt: Salem alekem (Friede sei mit euch.) Nachdem er da sein Gepäke abgelegt, begibt er sich zu dem Gemeindekassier, um sich bei ihm die Anweisung auf seine Sabbathkost abzuholen. Es besteht nämlich in jeder etwas größeren Gemeinde die Einrichtung, daß jedes verheiratete Mitglied, sobald es in den Verband der Steuer- und Abgabenpflichtigen aufgenommen ist, sich zu einer gewissen Anzahl von Sabbathen verpflichtet, d. h. zu einer gewissen Anzahl von diesen Schnorrern, die er über den Sabbath mit Kost versorgen will. Natürlich richtet sich dies immer nach den Vermögensumständen des Individuums; aber selbst der weniger Bemittelte übernimmt einige solcher Tage, um sich im Weigerungsfalle nicht selbst ein testimonium paupertatis auszustellen. Zu diesem Behufe schreibt man nun seinen Namen auf so viel Zetteln auf, als man sich zu Sabbathen verpflichtet; diese Zettel werden zusammengerollt, und mit denen der andern Gemeindeglieder in eine verschlossene Schachtel gethan. Sobald nun der Schnorrer zu dem Kassier kommt, wird die Schachtel geöffnet, damit er nach Belieben wähle. Der Zettel wird nun aufgerollt und der Kassier deutet dem Schnorrer an, wohin er zu gehen habe, um seine Sabbathkost zu empfangen. Mit dieser Anweisung macht sich der Schnorrer auf den Weg und erkundigt sich auf der Gasse nach der Familie, die ihm bezeichnet ist. Dort übergibt er den Zettel der Hausfrau oder dem Hausherrn, und die laden ihn auf den Abend zum Tische ein. Karakteristisch genug heißt dann ein solcher Schnorrer „Gast.“ Die Hausfrau bedeutet dann ihrer Köchin, eine größere Quantität Fleisches zuzurichten und sonst zu den Speisen ein Erklekliches hinzu zu thun, denn man habe einen „Gast“ bekommen.

Nachdem dieses wichtigste aller Geschäfte glüklich vorüber, geht der Schnorrer wieder in seine Schlafstube zurük. Hier findet er bereits mehre Kollegen, theils angekommene, theils anlangende, alle mit dem nämlichen Zweke, den Sabbath in der Gemeinde zu feiern. Da sitzen einige, die bereits versorgt, auf Tischen und Bänken umher, und erzählen und befragen sich gegenseitig um Vaterland, Verhältnisse und Schiksale; andere sind bereit, sich zum Kassier zu begeben, besorgt, wie es scheint, ob ihnen noch ein guter Hausherr zu Theil würde; andere neue Gäste langen erst an. An einem solchen Freitage steht die Schlafstube nie leer. Da noch einige Stunden bis zum Abendgottesdienste fehlen, der zur Vorfeier des Sabbaths an jedem Abende des Freitags gehalten wird, so sucht diese der Schnorrer so gut als möglich zu benutzen, um sich nach Kräften herauszuputzen, damit er im Hause des Herrn gereinigt erscheine. Er nimmt den Bart durch die gründliche Salbe hinweg, ein Gemische aus gelöschtem Kalk und Aurum, glänzt seine Schuhe und bürstet den Staub von seinen Kleidern. Ist die Zeit des Gottesdienstes endlich gekommen, so begibt er sich in die Sinagoge, wie er einen der untern Plätze, gewöhnlich gleich an dem Einfange einnimmt. Während des Gottesdienstes benimmt sich der Schnorrer mit aller Frömmigkeit und Devozion; er bükt und beugt sich nach allen Seiten, sagt seine Gebete laut her, damit Aller Augen auf ihm ruhen. Nach geendigtem Gottesdienste bleibt er in tiefster Demuth an der Schwelle des Gotteshauses stehen, und wartet, bis die Anderen hinausgegangen. Nun ereignet sich eine Szene, die wir nicht weglassen dürfen, weil sie einen bedeutenden Pendant zum Karakter eines Volkes bildet, das von jeher im regen Zusammenhalten sein politisches Dasein fristet. Ein jeder der Vorübergehenden strekt seine Hand dem Bettler entgegen und drükt die seine, und bewillkommt ihn mit dem trefflichsten aller Grüße: Salem alekem. Selbst der Reichste in der Gemeinde hält sich nicht für hoch genug, diese Bewillkommung einem Stammgenossen zu verweigern, dem er aus Gnade morgen die Mittagskost reicht. Wir wissen nicht, ob diese Sitte noch überall in gleicher Kraft ist – schwerlich dürfte aber der Schnorrer von der Hand eines jener papierenen Könige, die über Koupons und Akzien gebieten, einen Gegendruk zu erwarten haben. Das ist aber modern!

