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In: Selbstwehr, 27. Jahrgang, Ausgabe 5 vom 03.02.1933 im Beiblatt „Blätter für die jüdische Frau“, S. 1ff
Dr. Martha Hoffmann (Wien):
Artur Schnitzler und Theodor Herzl
(Zu Schnitzlers erstem Todestag.)
Daß Herzl vor und während seiner Pariser Jahre, wohl auch noch später, ja vielleicht bis zu dem dunklen Flügelschlag der Stunde, die die leisegewordene, zuckende Flamme seines Herzens verlöschte, daß Herzl in all den Jahren vor und während seiner politischen Aktion ein durch Selbstaufgabe innerlich Verblutender gewesen ist – das steht in keiner Biographie, das wird selten gesagt und vielleicht nicht viel öfter beachtet.
Als ich mich vor einigen Jahren mit dem Gedanken trug, das Leben Theodor Herzls zu schreiben, nicht eine äußerliche Aneinanderreihung seiner Haupt- und Staatsaktionen, sondern das Abbild seiner Seele und seines Geistes in ihrem Werden und Vergehen, da fühlte ich mit all der Sensibilität, dank der es einem sehr liebenden Biographen bisweilen möglich ist, das Wesen des Meisters zu enträtseln, daß unter der bekannten Oberfläche dieses sinnbildlichen Lebens eine große, tödliche, unbekannte Wunde liegt.
Briefe, die Herzl in jenen Jahren um 1893 gewechselt hat, insbesondere seine Bekenntnisse an den um einige Jahre jüngeren Schnitzler, zu dem er erst aus der Entfernung so recht den freundschaftlichen Kontakt gefunden (und zwar durch Paul Goldmanns Berichte über den großen dichterischen Aufschwung des jungen Arztes Schnitzler, auf den Herzl bis dahin ein wenig von oben herabgesehen hatte und dessen Erfolge er mit der ihm eigenen neidlosen Güte und Bewunderungsfähigkeit verfolgte, obgleich sich – malgré lui – dennoch ein Stachel in seine entmutigte Seele dabei tief, allzutief senkte), Briefe, die Leon Kellner zum Teil in seinem biographischen Versuch „Herzls Lehrjahre“ veröffentlicht hat, wiesen den Weg in diese schmerzliche Tiefe, den Weg, den ich damals zaghaft abzutasten begann. Zugleich wurde mir klar, daß nach des Prager Theaterdirektors Teweles Tod niemand so sehr letzten Aufschluß über jene tragische Zeit in Herzls Leben zu geben vermöchte als Artur Schnitzler.
Ein gemeinsamer Freund ermutigte mich, an den Dichter zu schreiben. Und da vieles in jenem innig erlebten Briefe gesagt ist, das ich heute nicht mehr so auszudrücken vermöchte, so sei das Schreiben hier zitiert, das schon beinahe eine kleine kontrastierende Abhandlung war, worin ich die beiden Zeitgenossen jenes in der Kulturgeschichte so berühmt gewordenen, heute so weltenfernen „Jung-Wien“ der neunziger Jahre charakterisierte.
Es schien mir damals – und scheint mir bis auf kleine Nuancen unverändert noch heute -, das Herzls antithetische Natur zusammengesetzt war aus jenem Widerstreit von „Drang nach Wahrheit und der Lust am Trug“, der für alle hochbegabten jungen Menschen, vor allem aber für junge Juden so bezeichnend ist. In seiner frühen selbstgefälligen Leichtlebigkeit, die er erst dann als eitel durchschaute, als sich sein hippokratisches Todesantlitz mit den großen, tiefen, allzu wissenden, ewigen Judenaugen auftat – schien er mir Heinrich Heine zu gleichen.
Und ich schilderte jenen Herzl der Pariser Tage, der erkennt, daß nicht das Schauen und Schildern, sondern das Erkennen und Gestalten seiner Zeit ihm das Wesentliche ist. Der große historische Zusammenhänge, soziale und technische Entwicklungen, der die Struktur, das nackte Gerippe seiner Zeit zu begreifen sucht – nicht mehr liebend gebannt an ihre Oberfläche, die andere, die in Wien vor allem Artur Schnitzler in ihrem Duft und Schmelz, ihrer Anmut und Süßigkeit so unnachahmlich geschildert hat.
