In: Selbstwehr, 20. Jahrgang, Ausgabe 13-14 vom 29.03.1926 im Beiblatt „Blätter für die jüdische Frau“, S. 1f

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[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. Diesen Kampf und seine Wirkung auf das eigene Wesen an Hand dieses Vergleiches mit ein paar Streiflichtern zu beleuchten, vor allem aber das Werden und Wachsen, sowie die mut- maßliche Weiterentwicklung der Frauenbewegung an Hand dieses Vergleiches einer näheren Be- trachtung zu unterziehen, soll der Zweck dieses Artikels sein.

Betrachten wir zunächst die Stellung des Juden zum Arier. Im allgemeinen betrachtet der Arier den Juden als minderwertig und wenn er versucht, sich über die Gründe dieser Anschauung Re- chenschaft zu geben, wird er eigentlich immer nur einen Grund finden, nämlich den, daß der Jude anders ist als er, daß er jene Eigenschaften, die er an Angehörigen seiner Rasse schätzt, nicht oder in vermindertem Maße besitzt.

Und wie steht nun die Frau zum Manne? „Denkt er daran, daß sie, wie er, Geschöpf Von Gott in diese Welt gesetzt – Daß sie nicht minder, anders nur als er?“

So charakterisiert Richard Beer-Hofmann die Beziehungen zwischen Mann und Weib. Stimmen diese Worte nicht fast genau mit dem überein, was ich vorhin über das Verhältnis des Juden zum Arier sagte? Der Mann erklärte (und erklärt auch jetzt noch, wenn auch oft uneingestandenerma- ßen) die Frau für minderwertig, weil sie anders ist, weil sie den Ansprüchen, die er an sich und seinesgleichen zu stellen gewohnt ist, nicht entspricht. Viele Männer werden diese Behauptung bestreiten. Besonders die ausgesprochenen Gegner der modernen Frauenbewegung hört man oft sagen, daß sie die Frau nur dort für minderwertig halten, wo sie versucht, sich mit dem Manne auf seinem ureigenen Gebiete zu messen, daß sie aber der Frau, die nicht anderes sein will als Gattin, Hausfrau, Mutter, vollste Anerkennung, ja, Verehrung und Bewunderung entgegenbringen. Nun halte ich das für leere Theorie, denn dem widerspricht die Tatsache, daß in den „guten alten Zei- ten“, wo die Frau gänzlich in ihrem Hausfrauen- und Mutterberufe aufging, sie gleichzeitig in voll- kommener Abhängigkeit vom Manne gehalten wurde. Es gab und gibt kaum einen Mann, und möge er auch in seinem Berufe nur mittelmäßiges leisten, der die Arbeit der vollendetsten Haus- frau und Mutter als eine seiner eigenen gleichwertige ansieht. Goethe sagt an einer herrlichen Stelle, wo er von den Mühen und Sorgen einer stillenden Mutter spricht:

„Zwanzig Männer verbunden ertrügen nicht diese Beschwerde, Und sie sollen es nicht: doch sollen sie dankbar es einsehn.“

An diesem dankbaren Einsehen nun ließen und lassen es unsere Männer gar zu oft fehlen und diese mindere Wertung der Frauenarbeit im engeren Sinne ist wohl neben sozialen Gründen eine der Hauptursachen der Frauenbewegung.

Wie der Arier dem Juden gegenüber seine Machtstellung handhabt, ist bekannt. Der Jude war im Ghetto eingeschlossen, von den meisten Erwerbs- und Bildungsmöglichkeiten, von jedem Le- bensgenuß abgesperrt ja seines Lebens nie sicher. Was Wunder, daß bei diesem ewigen Kampfe mit ungleichen Waffen sich eine Unzahl von schlechten Eigenschaften entwickelten.

Grillparzers Spanierkönig sagt in bezug auf die Juden: „Was sie verunziert, es ist unser Werk: Wir lähmen sie und grollen, wenn sie hinken.“

Könnten nicht unsere Männer dieselben Worte sprechen, wenn sie unserer, uns so oft vorge- haltenen weiblichen Fehler gedenken? Auch wir Frauen lebten Jahrhunderte in einer Art Ghetto (wir jüdischen Frauen also in einem Ghetto des Ghettos), waren vor dem Gesetze rechtlos und in vollkommener Abhängigkeit vom Manne, nicht nur durch das Gesetz, sondern auch dadurch daß der Mann der allein erwerbende Teil war und der Frau fast alle Bildungsmöglichkeiten sowie jeder Einblick in das öffentliche Leben versperrt war. Nun entwickelten sich (analog dem anderen Falle) unter diesem Drucke wieder eine Unzahl schlechter Eigenschaften. Es entwickelte sich das, was wir weibliches Raffinement nennen. Dann suchte die machtlose Frau begreiflicherweise die Waf- fen zu gebrauchen, die ihr die Natur verliehen, und mißbrauchte sie, daher die weibliche Eitelkeit und Koketterie.

Doch noch ein trauriges Resultat hat der Druck und die Verachtung in beiden Fällen gezeitigt: die Selbstverachtung. Dr. Felix Weltsch sagt in seine Artikel „Der Einzelne und das Judentum“:

„Wie viele Juden haben, ohne es zu wissen, den Wertmaßstab des Ariers in sich aufgenom- men, so daß ihnen, danach gemessen, der Jude notwendig als minderwertig erscheint. Sie schät- zen jene Eigenschaften hoch, welche zum Idealtypus des Ariers gehören und verachten den Ju- den, weil er diesen Eigenschaften nicht entspricht. Das ist einer der traurigsten Punkte unserer geistigen und kulturellen Situation, daß wir unseren eigenen Idealtypus verloren haben, jenen Ide- altypus, der unseren Eigenschaften, unserer Seele und geistigen Eigenart entsprechen würde.“

Der aus dem Ghetto entlassene Jude sah sich weiter der Verachtung seiner Umgebung preis- gegeben. Nichts natürlicher, als daß er, wo er sich nicht völlig vom Judentume lossagte, doch zu- mindest alles spezifisch jüdische abzustreifen und sich den anderen nach Möglichkeit anzuglei- chen suchte. Dabei beschränkte man sich nicht auf das sehr lobenswerte Bestreben, die Fehler der Rasse abzulegen und das Gute der anderen anzunehmen, nein, man tauschte auch gedan- kenlos eigene Vorzüge gegen fremde Fehler ein. Und so entwickelte sich der abstoßendste aller Typen, der jüdische Antisemit, der den arischen oft an Unduldsamkeit weit übertrifft.

Auch da haben wir bei den Frauen den entsprechenden Typus: den weiblichen Weiberfeind. Wir finden oft bei Frauen ein Mißtrauen gegen weibliche Arbeit, weibliche Leistung, das weit grö- ßer ist, als das des Mannes. Auch da kann man sagen, wir haben unseren Wertmaßstab verloren und den des Mannes angenommen.

„Das edle Weib ist fast ein Mann, ja ganz, Erst ihre Fehler machen sie zu Weibern.“

So sagt der schon einmal zitierte Grillparzer: eine Ansicht, der wir gewiß nicht beipflichten wol- len, die sich aber wie ein roter Faden durch alle Sagen, Mythe und Dichtung zieht, wo Frauen von irgend einer Bedeutung eine Rolle spielen. Der größere Teil dieser dichterischen oder sagenhaften Frauengestalten ist nur Frau, besser gesagt, nur Weib; entweder hingebende Geliebte, aufopfern- de Frau und Mutter, oder Männerverführerin und Verderberin. In beiden Fällen nur in ihren Bezie- hungen zum Manne gesehen, ohne Wert als Persönlichkeit. Handelt es sich aber um Frauen, die berufen sind, auf ethischem oder geistigem Gebiete Hervorragendes zu leisten, so erscheinen sie scheinbar notwendigerweise ihrer Weiblichkeit beraubt.

In der Vergangenheit wie in der Dichtung finden wir diese zwei streng gesonderten Frauenty- pen. Aber in der Wirklichkeit, in der Gegenwart, finden wir die Nur-Gattin, Nur-Mutter, deren größ- ter Vorzug eigentlich in ihrer Unpersönlichkeit liegt (der Volksmund sagt, die beste Frau sei die, von der man nicht spricht) oder aber Frauen, die im Berufsleben mit dem Manne wetteifern und sich nach Möglichkeit bemühen, alles spezifisch weibliche abzustreifen und sich dem Manne an- zugleichen. Wir sehen an allen diesen Beispielen, daß nach Ansicht aller vergangenen Zeiten und auch noch der Gegenwart natürliche Weiblichkeit und Bedeutung als Persönlichkeit scheinbar un- vereinbare Dinge sind. Und da ist der Punkt gegeben, an dem eine naturgemäße Frauenbewe- gung einzusetzen hat. Auch da haben wir das beste Vorbild an dem analogen Falle, der Judenfrage.

Durch die Periode der gedankenlosen Nachahmung, der Selbstverachtung hindurchgegangen, erwachte der Jude zum Bewußtsein seiner Selbst seines eigenen, in seinem ureigenen Volkscha- rakter gelegenen Wertes und suchte diesen Wert nach Möglichkeit zu steigern. Der bewußte Jude trachtet seitdem, die eigenen Vorzüge zu denkbar höchster Vollkommenheit zu entwickeln, die eigenen Fehler soweit als möglich zu unterdrücken.

Und da haben wir die Richtung gegeben, die die Frauenbewegung einnehmen sollte. Die trau- rige Periode der Nachahmung, die Zeit, in der die Frauen das Wesen, der Frauenemanzipation darin sahen, eine möglichst der männlichen angeglichene Kleidung zu tragen und sich alle männ- lichen Unarten anzueignen, ist Gott sei Dank überwunden. Jetzt gilt es noch, jene Selbstverach- tung zu überwinden, die sich schon unbewußt darin äußert, daß Frauen es als Ausdruck der Be- wunderung hinnehmen, wenn im Hinblick auf eine hervorragende Leistung auf irgend einem Ge- biete gesagt wird: „Man würde nicht glauben, daß das von einer Frau ist.“ Wir Frauen müssen (so, wie in dem anderen Falle die Juden) zu der Erkenntnis gelangen, daß in jener Nachahmung ein Bekenntnis der eigenen Inferiorität liegt. Die Frau muß dahin gelangen, ihre eigenen, in ihrem Weibtum gelegenen Vorzüge als denen des Mannes gleichwertig anzusehen; dann wird sie auch neidlos die Ueberlegenheit des Mannes auf den Gebieten anerkennen, auf denen sie unleugbar ist, wie in physischer oder rein geistiger, insbesondere schöpferischer Beziehung.

Ich will damit nicht die Rückkehr zur Auffassung und Lebensweise unserer Großmütter predi- gen; es wäre traurig um unsere Weiblichkeit bestellt, wenn sie sich nur in Küche und Kinderstube erhalten könnte. Das, was die Führerinnen der Frauenbewegung für uns geleistet, für uns ge-kämpft und gelitten haben, soll kein vergeblicher Kampf, kein vergebliches Leiden gewesen sein. Das, was sie uns gegeben haben, die größere Bildung, den weiteren Horizont sind unschätzbare und unverlierbare Güter. So wie der Jude nie im Ghetto seinen Idealtypus hätte entwickeln kön- nen, so brauchen wir freie Luft, Einblick in den öffentlichen Leben, alle Bildungsmöglichkeiten, die dem Manne zu Gebote stehen, um die unsrigen entwickeln zu können.

Aber immer wollen wir, draußen im Strom der Welt, im Beruf, in humanitärer, politischer, geisti- ger Arbeit, wie im Hause des Gatten Frauen bleiben. Wir müssen lernen, es nicht als Vorzug, son- dern als Fehler anzusehen, wenn unsere Leistungen auf irgend einem Gebiet sich von den männ- lichen nicht unterscheiden. Wir müssen trachten, diese Arbeit durch unsere größere Bildung und selbständigere Anschauung auf ein höheres Niveau zu heben, ein Niveau, das auch der geistig anspruchsvolleren Frau von heute Befriedigung gewähren kann. Nur durch ein solche Höchstent- wicklung unserer weiblichen Vorzüge, nicht durch ein Streben nach den männlichen, Hand in Hand natürlich mit einer möglichsten Unterdrückung unserer weiblichen Fehler könne wir uns zu Persönlichkeiten herausentwickeln und können so für uns selbst das „höchste Glück der Erden- kinder“, sowie die Achtung unserer Gegner erringen.

In diesem Sinne wollen wir leben und wirken, in diesem Sinne unsere Töchter erziehen. Nicht mehr zu einem Stück Wachs, das der Formung durch Männerhand harrt, nicht zu Weibchen, de- ren Lebenszweck es ist, dem Manne zu gefallen, aber auch nicht zu Mannweibern, deren Ziel es ist, es ihm gleichzutun. Nein, zu Frauen, die, wohin immer Wille oder Schicksal sie gestellt hat, ob sie nun Gefährtinnen oder Konkurrentinnen des Mannes sind, sich ihre Weiblichkeit bewahren und sie, seiner Männlichkeit nicht gleichartig, aber gleichwertig zur Seite stellen.

Unter den Sprüchen eines leider zu wenig bekannten, kürzlich verstorbenen Prager jüdischen Dichters – Emil Spiegel – findet sich folgender Vierzeiler:

„Zurück zum Glauben? Nein und aber nein! Das Rad der Zeit läßt sich nicht rückwärts treiben. Wir wollen nicht zurück, nicht stehen bleiben! Vorwärts zum Glauben! soll die Losung sein.“

Dieses schöne Wort möchte ich in Anwendung auf unseren Fall dahin variieren, daß ich sagen möchte: „Nicht zurück zur Weiblichkeit, vorwärts zur Weiblichkeit, soll die Losung sein.

Dresden 1914.

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Zur Biographie: Scholem Alejchen

Aus: Allgem. Zt. Des Judentums Jg. 66, H. 5, 31.1.1902, 57-59

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In: Wiener Morgenzeitung vom 13. August 1920, S. 7

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Kein Roman, sondern eine überaus verwickelte Geschichte, die zwischen Warschau und Marienbad spielt, in 36 Briefen, 14 Billet-doux und 46 Telegrammen.

Belcie Kurlander aus Berlin an ihren Gatten Schlojme Kurländer auf den Nalewki (Warschau).

Dem teuren Gemahl, Herrn Schlojme, ehrfürchtigen Gruß.

Ich habe Dir zu berichten, daß ich vorläufig noch in Berlin bin und nach Marienbad nicht früher werde fahren können, als — Gott geb’s — nach Samstag. Ich muß mich vor Dir nicht erst entschuldigen, aber Du kannst mir glauben: ich bin ganz und gar nicht daran schuld, daß sich alles so getroffen hat, daß ich mich in Berlin eine ganze Woche aufhalten muß. Wenn Du alles von Anfang bis zum Ende wissen wirst, was ich erleben mußte, wirst Du selbst sagen, daß man nichts im voraus berechnen kann; der Mensch denkt und Gott lenkt.