Nun begibt sich der Schnorrer zum Abendessen. Ein interessanter Augenblik in seinem Leben! In der Wohnung seines Hausherrn, der ihn zum Tische geladen, steht der Tisch, mit weißen Linnen bedekt, bereits gedekt; die Speisen des Sabbaths strömen aus der benachbarten Küche ihren Duft in die Stube, die vom Scheine der siebenzinkigen Lampe, oder flammenden Kerzen heimlich schön beleuchtet ist. Wie wohl mag es ihm da um’s Herz werden! Die ganze Woche dem Unbill des Wetters mit den Mühen einer Fußreise preisgegeben, und nun auf einmal in einer warmen, sabbathduftenden Stube, an einer wohl besetzten Tafel; mitten unter einer Familie; Wir erlassen den Kommentar zu einem solchen Verfahren! Nachdem man sich gewaschen und den Segen gesprochen, setzt man sich, wobei dem „Gaste“ einer der untern Plätze an dem Tische eingeräumt wird. Die Hausfrau übernimmt nun die edle Sorge für seinen Magen; es wird ihm von den reichlich aufgetragenen Speisen so viel aufgenöthigt, als sich ohne Gefahr thun läßt. Während des Essens hat der Schnorrer ein strenges Verhör, um Namen, Vaterort, Weib und Kinder u. s. w. zu bestehen, wobei denn der Schalk oft Dinge vorbringt, die der edlen Wahrheit eben nicht genügen mögen. Zuweilen ergötzt er auch den Hausherrn durch allerlei Witze, Anekdoten, talmudische Spitzfindigkeit und Schnurren allerhand von so drastischen, zwerchfellerschütterndem Inhalte, daß den Leuten darüber Essen und Trinken vergeht. Man muß diese köstlichen, witzsprühenden Anekdoten, namentlich die auf polnischem Gebiete spielen, verstehen und in ihre Feinheiten eingehen, um zu gestehen, daß hier nichts Gewöhnliches geleistet wird. Von diesen Schnurren mag auch der Name Schnorrer nicht herleiten, da diesen Leuten in frühern Tagen die Rolle der Hofnarren zugekommen sein mochte. Die köstliche Unterhaltung, die er aber dadurch der Familie verschafft, kommt dem „Gaste“ sehr gut zu Statten.

Beim Weggehen werden ihm noch die Ueberbleibsel der Speisen in die Tasche gestekt, und die Hausfrau schneidet noch ein großes Stük vom dem weißen Brode ab, das für den Sabbath eigens gebaken wird. Auf dieselbe Weise geht auch der folgende Tag, der Sabbath vorüber. Wie am vorhergehenden Abend besucht er wieder die Sinagoge, mit derselben Frömmigkeit und Devozion, wo möglich in noch verstärkterem Maße. An diesem Tage ereignet sich oft eine Szene ganz eigenthümlicher Art. Man weiß vielleicht, daß, nachdem die Stämme Israels in alle Enden und Eken der Welt zerstäubt und verweht wurden, so daß selbst ihre Namen untergingen, ein Stamm sich erhalten haben wollte, der der Priester und Leviten. Noch heut zu Tage führen diese den alten Namen, ob mit historischem Recht oder Unrechte, wissen wir nicht. Als die ehemalige Leiterin der Theokratie genießt diese Kaste noch jetzt einige, freilich sehr unwesentliche Vorrechte; so wird zum Beispiel beim Verlesen der Gesetzesrolle der Priester zuerst aufgerufen, hernach kommt der Levite und nach ihnen erst das gemeine Volke der Israeliten. Nun trifft es sich zuweilen, daß in manch kleinerer Gemeinde kein Priester sich vorfindet. Da kommt aber der „Schnorrer“, gibt sich als solchen zu erkennen und sogleich wird sein Name verlesen und der Vorzug des ersten Vortretens kommt ihm zu. Man erinnert sich, daß in den Büchern Moses ein Kapitel vorkommt, worin der Profet unter den schreklichsten Strafen, Plagen und Drohungen den Fall Israels voraussagt, wenn es je von seinen Geboten abweichen würde. Aus Vorurtheil oder Aberglauben will nun Niemand zu diesem Kapitel vorgerufen werde, weil sich vielleicht ein Theil des Gelesenen an seinem Theile erfüllen könnte. In solchen Fällen übernimmt der „Schnorrer“ die ganze Verantwortlichkeit auf sich – er tritt vor, wenn kein Anderer will, und auf sein Haupt ladet er die ganze Masse von Flüchen und Drohungen, von denen jenes Kapitel überfließt! Man sieht also, daß er trotz seines vagen Lebens dennoch eine Stellung einnimmt. Wenn so ein Sabbath heilbringend für den Magen des „Schnorrers“ gewesen, so ist es der nächstfolgende Sonntag noch mehr für seine Tasche. An diesem Tage bricht er wieder auf, bevor dies aber geschieht, stattet er allen Gemeindegliedern seinen Besuch ab, um Almosen für seine Wegzehrung zu empfangen. Oft aber befriedigt ihn das Geschenk mancher sparsamen Hausfrau nicht – da ergrimmt sein Zorn und mit den Geberden eines dazu Berechtigten wirft er ihr das Geldstük zurük und schleudert ihr eine Fluth von Flüchen zu. Vergrößert sie nicht das Geschenk, so vermehrt sich seine Insolenz; bis zum Zweke gelangt. Denn die Hausfrau fürchtet, die Flüche des Bettlers könnten wahr werden, und Gott erhört zumeist seine Worte!

