Berlin [1903].

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➥ Zur Biographie: Felix Salten

In: Jüdische Volksstimme, Brünn, 1.3.1909, S. 1-2

 

 

[Text des Vortrags am Festabend der Bar Kochba am 22.1.1909 in Prag, Teil 1]

Als die Veranstalter dieses Abends mich fragten, über welches Thema ich sprechen will, sagte ich ohne Besinnen: Ueber den Abfall vom Judentum. Ich dachte, jetzt werde ich endlich sagen können, was ich auf dem Herzen habe, werde mich endlich über diese Dinge aussprechen können, die mir so viel Ekel, Verdruß, Beschämung bereitet haben. Je näher aber der Abend kam, desto deutlicher und ängstlicher kam es mir zu Bewußtsein, daß es sehr schwer ist, über den Abfall vom Judentum zu sprechen; das ist eine so persönliche Angelegenheit und in allen ihren Zusammenhängen so empfindlich, daß man eigentlich nur mit jemand darüber sprechen kann, mit dem man sehr intim ist. Wie soll ich da, in einer fremden Stadt, vor fremden Menschen darüber sprechen? Es besteht die Gefahr, daß in meine Rede ein entsetzlicher Ton von Vertraulichkeit kommt, den Sie vermutlich nicht wollen und den ich bestimmt nicht will. Zunächst werde ich also nicht sagen, was ich auf dem Herzen habe. Man kann ja auch das persönliche, augenblickliche und aktuelle bei dieser Frage vollständig beiseite lassen.

              Wichtig ist nur, ob der Abfall vom Judentum für das Judentum selbst etwas bedeutet, ob er ein Symptom für den Zustand des Judentums ist, oder nur ein Symptom für den Zustand einzelner Juden. Es ist natürlich beides der Fall. Aber dieser Abfall hat seine Gründe, die so wenig tief gehen und so an der Oberfläche sitzen, daß man sie aufzeigen muß. Ich habe einen Freund, der getauft ist – heutzutage hat jeder einen Freund, der getauft ist – und so oft wir beisammen sind und diese ruhmvolle Angelegenheit in seinem Leben gestreift wird, vermag ich es nicht zu verbergen, daß ich darüber noch immer nicht hinweggekommen bin; und dann lächelt er und sagt; „Wie kann man nur ein aufgeklärter und moderner Mensch sein und sich über die Taufe nicht hinwegsetzen!“  Ich aber muß ihm dann immer antworten: „Wie kann man ein aufgeklärter und moderner Mensch sein, und sich taufen lassen?“ Dieses Gespräch deckt einfach ein Mißverständnis auf. Der eine glaubt, er sei vollständig aufgeklärt und modern, wenn er sich taufen läßt, und der andere, weil er die Taufe perhorresziert.

              Es fragt sich eben, ist man modern, wenn man die Nützlichkeiten der Epoche spürt und ihnen folgt? Die Nützlichkeiten sind nicht immer die Notwendigkeiten; schon die Verwechslung ist fatal, wie sehr hereingefallen ist aber einer, der etwas für Nützlichkeiten hält, was dann gar nichts nützt.

              In welchen Schichten der Bevölkerung spielen sich nun diese Gespräche ab? Immer in der gesellschaftlichen Oberschicht, immer unter den wirtschaftlich Fortgeschrittenen. Taufen läßt sich jemand, der auf einem Punkte der inneren und äußerlich erkennbaren Kultur angelangt ist, wo er das Bedürfnis nach einem festen Boden in sich spürt. Diese Menschen fühlen: „Ich lebe in einer Kultur, aber ich fühle mich nicht eingewurzelt, ich – bin  ein Jude. Aber ich brauche einen festen Boden und suche Wurzeln zu schlagen.“ Das sucht nuin den Boden anderer Leute und wird zurückgewiesen; das will Wurzel schlagen und der Boden weigert sich die Wurzeln aufzunehmen. Das ist ein so beschämendes Gefühl, wie es nur ein Gärtner empfindet, der einen dürren und tückischen Boden bebaut, der ihm alle Keime vernichtet. Das Gefühl der Verlegenheit über etwas, was nicht gelingt, was immer daneben geht.