Die Sache ist so:
Ich habe gemeint, in Berlin nicht mehr als einen Tag verbringen zu müssen, höchstens zwei. Denn wie lange dauert denn eine Visite beim Professor? Das wäre alles schön und gut gewesen, wenn ich den Pro­fessor zu mir berufen hätte. Nun habe ich mir aber überlegt: Wozu soll ich unnütz dreißig Mark hinauswerfen, die zu etwas anderem zugute kommen können? Ich habe ohnedies so oft von Dir anzuhören, daß sehr viel Geld aufgeht; die Zeiten — sagst Du — sind jetzt auch nicht am besten und ich habe noch viel in dieser Art von Dir anzuhören… Deshalb habe ich auch nicht in dem Hotel in der Friedrichstraße absteigen wollen, das meine Base Chawele mir aufgeschrieben hat. Wie kann ich mich mit Chawele Tschapnik vergleichen? Chawele kann ausgeben, wieviel sie will und ihr sagt keiner was; denn Chawele ist nicht die zweite Frau ihres Mannes wie ich, ihr Mann hat keine Kinder von der ersten Frau wie mein Mann und Berl Tschapnik zittert nicht um jeden Groschen wie Du und hat nicht Angst, in seinen alten Tagen betteln gehen zu müssen, wie Du sie hast. Ich meine damit — Gott bewahre — nichts Böses, ich sage ganz ernst, daß ich Dir nicht mehr ausgeben will als nötig, und gerade deshalb bin ich dort abgestiegen, wo alle, die auf Nalewki wohnen, absteigen, bei der Perlzweig. Das ist eine Witwe, eine gute Jüdin und tüchtige Hausfrau, sie kocht ausgezeichnet und läßt sich nicht viel zahlen und die Hauptsache ist: man hat es überall hin nahe. Für 10 Pfennig bist Du auf der Leipziger Straße, bei Wertheim. Und ist es möglich, in Berlin zu sein, ohne wenigstens für eine Minute zu Wertheim zu gehen? Wärest Du ein einziges Mal bei Wertheim, Du würdest selbst sagen, es sei unmöglich. Von Wertheim habe ich noch in Warschau gehört. Aber ich habe mir nie vorgestellt, daß es auf der Welt so ein Geschäft geben kann. Was soll ich Dir erzählen, mein teurer Gemahl? Es läßt sich nichtbeschreiben! Was das Herz begehrt und was der Mund ausspricht! Und die Menge Menschen — keine Nadel kann zu Boden fallen! Und alles spottbillig, der halbe Preis gegen den bei uns auf den Nalewki! Denk Dir nur. Ein Dutzend Taschentücher zwei Mark! 98 Pfennig, ein Paar Seidensocken, die Du bei uns nicht um einen Rubel zwanzig kriegst! Oder um 68 Pfennig eine Wanduhr— wie kann der Mann dabei nur leben? Ich habe mir vorgenommen, wenn ich, so Gott will, gesund nach Hause fahre, wieder über Berlin zu fahren, nicht über Wien — Wien ist, so sagt man, ein Dorf, eine Wüste im  Vergleich zu Berlin — und dann will ich mich bei Wertheim einstellen und, da ich doch dann einen freien Kopf habe, mich gut umsehen und für den Haushalt einkaufen, was nötig ist: etwas Glasware und etwas Fayencen und derlei Zimmerschmuck; Seidenstoffe, Möbel und Parfüm. Wegen der Grenze brauchst Du keine Angst haben; da schaffe ich mir schon Rat. Chawele Tschapnik bringt jedes Jahr ganze Kisten durch. Jetzt habe ich noch gar nichts gekauft, außer ein wenig Wäsche, ein Paar Sommerschuhe, einen Hut, einen Flanellschlafrock, ein halbes Dutzend Unterröcke, einen grünen Seidenschirm, Handschuhe, Spitzen, Fichus und sonst einiges, was ich in Marienbad unbedingt brauche. Und da ich schon bei Wertheim war, habe ich mich schon nicht halten können und habe mir gleich  ein halbes Dutzend Tischtücher, zwei Dutzend Servietten und eine Maschine zum Butterschlagen beipacken lassen. Jetzt tut es mir schon leid, so wahr ich lebe, daß ich Dir nicht gehorcht und nicht noch ein paar Hunderter mitgenommen habe. Es war sehr dumm von mir, mich vor Dir schön zu machen, daß ich nicht die Verschwenderin bin, wie Du meinst. Das Geld wäre besser bei Wertheim angelegt als beim Doktor (alle Krankheit über ihn!). In Berlin habe ich noch einen Doktor gebraucht! Zu wenig von der Sorte gibt es in Warschau?! Ich sage Dir: Die Berliner Doktoren hätten warten können, bis ich einen holen lasse! Wem aber ein Unglück bestimmt ist — nun, Du sollst es gleich hören: 

Kaum war ich in Berlin in meinem Quartier bei der Perlzweig angekommen, ich hatte noch nicht Zeit gehabt, mich ordentlich zu waschen und umzukleiden, da haben mich alle schon gepackt, welchen Doktor ich mir holen lassen will. Ich sage: „Erstens, wer hat Euch erzählt, daß ich einen Doktor brauche? Sehe ich so schlecht aus, daß man mir das an der Nase ansieht? Und zweitens,“ sage ich, „habe ich von Warschau her die Adresse eines Professors.“ Da mischt sich einer hinein, ein Alter, mit einer Nase, auf der Ribisel wachsen: „Nehmen Sie es mir nicht übel, Madame,“ sagt er, „was ich Ihnen sagen will. Weil Sie,“ sagt er, „die Adresse eines Professors haben, müssen Sie vorher,“ sagt er, „zu einem Doktor. Denn es ist ein großer Unterschied,“ sagt er, „was Sie dem Professor sagen werden oder was,“ sagt er, „der Doktor ihm sagt er, „sagen wird in seiner Doktorsprache.“,

(Fortsetzung folgt)

ADLER, JESSA: JUDENFRAGE – FRAUENFRAGE

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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AICHINGER, ILSE: DAS VIERTE TOR

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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ANONYM: AUFRUF: DAS MARTYRIUM DER URKAINISCHEN JUDEN. AUFRUF AN DIE ÖSTERREICHISCHE JUDENSCHAFT.

Es gab mehrere stolze Leute in der Gasse, in der ich Lehrer war. Stolz war Awrom Geier auf seinen großen Schnurbart und seine rothe Nase, die ihm ein magyarisches Aussehen gaben; stolz war Mardche Schilak auf seine Töchter, die in einem Pester Pensionat waren und mit einem clavier nach Hause kamen, das man in der Gasse noch nie gesehen hatte; stolz war Scheie Kallop auf sein Renommé als bester Franzefuß-Spieler in der ganzen Gegend; einen stolzeren Menschen jedoch gab es weit und breit nicht, als Schie Leb. […]
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ANONYM: DIE NEUEN STAATEN UND DIE JUDENFRAGE

Es gab mehrere stolze Leute in der Gasse, in der ich Lehrer war. Stolz war Awrom Geier auf seinen großen Schnurbart und seine rothe Nase, die ihm ein magyarisches Aussehen gaben; stolz war Mardche Schilak auf seine Töchter, die in einem Pester Pensionat waren und mit einem clavier nach Hause kamen, das man in der Gasse noch nie gesehen hatte; stolz war Scheie Kallop auf sein Renommé als bester Franzefuß-Spieler in der ganzen Gegend; einen stolzeren Menschen jedoch gab es weit und breit nicht, als Schie Leb. […]
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ANONYM: SCHIE LEB. EINE FEDERZEICHNUNG

Es gab mehrere stolze Leute in der Gasse, in der ich Lehrer war. Stolz war Awrom Geier auf seinen großen Schnurbart und seine rothe Nase, die ihm ein magyarisches Aussehen gaben; stolz war Mardche Schilak auf seine Töchter, die in einem Pester Pensionat waren und mit einem clavier nach Hause kamen, das man in der Gasse noch nie gesehen hatte; stolz war Scheie Kallop auf sein Renommé als bester Franzefuß-Spieler in der ganzen Gegend; einen stolzeren Menschen jedoch gab es weit und breit nicht, als Schie Leb. […]
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AUTOR*IN UNBEKANNT: DIE JUDENFRAGE IM OSTEN

Unter dem Waffengetöse schwiegen nicht nur die Musen, sondern auch die diversen Judenfragen, soweit für solche noch ein Boden in Europa vorhanden ist. Von der Zivilisation und der siegenden Idee eines Rechtsstaates verdrängt, fand die Judenfrage nur noch im Osten dieses Welttheils eine Heimat, von ganzer oder halber Barbarei begünstiget. Ihr Verbreitungsbezirk war geograhisch genau begrenzt, er reichte nicht weiter als die Machtgebiete Rußland’s, der Türkei und der Donaufürstenthümer, d. h. genau soweit, als der Schauplatz jenes Kriegsdrama’s, dem jetzt sein Epilog in einer Conferenz der Signatarmächte bereitet werden soll. Und doch schwieg die Judenfrage, sie, die am peinlichsten von dem blutigen Waffenspiele tangirt war. […]
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AUTOR*IN UNBEKANNT: FRAUEN IN DEN GROSSSTÄDTEN

Die alten Mönche hatten gut reden, wenn sie den Satz aufstellten: mulier taceat in ecclesia (das Weib hat in der Kirche zu schweigen); wußten sie ja, daß die Kirche im Weibe nicht schweigen werde. Das Element der Kirchlichkeit, des positivreligiösen Lebens wird einzig und allein vom Weibe getragen und erhalten. Der Mann mag spitzfindige Dogmen ersinnen, theologische Syste- me erbauen, in metaphysischen Haarspaltereien sich versuchen, der Mann ist Bilderstürmer, zu- weilen Kirchenrebell, Altarstürzer, aber nur in seltenen Fällen Träger der erhaltenden Idee, Reprä- sentant jenes religiösen Seelenlebens, das jeder Kritik unnahbar und Klügeleien gegenüber gefeiet im innersten Gemüthe sitzt. […]
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BARBER, IDA: BETENDE FRAUEN (EINE TEMPELSTUDIE.)

Am Versöhnungstage versammelt Gott alle seine Getreuen um sich. In Nord und Süd, in Ost und West wird dieser Tag bei Arm und Reich, von allen Juden gefeiert. Die Frommen fasten und beten von Abend zu Abend, die Reformirten gestatten sich einen kleinen Morgenimbiß und einige Pausen während der 24 stündigen Zeit, in der der Allmächtige zu Gericht sitzt und als liebender Vater Verzeihung und Erhörung gewährt. Schaarenweise wandern sie hin zum Tempel, die Frauen geschmückt mit kostbaren Gewändern, Edelsteinen und Perlen. Früher war es sogar Sitte, in weißen Kleidern im Tempel zu erscheinen und manche brünette Schöne wußte in dem einfachen Wollgewande so viel verführerische Reize zur Geltung zu bringen, daß sie anmuthiger erschien, als in Brocat und schillernder Seide. […]
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BAUM, OSKAR: DIE FRAU UND DIE REVOLUTION

Wir geben hier den Vortag des bekannten Prager Dichters wieder, den dieser im Rahmen der politisch informatorischen Vorträge der Prager Ortsgruppe des V. j. F. hielt. Sind die Frauen die Hälfte der Menschheit? Ich meine: Tragen sie die Hälfte der Leiden und die Hälfte der Leistungen? Was die Leiden betrifft, dürfte es wohl bei weitem die größere Hälfte sein, aber die Leistungen, die aufwärts reißenden Ergebnisse und Taten stehen in beleidigendem Mißverhältnis fast nur bei den Männern. […]
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BAUM, OSKAR: GHETTOLIEDER

„Als sie aber den Chor der Propheten begeisterte Lieder singen und Samuel an ihrer Spitze sahen, kam auch über die Boten Sauls der Geist Gottes und auch sie sangen begeisterte Lieder. Saul begab sich wutentflammt nach Rama, um den Rivalen, seinen Peiniger David, auch an der heiligen Zufluchtsstätte zu fassen, aber die Macht der Musik überwältigte selbst seinen angstgereizten Haß. Er geriet ins Rasen, sang verzückt, riß sich die Kleider vom Leibe und blieb zuletzt eine ganze Nacht erschöpft im freien Felde liegen.“ (Erstes Buch, Samuel, 19, 20–24.) […]
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BENJAMIN II, ISRAEL JOSEF: AMERIKANISCHE ZUSTÄNDE

Der Geist Amerikas in gegenwärtiger Zeit. Vor uns liegt eine kleine Broschüre, ein Vortrag, der von einer Dame über „Amerika und seine Bestimmung“ zu Newyork gehalten wurde, da, wie sie sagte, „die Geister“ ihr diesen Ort hiefür bestimmt hatten. Die Sache fand Glauben, und man strömte von allen Seiten herbei, um den Eingebungen des Geistes, der die Dame beherrsche, zu lauschen. Die Eine Thatsache charakterisirt den Geist Amerikas; es ist zu beklagen, daß solch’ eine grobe Bethörung Bewunderer und Anhänger unter einem Volke finden konnte, welches Morse und Mitchell in seiner Geographie „das am meisten erleuchtete“ titulirt.[…]
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BIALIK, CHAIM NACHMAN: OFFENBARUNG UND VERHÜLLUNG IN DER SPRACHE

Die Menschen streuen an jedem Tage, absichtlich und in ihrer Einfalt, eine Fülle von Worten in den Wind mitsamt ihren mannigfachen Verbindungen, und nur wenige von ihnen wissen oder bringen sch zum Bewußtsein, was jene Worte in den Tagen ihrer Macht gewesen sind. Wie viele von den Worten kamen nur nach schweren Geburtswehen, die viele Geschlechter lang währten, zur Welt; wie viele leuchteten jäh wie Blitze auf und erhellten in einem Fluge eine ganze Welt; durch wie viele zogen und wanderten ganze Scharen lebender Seelen; die eine ging, die andere kam, und jede ließ Schatten und Duft hinter sich zurück: wie viele dienten als Gefäße für den feinen und überaus komplizierten Mechanismus tiefer Gedanken und erhabener Gefühle in ihren wunderbarsten Verbindungen und Verknüpfungen. […]
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BLOCH, CHAJIM: DIE OSTJUDEN

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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BLUM, KLARA: ARBEITERINNENBEWEGUNG IN PALÄSTINA

Der Kampf der jüdischen Arbeiterin ist ein dreifacher: er richtet sich gleichzeitig gegen die Ausbeutung des Proletariats, gegen die Sonderstellung der jüdischen Massen und gegen die Entwertung der Frau. Er verläuft unter gehäuften Schwierigkeiten und gerade darum unter dem Hochdruck revolutionärer Spannung. Ueber den bisherigen Ablauf dieses Befreiungswerkes berichten zwei Bücher aus dem roten Palästina, beide im Verlag des Arbeiterinnenrates in Tel-Aviv erschienen. […]
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COHEN, LIONEL L.: EINE WARNUNG AUS ENGLAND

„Geehrter Herr Redacteur! Als Präsident der hiesigen jüdischen Armencommission halte ich es für meine Pflicht, vermittelst Ihres weit verbreiteten Organes einen eindringlichen Warnungsruf an unsere Glaubensbrüder in Deutschland, Rußland und Oesterreich ergehen zu lassen, um ihnen von einer Einwanderung nach hier, in der Erwartung, entweder hier einen Lebensunterhalt zu finden, oder von hier aus zur Weiteremigration nach Amerika assistirt zu werden, auf das Allerentschiedenste abzurathen. […]
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COHN, HANNA HELENE: DIE NEW YORKER JÜDIN

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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EUGEN HOEFLICH [REZ.] ZU: PAUL COHEN-PORTHEIM: „ASIEN ALS ERZIEHER“

Cohen gehört zu jenen Idealisten, die an die Möglichkeit einer Synthese Asiens mit Europa glauben. Er versucht in einer Anzahl von Essays die Gegensätze zwischen Orient und Okzident auf verschiedenen Gebieten zu erfassen – gut geschaut sind eigentlich nur die Gegensätze in der Kunst – und aus dem großen Widerspruch östlichen Universalismus zu westlichem Individualismus Möglichkeiten zu finden, die nicht vorhanden sind und die weder aus der bisherigen Geistesgeschichte der beiden Gegenpole noch aus ihrer wahren geistigen Veranlagung zu finden sind. […]
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FELIX SALTEN: ABFALL VOM JUDENTUM*

Als die Veranstalter dieses Abends mich fragten, über welches Thema ich sprechen will, sagte ich ohne Besinnen: Ueber den Abfall vom Judentum. Ich dachte, jetzt werde ich endlich sagen können, was ich auf dem Herzen habe, werde mich endlich über diese Dinge aussprechen können, die mir so viel Ekel, Verdruß, Beschämung bereitet haben. Je näher aber der Abend kam, desto deutlicher und ängstlicher kam es mir zu Bewußtsein, daß es sehr schwer ist, über den Abfall vom Judentum zu sprechen; das ist eine so persönliche Angelegenheit und in allen ihren Zusammenhängen so empfindlich, daß man eigentlich nur mit jemand darüber sprechen kann, mit dem man sehr intim ist. […]
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FISCHMANN, ADA: DIE ARBEITERIN (EIN REFERAT, GEHALTEN AUF DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN KONFERENZ)

Das Referat soll die Frage von allen Seiten umfassen. Von der Tribüne dieser Tagung, die auch die Wiege der Arbeiterinnenbewegung war, müssen diese Worte gehört werden. Ich muß vor allem die Vorwürfe, die im Saale herumschwirren, beseitigen. Man glaubt, daß die Frage eine konventionelle ist und man sie von der Tagesordnung absetzen müsse. Diese Vorwürfe erregen Sorge. Es scheint, daß die Uebereinstimmung, die im Herzen von allen äußeren Anstalten bis zu unseren Anstalten zu schlagen begonnen hat, Zeichen der Erstarrung zu bringen scheinen, und dies ist gefährlich. Es gab eine Zeit, da wir forderten und an Reformen und Aenderungen der Weltordnung glaubten.[…]
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FRANKL, LUDWIG: DER ALTE UND DER NEUE FRIEDHOF DER JUDEN

Bald werden einsam ruhen hier die Todten, Noch nahen Wehmuth, Schmerz den Friedhofsteinen, Doch immer selt`ner werden sie erscheinen, Allmälig lös`t der Tod die Liebesknoten.  Es kommen neue, künftige Geschlechter, Kaum können Spruch und Namen sie noch lesen, Wer sind die längst Vermoderten gewesen? […]
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FRANZOS, KARL EMIL: EINLEITUNG

Mehr als acht Tage sind es jetzt her, dass mich die entsetzliche Nachricht zerschmetternd getroffen hat, und ich habe mich von diesem Keulenschlag noch immer nicht erholt, und ich bin noch immer ganz davon betäubt, und ich muss noch immer eine qualvolle Anstrengung machen, um mir die Tatsache zu vergegenwärtigen,dass Theodor Herzl tot ist. […]
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GOLDMANN, KARL: NATHAN UND SHYLOK. LITERARISCHE SKIZZE

I. Wohl in der ganzen Literaturgeschichte dürfte es nicht zwei Repräsentanten eines und desselben Stammtypus geben, welche in so diametraler Richtung einander gegenüberstehen, wie Na- than und Shylok. Wird der Jude schon im gewöhnlichen Leben als Hauptvertreter der materialisti- schen, nur auf das rein Praktische gerichteten Lebensweise anerkannt, um wie viel ungerechtfer- tigter, – so die Ansicht sehr Vieler, – demselben in der Poesie einen Platz geben zu wollen.[…]
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GRUNWALD, MAX: EUROPA ERWACHE!