Herzls „Bildungserlebnis“ – um mit Friedrich Gundolf zu reden – war Wien, dasselbe Wien, dem Artur Schnitzler nur um weinige Jahre später das unvergängliche Siegel seiner Kunst aufgedrückt hatte. Dieser – obgleich ein Jude mit tiefstjüdischem Herzen – hatte, durch ein wunderbares Naturspiel, durch die absolute Musikalität seines Wesens, das in allen Nervenbahnen den Rhythmus und die Atmosphäre der ihn umgebenden Stadt mit all ihrem Reiz und beseelten Zauber zum Schwingen gebracht. So etwa wie der berühmte Komponist Alfred Grünfeld, der feinste Wiener Musik wie kein zweiter zu spielen vermochte. Und so hatte kein Dichter des „Jungen Wien“ der Jahrhundertwende – nicht einmal Hugo von Hoffmannsthal – die geheime Formel dieser Stadt, ihr Aroma, ihre Blume erlebt, erfühlt, erliebt wie Artur Schnitzler, der Dichter des „Sommerheidenwegs“, mit dem verklärten, duftumflorten Blick auf die Stadt in ihrem abendlich erstehenden Lichterglanz, mit ihrem musisch-verträumten, grüblerisch-heiteren, wehmütigen Menschen, ihren sehnsüchtigen, leichtlebigen, tiefst zur Liebe befähigten Frauen.
Herzl hatte es eilig gehabt, sich und der Welt ein noch ungeklärtes, unausgereiftes Talent zu beweisen. Und er mußte auf diesem Wege scheitern, um sich selbst zu finden. Nicht, als ob es ihm an Künstlertum gefehlt hätte, wie die feinsten seiner Novellen und Feuilletons beweisen. Aber sein Talent war zartes Filigran. Und das Werk mißlang, wenn der Ehrgeiz des Autors den Maßstab verfehlte.
Er mußte an sich verzweifeln, unsägliche Depressionen erleiden – mit sich selbst sozusagen „fertig sein“, mußte gänzlich aufhören, an sein literarisches Talent zu glauben, um zu seiner wesentlichsten Bestimmung, der des Zeitendeuters und Führers, zu gelangen.
Vorher war er ein als Wiener Literat verkleideter jüdischer Elegant mit selbstbewußten Allüren – nun wird er Mensch und hat etwas zu sagen.
Aber immer hatte er Heimweh nach dem „Garten Eden“ …
„Sie, Sie haben Herzl gekannt! Briefe voll letzter Offenbarung hat er in seinen tragischsten Jahren von Paris aus an Sie geschrieben. Sie haben wie ein Freund an ihm gehandelt, ihn ermutigt, zum Schaffen angeregt. Wer war Theodor Herzl?Wie haben Sie ihn erkannt? Ich ringe um ihn, um sein Bild, um die Wahrheit über Theodor Herzl, der bald ein grandioser Führer, bald ein kleiner, allzu menschlicher Mensch erscheint. Wollen Sie mir helfen, ihn zu erkennen?“
So schrieb ich an Artur Schnitzler und rechnete kaum mit seiner Antwort an eine in jeder Hinsicht Unbekannte.
Aber kurze Zeit danach erreichte mich die mich außerordentlich beglückende und bestätigende Antwort des Dichters. Sie lautete:
„Verehrtes Fräulein“
In dem interessanten Briefe, den ich vor wenigen Tagen, von meiner Reise heimgekehrt, in meinem Hause vorfand, geben Sie eine fast durchweg zutreffende Charakteristik Theodor Herzls. Ganz überraschender Tiefblick, wenn man bedenkt, daß Sie ihn persönlich nicht gekannt haben.
Es wird mir sehr angenehm sein, über das Problem Herzl – denn er war im wahrsten Wortsinn ein problematischer Mensch – einmal mit Ihnen zu reden; zu schreiben gedenke ich vorläufig nicht über ihn.
Ich hoffe bald von Ihnen zu hören. Bitte, rufen Sie mich an. (Folgt Telephonnummer und Zeitangabe).)
Mit verbindlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Artur Schnitzler.“
Eine Woche später bat mich Schnitzler, ihn in seiner Villa im Währinger Cottage zu besuchen. Nachdem ich ein Treppenhaus, das mit Stichen und Radierungen des alten Wien fast tapeziert war, durchschritten hatte, führte mich Schnitzler in sein Arbeitszimmer, von dessen Wänden beiderseits der Monalisa Photographien seiner Freunde unter den deutschen Dichtern, vor allem ein großes, schönes Bild Gerhart Hauptmanns mit dessen Widmung, ferner Bilder von Heinrich Mann und Fritz von Unruh grüßten.