              Woher kommt nun der immer steigende Drang, vom Judentum abzufallen, und die Idee, man könne das Judentum loswerden, wie man aus einer Elektrischen aussteigen kann? Das kommt von dem Tage her, an dem wir eben emanzipiert wurden. Kaum hundert Jahre also ist es her, ungeheuer wenig in unserer Zeit, die so rasch vorwärtsstürmt, gegen unsere Jahrtausende lange Geschichte gehalten weniger als nichts. Wir sind eigentlich erst seit ein paar Stunden emanzipiert. Stellen Sie sich nun ein Volk vor, das nach einem Druck von 15 Jahrhunderten, voll unglaublicher Grausamkeit, das nun plötzlich entschnürt wird, plötzlich die Möglichkeit hat, in die Gesellschaft einzutreten. Es ist unmöglich, sich ein Volk vorzustellen, das nach diesem Druck noch existiert, geschweige denn ein Volk, das noch zu einer Kulturleistung fähig wäre. Stellen Sie sich aber ein Volk vor, das diesen Augenblick erlebt. Es ist nicht nur das größte Erlebnis dieses Volkes, es ist das größte Erlebnis, das man sich überhaupt ausdenken kann.

Vergegenwärtigen Sie sich die Stimmung der ganzen Zeit. Das Weltmotto war: Alle Menschen werden Brüder. Die Zeit, in der die Worte geschrieben wurde: Unser Schuldbuch sei vernichtet, diesen Kuß der ganzen Welt. Kosmopolit war das Wort der Mode. Unter den Klängen, unter diesen Hymnen schritt das Judentum aus dem Ghetto heraus. Die Juden haben zunächst wirklich daran geglaubt: Von jetzt ab werden alle Menschen dasselbe Recht haben. Für diese Befreiung glaubten sie sich nicht anders bedanken zu können, als indem sie alle ihre besonderen Merkmale verwischten, versteckten und aufgaben. Denken Sie sich einen Menschen, der jahrelang im Souterrain gewohnt hat, der meine Treppe gekehrt hat; und nun sage // ich eines Tages, der Mann ist ein Mensch wie ich, er hat dasselbe Recht wie ich; von heute an kommst du in meinen Salon. Sowie er hereinkommt, wird er sich in diesem Milieu unsicher, dumm und in mancher Beziehung lächerlich benehmen, er wird höchst ungeschickt sein. Entweder indem er einfach gesteht: ich kann mich nicht hineinfinden. Oder es beherrscht ihn der Wunsch: man soll mir’s nicht anmerken. Und das war die Situation der Leute, die aus den Gassen kamen, wo man es ihnen eben immer angemerkt hat. Sie haben Eigenschaften entwickelt, die der momentanen Verlegenheit entsprangen, und mit dem uns gegenüber gebräuchlichen Wohlwollen sagte man: das sind spezifisch jüdische Eigenschaften. Und wir selber glauben an dieses Wort und nehmen Reißaus mit einer Feigheit und einer Pünktlichkeit, wo wir jüdische Eigenschaften sehen, wie man nicht vor dem Satan flüchten kann. Dabei ist es für mich klar, aber vielleicht auch für Sie, und ich habe überhaupt nicht die Ambition Sie zu überzeugen, man kann überhaupt nicht überzeugen: Sie hören zu und dann geht jeder weg und denkt sich wieder das Seine, wie ich mir das meine denke. Für mich ist es einfach ergreifend, wie die Juden, den Liberalismus aufgenommen und ihren Söhnen und Enkeln übergeben haben. Sie haben es einfach in ihrem Zartgefühl vermeiden wollen, daß die ehemaligen Bedrücker an die peinliche Geschichte erinnert werden, daß sie einmal Bedrücker gewesen sind. Das ist wieder ein Beispiel für die „spezifisch jüdische“ Rachsucht. Wenn der Gegner, der uns fünfzehn Jahrhunderte geknechtet und getreten, auf allen Straßen gepeitscht und für fünfzig Gulden erschlagen hat, wenn der uns endlich losläßt, ist unser einziger Gedanke: ihn nur nicht daran erinnern!