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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HEINE, HEINRICH: DER RABBI VON BACHARACH (1840)

Dem letzten (50.) Heft der von Siegfried Jacobsohn herausgegebenen „Schaubühne“, die in der letzten Zeit immer weiter gewachsen, immer reicher an gehaltvollen Beiträgen geworden ist und die, längst ihrem ursprünglich gesteckten Rahmen entwachsen, heute in lebendiger Frische wie kaum eine andere Wochenschrift ähnlicher Art alle Probleme der Zeit behandelt, entnehmen wir den Beginn der folgenden Arbeit, die man schon jetzt, da wir die Fortsetzung nicht kennen, als einen der wertvollsten Beiträge zur ostjüdischen Frage bezeichnen kann. Einzelne Gedanken des Aufsatzes werden vielleicht einmal von grundlegender Bedeutung werden. Wie richtig ist z. B. die Bemerkung, daß der Ostjude „zu fühlen bekommt, was uns zugedacht ist, und auch unsere Sünden büßt. […]
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HERZ, MARKUS: FRAGMENT AUS EINER ABENDUNTERHALTUNG IN DER FESSLERSCHEN MITTWOCHSGESELLSCHAFT: 1. DER ÜBERLISTIGTE TOD, EIN JÜDISCHES MÄHRCHEN

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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HERZ, MARKUS: FREYMÜTHIGES KAFFEGESPRÄCH ZWOER JÜDISCHEN ZUSCHAUERINNEN ÜBER DEN JUDEN PINKUS, ODER ÜBER DEN GESCHMACK EINES GEWISSEN PARTERRS

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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HIRSCH, LEO: DER JUDE IN DER DEUTSCHEN LANDSCHAFT II. DER POSENER JUDE

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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HOEFLICH, EUGEN: BOLSCHEWISMUS, JUDENTUM UND DIE ZUKUNFT (ENTWURF ZU EINEM ESSAY.)

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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HOEFLICH, EUGEN: HEFKER

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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HOFMANN, MARTHA: ARTHUR SCHNITZLER UND THEODOR HERZL

Dem letzten (50.) Heft der von Siegfried Jacobsohn herausgegebenen „Schaubühne“, die in der letzten Zeit immer weiter gewachsen, immer reicher an gehaltvollen Beiträgen geworden ist und die, längst ihrem ursprünglich gesteckten Rahmen entwachsen, heute in lebendiger Frische wie kaum eine andere Wochenschrift ähnlicher Art alle Probleme der Zeit behandelt, entnehmen wir den Beginn der folgenden Arbeit, die man schon jetzt, da wir die Fortsetzung nicht kennen, als einen der wertvollsten Beiträge zur ostjüdischen Frage bezeichnen kann. Einzelne Gedanken des Aufsatzes werden vielleicht einmal von grundlegender Bedeutung werden. Wie richtig ist z. B. die Bemerkung, daß der Ostjude „zu fühlen bekommt, was uns zugedacht ist, und auch unsere Sünden büßt. […]
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HOFMANN, MARTHA: AUSSEN UND INNEN

Dem letzten (50.) Heft der von Siegfried Jacobsohn herausgegebenen „Schaubühne“, die in der letzten Zeit immer weiter gewachsen, immer reicher an gehaltvollen Beiträgen geworden ist und die, längst ihrem ursprünglich gesteckten Rahmen entwachsen, heute in lebendiger Frische wie kaum eine andere Wochenschrift ähnlicher Art alle Probleme der Zeit behandelt, entnehmen wir den Beginn der folgenden Arbeit, die man schon jetzt, da wir die Fortsetzung nicht kennen, als einen der wertvollsten Beiträge zur ostjüdischen Frage bezeichnen kann. Einzelne Gedanken des Aufsatzes werden vielleicht einmal von grundlegender Bedeutung werden. Wie richtig ist z. B. die Bemerkung, daß der Ostjude „zu fühlen bekommt, was uns zugedacht ist, und auch unsere Sünden büßt. […]
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IMMERWAHR, W.: ZUR GESCHICHTE DER JUDEN IN OBERSCHLESIEN

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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JELLINEK, ADOLF: DANTE ALS VERTHEIDIGER DES TALMUD

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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JÓKAI, MORITZ: WIE ICH PHILOSEMIT GEWORDEN BIN. ERINNERUNG AN ALTE ZEITEN

Soll ich’s leugnen? Auch ich war als Kind Antisemit; so wie es jeder unentwickelte Mensch ist. Die Mägde hatten mir den Kopf vollgemacht damit, daß die Juden an ihrem Osterfest das Blut christlicher Kinder benützen und zwischen unserem Hause und der Schule lag die Baranyay’sche Kurie, in der Juden wohnen durften. Auch der Schächte hauste dort. Jeden Tag sah ich, wie die Gänse mit den durchschnittenen Hälsen zum Thore hinaus gehängt wurden und meine Phantasie ergänzte das Uebrige. […]
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KAPRALIK, A.: DIE PATRIARCHEN DES OSTENS

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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KATZ, F.: MEINE ERSTE DAMENBEKANNTSCHAFT

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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KAZNELSON, RACHEL: ZWISCHEN ZWEI SPRACHEN

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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KOMPERT, LEOPOLD: AUF, NACH AMERIKA

Uns ist keine Hilfe gekommen! Die Sonne der Freiheit ist für das Vaterland aufgegangen, für uns nur als blutiges Nordlicht; die Lerchen der Erlösung schmettern in freier Luft; für uns sind es nur kreischende Möven des Sturmes. Schamröthe und bebender Zorn überwältigen uns, denken wir an das Fürchterliche, an das Haarsträubende, was uns die letzten Wochen angethan![…]
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KOMPERT, LEOPOLD: DIE „SCHNORRER“. AUS DEM BÖHMISCH-JÜDISCHEN LEBEN

Umsonst versuchten wir es hier, die etimologische Abstammung des Wortes Schnorrer zu beweisen; es hat keine, oder es hat deren zu viele, wie der Jargon, dem es angehört, das vielfarbige Kind von tausend Eltern ist, ein Augiasstall aller Sprachen des Morgen- und Abendlandes, eine chirurgische Stube voll zerbrochener und verrenkter Gliedmaßen, worunter nur zuweilen eine gesunde Nase oder ein ganzes Schlüsselbein bunt abenteuerlich dazwischen läuft. Dieser Jargon, wir wollen es nicht verhehlen, es ist derselbe, den man nicht nur in den Ghettos, sondern überall in den deutschen Landen, wo man ihm nicht durch verbriefte Privilegien die Thüre vor der Nase zuschlägt, auf Straßen und Gassen zu hören bekommt.[…]
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KOMPERT, LEOPOLD: DIE BEIDEN SCHWERTER

Vier Wochen nach diesem Besuche Josefs des Zweiten auf dem Pfarrhofe in Kojetein langte an den Dechanten eine aus dem kaiserlichen Kabinette herrührende beträchtliche Geldsumme mit der Weisung an, diesen Betrag dem jungen „Samuel“ Fingerhut für die „vorzuhabende Reise“ einzuhändigen.[…]
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KOMPERT, LEOPOLD: NICHT STERBEN KÖNNEN. EINE LEGENDE AUS DEM GHETTO.

Uns ist keine Hilfe gekommen! Die Sonne der Freiheit ist für das Vaterland aufgegangen, für uns nur als blutiges Nordlicht; die Lerchen der Erlösung schmettern in freier Luft; für uns sind es nur kreischende Möven des Sturmes. Schamröthe und bebender Zorn überwältigen uns, denken wir an das Fürchterliche, an das Haarsträubende, was uns die letzten Wochen angethan![…]
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KUPFERBERG, ALFRED: DEUTSCHE JUDEN IM JÜDISCHEN LAND

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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LESSING, THEODOR: ALTER JUDENFRIEDHOF

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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LESSING, THEODOR: WAS ICH VON DER JÜDISCHEN JUGEND ERHOFFE

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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MEHRERE AUTOR*INNEN: ZUR FRAGE DER ZIONISTISCHEN FRAUENVEREINE

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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MENSCH, ELLA: DER ZIONISMUS UND DIE JÜDISCHE FRAU

Der Zionismus zählt zu den edelsten und gerechtesten sozial-religiösen Bewegungen unserer Zeit. Aber er ist in der Hauptsache noch eine Männerbewegung, in welcher die Frau noch so gut wie gar nicht die ihr gebührende Rolle eingenommen hat. In „Altneuland“* von Theodor Herzl wird wohl das weibliche Element in die erwachende palästinensische Zukunftskultur hineingezogen, aber niemals geht von ihm eine Initiative aus. […]
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MENZEL-POMERANZ, ROSA: DIE OSTEUROPÄISCHE JÜDIN UND EREZ ISRAEL

Es gibt zwei Typen derselben: die „russische“ und die „polnische“ Jüdin. Die politischen Verhältnisse vor dem Kriege, besonders die Paßschwierigkeiten seitens Rußlands nach hüben und drüben, die Unberechenbarkeiten für eines Aufenthaltes für Fremde in dem Zarenstaate, hatten die beiden großen Judengruppen Osteuropas einander entfremdet und im Laufe der Jahrhunderte ziemlich tiefgehende Charakterunterschiede gezeitigt.[…]
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MOSENTHAL, SALOMON H.: DER TENORIST

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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MÜLLER, ANITTA: DIE JÜDISCHE FRAU UND DIE POLITIK

Die nächsten Tage sind zukunftsschwer. Sie tragen die Entscheidung in ihrem Schoße über Wert und Stellung der Parteien im neuen Staate. Dem Bilde im kleinen gesellt sich das Bild im großen; auf der Friedenskonferenz wird die Entscheidung fallen über Wert und Stellung der Völker. […]
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MÜLLER, KARL: JAROSLAV VRCHLICKY’S LUSTSPIEL „DIE RABBINERWEISHEIT“

Der erste böhmische Lyriker, der zweitbeste Epiker, ist heute auch schon nahe daran, der erste dramatische Schriftsteller des böhmischen Volkes zu werden. Emil Frieda, wie der unter dem Pseudonym Jaroslav Vrchlický schon weit über Böhmens Grenzen hinaus bekannte Poet eigentlich heißt, ist in jeder Beziehung eine phänomenale Erscheinung. Sowohl was Tiefe der Gedanken bei allen seinen Werken betrifft, die vor allem Andern Geist und nur Geist enthalten, als auch in Bezug auf Formvollendung, in der Vrchlický nicht seines Gleichen hat, ist er groß, aber geradezu verblüffend wirkt seine Fruchtbarkeit.[…]
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NATONEK, HANS: NATIONALSTOLZ

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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NEON: WARENHAUS! WARENHAUS!

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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NORDAU, MAX: BOLSCHEWISMUS UND JUDENTUM

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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NORDAU, MAX: THEODOR HERZL

Mehr als acht Tage sind es jetzt her, dass mich die entsetzliche Nachricht zerschmetternd getroffen hat, und ich habe mich von diesem Keulenschlag noch immer nicht erholt, und ich bin noch immer ganz davon betäubt, und ich muss noch immer eine qualvolle Anstrengung machen, um mir die Tatsache zu vergegenwärtigen,dass Theodor Herzl tot ist. […]
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NORDAU, MAX: VORWORT

Mehr als acht Tage sind es jetzt her, dass mich die entsetzliche Nachricht zerschmetternd getroffen hat, und ich habe mich von diesem Keulenschlag noch immer nicht erholt, und ich bin noch immer ganz davon betäubt, und ich muss noch immer eine qualvolle Anstrengung machen, um mir die Tatsache zu vergegenwärtigen,dass Theodor Herzl tot ist. […]
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OPPENHEIM, IDA: DIE GESCHWISTER

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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OPPENHEIM, IDA: IHRE KRONE

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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P. PHILLIPSON: DIE MARANNEN

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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POMERANZ, ROSA: „DAS GESETZ . . . .“

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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ROHLFS, GERHARD: DIE JUDEN IN MAROKKO

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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ROSENFELD, OSKAR: DAS PROBLEM EINER JÜDISCHEN KUNST

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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ROTH, JOSEPH: HIOB (1930)

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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SALTEN, FELIX: ABFALL VOM JUDENTUM

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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SALZBERG MAX I.: EIN BESUCH IM GHETTO

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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SALZBERG, MAX I.: EIN BESUCH IM GHETTO

Es war an einem Donnerstag nach dem Markte. Die Bauern und die Händler, die sich den ganzen Tag zwischen den beladenen Wagen, Buden, Tieren und den mannigfaltigsten Waren rufend, schreiend, herumgetummelt hatten, zogen sich zurück. Mit ihnen verschwand auch der Lärm und nur der schwere, stickende Geruch, der aus den verödeten, schmutzigen Gassen aufstieg, verriet noch vom Leben und Treiben des Tages. Es schlug Mitternacht; die trüben Petroleumlaternen wurden ausgelöscht und das Städtchen R. verschwand in der Dunkelheit. Die Knarren der Nachtwächter hallten in der Dunkelheit.[…]
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SCHALOM, ASCH: JOSSEL, DER SCHAMMES

Durch den halbzerrissenen blauen Vorhang fallen Streifen Lichts auf das breite Bett, das das ganze kleine Stübchen ausfüllt. Das Licht fällt auf Leibels bleiches Gesicht, das ganz vergraben ist in Decken und Kissen; der Mund ist halb geöffnet, und die zwei Vorderzähne aus dem leeren Kiefer herausragend wie zerbrochene Scheiben aus einem Fenster. […]
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SCHALOM, ASCH: LEIBEL IN DER HEIMAT – LEIBEL IN AMERIKA

Durch den halbzerrissenen blauen Vorhang fallen Streifen Lichts auf das breite Bett, das das ganze kleine Stübchen ausfüllt. Das Licht fällt auf Leibels bleiches Gesicht, das ganz vergraben ist in Decken und Kissen; der Mund ist halb geöffnet, und die zwei Vorderzähne aus dem leeren Kiefer herausragend wie zerbrochene Scheiben aus einem Fenster. […]
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SCHEUER, MIRJAM: BEMERKUNGEN ZUR JÜDISCHEN LITERATUR VON HEUTE

Sokolow, der soeben seine Reise beendet, die nach den Triumphzügen Ussischkins und Weizmanns als die dritte Heerschau der letzten Monate über das aktionsbereite Judentum Europas gelten kann, – Sokolow schrieb eine Novelle „Der neue Jude“, die der Wiener Renaissanceverlag jetzt als Büchlein erscheinen läßt. Sie enthält den Werdegang eines Bochers, der tiefreligiös und von genialer Begabung, von allen Formeln politischer und ethischer Gegenwartsfragen unangefochten, zur Erkenntnis gelangt, daß „Jude sein“ wahre Religion wie wahre Volksarbeit in sich schließt und sein Leben als „persönlicher Zionist“ in Palästina aufbaut. […]
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SCHEUER, MIRJAM: RADIKALER ZIONISMUS

Die Schierigkeit, das Wesen des radikalen Zionismus darzulegen, ist identisch mit der Schwierigkeit, der zionistischen Ideologie das Supremat in unserer heutigen Arbeit zu sichern. Diese Schwierigkeit ist sehr groß, da die Behauptung, daß die zionistische Ideologie dieses Supremat verloren habe, als nicht diskutabel, fast als eine Beleidigung der Organisation empfunden wird. Während sich der Majoritätszionist ohne weitere Empfindlichkeit von seiner Leitung im Ijaraufruf sagen läßt, er müsse „in seinem Herzen begreifen lernen, was der Zionismus bedeute – und daß es keinen Ersatz für Zionismus und keine Abschwächung seiner Wahrheiten geben kann“, empfindet er die gleiche Feststellung im Programme der Radikalen als eine ungeheuerliche Verdächtigung.[…]
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SCHEUER, MIRJAM: WIR ZIONISTINNEN