Schnitzler war damals schon ganz grau, ganz fahl, aber ein hoher Ausdruck von Güte stand in diesem einsam gealterten Gesicht. Er war nicht mehr – oh wie lange nicht mehr – der Elegant von einst, sein Knebelbart wirkte ungepflegt, seine Haltung müde, aber die gütigen Augen blickten den Gast mit einer fast südländischen Lebendigkeit und Liebenswürdigkeit entgegen, als er mich bat, auf seiner Chaiselongue Platz zu nehmen, an deren Fußende er selber leger kauerte. Bald waren wir mitten im Gespräch. Aus den Erinnerungen seiner studentischen Jugendjahre schöpfend, erzählte mir nun der Dichter, wie er Herzl noch als den schönen, deutschnationalen Studenten gekannt habe, zu dessen Eleganz er – selbst als Dandy berühmt – bewundernd aufgeblickt habe. Damals, mit 17, 18 Jahre . . . Herzl überragte ihn um Kopflänge und war überdies vier Jahre älter und zehnmal schöner. Das genügte, um einem Siebzehnjährigen zu imponieren. Schnitzler erzählte die berühmt gewordene Episode von jenem Ball in einem damals sehr mondänen Hotel, als Herzl auf ihn, der sich für tadellos angezogen hielt, entsetzt zugeeilt kam: „Schnitzler, welche Krawatte! Und ich habe Sie für einen Brummel gehalten!“
„Ich war vernichtet“, fährt der Dichter mit seinem wehmütig ironischen Lächeln fort. „Sie wissen – wir waren gesellschaftliche Rivalen – große Dandys – es war die Zeit Oskar Wildes.“
„War es auch die Zeit Anatols?“ – „Nein“, sagt Schnitzler lachend, „der war erst später. Aber es gehörte dazu. Es gehörte dazu – und ich schäme mich dessen nicht – gehörte zu dieser ganzen Epoche, in der man nicht im einfachen Komfortablefuhr, sondern im noblen Fiaker, in der man gesucht elegant gekleidet war, verwöhnt und gepflegt, ein weinig scheinbar blasiert und doch im Innern so grenzenlos jung. Es gehörte dazu.“
Gewiß denke ich bei mir, zu jener Wiener Stimmung der achtziger und neunziger Jahre, zu den Menschen des jungen Schnitzler und Hofmannsthal, zu ihrer Schönheit und kultivierten Erlesenheit gehörte es wohl. Eine andere Welt . . .
„Ich bin Herzl ja im ganzen nicht allzuoft begegnet. Wir waren niemals eigentlich Freunde, darin irren Sie in Ihrem Brief, der sonst so treffend ist. Wir hatten uns nie gut verstanden. Etwas – ich sagte es schon – von Rivalität war zwischen uns, er trat mit solch anmaßender Würde auf, deren Grund man damals noch nicht begriff, ich glaubte, er blicke auf mich herab – ich fand ihn ein wenig aufgeblasen und doch – wie bewunderte ich den natürlichen Adel seiner Erscheinung und seiner Erscheinung und seiner Gebärden. Als er in Paris war und mir jene Briefe schrieb, deren neuer, anerkennender Ton voll so selbstlosen Lobes mir gerade von ihm wohltat – und doch auch weh, wegen der unverkennbaren Wehmut seiner Empfindung – damals schien es, als sollten wir Freunde werden. Aber dann kam er nach Wien zurück und war schon ganz erfüllt von seiner zionistischen Idee. Seine Stellungnahme zu den Menschen hing davon ab, wie diese sich zu seiner Idee stellten. Und, sehen Sie, ich habe mich niemals einer Partei anzuschließen vermocht. Das ist bei mir ganz echt und ehrlich – das habe ich schon mit siebzehn Jahren in mein Tagebuch geschrieben. Und als Herzl, von Paris zurückgekehrt, mich nach seiner Art großartig ansah (Schnitzler imitiert ein wenig die bedeutende Gebärde des zionistischen Führers) großartig und imponierend in seiner stolzen Schönheit und zu mir sagte: „Ich habe die Judenfrage gelöst“ – da schien mir das etwas viel gesagt und ich antwortete ihm nach meiner Art ein wenig ironisch. „Sie werden bald davon hören“, sagte Herzl – und einige Zeit später lag sein kleines Büchlein (die ganze Verachtung eines vielbändigen Autors für solch dünnes, kleines Büchlein liegt in Schnitzlers