Auf diesen Grundlagen basiert der Liberalismus, der heute Judenliberalismus geschimpft wird. Und die Juden haben sich für verpflichtet erachtet, diese Bedingung zu erfüllen und haben mit einer, beinahe möchte ich sagen „deutschen“ Treue daran festgehalten. Aber die Sache hat nicht gestimmt. Man kann nicht aus dem Judentum aussteigen wie aus einer Elektrischen. Und man kann nicht verlangen, daß ein Volk, daß Völker, die Jahrhunderte lang im Juden den Menschen zweiter Güte gesehen haben, vertragen, daß der Mann sich so benimmt, wie wenn der Mann gleich wäre. Das ist doch so natürlich. Denken Sie doch nur einmal an den Mann im Souterrain. Es ist all das eingetreten, was heute als Antisemitismus bezeichnet wird. (Doch darüber will nicht reden).

Und drei Geißeln haben uns überall entgegengehoben, drei Worte, unter denen jeder Jude in der Seele zusammenzuckt: Die Befreiung aus dem Ghetto, für die wir danken müssen, wie freigelassene Sklaven und dann: „ihr genießt Gastrecht“ – und das rief man immer gerade dann, wenn die Juden etwas bezeugt hatten, was ehrlicher, blutiger Patriotismus war; und endlich: „wir haben Euch die Kultur geschenkt.“ Hier sei eingeschaltet. Es gibt doch Juden, die etwas der Welt zu sagen haben, und so Wichtiges, daß sie es sagen müssen; und nun heißt es: du darfst reden, aber erst mußt du aufhören, Jude zu sein. Es gibt tausend Beispiele. Gustav Mahler hätte nie in die Oper kommen können, wenn er nicht den Umweg durch ein anderes Institut genommen hätte. Ich wollte das gar nicht lächerlich machen und meinte das gar nicht lustig. Daß Sie lachen, bringt mich auf die Geschichte Feilbogen. Sie war nur möglich, weil die Angehörigen unseres Volkes nach Rom gehen und dort nichts besseres zu sehen haben als den Hohepriester einer Religion, an die sie nicht glauben. Sie gehen in die Sixtina, mit der sie keine Zusammenhänge haben, aus Snobismus, weil sie glauben, daß es nobler ist, einen christlichen Priester zu sehen als einen jüdischen. Den Fall habe ich bis heute nicht verdaut, wie die ganze Judenheit geglaubt hat, sich wegen dieser Schweinerei entschuldigen zu müssen. Wir müssen uns nicht immer entschuldigen, wenn in einem Volk von acht Millionen einer eine Schweinerei macht.

*) Diese Rede wurde auch in der Zeitschrift Selbstwehr (Nr. 4/1910) abgedruckt (PHK).

 

 

➥ Zur Biographie: Ada Fischmann

In: Selbstwehr, 20. Jahrgang, Ausgabe 13-14 vom 29.03.1926 im Beiblatt „Blätter für die jüdische Frau“, S. 4

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Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Das Referat soll die Frage von allen Seiten umfassen. Von der Tribüne dieser Tagung, die auch die Wiege der Arbeiterinnenbewegung war, müssen diese Worte gehört werden. Ich muß vor allem die Vorwürfe, die im Saale herumschwirren, beseitigen. Man glaubt, daß die Frage eine konventionelle ist und man sie von der Tagesordnung absetzen müsse. Diese Vorwürfe erregen Sorge. Es scheint, daß die Uebereinstimmung, die im Herzen von allen äußeren Anstalten bis zu unseren Anstalten zu schlagen begonnen hat, Zeichen der Erstarrung zu bringen scheinen, und dies ist gefährlich. Es gab eine Zeit, da wir forderten und an Reformen und Aenderungen der Weltordnung glaubten. Und jetzt stimmen wir allem zu. Drei Dinge müssen unsere Grundeinstellung sein