Die Schierigkeit, das Wesen des radikalen Zionismus darzulegen, ist identisch mit der Schwierigkeit, der zionistischen Ideologie das Supremat in unserer heutigen Arbeit zu sichern. Diese Schwierigkeit ist sehr groß, da die Behauptung, daß die zionistische Ideologie dieses Supremat verloren habe, als nicht diskutabel, fast als eine Beleidigung der Organisation empfunden wird. Während sich der Majoritätszionist ohne weitere Empfindlichkeit von seiner Leitung im Ijaraufruf sagen läßt, er müsse „in seinem Herzen begreifen lernen, was der Zionismus bedeute – und daß es keinen Ersatz für Zionismus und keine Abschwächung seiner Wahrheiten geben kann“, empfindet er die gleiche Feststellung im Programme der Radikalen als eine ungeheuerliche Verdächtigung.[…]
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STEINER, FRANZ: OST UND WEST. ZUR OPPENHEIMER-DISKUSSION

In der jüdischen Presse ist seit dem Erscheinen des sensationellen Artikels des bekannten Nationalökonomen und Zionisten Franz Oppenheimers über „Nationalbewußtsein und Stammesbewußtsein“ in der „Welt“ vom 18. Februar ein lebhafter und bedeutungsvoller Meinungskampf über Ost- und Westjudentum entbrannt, an dem sich in erster Reihe die hervorragendsten Köpfe der jungjüdischen Bewegung beteiligen, ein frischer und ernster wissenschaftlicher Kampf, der – wie nicht anders zu erwarten stand – die vielfältigsten und verschiedenartigsten Anschauungen über Volkstum, Sprache, Rasse und Milieu, Kultur und Sitte, über Judentum und Zionismus zutage gefördert hat und noch lange kein Ende absehen läßt. […]
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SUSMAN, MARGARETE: DIE REVOLUTION UND DIE FRAU

Wir deutschen Frauen waren bisher noch weit weniger poli­tisch, als es die deutschen Männer waren. Wohl war es bei den Frauen auch weniger zu verwundern, daß sie sich den politi­schen Fragen fernhielten, weil sie keine Stimme in ihnen hat­ten. Aber das kann bei weitem nicht zur Erklärung ihrer unpoli­tischen Haltung ausreichen; gab es doch in anderen Ländern Frauen, die leidenschaftlich um diese Stimme kämpften, wäh­rend die deutschen Frauen, auch gerade die der gebildeten Stände, mit verschwindend wenigen Ausnahmen gar nicht das Bedürfnis hatten, in den öffentlichen Fragen mitzureden. […]
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SZÁNTÓ, SIMON: CAUSERIE ÜBER ERZIEHUNG DURCH JUDENDEUTSCH

Getreu unserm ursprünglichen Programme, welches die Geammtheit der Juden nur als Religionsgenossenschaft, aber nicht als Nationalität im politischen Sinne des Wortes bezeichnet haben will – vermieden wir es stets ein solidarisches Vorgehen in großen Staats- und Verfassungsfragen zu befürworten. Wir verlangen keine Parteidisciplin, welche die freie Meinung des Bürgers den Tendenzen der Klique zum Opfer bringt, wir wollen nicht, daß der Jude, als Jude seinen Bürgersinn bethätige.[…]
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SZÁNTÓ, SIMON: DER GALIZISCHE AUSGLEICH

Getreu unserm ursprünglichen Programme, welches die Geammtheit der Juden nur als Religionsgenossenschaft, aber nicht als Nationalität im politischen Sinne des Wortes bezeichnet haben will – vermieden wir es stets ein solidarisches Vorgehen in großen Staats- und Verfassungsfragen zu befürworten. Wir verlangen keine Parteidisciplin, welche die freie Meinung des Bürgers den Tendenzen der Klique zum Opfer bringt, wir wollen nicht, daß der Jude, als Jude seinen Bürgersinn bethätige.[…]
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SZÁNTÓ, SIMON: DER WANDERBETTLER. EINE KULTURHISTORISCHE SKIZZE

Die gegenwärtige Studie erschien vor mehr als zehn Jahren unter dem Titel „Fahrende Juden“ im Wiener Jahrbuch von Wertheimer, und dürfte somit nur wenigen Lesern noch gegenwärtig sein. Zur folgenden Umarbeitung sah sich aber der Verfasser durch Umstände veranlaßt, die in dem 3. ganz neu hinzugekommenen Abschnitte klar gemacht werden sollen. Das vormals erste Capitel, welches die mosaische Armenverfassung behandelte, schien mir mit dem hier beabsichtigten nicht zusammenzuhängen und ich beginne darum sofort mit der rabbinischen Vorschrift über die Verwaltung des Armenwesens.[…]
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SZÁNTÓ, SIMON: DIE „JÜDIN VON TOLEDO“

Die „Jüdin von Grillparzer“ sollte eigentlich unsere Uiberschrift lauten. Denn einerseits ist es der Titel eines im literarischen Nachlasse vorgefundenen Drama’s den wir für unsern heutigen Leader entlehnen; anderseits darf man die Heldin der verunglückten Tragödie füglich immer als eine Jüdin Grillparzerischer Mache ansehen, für welche die Wirklichkeit niemals ein Urbild geliefert noch inmitten unseres Stammes hätte liefern können. […]
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SZÁNTÓ, SIMON: SCHRIFT UND SPRACHE DES GHETTO

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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TAUBER, CAMILLA: DIE JÜDISCHE FRAU IN AMERIKA

Um vollständig die heutige Stellung der amerikanischen Jüdin zu verstehen, ist es nöthig, daß wir uns auch ein wenig mit ihren Müttern und Großmüttern befassen. Noch vor dreißig Jahren wäre der Titel „amerikanische Jüdin“ ein ganz falsch gebrauchter gewesen. Einige isolirte dastehende Fälle ausgenommen, stand die Masse der in Amerika lebenden Jüdinnen durch ihre Denkweise, Gewohnheiten, Erziehung ganz unter dem Einfluß der Sitten ihres Geburtslandes.[…]
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TELLER, M.: KEINE STAATSRELIGION IM KONSTITUTIONELLEN ÖSTERREICH. EINE SKIZZIERTE BETRACHTUNG

»Auf nach Amerika!« tönt es von allen Seiten, »auf nach Amerika!« hieß es in dieser, hieß es auch in andern Zeitschriften. Ich will nicht die Herloßson’sche Tirade: »Nur nicht zur See!« mit allen ihren fantasiereichen Konsequenzen diesem Aufrufe entgegen stellen, weil vielleicht doch eine Zeit kommen könnte (was aber Gott verhüten möge), wo ich selbst in diesen Aufruf einstimmen werde, für heute frage ich nur: warum nach Amerika? Warum? – um dort frei zu sein! […]
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THALER, LEOPOLD: EPILOG ZUM HABIMA-EREIGNIS

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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VERTLIB, VLADIMIR: DIE AMBIVALENZ DER DIASPORAGEFÜHLE

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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VIERTEL, BERTHOLD: OSTJUDEN

Dem letzten (50.) Heft der von Siegfried Jacobsohn herausgegebenen „Schaubühne“, die in der letzten Zeit immer weiter gewachsen, immer reicher an gehaltvollen Beiträgen geworden ist und die, längst ihrem ursprünglich gesteckten Rahmen entwachsen, heute in lebendiger Frische wie kaum eine andere Wochenschrift ähnlicher Art alle Probleme der Zeit behandelt, entnehmen wir den Beginn der folgenden Arbeit, die man schon jetzt, da wir die Fortsetzung nicht kennen, als einen der wertvollsten Beiträge zur ostjüdischen Frage bezeichnen kann. Einzelne Gedanken des Aufsatzes werden vielleicht einmal von grundlegender Bedeutung werden. Wie richtig ist z. B. die Bemerkung, daß der Ostjude „zu fühlen bekommt, was uns zugedacht ist, und auch unsere Sünden büßt. […]
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WALDECK, OSKAR: DAS JUDENTHUM UND DAS IDEALE ICH VOM PÄDAGOGISCHEN STANDPUNKTE

Die alten jüdischen Weisen lieben es in einem einzigen Satze ein ganzes Gedankensystem zu bieten, in gedrängter Kürze, mit wenigen, inhaltsschweren Worten große Gedankenkreise zu umschlingen. Wie der ruhige Wasserspiegel oft eine bodenlose Tiefe birgt, so liegt hinter den meisten ihrer Aussprüche ein endloses geistiges Gebiet. In der Seele dieser Männer mußte alles reifen. Ihre Sätze sind die Früchte eines ausgebildeten Gedankenganges. Die schwierigsten Denkoperationen überwältigt ihr geübter Geist. Mit einer seltenen Präcision analysirt ihr Denkproceß die verwandten Begriffe und Ideen, faßt im richtigen Schwerpunkt die verschiedenen Elemente eines geistigen Gebildes. […]
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WALDMANN, MOSES: DER SINN EINER SONDERSCHAU

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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WELTSCH, FELIX: DIE FRAUEN UND DIE ZIONISTISCHE ARBEIT

In der letzten Zeit sind zwei Publikationen der Wizo erschienen, welche es durchaus verdienen, aus dem besonderen Kreise der Wizo-Interessierten herausgehoben und der allgemeinen zionistischen Welt bekannt gemacht zu werden, so daß wir diese Frauenpublikationen mit Absicht diesmal hier in der Männerabteilung besprechen. Es ist dies die von Martha Hofmann herausgegebene Festschrift anläßlich des zehnjährigen Bestandes der Wizo (Titel: Zehn Jahre Wizo“) und die Broschüre „Bemerkungen zur Organisation und Propaganda“ von Mirjam Scheuer (herausgegeben von der tschechoslowakischen Wizo.* […]
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WELTSCH, FELIX: DIE SENDUNG SEMAELS. RITUALMORD IN UNGARN. ZUR AUFFÜHRUNG IM NEUEN DEUTSCHEN THEATER

Es ist für Juden, denen das Judentum freudig ergriffenes Schicksal ist, schwer, diesem Drama Arnold Zweigs gegenüber objektiv zu bleiben. Denn wir sind mit unserem ganzen Sein daran beteiligt, mit den Wunden und Qualen unseres Lebens in der Galuth, und mit den Gedanken und Gefühlen unserer höchsten Erhebung. Das Drama hat einen großen Vorwurf; den größten beinahe, den wir uns denken können.
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WELTSCH, FELIX: JÜDISCHE KUNST

Kunst ist Gefühlsgestaltung; im weitesten Sinne stets Expressionismus; Gestaltung der tiefsten Schicht der menschlichen Seele in einem bestimmten Material, in Worten, Tönen, Geschehnissen, Farben, Bewegungen. In dieses Material werden die Gefühle transponiert, sie werden gleichsam abgebildet, in Wahrheit neu gebildet, denn durch die Gestalt werden sie erst eine Einheit, ein Ganzes, unteilbar, gemeinsame, soziale Wirklichkeit. Zwei Urkräfte sind am Werk: die primäre Kraft des Erlebens, die Intensität des Gefühls, die zum Ausdruck drängt, ins Weite geht, auseinanderzuströmen droht, und die Gegenkraft des Einheitsstrebens, welche formt, Ganzheit schafft und so den Ausdruck erst ermöglicht.[…]
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WIENER, S.: DAS NEW-YORKER GHETTO UND DAS RUSSISCHE HILFSWERK

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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WIESENTHAL, KARL: GÖTHE ÜBER DIE STREBSAMKEIT DER JUDEN

Im Januar-Heft des in Weimar erschienen Blattes „Minerva“ 1802, steht ein Aufsatz: „Das Em- porkommen der Völker in der Welt“ mit der Unterschrift: W. G. Der Herausgeber der „Minerva“ erklärt wenige Wochen früher, also zu Beginn des Jahres 1802, dass Göthe für sein Buch einige interessante Arbeiten zu liefern versprochen habe. Endlich wird auch der mit W. G. unterschriebene Aufsatz von Dr. Felix Martens in einer späteren Nummer eingehend besprochen – und hier erfährt der Leser, dass der Verfasser des Aufsatzes: „Das Emporkommen der Völker in der Welt“ kein geringerer als Göthe war. […]
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WILDE, GEORG: EINE MITTELMEER-REISE

Es mag auf den ersten Blick befremden, diese zwei Fragen nebeneinander gestellt zu sehen: doch scheinen sie mir mehr als ein Gemeinsames zu haben. Zu mindest handelt es sich in beiden Fällen um einen Kampf, einen Kampf mit ungleichen Waffen gegen einen stärkeren, mächtigeren Feind. […]
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WITTNER, DORIS: BESINNLICHE FAHRT INS LAND DER JUDEN

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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WOLF, JOSEPH: INHALT, ZWECK UND TITEL DIESER ZEITSCHRIFT

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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WOLFENSTEIN, ALFRED: JÜDISCHES WESEN UND DICHTERTUM

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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WOLFENSTEIN, ALFRED: VON DER DICHTUNG DES JUDEN

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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WOZNIANSKI, HEINRICH: WERBUNG AUF REISEN. ZUR A.-C.-SITZUNG

Als hätte der Talmud es geahnt, daß eine Zeit kommen würde, in welcher Eisenmenger und seine Abschreiber ihn verspotten und lächerlich machen würden, schrieb er, daß man die Hagada oder den allegorischen und poetischen Theil desselben nicht plumpen Geistern mittheilen soll, da sie mit ihren rauhen Fäusten den zarten Blüthenstaub, der die edlen Pflanzen der Hagada bedeckt, wegwischen und diese verunstalten würden. Ja, die Hagada gleicht einem lieblichen, duftenden Blumenbeete, in welches man nicht mit täppischer Hand hieneingreifen darf, um sich mit den farbenreichen Blüthen und Blättern zu freuen. […]
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YORK-STEINER, HEINRICH: BILDER VOM HAMBURGER ZIONISTEN-KONGRES

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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YORK-STEINER, HEINRICH: DAS MÄDCHEN VON KINERETH

Es war an einem der letzten Novemberabende des Jahres 1869 Frühzeitig war der Winter ins Land gezogen und hatte Feld und Au in eine dichte Schneedecke gehüllt und krächzende Raben schwebten in der bleischweren Luft und schmetterten weithin in die Ferne ihre unheimlichen Töne hinaus. – Hie und da ragte da kahle, dürre Geäste einer Linde und eines Ahorns über den Schnee hervor, von den Meilensteinen hingegen, die die Straße umsäumen, war nichts zu sehen. […]
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In: Neue Freie Presse 21.5. 1921, S. 8

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Aus: Jüdische Zeitung, Nr. 44, XII. Jahrgang

Wien, Freitag, den 01. November 1918, S. 2.

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Tran-skription

Der Zerfall Oesterreichs schreitet immer weiter vor. Die meisten der auf österreichischem Boden gebildeten Nationalstaaten haben sich bereits konstituiert und die Nationalversammlungen haben die Regierung und Verwaltung ihres Gebietes übernommen. Wenn so in allen Nationen an Stelle der gänzlich versagenden Staatsgewalt eine neue Instanz tritt, so sind die Juden bisher ohne jede Interessenvertretung. Es ist daher notwendig, daß der jüdische Nationalrat so schnell als möglich seine Tätigkeit aufnimmt. Sowie für alle Völker muß auch für das jüdische Volk eine Volksregierung geschaffen werden, welche die oberste Gewalt in allen jüdischen Angelegenheiten für sich in Anspruch nimmt und ihre Legitimation in dem Vertrauen der breiten jüdischen Massen hat. Allerdings ist bei uns gegenüber anderen Völkern der Unterschied, daß es sich nicht um die Verwaltung eines Territoriums handelt und daß das jüdische Volk in allen Gebieten vertreten ist und überall nur eine Minderheit bildet.