Tonfall) „Der Judenstaat“ auf meinem Schreibtisch. Mir schien, als ob Herzl sich die Sache zu einfach dächte – und das scheint sich ja auch zu bewahrheiten. So schnell und einfach geht das nicht. Und nun müssen Sie auch wissen, daß ich kein Zionist war und bin. Wie ich mich zum Judentum stelle, ist bekannt. („Bernhardi, der Weg ins Freie“ fällt mir ein). Doch sehen Sie, ich bin auch hierin ganz ehrlich. Ich mache mir nichts vor, das liegt mir nicht. Ich bin ein Jude und stolz darauf, ich glaube sogar in hundert Jahren – vielleicht dauert es auch länger – wird die Welt überall dort, wo besonders subtiler Geist sich zeigt, sagen: „Gewiß ist jüdisches Blut in seinen Adern“, man wird darauf kommen, auf diese Feinheit des jüdischen Geistes. (Obgleich es auch beleidigend blöde Juden gibt. – ) Dennoch – ich bin ein deutscher Dichter, so gut wie Theodor Fontane ein deutscher Dichter war, obgleich er von französischem Blute stammte. Ich bin ein deutscher Dichter jüdischer Rasse.“
„Und Sie halten das jüdische Element nicht für wesentlich in Ihrer Substanz?“
„Aber für sehr wesentlich. Nur aus meinem jüdischen Blute bin ich ganz zu verstehen, das hat niemand weniger verhehlt als ich. Man kann ja auch gar nicht verhehlen, niemand kann wirklich lügen, es gibt nur dumme Menschen, die sich beschwindeln lassen. Schriebe ich in jiddischer oder hebräischer Sprache, so wäre ich ganz und gar ein jüdischer Dichter und gehörte zur jüdischen Literatur. Wenn man mich heute dazu zählen will, so ist es eine Lüge.“
„Man nennt Sie den Wiener Dichter par excellence, das ist Ihre eigenste Marke . . .“
„Ich bin deutscher Dichter und gehöre Europa“, antwortet Schnitzler entschieden. „Natürlich wurzle ich in Wien, wie Thomas Mann in Lübeck und Wassermann in Franken. Gewiß ist eine bestimmte lokale Formung bei mir vorhanden – aber darüber hinaus bin ich einfach einer in der Reihe der deutschen Literatur. Wie Fontane -. Oder gehört der etwa zur französischen Literatur?“
„Und würde das jüdische Neuland, würde Palästina Sie nicht heute noch locken oder zumindest interessieren?“
„Nur wenig“, sagt Schnitzler. „Ja, wäre es irgendwo ganz in der Nähe, ich führe natürlich hin, um es anzusehen. Aber – fährt er zögernd fort – auch dessen bin ich nicht ganz sicher. Die Landschaft stört mich, diese südländisch farbenstarke, orientalische Landschaft. Ich hänge nun einmal am Wienerwald. Außerdem“, fährt er rasch überleitend fort, „ist mir nichts widerlicher als national-chauvenistischer Ton, wie man ihn auch im politischen Zionismus einer bestimmten Richtung begegnet. Die Chowewe-Zionbewegung, das war etwas, das hat mich tiefer angesprochen. – Doch verstehen Sie mich bitte recht: Ich halte den Zionismus für notwendig und richtig, er mußte kommen, so gut wie der Sozialismus, ich verstehe das alles ganz gut, aber ich mache mir nichts vor. Ich kann mich nicht selbst belügen. Da gibt es einen deutschen Romancier, den ich sehr gut kenne – Sie wissen wohl, wen ich meine – der wohnt in einer Villa mit zwanzig Zimmern in herrlicher Umgebung. Aber am Ende seiner Romane „macht er in Menschenbeglückung“, da „nimmt er seinen Havelock und geht in die Wüste“. Das kann ich nicht. Er liebt die Menschheit als Abstraktum in abstracto. Ich liebe einzelne Menschen und diese ganz konkret. Und so geht es mir auch bei großen Bewegungen. Sie bleiben mir abstrakt – doch mich interessiert nur das lebende Individuum und das kleinste Detail.“
(Indes er dies, als ein Arzt und Dichter, sagt, muß man ihn lieben. Gleichzeitig aber fühlt man, wie fern er dieser in Erlösungsbewegungen gefesselt liegenden, mit Fesseln ringenden Nachkriegszeit ist. Sie leben aneinder vorbei, die heutige Zeit und dieser feinnervige Dichter.)