  1. Daß das Stärkerwerden der Alijah, ihre Erweiterung und ihre Aufnahme abhängig ist von der Erweiterung der Arbeitszweige für die Arbeiterinnen.
  2. Daß durch den eigenen Standpunkt der Chawerah in allen Gestalten der Ansiedlung, in Dorf und Stadt, unsere Existenz ermöglicht wird.
  3. Daß aus der nationalen und sozialen Erkenntnis heraus, die die Arbeiten der Frau begleitet, wir es ermöglichen, das nationale und soziale Gebäude aufzurichten. Ein arbeitendes Erez Israel ist unmöglich, wenn nicht die Chawerah selbst sich für einen unmittelbaren Faktor des Aufbaues hält.

Die Zahl der Chaweroth im Lande beträgt etwas 6000. Wenn wir diese Zahl nach den Arbeiten, mit denen sich die Chaweroth befassen, zergliedern, wird es augenscheinlich, daß die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiterinnen sehr klein ist. In der Kunizah schlägt man sich mit der Frage herum, wenn es auch nicht zu leugnen ist, daß es Kwuzoth gibt, wo es nötig ist, daß diese Frage nach der Lage der Chawerah und ihrer Haltung gestellt werden müsse. Aber in der Stadt schaut die Masse auf die Arbeit der Arbeiterinnen wie auf eine vorübergehende Arbeit und man will sie irgendwie hiervon ausschließen. Wenn wir wirklich alle die landwirtschaftliche Arbeit für die Grundlage unseres Lebens halten, kann ich nicht umhin zu sagen, daß man auf keinen Fall die Frage der Erweiterung der Arbeiterinnen-Alijah durch die Landwirtschaft lösen kann, und es ist notwendig, daß sich dort Tausende von Arbeiterinnen befinden, für die wir einen Stützpunkt finden müssen. Man behauptet, daß die Arbeit der Arbeiterinnen eine vorübergehende sei, bis die Krise zu Ende ist. Diese Meinung ist nicht zu billigen, denn sie raubt die Möglichkeit, die Notwendigkeit der Eroberung der Arbeitszweige für die Arbeiterin zu erkennen In unser Land kommen Chaluzoth im Alter von 18 bis 19 Jahren: sie können, bis sie zum Familienleben gelangen, noch etwa 6 Jahre produktive Arbeit leisten. Mit dem vorübergehenden Zustande der Chawerah braucht man sich nicht zu beschäftigen. Man sieht ruhig, daß es nicht viele Arbeitszweige gibt, die für die Chawerah passen; denn viele Beschäftigungen ziehen körperliche Schädigung nach sich. Aber warum bringt man nicht in Rechnung, daß Dienen in Privathäusern eine geistige Schädigung nach sich zieht? Man klagt, daß es den Arbeiterinnen bei der Bauarbeit schwer ist, die heißen Sonnenstrahlen zu ertragen, aber auch im Garten brennt die Sonne. Man klagt auch, wie die Chawerah bei der Glaserei arbeitet. Wenn das Fenster sich im Zeiten oder dritten Stock befindet und man will nichts davon wissen, daß es möglich ist, das Gerüst des Fensters bis zum ersten Stock herunterzulassen. Und beim Bau der Wände, wo gerade der Chawer es ist, der stärker ist, muß er bei der Wand stehen und die Chawerah die Ziegel anreichen und nicht umgekehrt? Wenn das gegenseitige Verständnis da wäre, begriff die Chawerah diese Arbeit und es würde sich auch das Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber hierzu ändern. Einmal herrschte große Furcht für jedes Haus, das durch die jüdischen Arbeiter gebaut wurde. Wir haben die Häuser gebaut und sie stehen. Es besteht schon ein festgelegtes Verhältnis und man denkt nicht an eine Möglichkeit der Aenderung. Es gibt Arbeitszweige, die man monopolisieren kann: Färberei, Glaserei u. dgl. Und wir müssen sie in den Rahmen der Arbeit für die Arbeiterinnen aufnehmen. Dies ist keine Frage des Organisationswillens allein. Wir fordern das Recht auf Arbeit. Es ist unmöglich, die Arbeiterinnen im Zustande einer ewigen Arbeitslosigkeit zu lassen, weniger Mitleid und etwas mehr Verständnis! Ich verlange eine gerechte Einteilung und es wäre wirklich nötig, Tausende von Chaweroth zur Demonstration aufzurufen, um die gerechte Forderung zu stellen. Es ist unmöglich, daß Arbeit, die für Arbeiterinnen paßt, nicht in unserer Hand ist. Es ist möglich, viele Chaweroth in die Kolonie aufzunehmen; dies ist sehr wichtig. Dies wird den sozialen und kulturellen Zustand der Chaweroth heben und dieses fehlt völlig in der Stadt. Dort ist die soziale und kulturelle Lage ganz und gar schlecht. Sie nimmt keinen Anteil am Leben der Allgemeinheit und wir dürfen nicht vergessen, daß sie die Erzieherinnen des kommenden Geschlechtes sein sollen.