Es ist bemerkenswert, in welcher Weise die neuen Nationalstaaten zur Judenfrage Stellung nehmen. Eine eindeutige Erklärung liegt bisher nur vom ukrainischen Nationalrat vor. Die Ukrainer haben die jüdische Nation vorbehaltlos anerkannt und ihr nationale und politische Minderheitsreichte zugesichert. Der ukrainische Nationalrat hat an die Jüdischnationalen bereits die Aufforderung gerichtet, ihre Vertreter in die ruthenische Regierung Ostgaliziens zu entsenden. In mehreren Versammlungen haben ruthenische Redner bereits Erklärungen dieses Inhalts abgegeben. Die ostgalizischen Vertreter des jüdischen Nationalrates werden bereits in der nächsten Zeit ihre Entscheidung treffen müssen. Die Ukrainer, die jahrelang selbst eine unterdrückte Minorität in Galizien waren, werden in ihrem Staate gewiß den nationalen Minoritäten Rechte gewähren. Sie folgen damit dem Vorbild des russischen Bruderstaates, der Ukraina, welche bekanntlich nach ihrer Konstituierung den Juden volle nationale Autonomie gewährte, sogar ein jüdisches Ministerium schuf und erst nach dem durch den Einmarsch der deutschen Truppen herbeigeführten Umschwung wieder entzog. Da das deutsche Intermezzo in der Ukraine bald beendet sein dürfte, so werden die Juden zweifellos auch dort ihre nationalen Rechte erhalten, da die Ukrainer selbst einsehen werden, daß die Erteilung der nationalen Autonomie an alle Minoritäten im Interesse des eigenen Staates liegt und auch für jedes neue Staatswesen der Prüfstein der Demokratie ist, was heute mehr bedeutet als eine bloße Prestigefrage.

Im tschechoslowakischen Staat bilden die Juden eine Minderheit, die aber keineswegs bedeutungslos ist. Es war immer der Ehrgeiz der Tschechen, daß ihr neues Staatswesen als eines der demokratischesten der Welt entstehe. Unser Prager Bruderblatt „Selbstwehr“ schreibt in seiner letzten Nummer:

„Wir glauben daran, daß die Tschechen in ihrem neuen Staate den anderen Völkern gegenüber Gerechtigkeit üben werden. Sie haben zuviel um ihre Selbständigkeit kämpfen müssen, sie wissen viel zu gut, daß ihr neuer Staat, der unter den Augen der ganzen zivilisierten Welt gegründet wird, das gleiche Recht für alle zur Voraussetzung hat, um dieses Recht nicht auch den Juden zuzubilligen.“

Wie wir an anderer Stelle berichten, hat der jüdische Nationalrat des tschechoslowakischen Staates dem tschechischen Nationalausschuß bereits ein Memorandum über die politischen und nationalen Forderungen der Juden überreicht. Die böhmischen Juden haben in ihrer Mehrheit bisher die deutschen Positionen in Böhmen gestärkt und ließen sich auch durch die Fußtritte der Deutschen nicht von dieser Politik abbringen. Wir haben die verderbliche Art dieser Politik stets gebrandmarkt und stets die Forderung aufgestellt, daß die Juden ausschließlich jüdische Politik treiben sollen und sich nicht in den Kampf der anderen Völker einzumischen haben. Wir haben schon damals darauf hingewiesen, daß die einzige wirklich ehrliche jüdische Politik, daher auch die einzige, zu der die anderen Völker Vertrauen haben können, die jüdischnationale ist. In diesem Augenblick, wo neue Nationalstaaten entstehen, gerät die Solidarität der Assimilanten ins Wanken. Denn was haben israelitische Deutschösterreicher, Tschechoslowaken, Polen, Ruthenen usw. noch für Gemeinsamkeit. Umso stärker erweist sich jetzt die Richtigkeit der jüdischnationalen Politik auch für das Judentum, da nur durch sie eine unverbrüchliche Einheit des Judentums der ganzen Welt geschaffen wird. Nur dann aber kann auch das jüdische Volk als politischer Faktor von einiger Bedeutung auftreten. Daß auch die anderen Nationen dieser Argumentation zugänglich sind, beweist die bereits in unserer letzten Nummer erwähnte Rede des Abgeordneten Klofatsch, welcher ausdrücklich sagte, daß die Tschechen sich dessen bewußt sein müssen, daß eine falsche Behandlung der Juden einen „empfindlichen Rückschlag“ auf die Position der Tschechen im Ausland haben könnte. Es ist nicht zu unterschätzen, wenn gerade von Seite der Tschechen, die doch über die besten Beziehungen im Ausland verfügen, der jüdische Einfluß in dieser Weise gewertet wird.

Der wichtigste von allen neuen entstehenden Staaten ist für das jüdische Volk zweifellos der polnische Staat, in dem drei Millionen Juden leben. Die Polen sind sich dessen bewußt, daß ihr Verhalten zur Judenfrage von entscheidender Bedeutung für ihre internationale Position sein wird. Sie glauben aber noch immer, die Welt täuschen zu können, indem sie schöne Proklamationen und Versprechungen über die „Gleichberechtigung der Juden“ machen, sogar dicke Bücher in allen möglichen Sprachen von Staats wegen herausgeben. In Wirklichkeit aber betreibt die neue polnische Regierung die alte Schlachzizenpolitik und zeigt sich jeder Forderung nach nationaler Autonomie für die Juden unzugänglich. Es wird gemeldet, daß die polnischen Juden ein Telegramm an den Präsidenten Wilson gerichtet haben, in dem sie ihn bitten, dahin zu wirken, daß das von den Polen in Anspruch genommene Selbstbestimmungsrecht auch den Juden in Polen gewährleistet wird. Es ist zweifellos, daß bei den internationalen Verhandlungen auch die Fragen der nationalen Minoritäten geregelt werden müssen. Nach der Auffassung des Präsidenten Wilson, der sich bereits alle Staaten angeschlossen haben, kann es in nationalen Fragen keine einseitige „innere“ Politik eines Staates mehr geben. Alle nationalen Fragen gehören vor das Weltforum und alle Streitfälle zwischen der nationalen Mehrheit und Minderheit eines Staates gehören vor den internationalen Schiedsgerichtshof des Völkerbundes. Die Polen werden zu derselben Einsicht kommen müssen, welche der Abgeordnete Klofatsch für die Tschechen ausgesprochen hat.

Dasselbe gilt aber auch für den neuen deutschösterreichischen Staat. Auch der deutschösterreichische Staat wird auf seine Stellung im Ausland Rücksicht zu nehmen haben. Soweit ein jüdischer Einfluß hiebei in Betracht kommt, ist bisher allerdings nicht viel geschehen, um diesen Faktor zu gewinnen. Deutschösterreich und insbesondere das christlichsoziale Wien gilt in der ganzen Welt als eine Hochburg des Antisemitismus und die antisemitischen Redeexzesse im Parlament und bei den deutschen Volkstagen haben noch in der letzten Zeit dazu beigetragen, dieses ungünstige Bild im Ausland zu verstärken. Wenn jetzt Deutschösterreich als Nationalstaat konstituiert wird, so wird es im eigenen Interesse die nationale Minoritätenfrage lösen müssen und hiebei auch den Wünschen des jüdischen Volkes Rechnung tragen müssen. Es liegt im beiderseitigen Interesse, daß das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden auf nationaler Basis geregelt werde. Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, die Reibungsflächen zu vermindern. Wir haben schon unlängst auf die Stellungnahme der „Reichspost“ hingewiesen. In ihrem Abendblatt vom 26. d. M. äußert sie sich wieder sehr zustimmend zu den Richtlinien des Bukowinaer Manifestes. Die deutschösterreichische Regierung, die in ihrer Note an Wilson mit so beredten Worten für den Schutz der deutschen Minoritäten eintritt, wird auch ihren Minoritäten dasselbe nicht versagen können und sie wird hoffentlich einsichtig genug sein, um der jüdischen Minorität den Appell an Wilson zu ersparen. Es kommt nur darauf an, daß alle Nationen einsehen, daß die Minoritätenfrage eine einheitliche ist und daß es nicht geht, auf der einen Seite zu fordern und auf der anderen nichts selbst gewähren zu wollen.

Alle neuen Staaten werden die Unterstützung des Auslandes, insbesondere Amerikas, nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Beziehung nötig haben. In dieser Hinsicht könnten die Juden zweifellos große Dienste leisten, besonders auch dem deutschösterreichischen Staat, der mit seiner Hauptstadt Wien wirtschaftlich bei der neuen Lage außerordentlich gefährdet ist. Aber nur die nationalen Juden verfügen über diese Beziehungen. Die Assimilanten, welche die fremde Nationalität annehmen, zerschneiden dadurch ihren Zusammenhang mit der auf der ganzen Welt wohnenden einheitlichen jüdischen Nation. Es wird für alle neuen Staaten von großer Bedeutung sein, daß sie rechtzeitig die Tragweite einer richtigen oder falschen Judenpolitik erkennen. Sache des jüdischen Nationalrates ist es, die Völker nicht darüber im unklaren zu lassen, was das jüdische Volk fordert.

➥ Zur Biographie: Anonym

In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 42 (1892), S. 759-760.

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

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Tran-skription

Es gab mehrere stolze Leute in der Gasse, in der ich Lehrer war. Stolz war Awrom Geier auf seinen großen Schnurbart und seine rothe Nase, die ihm ein magyarisches Aussehen gaben; stolz war Mardche Schilak auf seine Töchter, die in einem Pester Pensionat waren und mit einem clavier nach Hause kamen, das man in der Gasse noch nie gesehen hatte; stolz war Scheie Kallop auf sein Renommé als bester Franzefuß-Spieler in der ganzen Gegend; einen stolzeren Menschen jedoch gab es weit und breit nicht, als Schie Leb. Der fühlte in der That, wie kein Zweiter, was und wer er sei.

Er betrieb einen großen Schafwoll- und Rindshauthandel und auf dem Tirnauer Markte machte er immer die Preise. Sein Geheimniß bestand darin, daß er billig kaufte und theuer verkaufte. Wer das nachmachen kann, soll unbedingt reich werden. Und so ist Schie Leb reich geworden und war stolz auf seinen Reichthum.

Gegen jenen alten Franzosen, der durch eine Pantomime die Elemente bezeichnete, mit denen der Reichthum verbunden sein muß, wenn er einen Vorzug beanspruchen will, indem er auf seine mit klingenden Napoleond`ors gefüllten Taschen schlug, dann die eine Hand an die linke Brustseite drückte und den Zeigefinger der anderen an die Stirne legte, womit er andeuten wollte, daß zum Gelde auch Herz und Verstand kommen muß – gegen diesen Franzosen war Schie Leb ein lebendiger Protest. Er klopfte nur auf den Geldbeutel.

„Alles nischt“ – er sprach das Deutsche nicht rein – „Alles nischt!“ war sein Sprichwort, wenn von Bildung oder Humanität die Rede war. Er glaubte nicht an die Macht der Intelligenz, nicht an die beseeligende Kraft des Wohlthuens. Keiner handelte nach ihm, klug, keiner war nach ihm, gut und edel. „Alles nischt.“ Und dieser Ausspruch Schie Leb`s ist in der ganzen Umgegend zum geflügelten Worte geworden, wie der ähnliche Ausspruch des Koheleth.

Schie Leb war jedoch kein Plagiator. Er kannte Kohelet nicht einmal dem Namen nach. Die Aerzte, Lehrer und Beamte waren stets das Stichblatt seines Witzes, und wenn er Abends auf der Steinbank vor seinem Hause saß, gingen sie, wenn sie diesen Weg machen mußten, auf der anderen Seite der Straße. Vor dem Rabbiner und den anderen Talmudgelehrten der Gasse hatte er einen förmlichen Abscheu. Er mied auch das Gotteshaus. „Alles nischt.“

Schie Leb lebte sich in seinen Geldstolz so hinein, daß er wirklich glaubte, Alles müsse sich ihm fügen. Schließlich sprach er gar nicht mehr, er brummte nur, wenn er irgend einen Wunsch hatte. Niemand wagte ihm zu widersprechen, und dadurch wurde er in seinem Dünkel noch mehr bestärkt, daß einzig und allein sein Geld Respect einflöße und bei den Menschen nichts weiter gilt als Geld, übrigens aber „Alles nischt.“

Merkwürdigerweise aber hatte Schie Leb doch Ehrgeiz. Zuerst für seine Person. Er wäre so gern Vorsteher der Gemeinde geworden. Als einmal die Neuwahlen in den Cultusvorstand stattfanden, lud er am Sabbath bevor fast die ganze Gemeinde auf ein Schalesch-Sudes ein, bei welchem die besten Weine in unerschöpflicher Menge credenzt wurden.

Aber im Wein steckt oft Wahrheit, und am nächsten Tage fiel Schie Leb bei der Wahl schmählich durch; er hatte keine zehn Stimmen.

Ein andermal verlockte ihn sein Ehrgeiz in den Vorstand der Ortsgemeinde zu kommen, zur Zeit dieser Wahlen. Er verwendete bedeutende Summen zur Agitation für sich. Izek Futtak, der einen Branntweinschank hatte, war sein Kortesch, die Bauern soffen wochenlang gratis Tag und Nacht; und er fiel bei dieser Wahl noch kläglicher durch, als bei der Wahl in den Cultusvorstand, obwohl zwei Juden gewählt wurden und zwar der jüdische Arzt und ein armer jüdischer Buchbinder. Das kränkte Schie Leb noch mehr. Es ward klar, daß auch im Branntwein Wahrheit steckt. 

Nach diesen beiden Niederlagen übertrug er seinen Ehrgeiz auf seine Söhne.

Sein Itzig zeigte Anlagen, Cavalier zu werden.

Es war die Ambition des stolzen Ochsenhauthändlers, daß sein Itzig mit den Edelleuten des Ortes und der Umgegend wie mit seinesgleichen verkehre.

Mit seinem zweiten Sohne Jossel hatte er noch kühnere Pläne. Der sollte Advocat werden und so mit dem Stuhlrichter und den Amtspersonen, vor welchen allein er Respect hatte, auf vertrautem Fuße stehen.

Er schickte beide Söhne, sobald sie es dahin brachten, den Rock in einem Jahre nicht auszuwachsen, nach Pest, um dort zu studiren. 

Er gab viel für sie aus. Sie forderten aber noch mehr. Sie lehrten den Alten, was ein Wechsel sei. Und sein Herz erweiterte sich, wenn er sah, daß ein lumpiges Stück Papier, worauf er seine drei Kreuze setzte – denn seinen Namen konnte er nicht fertigen – von diesem Momente an zu barem Gelde wurde. Gerade als ob ein Fürst es unterschrieben hätte. Ein gescheidter Mann, der das ausspeculirt hat, um die Menschen groß zu machen.

Die Söhne aber ließen den Alten sehr groß werden. Ihre Schwäche stand im schönsten Verhältnisse zur Schwäche ihres Vaters. Sie waren gegenseitig zufrieden.

Vor lauter Zufriedenheit ruinirten sie den Alten. Man merkte den Niedergang seines Vermögens und es wurde das geflügelte Wort ausgegeben.

„Was Schie Leb an Ochsenhäuten gewann, verlor er wieder an Ochsenhäuten.“

Itzig wurde ein Cavalier; er ritt, spielte, hielt Maitressen und war die „Wurzen“ aller verkrachten jungen Edelleute des ganzen Comitates.

Jossel war das Rechtsstudium zu trocken. Er fing an zu trinken. Er kam von Pest nach Hause und trat in das Geschäft des Vaters ein, war aber häufiger im Keller, als in den Magazinen zu finden.

Beide heirateten und von Beiden liefen die Frauen bald weg. –

Beide lebten sich in der Gesellschaft zu Tode, starben moralisch, wurden allgemein als Lumpen bezeichnet.

Und Schie Leb hatte alle Ursache, auch den Ehrgeiz in sein „Alles nischt“ einzubeziehen.

Noch hatte er so viel Geld, um in seinem Stolz auf dasselbe fortzuschreiten und jeden Anderen zu verhöhnen. Ja, er wurde noch hochmüthiger, um die Leute nicht merken zu lassen, daß es mit ihm abwärts gehe, zeigte sich noch haßerfüllter gegen Alle, die sich durch Bildung und humanes und religiöses Wirken hervorthaten, und geizte bei den öffentlichen Leistungen, die er pflichtgemäß abzutragen hatte.

Noch häufiger als früher führte er sein „Alles nischt“ im Munde. Er murmelte es für sich hin, auch wenn er ganz allein war und er wäre vor Vereinsamung gewiß dem Wahnsinne verfallen, wenn er nicht noch zur rechten Zeit aus diesem Jammerthal, wo „Alles nischt“ ist, die Reise in das unbekannte Jenseits hätte machen müssen, an das er nicht glaubte und so oft davon gesprochen wurde, auch sein „Alles nischt“ darüber sprach. –

Um Trost für die vielen Enttäuschungen zu suchen, nahm er in der letzten Zeit auch Zuflucht zur Flasche und wurde auf offener Straße von einem Schlaganfall getroffen, dem er auf der Stelle erlag.

Es blieb doch noch so viel zurück, daß sich die Kinder um die Erbschaft balgten und so viel Pietätsgefühl haben die Kinder doch noch bewahrt, daß sie, bevor sie mit einander zu processiren anfingen, von der Hinterlassenschaft eine hübsche Summe ausschieden, um Grabsteine für Vater und Mutter zu stellen, denn auch die Mutter, die schon um Jahre früher starb, hatte noch keinen Gedenkstein, weil Schie Leb consequent bei seinem „Alles nischt“ blieb. Und bald wäre Schie Leb nach dem Tode verherrlicht worden.