Das Gespräch kehrt zu Herzl und zu anderen Menschen, jüdischen Menschen, zurück. Schnitzler erzählt auf meine Frage von seinem Jugendfreund, jenem schönen russischen Zionisten, der das Urbild des Leo im „Weg ins Freie“ war und den er so tief liebgehabt hat. Er selbst sei Heinrich Berman – und das sage alles. Gewiß entsänne ich mich doch jener langen Gespräche der beiden über die Judenfrage. Diesem so natürlichen, schlichten und schönen russischen Zionisten habe er nähergestanden und tiefer mit ihm gefühlt als mit Theodor Herzl, der doch viel Pose an sich gehabt habe.
„Und noch eins“, fährt Schnitzler fort, „Herzl hatte, gleich so vielen bedeutenden Menschen, den unseligen Spleen, sein Talent in verkehrter Richtung zu suchen. Ich habe ganz recht gehabt, wenn ich ihm schrieb, daß Herzl erst zu sich selbst hab finden müssen, um Bedeutung zu erlangen.“ Aber etwas dran stimme nicht ganz, etwas, das schwer zu erklären sei – auch als er Führer geworden, habe Herzl sich selbst nicht verstanden und einen unglücklichen Mangel an Selbstkritik in literarischer Hinsicht besessen. So sei er, Schnitzler selbst, einst mit Hofmannsthal und Beer-Hofmann im Kaffeehaus in ein literarisches Gespräch vertieft gesessen, als Herzl hinzutrat und – da kurz vorher ein unbedeutender, kleiner Einakter von ihm gegeben worden war, eine ganz nichtige Kleinigkeit – habe Herzl gefragt, ob einer der drei Dichter sein Stück gesehen habe. Diese Frage auf Grund eines so unbedeutenden kleinen Einakters habe unsäglich peinlich, ja grotesk auf alle gewirkt. Zum Unglück hatte Schnitzler das Stück gesehen. „Wollen Sie wirklich, daß wir darüber sprechen?“ „Ich bitte darum“, sagte Herzl hartnäckig. Nun habe Schnitzler es – leider, leider! – seiner Überzeugung gemäß in Grund und Boden verrissen. Es sei ja auch grenzenlos nichtig und wertlos gewesen. Aber Herzl sei jäh erbleicht und, wie taumelnd, vom Tisch fortgetreten. Lange habe dann Schnitzler nichts mehr von ihm gehört, bis dann eines Tages die Nachricht von Herzls tödlicher Erkrankung kam. Da habe es ihm bitter leid getan, daß sein letztes Gespräch mit ihm ein so bitteres gewesen sei, doch konnte er es nicht über sich bringen, seine Meinung, da er so wieder seinen Willen gefragte worden war – zu verhehlen. Er hätte viel darum gegeben, wäre Herzl damals nicht an seinen Tisch gekommen. Dieser bedeutende Mann hat den Literatenehrgeiz bis zuletzt nicht abgelegt, ganz im Gegenteil. Hermann Bahr und Siegfried Trebitsch, die an Herzls Totenbett in Edlach weilten, wußten zu berichten, wie Herzl bis zum letzten Atemzug weit mehr nach der Aufnahme seiner literarischen Arbeiten, als nach dem Schicksal der zionistischen Bewegung gefragt habe.
Hier schüttle ich stumm den Kopf. Ja, Bahr und Trebisch mag er danach gefragt haben, denn was wußten sie von der Idee und der Bewegung. Aber immerhin – immerhin – sie war tiefer, als ich gedacht – unheilbar – tödlicher noch, als ich spürend geanht hatte, Herzls tiefste Wunde – seine Verzweiflung an sich selbst und an seinem Dichtertraum.
Und dennoch, denke ich beim Heimweg sinnend, nachdem ich den liebenswürdigsten der Dichter verlassen habe – und dennoch: wer von beiden hinterläßt wohl letzten Endes das schönere, das unsterblichere Lied?
Nun, da Schnitzler starb, fühlt die immer blinde und stumpfe Welt erst allmählich, daß auch er ein Schmerzenreicher, ein Verblutender war, obgleich er sich – gleich Herzl und Heine – in seiner Jugend für einen Götterliebling gehalten. Dichterlos – Judenschicksal.