Wir wollen Arbeiterinnen-Kwuzoth gründen. Man hat diese immer wie Klöster angesehen, aber jetzt haben wir uns schon daran gewöhnt. Durch die Kwuzoth hatten wir das Ziel, die Chaweroth der Histadruth und der Allgemeinheit zu nähern. Denn so lange sie von der Allgemeinheit entfernt ist, fehlt der Chawerah jedes Interesse und Inhalt am Leben und der Arbeit.

Im Berichte der Kolonien betonte man uns gegenüber, daß es einen so und so großen Prozentsatz von Chaweroth gäbe. Warum gibt man nicht den Prozentsatz der Chawerim an? Warum hebt man die Zahl der Chaweroth hervor? Die Hauptsache ist, daß dieser oder ein anderer Prozentsatz der Chaweroth zu eine Defizit führt. Es ist schon geläufig, daß wir allein das Defizit machen und sonst überhaupt kein Defizit vorhanden wäre. Es besteht ein Unterscheid zwischen arbeitslosen Mädchen in der Chawuroh und zwischen arbeitslosen Mädchen in der Chawurah und zwischen der Einzelnen. Die Einfühlung in die Chawuroh ist schwer genug, dort herrscht noch die Beziehung. Es fehlen die wegweisenden Kräfte. Die Chawuroth haben uns wirklich als ein großer Aufnahmebehälter gedient. Und vielleicht findet man auch dort die Lösung für die Arbeiterinnen. Trotzdem empfangen auch sie Hilfe dafür. Wenn man mehr Arbeiterinnen anstellt, fordert man Geld für jede einzelne Chawerah. Warum fordert man dies auch nicht für den Chawer? DIes ist die Triebfeder der sehr schweren Einfühlung. Ich nannte diese Angelegenheit „Mitgift“. Dies beweist nur, daß die Arbeiterinnenfrage in besonderer Art und Weise besteht. Hier ist eine besonders einschneidende Tatsache zu bemerken. Aus dem Einwanderungsheim brachte man eine große Anzahl von Arbeiterinnen heraus und es blieben 25 Chaweroth zurück, für die man keine Einteilung fand und die sich in Hotels herumtreiben . . . Die Fabriken von Goldberg, die Herstellung von Matten und die Tabakarbeit sind noch keine Lösung. Notwendig ist es, Hilfswirtschaften bereit zu stellen. Den Hilfsinstitutionen für Arbeiterinnen muß die Sorge obliegen, Boden zu erwerben, um ihnen eine produktive Arbeit zu ermöglichen.