Denn in Itzig regte sich der Cavalier. Er wollte den Eltern Monumente errichten, wie sie auf dem Friedhofe noch nicht zu sehen waren, hohe Steine an der Kopfseite der Gräber und extra Seitensteine und in jedem hochtrabende Inschriften.

Da hätte man ja an einer Gerechtigkeit verzweifeln müssen!

Es ist aber anders gekommen. Gerade bei diesem so vornehm scheinenden Grabmal muß der Wanderer lachen. Und das kam so.

Die Steine wurden in Pest verfertigt und auf dem Friedhof zu Hause von des Hebräischen unkundigen Leuten gestellt. Sie verwechselten die Seitensteine, so daß diese auf Schie Leb`s Grab berichten, was für „Biederweib“ er gewesen. Und diese Grabsteine stehen heute noch so.

„Alles nischt?“ Nein, an seinem Grabe hallt es entgegen: Es ist etwas! daß Schie Leb noch nach dem Tode hinaus lächerlich sein mußte.

In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenzeitschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 4 (1892), S. 70-71

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Ich besuchte vor Jahren ein kleines Kaffehaus in der Umgegend der Börse wegen der billigen Tarife bei einer Menge fremder Blätter in demselben. Die Stammgäste dieses Lokales bilden ehemalige Börseaner, die in dem gefährlichen Strudel dieses so gleißnerischen Goldstromes untergegangen und sich doch von der Nähe der Stätte ihres einstigen Glückes nicht trennen können, wie Jeremias von den Trümmern Jerusalems, oder die jetzt von der Mildthätigkeit ihrer noch glücklich schwimmenden Collegen ihr Leben fristen. Denn wenn die so arg verleumdeten Börseaner auch für jeden Unglücklichen eine offene Hand haben, so herrscht unter ihnen für die Schiffbrüchigen ihrer einstigen Standesgenossen noch ein besonderes Solidaritätsgefühl, vielleicht, weil Jedem von ihnen dasselbe Schicksal vorschwebt und das Mitleid doch eigentlich nichts anderes ist, als das Sichversetzen in die Lage des Elenden.

Der genaue Beobachter kann bemerken, wie nach dem jedesmaligen Schluß der Börse jeder der Herren von seinem Leibarmen erwartet wird, dem er im Vorübergehen eine Spende reicht. Nicht selten sind dies Guldenzettel. –

Ein solcher Client eines Börsen-Patriziers schien mir auch ein Mann zu sein, dem ich fast täglich in dem in Rede stehenden Kaffehause am Lesetische in einer französischen oder englischen Zeitung vertieft, begegnete. Manchmal nahm er auch an den Debatten theil, die von den Gästen über die verschiedensten Materien geführt wurden und ich hatte Gelegenheit, sein reiches Wissen und sein richtiges Urtheil zu bewundern. Er war ungefähr ein Vierziger, sah immer bleich und verstört aus, aber ordentlich gekleidet, wie die Klasse der Gentleman-Proletarier.

Dann sah ich ihn wieder wochenlang nicht.

Eines Abends ging ich spät aus einer Vereinsversammlung in meine Wohnung in der oberen Donaustraße. Auf meinem Wege von der Augartenbrücke stieß ich auf einen menschlichen Körper. Ich erschrack, beugte mich zu ihm hinab und überzeugte mich, daß es nur ein Schwerbetrunkener war. Mit großer Mühe stellte ich ihn auf die Füße und erkannte in ihm meinen Tischgenossen aus dem Kaffehause. Aus Schonung seiner Ehre wollte ich ihn keinem Wachmanne übergeben, sondern führte ihn in meine Wohnung, wo ich ihm in einer Kammer, die mit altem Rumpelwerke gefüllt war, ein Lager bereitete, auf das er wie ein Klotz niederfiel. –

Es war gegen Mittag, als sich in der Kammer Etwas zu regen anfing. Als ich hineinsah, hatte mein Gast den Kopf unter der Decke hervorgestreckt und blickte mich verdutzt an, als könnte er sich nicht zurechtfinden. –

Endlich schien er sich doch über die Situation klar geworden zu sein, und seine bleichen Wangen färbten sich roth vor Scham.

Ich wies ihm an, wo er sich waschen und seine Kleider von dem Schmutz des Straßenpflasters reinigen könne. Nach einer halben Stunde trat er mit gesenkten Blicken vor mich hin und streckte mir die Rechte entgegen. Wie er jetzt gebürstet und gewaschen vor mir stand, sah er trotz seiner abgetragenen Kleidung wieder einem Gentleman ähnlich und ich schüttelte ihm, wie einem alten Bekannten die Hand,

„Verzeihen Sie, mein Herr“, sagte er, „die unangenehme Mühe, die ich Ihnen durch Ihre Güte bereitet habe„ – – –

„Nicht der Rede werth“, fiel ich ihm lachend ein, um ihm über die peinliche Entschuldigung hinwegzuhelfen. „Sie hatten wahrscheinlich gestern ein Malheur, das dem solidesten Manne zustossen kann, in Gesellschaft etwas zu tief in das Glas geguckt zu haben.“

„Leider trifft Ihre gütige Entschuldigung meiner Handlungsweise nicht zu. Es war gestern kein Ausnahmsfall.“

Ich sah ihn betroffen an und sagte: „Bei Ihrer Bildung und als Jude, der Sie doch sind, wie ich vermuthe?“

„Ich bin`s und bin`s doch wieder nicht; ich bin ein getaufter Jude.“

„Da haben Sie schnell eine nichtjüdische Sitte erlernt.“

„Von dem Zwiespalt mit mir, in den ich durch den Uebertritt gerieth, stammt mein ganzes Unglück. Dieser Schritt brennt mir auf der Seele, daß ich die Erinnerung an ihn am liebsten mit meinem Leben ersäufen möchte.“

Er war, während er sprach, meiner Einladung gefolgt und hatte sich neben mich auf einen Stuhl gesetzt. Er stützte den Kopf in die Hände und kraute mit den Fingerspitzen in den Haaren, wie Jemand, der seine Gedanken zu sammeln sucht.

„Ich bin wahnsinnig gewesen, Herr“, fing er plötzlich wieder erregt zu sprechen an, „wahnsinnig, denn ich könnte heute vermögend und glücklich sein, wenn ich nicht wahnsinnig gewesen wäre. Die Geschichte läßt sich kurz erzählen. Mein Vater war ein reicher Mann und ließ mich auf das Sorgfältigste erziehen und ausbilden. Es hätte gute Früchte tragen können, wenn ich nicht wahnsinnig gewesen wäre, mich in ein christliches Mädchen, zu verlieben, in ein armes christliches Mädchen, das nicht anders mein Weib werden wollte, als wenn ich mich taufen lasse.

Berauscht von der Sehnsucht, sie in meine Arme zu schließen, erfüllte ich ihre harte Bedingung, opferte für die Seligkeit ihres Besitzes meine Religion und schlug allen Zusammenhang mit meiner Familie in die Schanze.

Wäre ich von meinen reichen Eltern nicht verstossen worden, wir wären das glücklichste Paar unter der Sonne gewesen. Mein Verdienst reichte nicht aus, um ein Leben zu führen, wie es sich meine Frau an meiner Seite versprochen hatte und um dessentwillen sie sich eigentlich herabgelassen, einen Juden zu heiraten. Und da hatte die Christin bald Gelegenheit, ihren Mißmuth in dem niedrigen Geiste des Judenhasses zu zeigen, in welchem sie erzogen war.

Ich – ich hätte mich nur in ihrem Besitze auch dann glücklich gefühlt, wenn wir uns hätten miteinander durch das Leben betteln müssen; ich hätte die unablässig mich quälenden Gedanken des Verrathes, den ich an meiner Vergangenheit übte, mit Wollust bis zum Tode ertragen, wenn ich nur ihre Liebe besessen hätte. Sie aber, sie war von anderer Art. Die Neigung zu mir, die ich an dem Mädchen zu bemerken glaubte, schlug bei dem Weibe in das Gegenteil um. Sie haßte mich als Juden, sie warf mir bei jeder Gelegenheit den Juden vor, sie dichtete mir alle die Fehler an, die der Fanatismus des Judenhasses dem ganzen Stamm andichtet. –

Oft war es nicht zum Aushalten – aber ich trug es. Ich entschuldigte sie immer mit ihrer Erziehung, mit der Schwäche des Weibes, sich nicht beherrschen zu können. Und ich hatte mir ja mein Elend selbst zu danken; wenn ich Jemand anzuklagen hätte, dann wäre ich es – ich hätte es wissen sollen, daß der Judenhaß unüberwindlich ist, wenn der Jude auch das Muster aller Tugenden ist, wenn der Jude auch den Christen die erdenklichsten Opfer bringt, sich selbst für sie opfert.

Und am Ende sagte ich mir: Sie ist ja doch mein Weib. Ich hielt die Ehe mit ihr für heilig; sie betrachtete das Bündnis, das doch vor ihrem Altare, von ihrem Priester eingesegnet wurde, für ein Concubinat und Tag für Tag mußte ich die Klage anhören, sie sündige gegen ihren Gott, mit mir zu leben.

Ich ertrug Alles geduldig und stille und lange, so lange, bis der in mir aufgespeicherte Schmerz mich zur Verzweiflung trieb. Da verließ ich stille das Haus, schwemmte in einer Kneipe die erstickende Last hinunter und kehrte mit dem ersten Rausche in meinem Leben heim.

Nun, damit hatte ich erst recht Oel in`s Feuer gegossen. Was ich wegen dieses Rausches, zu dem sie mich wie zu einem Selbstmorde doch nur selbst getrieben hatte, ausstehen mußte, das war selbst für meine Geduld zu viel. Nun spielte sie sich auf die edle, arische Natur hinaus und ich, der Jude, war ein Trunkenbold vom Hause aus, denn alle Juden seien Säufer.

Mir graute vor dem Weibe – ich trank mir den zweiten Rausch; ich verzweifelte – und trank mir den dritten, den vierten, den fünften, kurz, ich betrank mich, so oft es über mich kam, daß ich mich nicht zu retten wußte. Ich war doch noch immer der Bessere von uns Beiden, denn ich wollte es aushalten, wie es auch ging.

Eines Tages packte sie aber unser einziges Kind und ging auf Nimmerwiedersehen. Ich liebte das Kind, während sie ihm nicht die geringste Neigung zeigte und es bei jeder kindlichen Unart „Juden-Bankert“ schalt. Ich verlangte mein Kind. Aber sie bewies vor Gericht, daß ich ein Trunkenbold sei und das Kind schlecht erziehen werde, und es wurde ihr zugesprochen.

Nun hatte ich noch den Schmerz um mein mir entrissenes Kind zu ersaufen und da ich mir mit meinen benebelten Sinnen auch in meinem kleinen Amte manche Unterlassung zu Schulden kommen ließ, wurde ich bald darauf entlassen und stand auf der Straße, ein armer verachteter Mann, verstossen von den Eltern, ohne Weib, ohne Kind, ohne Stellung, und – und – ohne Gott.

Später hörte ich, daß mein Weib von meinem früheren Chef soutenirt werde. Das war der letzte Schlag, der mir das Dasein eckel machte. Seitdem habe ich mein Leben gefristet, wie es eben ging, und wenn es meine Mittel erlauben – warum sollte ich läugnen? – suche ich meinem Herzen, meinem um seine Ideale betrogenen und von Erinnerungen gepeinigten Herzen auf diese Weise Ruhe zu schaffen, wie Sie dessen Zeuge gewesen sind.“

Er schwieg und barg sein Gesicht in die abgemagerten Hände; ich sah trotzdem, daß er weinte.

„Warum ich dieses elende Leben noch trage?“ sagte er aufschauend „o, nicht aus Feigheit; ich spekulire nur, wie ich sterbe, ohne unter den Symbolen begraben zu werden, unter denen ich mit meiner Frau getraut wurde. Im Tode will ich mit Juden vereint sein.“

Ob er diesen Wunsch erreicht hat?

Möglich.

Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.

Er kann in den Wellen der Donau den Tod gefunden haben und hinabgeschwemmt worden sein in die Tiefebene Ungarns, wo sein Leichnam als jüdischer agnoscirt, auf einem jüdischen Dorffriedhofe seine letzte Ruhe fand.

➥ Zur Biographie: Ascher Franzi(ska)

In: Austro-American Tribune, Nr. 1 (August 1948) S. 12

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In: Austro-American Tribune, Nr. 1 (August 1948) S. 121  

„Is this the train to Rockaway?“ 

„No, this is track 19 – Rockaway is on track 17!“ 

„Thank you – Is this now the train to Rockaway?“ 

„No! This ist he train to Long Beach!“ 

„Isn’t this track 17?“ 

„Sure, it is, all the way up, but you’re asking for the train to Rockaway and not what track this is! Rockaway is on track 19!“ 

„But that’s just where I came from!“ 

„Then go right back – they’re just closing the doors…“ 

„Thanks … ooops! I made it! Now: Does this train go to Woodside? Sure – but look, Miss, first you asked for Rockaway, now it’s Woodside, where do you want to go? Hempstead?“ 

„No – but see, my friends are getting on the train in Woodside, so all I want is to meet them!“ 

„You never will – the platform’s too crowded out in Woodside – see what I mean?“  

Der Zug fährt in Woodside ein. Kopf an Kopf. Tasche an Tasche. Flasche an Flasche die Strandwanderer. 

Wir steigen aus. Sämtliche Farben des Spektrums um unsere Augen.  

„Franzi!“ Mehr entsetzt als erfreut über den 1000:1 Zufall, dass man einander hier tatsächlich gefunden hat. Mit einem Schritt sind wir alle im Waggon, mit explosivem Ruck setzt sich der Zug in Bewegung, wir alle lehnen uns aufatmend gegen die Wand, erschöpft von dem anstrengenden Happy End, und es ist uns allen ganz gleichgültig, wohin dieser Zug fährt. An irgendeinem Strand wird er schon stranden… 

[…] 

Nach dem Mittagessen sehen wir der allgemeinen Sonnenanbetung zu. In den Sand gestreckt, liegt jeder auf seinem Angesicht. Boy neben Girl, Kopf neben Kopf, Rücken neben Rücken, in bequemster Nähe, einander private Dinge ins Ohr zu sagen – aber keiner sagt etwas, sondern – oft in sandsicheren Wellblechkästchen und mit der Aufschrift ‚Beach Radio Rental‘ versehen – zu Häupten steht immer der Radioapparat, und wenn’s gut geht, singt der Frank Sinatra oder der Bing Crosby den beiden ein zärtliches Privatissimum ins Ohr. Wenn aber nicht, so ist der Ansager selbst der Postillon d’amour: „Get your Sunday Post today – and keep posted!“ Europäischer ‚afterthought‘: „Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz – was schlägst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz?“ – see what we mean… 

Und gänzlich unerwartet und unvorbereitet geschieht ein Wunder, und keiner wird leugnen, dass es ein Wunder ist. Genussreich dösend werden wir durch einen sprühenden Wasserschauer aufgeschreckt. Und noch eh wir auffahrend uns umsehen können, steht ein niedliches Knäblein von etwa 10 Jahren vor uns, macht einen tiefen Diener bis zum Boden hinunter und sagt laut und strahlend: „‘scuse me, Miss, for splashing you…“ 

➥ Zur Biographie: Saul Ascher

In: Morgenblatt für gebildete Stände (1811), Nr. 156, S. 622f. (1. Teil)

Morgenblatt für gebildete Stände (1811), Nr. 157, S. 625-627. (2. Teil)

Morgenblatt für gebildete Stände (1811), Nr. 159, S. 635f. (3. Teil)

1. Theil. Stuttgart 1837.

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In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 48 (1891), 896-897.

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„Ich hatte auch an diesem, wie fast an jedem Abende, Gäste. Es waren damals noch keine Ressourcen in Galantha, und ich versammelte immer nach meinem mühsamen Schuldienste am Abende die jungen Leute, die zumeist gar keinen Unterricht genossen hatten, in meiner Wohnung und suchte ihnen unterhaltungsweise einiges Wissen beizubringen – eine von mir eingeführte zeitgemäße Reform des alten Schiur aber mehr nach Muster der griechischen Symposien, als der modernen Casinos. Die Kosten der geistigen Unterhaltung trug allerdings fast ich allein, aber für die materiellen Genüsse – Thee, Butter, Häringe, Obst, zuweilen noch Substanzielleres – sorgten Alle nach Art der englischen Picknicks. Ich bereitete mir den wissenschaftlichen Stoff der Unterhaltung niemals vor, sondern nahm ihn aus dem jeweiligen Gespräche über Tagesereignisse von Nah und Fern, denn ich hielt auch mehrere Blätter, die zur Lectüre vorlagen.