Wohin aber der Schnorrer am liebsten seine Schritte richtet, das sind die Wohnungen der „Randars“. Dieses Wort ist der verdorbene Ausdruk für Arendator, einer jenen Besitzer oder Pächter von herrschaftlichen Branntweinhäusern, wie man sie in Böhmen überall findet. Diese Randars sind gewöhnlich über Maß mit zeitlichen Gütern beschenkt; „er ist ein Randar“ reicht hin, um ei- nen Begriff von Wohlhabenheit und Reichthum zu erweken. Die Wohnungen dieser Krösusse hegen aber eine Fülle von landschaftlicher Poesie in sich, wie sie ihr erster Anblik vielleicht nicht glauben läßt. Sie sind in gewisser Hinsicht jüdischer Klöster;* wie der Arme und Hungrige von jeher in der stillen Vorhalle der Mönche seine Suppe erhielt, so empfängt hier jeder Vorüberreisende, der einspricht, mehr als dies. Der „Randar“ ist gewöhnlich ein wohl gemästeter, jovialer Mann, der gerne lacht und lustige Geschichtchen hört. Diese Eigenheit des Randars kennt nun der Schnorrer sehr gut und weiß sie auch trefflich zu benützen. Bei ihm spricht er am liebsten ein; mit Hülfe einiger witzigen Anekdoten und Bonmots weiß er ihn in eine so glükliche Laune zu bringen, daß er dann Alles von ihm erlangen kann. Hier verlebt er denn auch seine glüklichsten Tage; er ißt und trinkt vortrefflich, wozu noch zuweilen ein Glas vom stärksten Branntwein kommt, gegen den namentlich der Pole eine etwas zu ausgesprochene Vorliebe zeigen soll. Man denke sich das köstliche Genrebild: Die Branntweinschenke eines böhmischen „Randars“, der Schnorrer am Tische vor der dampfenden Schüssel, und ihm gegenüber das feiste, mondglänzende Antlitz des Randars, der sich vor Lachen den Bauch hält, während er die Anekdoten des Schnorrers hört.

So gestaltet sich das Leben des jüdischen Bettlers – wenigstens nicht uninteressant, wie man doch eingestehen wird. Noch gibt es unter diesen Schnorrern eine vornehme Aristokratie – die der armen reisenden Gelehrten. Da wir aber in Zweifel befangen sind, ob wir denn diese Gelehrten überhaupt in die Kategorie der Schnorrer werfen sollen, so erlasse man uns ihre Schilderungen auf eine andere Gelegenheit. Wahr bleibt es aber: ohne diese Schnorrer gäbe es im jüdischen Volke eine Nazionaltugend weniger und ein Zug fiele aus ihrem Karakter weg, der am glänzendsten den Vorurtheilen und Gehässigkeiten entgegen steht. Der heißt: Mildthätigkeit gegen den Mitbruder.

* Vor einigen Jahren gab J. Kaufmann in Leipzig eine wunderschöne Schilderung dieser poetischen Wohnungen im Taschenbuche „Jeschurnu!“ Man lese sie dort.