Die Wirtschaften der Arbeiterinnen sind der einzige Lichtblick für die Chaweroth im Lande und im Auslande. Dies ist der hauptsächlichste und bedeutsamste Ort für die Vorbereitung und Einfügung der Arbeiterinnen. Es gab Zeiten, wo wir auch im Merkas hiefür gekämpft haben. Der Merkas glaubte nicht an sie und nur dank unserer Hartnäckigkeit verwirklichten wir sie. Nicht der Merkas schuf sie, sondern die Chaweroth, die das Joch zogen. Die Wirtschaft der Arbeiterinnen ist nicht für die Vorbereitung allein da und es ist verboten, zu sparen und sie so einzuschränken. Sie ist in meinen Augen auch ein Ort für die Pflege der Gedanken. Ich verneine nicht seinen Wert für die Vorbereitung. Aber von einem anderen Gesichtspunkte aus erzeugte er den starken Wunsch, der unter den Arbeiterinnen für Selbstarbeit entstand, daß sie selbst die Wirtschaft zu leiten und zu ordnen hätten und sie als ein Ort der wirtschaftlichen und kulturellen Vervollkommnung zu dienen hätte. Durch solche Wirtschaften gewinnen wir auch das Vertrauen der Masse der Arbeiter. Die Zahl der Arbeiterinnenwirtschaften im Lande ist weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht befriedigend. Wir haben alle unsere Kräfte hineinversetzt, damit kein Defizit entstünde. Und diese Wirtschaften sind auch nicht dazu da, hunderte, die an ihre Tore klopfen, aufzunehmen. Diese Wirtschaft ist die einzige Lösung für die Frage der Arbeiterinnen. Wir müssen mit großen und energischen Taten beginnen. Selbstverständlich wollen wir heute nicht die städtischen Arbeiten verlassen, aber wir müssen ein großes Werk schaffen, das Hunderte und Tausende von Arbeiterinnen zu beschäftigen imstande ist und dies ist nur bei der Landwirtschaft möglich. Ich habe den Vorschlag gemacht, eine Wirtschaft für Anbau von Gemüse auf bewässerten Nationalfondsland für 200 euch bekannte Arbeiterinnen zu schaffen. Um eine solche Wirtschaft in der Umgebung von Neß-Zionah aufzubauen, liegt schon ein praktischer und inhaltsreicher Vorschlag vor. Aber wir müssen auch solche Wirtschaften auf Böden, die in der Nähe von Städten gelegen sind, anlegen. Der Nationalfonds muß große Flächen hierfür anweisen.

Ich sehe eine Notwendigkeit, an die Errichtung einer Arbeiterinnenwirtschaft für 200 Chaweroth heranzutreten. Auch der Nationalfonds neigt dazu, dieser Frage jetzt zuzustimmen. Die notwendigen Schritte sind schon eingeleitet worden. Diese große Schar soll euch nicht erschrecken. Wie ihr zur Zeit auch nicht an eine Wirtschaft von 25 Chaweroth geglaubt habt, und der Versuch trotzdem geglückt ist, so hoffen wir auch, daß dies jetzt glücken wird. Wir brauchen hierfür eine Summe von 15.000 ägyptischen Pfund, und wenn wir eine große Sache wollen, können wir auch diese große Summe bekommen. Diese Summe muß vollständig gegeben werden. Die große Wirtschaftsform verspricht, den Pessimismus zu verkleinern und die Aktivität der Chawerah zu vergrößern. In dieser Wirtschaft können wir auch Arbeitszweige für Selbstversorgung angliedern, wie Schusterei Klempnerei, Herstellung von Stoffen (aber keine Fabrik für Zigarren). Dieser Zug lehrt die Oeffentlichkeit an die Kraft der Arbeiterinnen glauben und vertrauen. Wegen der Bedeutung dieses Werkes für die Allgemeinheit glaube ich, daß sich eine Kwuzah von Chaweroth, die sich für ihre Verwirklichungen einsetzt, finden läßt. Ich glaube, daß die Allgemeinheit alles, was in ihrer Kraft ist, tun wird und auch hierfür von den Wirtschaften die erprobtesten Chaweroth zur Verfügung stellen wird.

Für die neue Ansiedlung ist wirklich kein Geld da, aber eine Arbeiterinnenwirtschaft ist keine neue Ansiedlung. Es gibt auch andere Quellen, wie die Frauenorganisation, die ihre Gelder, die für unproduktive Werke ausgesetzt sind, hierfür zur Verfügung stellen könne. Ich glaube schon jetzt an die zweite Wirtschaft in Ogedro. In Neß-Ziona werden sie noch in Nissan eintreffen und die Freude der Arbeiterschaft wird nicht geringer sein als die Freude der Arbeiterinnen.