Von dem Zeitungsberichte über eine pompöse Leichenfeier in Wien nahm ich an diesem Abende Anlaß über die Zeichen der Pietät gegen Verstorbene bei den verschiedenen Völkern zu sprechen und kam dabei auf die uns Juden mehr als allen anderen heilige Sitte, die Gräber der Eltern zu besuchen. Ich merkte nicht, wie bei diesem Vortrage einer meiner Gäste erröthete und fand es auch nicht auffallend, daß er aufstand und hinaus ging. Kaum war aber die Thüre hinter ihm zu, sagte einer der jungen Leute: „Herr Oberlehrer, Sie haben aus Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse bei . . . . einen wunden Punkt berührt. Er hat einen Onkel, der als schlechter Jude in der Welt herumirrt, die Eltern ins Grab brachte, und noch niemals auf Kewer-Dwes hier war.“ Beschämt über meine Unvorsichtigkeit, verließ ich diesen Gegenstand und ging zu einem andern über. Der junge Mann kam auch bald zurück und nahm seinen Platz wieder ein.

Wir waren diesmal etwas länger als sonst beisammen, und als meine Gäste endlich nach Hause gingen, nickte ich, müde in meinen Lehnstuhl zurückgesunken, ein wenig ein und begann leicht zu träumen. Ich hatte nicht lange so gesessen, als ich durch ein Klopfen an eines meiner Fenster aus dem Halbschlummer emporgeschreckt wurde. Schlaftrunken erkannte ich doch sofort Mandel Baß, der mehrere Aemter in der Gemeinde kumulirte, das eine, das sein Name andeutet, dann war er Schulklopfer Liderer[1] und Schlafstattvater[2]. Nachdem ich einen Fensterflügel geöffnet hatte, brachte er unter tausend Entschuldigungen vor: Es sei bei ihm ein Armer schwer krank; der Doktor wäre schwer zu einer Nachtvisite zu bewegen, mir jedoch würde er gewiß folgen, ich möge daher zu ihm gehen. Ich besann mich auch nicht lange, und ehe eine Viertelstunde verging, stand ich mit dem Doktor, der ein menschenfreundlicher Herr war, nur weil der Arzt bei Juden wegen unglaublicher Kleinigkeiten oft in seiner nächtlichen Ruhe gestört wird, nicht selten einem Rufe in der Nacht keine Folge leistete, vor dem Lager des Kranken in der Schlafstatt. Die Diagnose war nicht schwer zu stellen. Der Patient war ein Schwindsüchtiger im letzten Stadium. Er starrte uns mit seinen glühenden Augen an, ohne sich unserer Anwesenheit bewußt zu werden. Mitleidig betrachtete ich den Armen. Es war ein feingeschnittenes Antlitz auf welches der herannahende Tod seine Schatten warf. Ich wußte nicht recht, warum ich immer wieder den Blick darauf heften mußte. Fast schien es mir, als käme er mir bekannt vor. Dann durchzuckte mich plötzlich eine Ahnung – das röthliche Kopfhaar untrüglich – er ist`s – mein ehemaliger Studien- und Quartiergenosse auf der Preßburger Jeschiwah.

„Kennen Sie den Kranken da?“ fragte mich der Arzt leise, als er meine Aufregung merkte.

„Ob ich ihn kenne!“ sagte ich schmerzerfüllt, und ohne daß ich es beabsichtigte, entfuhr mir sein Spitzname unter den Kollegen.

„Radag!“[3] rief ich.

Der Kranke riß die Augen auf, starrte mich entsetzt an und streckte wie abwehrend die Hände aus. Er schien das Bewußtsein wieder erlangt und auch mich erkannt zu haben, und vom Gefühl der Scham überwältigt, barg er schluchzend das welke Gesicht in den Kissen.

Der Arzt ging, nachdem er seine Verordnung gegeben, wieder weg; ich aber saß bei dem Kranken und ließ mir erzählen, wie er hieher gekommen. Es war eine traurige Geschichte, die mir umsomehr in`s Herz schnitt, als der Erzähler zuweilen in einem bitteren Humor verfiel, der deutlich seinen seelischen Zustand verrieth.

Roth David Galantha war ein ausgezeichnet guter Kopf, aber durch und durch Skeptiker. Er machte mit die Wandlung vom Bachur zum Studenten, aber er studierte ziel- und planlos, so daß er sich eigentlich für gar keinen Beruf ausbildete. Die Noth drängte ihn Privatlehrer zu werden und er mußte von Halbjahr zu Halbjahr seinen Posten wechseln. Anfangs war er überall wegen seines reichen Wissens geschätzt, aber man wurde bald seiner überdrüssig, als man seine gottesläugnerischen Ideen erfuhr, die er gar nicht zurückzuhalten sich bestrebte. Mit dem Glauben an Gott verlor er auch den Glauben an die Menschen. Mit seinen pessimistischen Anschaungen gar nicht hinterm Berg haltend, machte er sich bei Allen verhaßt, selbst bei denen, die tolerant gegen seine religiösen Ansichten und sein gottloses Leben waren. Und als er kein Haus mehr fand, das ihm die Kinder anvertraute, warf er sich auf die Schriftstellerei. Er ließ von Zeit zu Zeit ein Buch oder eine Broschüre, in hebräischer oder deutscher Sprache erscheinen, bald theologischen, bald sozialen Inhaltes, worin er seine Gedanken über Gott und Welt in einer zwar weniger drastischen Weise, als er es im Gespräche that, aber ebenso frei und offen entwickelte. Und mit diesen Schriften wanderte er von Ort zu Ort, sie Rabbinern, katholischen Geistlichen oder protestantischen Pastoren, jüdischen oder christlichen Literaturfreunden zum Kaufe anbietend. Wo er merkte, daß man ihm mehr aus Mitleid als aus Werthschätzung seiner Arbeit etwas geben wollte nahm er`s nicht an, und er trotzte auch überall, wohin er kam, dem gesellschaftlichen und religiösen Herkommen, damit ja kein Mitleid für ihn aufkommen sollte.

Auch dieses unstäten Lebens müde und von der Literatur als Broterwerb angeeckelt, wollte er sich in der Hauptstadt ständig niederlassen und durch Stundengeben sein Leben fristen, allein da er für kein bestimmtes Fach-Zeugnis besaß, wurde er überall, wo er sich offerirte, in höflichster Form zurückgewiesen. Es gibt in der Großstadt ein geistiges Proletariat, das von heute auf morgen nicht zu leben hat, in der Früh aufsteht, ohne zu wissen, wo es die paar Kreuzer für ein Mittagmal hernehmen wird, – und doch lebt. Es gibt sich wie die Eckensteher zu jeder Beschäftigung her, und man weiß es aufzusuchen. Heute bestellt der Herausgeber eines Winkelblättchens einen gepfefferten Artikel bei ihm, morgen läßt sich ein Advokat eine mehr Phrasen erforderliche Satzschrift von ihm ausfertigen, und übermorgen hat er einen warmen Liebesbrief für einen Commis zu schreiben, u. ä. So lebt der mit dem Tode ringende seit zehn Jahren in dem von den Leidenschaften des Erwerbens und Genießens fortwährend gepeitschten Menschengewoge der Residenz.

„Seit zehn Jahren“, sagte er, mich bei meinen Namen nennend, „habe ich keine zwei Tage hintereinander ohne Sorge um Brot gelebt“ ist`s da ein Wunder, wenn man bei der kräftigsten Constitution den Todeskeim empfängt und sich auch mit den Todesgedanken vertraut macht. „Ich habe seit Jahren jede Lebenslust aufgegeben. Nur ein brennendes Verlangen hatte ich, wirst Du es glauben? Ich kann mirs ja bei meiner Religionslosigkeit selbst nicht erklären – nur einmal auf Kewerdwes zu gehen und mich so herzlich auszuweinen. Jeden Frühling nahm ich mirs vor und niemals konnte ich es ausführen, weil mir die paar Gulden dazu fehlten. Aber dieser Tage konnte ich dem so heißen Verlangen nicht widerstehen. Ich machte mich mit zehn Kreuzern in der Tasche auf den Weg hieher. Heute kam ich hier an, aber ich habe eine Dummheit begangen, ich hätte von der Landstraße aus sofort auf den Friedhof gehen sollen“ – – –

Tief ergriffen hatte ich ihm zugehört. Aber jetzt hieß es handeln. Viel zu thun war freilich nicht mehr für den Armen, jedoch seine letzten Stunden zu erleichtern, erschien mir als heilige Pflicht. Ich ordnete das Nothwendigste an und redete ihm gut zu, es könne ja noch Alles besser werden, er solle nur den Muth nicht sinken lassen.

Er sah mich mit großen Augen an, als wollte er sagen: „Mach mir nichts vor, ich weiß, woran ich bin.“

Ich sagte ihm zu, am nächsten Morgen wieder zu kommen und seine Uebersiedlung an einen geeigneteren Orte zu bewerkstelligen.

„Ja, an den „Guten Ort,“ lächelte er, und drückte mir zum Abschiede die Hand.

Am nächsten Morgen noch vor dem „Schulklopfen“ eilte ich zu dem Kranken. Als mich Mandel Baß, der eben im Begriffe, mit dem Hammer in der Hand seine Runde durch die Gasse anzutreten, erblickte, winkte er mir leise:

„Er schläft“ sagte er.

Ich trat zum Bette hin. Allerdings schlief er, aber es war der ewige Schlaf, von welchem es kein Erwachen gibt. Friede lag auf dem Gesichte; er mußte ohne Kampf verschieden sein.

„Legen Sie den Hammer aus der Hand,“ sagte ich zu Mandel, „Sie müssen schulrufen, der Arme ist todt.“

Am nächsten Tage gaben wir ihm das letzte Geleite. Ich sage wir, denn es wohnte die ganze Gemeinde dem Leichenbegängnisse bei.

Mit Erlaubniß des Vorstandes der Chewra Kadischa durfte ich am offenen Grabe einige Worte sprechen. Es war eine Fortsetzung meines Vortrages vom vorletzten Abend vor meinen Gästen und kulminirte in dem Leben des Todten der da starb in der süßen Pflichterfüllung des Besuches auf Kewer-Dwes.


[1] Diener der Chewra Kadischa

[2] Die Schlafstatt war eine Gemeindeanstalt zur Beherbergung durchreisender Armer.

[3] Bei den 600 bis 700 Bachurum der Jeschiwah waren viele gleichen Namens, um sie von einander zu unterscheiden, setzte man zu den Namen noch Heimatsort und ein anderes Attribut und verband der Kürze halber die Anfangsbuchstaben aller drei zu einem Wort, das desto ironisirender war, jemehr es an einem bekannten literarischen Namen anklang; so bedeutete R. d. g.: Roth David Galantha.

Aus: Dr. Bloch’s Wochenschrift, 23. Jahrgang, Ausgaben 34-44 von 24.08.1906 bis 02.11.1906

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3021656]

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In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 18. Jahrgang, Ausgabe 8 vom 22.02.1878, S. 1f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

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Unter dem Waffengetöse schwiegen nicht nur die Musen, sondern auch die diversen Judenfragen, soweit für solche noch ein Boden in Europa vorhanden ist. Von der Zivilisation und der siegenden Idee eines Rechtsstaates verdrängt, fand die Judenfrage nur noch im Osten dieses Welttheils eine Heimat, von ganzer oder halber Barbarei begünstiget. Ihr Verbreitungsbezirk war geograhisch genau begrenzt, er reichte nicht weiter als die Machtgebiete Rußland’s, der Türkei und der Donaufürstenthümer, d. h. genau soweit, als der Schauplatz jenes Kriegsdrama’s, dem jetzt sein Epilog in einer Conferenz der Signatarmächte bereitet werden soll. Und doch schwieg die Judenfrage, sie, die am peinlichsten von dem blutigen Waffenspiele tangirt war. Nicht daß sie auch nur zeitweilig gegenstandslos geworden wäre, sondern weil die Juden bei dem hohen Grade von Selbstverläugnung, die ihr Herz charakterisirt, auf einem Gebiete, das nicht unmittelbar mit ihrem religiösen Gute zusammenhängt, stets geneigt sind, ihr eigenes Interesse dem der jeweiligen Gesammtheit zu unterordnen. An dem großen Kampfe betheiligten sich die russischen wie die türkischen Juden mit gleichem patriotischen Eifer, und selbst in Rumänien konnten unsere Glaubensbrüder in der Hitze des Gefechtes vergessen, welche Genugthuung ihr Vaterland ihnen schuldig geblieben ist. Aber der Krieg wird schweigen, und die Judenfrage wird wieder die Fähigkeit zu reden erlangen, und welche Antwort wird man ihr ertheilen? Die Vertreter der Judenheit aber, wenn sie in die Lage kommen sollten, an die projectirte Conferenz mit ihren gerechten Forderungen heranzutreten, dürften gut daran thun, die Macht der Hindernisse, die sich ihren Bestrebungen entgegenstellen werden, genau zu prüfen, um weder der Unterschätzung und somit der Illusion, noch der Ueberschätzung und somit der effeminirenden Hoffnungslosigkeit anheimzufallen. Man betrachtet als Hindernisse der Gleichstellung der Culte in den Ostländern zuerst die Uncultur der in der Bildung zurückgebliebenen Völkerschaften, den Fanatismus und das durch Jahrhunderte erstarkte Vorurtheil, die sie jedem noch so begründeten Rechtsansprüche unzugänglich machen, zweitens aber jenen Despotismus als Staatsverfassung, der durchaus einer Kaste der Parias bedarf, um den höher gestellten Klassen eine Folie zu bieten, und ihnen dadurch den Freiheitsmangel weniger empfindlich zu machen. Uns will es jedoch bedünken, als ob gerade diese Hindernisse, die man für so mächtig hält, der Lösung der Judenfrage keine, mindestens nicht lange Zeit mehr Schwierigkeiten bereiten werden.

Die Völkerschaften jener Länder sind besser als ihr Ruf, gutmüthig, gastfreundlich und von wohlwollendem Naturell können sie nicht lange mehr dem Siege der Cultur widerstehen. Auch die Zivilisation gehet heutzutage nicht mehr zu Fuße wie in kalter Zeit, auch sie legt in kürzeren Zeiträumen als ehedem weite Strecken zurück. In gleicher Weise ist eine Politik, die von der Idee des Absolutismus ausgehet und auf ein Kastensystem sich stützt, nicht lange mehr haltbar – und ist einmal die Freiheit ein Factor geworden, mit dem der Staat rechnen muß, da wird ihre Zwillingsschwester: die Gleichheit nicht im Wachsthume zurückbleiben. Es ist eine hochbedeutsame Erscheinung, der wir in der Geschichte der Judenemancipation sehr oft begegnen, daß die Volksmenge weit schneller mit der Gleichheit im Rechte, als mit der Gleichheit im Drucke sich befreundet, als wollte sie die Gleichheit nur aus den Händen der Freiheit empfangen. Selbst in Deutschland und Oesterreich nahm es die christliche Bevölkerung als selbstverständlich hin, daß Juden in die Parlamente gewählt, in alle Recht des Staatsbürgers eingesetzt wurden, während sie in der vormärzlichen Zeit, als sie selber unter dem Drucke der Polizeistaaten schmachteten, jede noch so geringe Erleichterung, den Juden durch den Absolutismus gewährt, mit unverhohlenem Aerger betrachteten. Als Pius der Neunte die Schranke des Ghetto niederrieß, revoltirte das römische Volk, heute nimmt dasselbe Volk in Rom keinen Anstoß daran, daß zwischen Juden und Christen jede Scheidewand, soweit dieselbe von Staatswegen bestand, durch eine constitutionelle Verfassung mittelst eines Federstriches aus dem Wege geräumt ist. (Wir verweisen dießbezüglich auf den nächsten Artikel: „Zur Pabstwahl“ von unserm ehrwürdigen Mitarbeiter Herrn Rabbiner Dr. Ludwig Lichtschein). Ein mächtigeres Hinderniß des Fortschrittes lauert jedoch in der eigenthümlichen Kirchenverfassung der griechisch-katholischen Religion, die jene Ostländer beherrscht – in der Verfassung eines Cäsaropapismus, der die höchste Staats- wie Kirchenautorität in einem und demselben Oberhaupte vereinigt hält. Dort ist der Czar zugleich der Pabst und Rußland ist so im großen Style, was vormals der römisch-katholische Kirchenstaat in dem kleinen ihm zur weltlichen Herrschaft angewiesenen Gebiete war.