Jetzt noch einige Worte über die Frauen der Chassidim: Groß ist die Sorge um das Los dieser Siedlungen. Ich zweifle daran, ob diese jungen Frauen die Liebe zum Lande hergebracht haben, ob wir den Weg zu ihnen finden; sie müssen sich an unserer Arbeit beteiligen.

Der landwirtschaftlichen Merkas bedarf einer besonderen Abteilung für diese Fragen, um diese Sache bald ins Reine zu bringen und sie zu ordnen. Man muß die bestehenden Wirtschaften vergrößern und vervollkommnen. Sie bedürfen einer wissenschaftlichen Hilfe. Es ist notwendig, eine Aufsichtsbehörde für die Arbeiterinnenwirtschaft einzurichten, denn die Chaweroth, die sie geschaffen haben, gehen zu anderen Arbeiten über und die Wirtschaften kommen in den vollkommenen Besitz der neuen Chaweroth, die an ihre Stelle treten.

Zwölf Jahre sind vergangen, seit die ersten Chaluzoth hergekommen sind. Tausende schlossen sich dem Gedanken der Selbstarbeit und der Schaffung eines neuen eigenen Lebens im Laufe der Jahre an. Wir werden diese Arbeit fortsetzen, bis sie zum Erbteil vieler geworden ist.

➥ Zur Biographie: David Fränkel

In: Sulamith 1 (1806), Bd. 1, 1. Heft, 12-40

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Zur Biographie: Ludwig Frankl

 

In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 10 (1892), S. 173.

 

 

 [Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

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Währing.

Bald werden einsam ruhen hier die Todten,

Noch nahen Wehmuth, Schmerz den Friedhofsteinen,

Doch immer selt`ner werden sie erscheinen,

Allmälig lös`t der Tod die Liebesknoten. 

Es kommen neue, künftige Geschlechter,

Kaum können Spruch und Namen sie noch lesen,

Wer sind die längst Vermoderten gewesen?

Vergessenheit sitzt da als Todtenwächter.

Das Feld liegt, eine steinerne Historie,

Die Sage nur erhebt die Todtenklage,

Die sich als Epheu schlingt um Sarkophage,

Und dämmert als des Märtyr`thumes Glorie.

Hier stehen Steine flach, wie weiße Hände,

Einfach gemeißelt nach dem Brauch des Ahnen,

Den Lebenden zu winken, sie zu mahnen:

Ruh` ist nur innerhalb der Friedhofwände.

Nichts als die Gruft war unsern Vätern eigen,

Auf steter Flucht, gejagt zu allen Zeiten,

Wie konnten Mausoleen sie bereiten,

Mit heit`rem Blumenschmuck die Gruft umzweigen!

Nur Ein Erbarmen wurde menschlich ihnen:

Wenn die Geächteten zu sterben lagen,

Mit ihnen still zu beten und zu „sagen“

Ist fromm die „heil`ge Bruderschaft“ erschienen;

Die letzte Lieb` erwies sie noch der Leiche,

Nicht feile Hände durften sie bekleiden,

Und bettete sie sanft nach Erdenleiden,

Zum letzten Schlaf im dunklen Todtenreiche.

 

 

Simmering.

Wie hell des neuen Friedhofs Hallen glänzen!

Bald aufgebraucht sind alle Marmorbrüche

Für Mausoleen, d`rauf viel gold`ne Sprüche,

Geplündert wird ein ganzer Lenz zu Kränzen.

Doch ebenbürtig sind die in den Särgen

Und nicht beschämt erröthen soll der Todte,

Auch ihn ruft einst der Auferstehungsbote,

Wenngleich ihn keine stolzen Hallen bergen.