Kirchen verhalten sich ihrer Natur nach ausschließlich gegen einander, sind sich wechselseitig Protest und Negation. Sie können nicht paktiren, sie sind intransigent. Staaten neigen dagegen zur Toleranz, zum Frieden, zur Verträglichkeit hin, ihre Natur weist sie an, sich dem Wechsel der Geschichte, dem Gesetze der Entwickelung zu unterwerfen und den Banden des Dogmatismus zu entrinnen. Stehen nun Staat und Kirche als getrennte Gewalten gegenüber, dann wird im Falle eines Conflictes der Stärkere das Recht behaupten, und das Ende des Culturkampfes ist stets ein Cultursieg. Wo aber ein solcher Culturkampf von vorneherein ausgeschlossen ist, wie dies in Rom, als noch die weltliche Herrschaft des Pabstes bestand, der Fall war, und wie dies in Rußland noch heute der Fall ist, da wird auch der Cultursieg sehr erschwert und in seinem Laufe verzögert. Wir glauben daher, auf das Verhältnis der griechischen Kirchenverfassung zur Judenfrage noch einmal zurückkommen und an der Hand der Geschichte es eingehender erörtern zu sollen.

(Forts. folgt.)

 

In: Die Stimme, 9. Jahrgang, Ausgabe 505 vom 06.12.1935, S. 5f

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3054243]

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In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 22. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 13.01.1882, S. 10f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

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Die alten Mönche hatten gut reden, wenn sie den Satz aufstellten: mulier taceat in ecclesia (das Weib hat in der Kirche zu schweigen); wußten sie ja, daß die Kirche im Weibe nicht schweigen werde. Das Element der Kirchlichkeit, des positivreligiösen Lebens wird einzig und allein vom Weibe getragen und erhalten. Der Mann mag spitzfindige Dogmen ersinnen, theologische Systeme erbauen, in metaphysischen Haarspaltereien sich versuchen, der Mann ist Bilderstürmer, zuweilen Kirchenrebell, Altarstürzer, aber nur in seltenen Fällen Träger der erhaltenden Idee, Repräsentant jenes religiösen Seelenlebens, das jeder Kritik unnahbar und Klügeleien gegenüber gefeiet im innersten Gemüthe sitzt. Die Kirchen wurdeu von dem Geiste des Mannes erbauet, aber von der weiblichen Seele geweihet und erhalten. Frauen waren die Missionäre der Religionen, die Erzieherinnen der Märtyrer, die Apostel des warmen und lebendigen Gottbewußtseins, die Vermittlerinnen zwischen dem Ideale und der brutalen Wirklichkeit. Das Weib hat allein Verständniß für das Symbol, für die Versinnlichung der Idee durch Kultusübung, für den faßbaren Docht, der das Flämmlein jenes Gedankens, den die Männer gezündet haben, trägt. Und wie in allen Kirchen der Welt, so waren auch innerhalb des Judenthums die Frauen die Erhalterinnen der Sitte, die Hüterinnen des frommen Brauches, deren erhabenerer Beruf, wie der Talmud behauptet, sich darauf beschränkt, Söhne für das Erbgut der Religion zu begeistern. Das Judenthum war in seiner Weise auch stets dankbar für die treue Erfüllung dieser Mission, es verlangte, daß der Jude „seine Gattin wie sich selbst liebe und mehr als sich in Ehren halte“, es enthob das Weib gewisser zeremonialen Uebungen, damit es desto eifriger seiner höhern Sendung der Kindererziehung obliege, es glorifizirte die Frau als Personification des von einem divinatorischen Takte beseelten höheren Menschthumes und trug durch eherechtliche Bestimmungen Sorge dafür, daß die Stellung der Gattin als Priesterin des Hauses gesichert bleibe. Allerdings hätte gerade das jüdische Volk des weiblichen Beistandes zur Erhaltung der Religion leichter entbehren können, weil die jüdische Volksseele an sich zum Conservatismus hinneigt und von Ideologie beinahe angekränkelt erscheint. Es ist zum Erstaunen, wie in dem Geiste eines Juden ein nüchternes, berechnendes Wesen neben Schwärmerei und selbstlose Hingebung an einen idealen Traum so unvermittelt neben einander stehen. Derselbe Jude, der den Tag über mit schlauer Pfiffigkeit den Kampf um das materielle Dasein ausficht, sitzt beim Lampenschein über einem Talmudfolianten und verliert sich in einer Gedankenwelt, die der Wirklichkeit so entfernt liegt. Was man an dem Juden oft als Arbeitsscheu und Müssiggang verurtheilt, ist nichts anderes als idiologische Träumerei und Opferbereitschaft für ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Die Juden sind das Volk der Religion, sind ein „heiliges Volk“ in des Wortes erhabendstem Sinne, vom redlichsten Gemüthe und empfindlicher Gewissenhaftigkeit und die Fehler, die ihm der Druck der Zeiten aufgenöthiget hat, sie bestätigen nur die Annahme, daß häßliche Raupen zumeist an edlem Reise sitzen und die Wahrheit des Dichterwortes:

„In steter Nothwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüth nicht war.“

Allein eben deshalb, weil der Jude in sich selber das weibliche Element in so hohem Grade vorwaltend weiß, hat die Synagoge die Macht der Kirche in dem Weibe – letzteres im engeren Sinne genommen – vielfach überschätzt und keine Sorge dafür getragen, durch das Medium schönerer Cultusformen das derselben bedürftige Frauenherz dauernd für dessen erhabene Mission zu begeistern. Was ist, was kann dem modernen jüdischen Weibe in den Großstädten das Judenthum sein? Für die metaphysischen Wahrheiten unserer Religion interessirt sich die weibliche Psyche ihrer Natur nach nicht, die Religion in Küche und Keller befriedigt nicht mehr den idealen Drang, dem öffentlichen Gottesdienste ist im flagranten Widerspruche mit dem Geiste der Satzung das sprachliche Medium entzogen, durch welches er auf das Gemüth wirken könnte, das gesteigerte ästhetische Bedürfniß der mit Schönkünstelei übernährten Großstädterinnen wird von einem Ritus abgestoßen, welcher von theologischer Rechthaberei beherrscht wird, als daß er der Erscheinungsform und der Wirksamkeit auf das Gemüth Rechnung tragen könnte. So ist es gekommen, daß in Großstädten nur noch der jüdische Mann den Conservator abgeben muß, das Weib dagegen den Indifferentismus wo nicht gar das Antisemitenthum vertritt. Der Mann aber kann nur das Knochengerüste liefern, niemals die Befleischung, den Blutumlauf, das Nervenleben hervorbringen. Das stets umlauerte und stets angefochtene Judenthum bedarf der Enthusiasten, bedarf einer todesmuthigen Jugend, und wer soll eine solche großziehen, wo nicht die Mütter es thun? Es hat uns daher im hohen Grade erfreut, aus den in der öffentlichen Vorstandssitzung am 4. d. M. erflossenen Kundgebungen zu erfahren, daß ein ständiges Comitè zur Berathung gottesdienstlicher Reformen eingesetzt wurde. Hoffen wir, daß dieses Comité seine ernstliche Sorge der Erziehung der Töchter zuwenden und der um sich greifenden Gottlosigkeit durch wirksame Institutionen entgegen zu arbeiten bestrebt sein werde. „Macht ein Zaun um die Thora“, ist ein weises Gebot der Mischnah, aber die Zäune, die das Paradies der Religion in heutiger Zeit gegen Gartenfrevel schützen wollen, können nicht in neuen Erschwerungen des Speise- und Sabbathritus, in Ausklügelungen neuer Beschränkungen der Freiheit bestehen, sondern in Schöpfungen positiver Formen, die durch ihre Wirksamkeit nicht durch das überwuchernde Moos des Alterthums den Herzen ehrwürdig erscheinen. Was aber ließe sich an der Erziehung unserer Töchter in den Großstädten zur Religiosität und zur Liebe für das Judenthum ändern und verbessern? – Das sei der Gegenstand der Erörterungen, die wir hiermit eröffnen.

(Forts. folgt.)

 

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 10. Jahrgang, Ausgabe 9 vom 04.03.1870, S. 98f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

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Abschnitt I.
Name und Zweck.

§. 1. Unter dem Namen „Hochschule für Wissenschaft des Judenthums“ wird zu Berlin eine selbstständige, von den Staats-, Gemeinde- und Synagogen-Behörden unabhängige Lehranstalt begründet.

§. 2. Zweck derselben ist die Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung der Wissenschaft des Judenthums.

§. 3. Zu diesem Behufe werden zunächst Vorlesungen gehalten, welche die gesammte Wissenschaft des Judenthums umfassen; mit denselben können Uebungen, Disputatorien verbunden werden. Beides wird durch den Lehrplan näher festgestellt.

 

 

Abschnitt II.
Begründung und Erhaltung.

§. 4. Begründet wird die Hochschule mit Hülfe derjenigen Capitalien und Beiträge, welche die ersten Mitglieder des Vereins diesem Zwecke gewidmet haben.

§. 5. Erhalten wird die Hochschule
    1) durch die Zinsen,
        a) der Stiftungscapitalien;
        b) der künftig zufallenden Capitalien im Betrage von 100 Thlrn. und darüber;
    2) durch einmalige Zuwendungen von weniger als 100 Thlrn.
    3) durch die regelmäßigen Beiträge der Vereinsmitglieder.

§. 6. Stiftungen, auch mit besonderen Bestimmungen seitens der Geber, können an der Hochschule begründet oder mit ihr verbunden werden, sobald sie dazu dienen, den Hauptzweck derselben unmittelbar oder mittelbar zu fördern. (Vgl. Fundatoren §. 33.)

 

 

 

Abschnitt III.
Verwaltung.

§. 7. Die Verwaltung der Hochschule geschieht durch ein Curatorium von neun Mitgliedern.

§. 8. Die Pflichten und Befugnisse des Curatoriums bestehen in der Verwaltung des Vermögens der Hochschule, in der Verwendung der Zinsen und sonstigen Einnahmen derselben und der Bestimmung über Ausgabe oder Capitalisirung der letzteren, in der Anstellung und Besoldung der Lehrer, in der Feststellung des jedesmaligen Lehrplans, in der Bestimmung und Beschaffung der Räumlichkeiten, in der Anordnung zur Schöpfung und Fortführung von Attributen (Bibliothek, Sammlungen), in der Vertheilung von Stipendien an Schüler.

§. 9. Die Beschlüsse des Curatoriums, welches sich nach einer von ihm selbst zu bestimmenden Geschäftsordnung constituirt, werden mit zwei Drittel Majorität gefaßt; dasselbe ist beschlußfähig, wenn außer dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter noch fünf Mitglieder anwesend sind.

 

 

§. 10. Als das erste Curatorium sind von den ersten Mitgliedern des Vereins gewählt die Herren:

        Prof. Dr. M. Lazarus,                                            W. Schönlank,
        Comm.-Rath B. Liebermann                               Dr. med. M. J. Meyer.
        Dr. med. S. Neumann,                                          Dr. phil. S. Gumbinner, 
        Banquier Herm. Goldschmidt,                            Dr. jur. Paul Meyer,

 

                                                          sämmtlich zu Berlin,
                                                          Dr. Philippson in Bonn.

§. 11. Außer diesen neun Mitgliedern des Curatoriums sind noch drei Stellvertreter in den Herren:
    Fabrikbesitzer Alexander Wolff,
    Banquier Carl Berthold Simon,
    Banquier Meyer Cohn
gewählt, welche in dieser Reihe eintreten, wenn während der ersten Amtsperiode ein Mitglied ausscheidet.

 

 

§. 12. Die Amtsdauer des ersten Curatoriums ist auf fünf Jahre festgestellt.

§. 13. Von den Mitgliedern des Curatoriums müssen mindestens sieben in Berlin ansässig sein. Ausgeschlossen von der Mitgliedschaft des Curatoriums sind
    1) Die Lehrer dieser Hochschule, 2) in Function stehende Rabbiner und sonstige Cultusbeamte.

§. 14. Nach Ablauf der ersten fünf Jahre, vom Tage der Eröffnung der Hochschule an gerechnet, wird das Curatorium nach folgenden Bestimmungen gewählt:
Die General-Versammlung der Vereinsmitglieder (§. 32), welche drei Monate vor Ablauf der 5 Jahre und dann alljährlich zu berufen ist, wählt nach absoluter Stimmenmehrheit in geheimer Abstimmung und getrenntem Wahlgange Neun Mitglieder.

 

 

In jedem folgenden Jahre scheiden, so lange bis eine Reihenfolge festgestellt ist, drei durch das Loos bestimmte Mitglieder aus, welche jedoch wieder wählbar sind. Die regelmäßige Amtsdauer der Curatorion ist im Uebrigen eine dreijährige.

Stimmberechtigt ist jedes Mitglied des Vereins. Das Stimmrecht kann nur persönlich ausgeübt nicht an Stellvertreter übertragen werden.

 

Abschnitt IV.
Die Lehrer.

§. 15. Die anzustellenden Lehrer müssen denjenigen wissenschaftlichen Grad besitzen, der zur Anstellung an einer Universität berechtigt.

§. 16. Dieselben können sowohl auf Lebenszeit als auf eine Reihe von Jahren angestellt werden und sind verpflichtet, in jedem Semester über diejenige Disciplin, für welche sie berufen sind, Vorlesungen zu halten, resp. die Uebungen und Disputatorien zu leiten, während es ihnen freisteht, zugleich über andere Disciplinen, welche in das Gebiet der Hochschule gehören, Vorlesungen zu halten.

§. 17. Sämmtliche angestellte Lehrer der Hochschule bilden ein Collegium von gleichberechtigten Mitgliedern. Dasselbe constituirt sich behufs der Geschäftsführung im Dienste der Anstalt nach einer von ihm selbst zu entwerfenden, vom Curatorium festzustellenden Geschäftsordnung. Mit der Führung der Matrikel, der persönlichen Vertretung des Lehrercollegiums u. s. w. hat dasselbe alljährlich einen Vorsitzenden zu betrauen. Ueber Wahl und Wiederwahl beschließt daß Collegium.

 

§. 18. Außer den angestellten Lehrern können auch andere Gelehrte zur Haltung von Vorlesungen vom Curatorium berufen, besonders auch jüngere Gelehrte (Privatdocenten) zugelassen, beziehungsweise denselben Remunerationen dafür bewilligt werden, ohne daß sie deshalb zu den Mitgliedern des Kollegiums der angestellten Lehrer zählen.

§. 19. Das Lehrer-Collegium ist verpflichtet, alljährlich und rechtzeitig das Lections-Verzeichnis zu entwerfen, dem Beirath (§. 23) zur Begutachtung resp. dem Curatorium zur Bestätigung zu unterbreiten, den abgehenden Studirenden der Hochschule Zeugnisse, resp. Diplome unentgeltlich auszufertigen, das Curatorium auf dessen Wunsch in allen persönlichen und sachlichen Fragen mit Gutachten zu versehen; eine gemessene, der Würde der Anstalt entsprechende Disciplin unter den Studirenden aufrecht zu erhalten; endlich für die ordnungsmäßige Erhaltung und Benutzung der Attribute der Hochschule (Bibliothek, Sammlungen u. dgl.) Sorge zu tragen.

§. 20. Dem Lehrercollegium bleibt es vorbehalten wird aber, als der Würde und dem Dienste der Wissenschaft des Judenthums entsprechend empfohlen, sich als eine akademische Körperschaft zu constituiren, zu diesem Behufe in regelmäßigen Versammlungen Vorträge zur gegenseitigen Belehrung zu halten und zur Förderung der Wissenschaft zu veröffentlichen, hiesige und auswärtige Gelehrte als Mitglieder zu ernennen, alle diese akademischen Angelegenheiten nach einer von ihm selbst zu entwerfenden und von dem Curatorium festzustellenden Geschäftsordnung zu vollziehen.

§. 21. Das Curatorium hat die Lehrer zu verpflichten, daß die Vorträge lediglich im reinen Interesse der Wissenschaft des Judenthums, ihrer Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung gehalten werden.

§. 22. Dem Curatorium steht ein Beirath zur Seite, dessen Gutachten einzuholen ist:
    a) über den Lehrplan,
    b) über die Personen der anzustellenden Lehrer
    c) über alle wissenschaftlichen Fragen, welche die Hochschule betreffen.

§. 23. Der Beirath besteht
    a) aus dem Collegium der angestellten Lehrer,
    b) aus 3 bis 6 andern gelehrten oder wissenschaftlich gebildeten, hiesigen oder auswärtigen Männern, welche sich zu diesem Behufe mit dem Lehrercollegium verbinden.

Die Mitglieder des Beirathes ad b werden von dem Curatorium der Generalversammlung vorgeschlagen und von dieser gewählt.
Auch steht den Vereinsmitgliedern frei, In der Generalversammlung Vorschläge zu machen.

 

 

(Schluß folgt.)