Ihr, jetzt von bess`rer Zeiten Licht beschienen,

Schmückt nur mit reichem Pomp die Gruft der Euren –

Die Sitte aber der Altvordern Theuern,

Die fromme Bruderliebe stirbt mit ihnen!

 

 

Originaltext

 

 

Transkript

 

Zur Biographie: Franzos, Karl E.

Zu: Aus Halbasien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien Leipzig 1876, S. III-XXIII.

 

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In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/21 (1895), 247-249 (1. Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/22 (1895), 259-261 (2. Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/23 (1895), 273-274 (3. Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/24 (1895), 285-287 (4.Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/25 (1895), 295-296 (5. Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/26 (1895), 308-309 (6. Teil)

Allgemeine Zeitung des Judenthums 59/28 (1895), 330-331 (7. Teil)

➥ Zur Biographie: Karl Emil Franzos

In: Ders.: Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien. Bd. 1. Leipzig 1876, 91-113.

➥ Zur Biographie: Fried Babette

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 43. Jahrgang, Ausgabe 45 vom 06.11.1903, S. 509f / Ausgabe 46 vom 13.11.1903, S. 520f / Ausgabe 47 vom 20.11.1903, S. 533f / Ausgabe 48 vom 27.11.1903, S. 545f / Ausgabe 49 vom 04.12.1903, S. 557f / Ausgabe 50 vom 11.12.1903, S. 566ff / Ausgabe 51 vom 18.12.1903, S. 577f

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In: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums 1/1 (1823), 68-94.

  ➥ Zur Biographie: Friedländer David

➥ Zur Biographie: Regina Frohberg

Verweis auf den Katalog der ÖNB: http://data.onb.ac.at/rec/AC13019074

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➥ Zur Biographie: Regina Frohberg

Verweis auf den Katalog der ÖNB: http://data.onb.ac.at/rec/AC13019080

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2., verbesserte Aufl. Wien 1815.

➥ Zur Biographie: Regina Frohberg

Rebecca Friedländers bekanntester Roman, in dem Repräsentanten der jüdischen Salonkultur (unter anderem Rahel Varnhagen) in eine christlich-adlige Gesellschaft projiziert wurden.

Verweis auf den Katalog der ÖNB: http://data.onb.ac.at/rec/AC09878485

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➥ Zur Biographie: Fuchs, Rudolf

In: Juedische Rundschau, 32. Jahrgang, Ausgabe 100/101 vom 16.12.1927, S. 714

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2651273]

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Gerhart Hauptmann sagt irgendwo, wenn ich nicht irre, im ״Griechischen Frühling“, daß die dichterische Kraft immer im Nationalen wurzle. Seit jener Zeit hat der Begriff des Nationalen eine tiefe Wandlung und Umwertung erfahren. Klar geschaut ist in jenem ungefähr wiedergegebenen Ausspruch der Zusammenhang des Dichters mit einer Gemeinschaft. Der Dichter auf olympischer Höhe, dem oben die Götter und unten die Magen und Sippen weggestorben sind, ist dem menschlichen Wirkungsbereich entrückt und also unlebendig. Auf Max Brod angewendet heißt es: Er ist ein nationaler Dichter. Er schafft aus dem Judentum, jenem, das ihm anhaftet, dem mitteleuropäischen, österreichischen, böhmischen, Prager Judentum, und er schafft für dieses selbe Judentum. Er gibt ihm in dichterischer Form zurück, was er von ihm empfangen hat, gibt ihm vielfältig zurück, bereichert es, formt, belebt es. Ein jüdischer Dichter.

Brod liebt das Leben. Er ist Philosoph und bejaht die Erde. Das ist in Zeiten unbegrenzter Fragen, auf welche die Wenigsten Antwort wissen, sehr viel. Den Diesseitsglauben der Väter löst er im Inhalt des Lebens auf. Das Wort Gott kommt fast gar nicht mehr in seinem Roman vor, und doch ist es überall vorhanden. Das Glück ist Gott, das Unglück auch, und vor allem ist es der Weg, der zu diesem und jenem führt. Nicht aus dem Dunkel des Blutes, aus der Finsternis der Nacht kommen die Fragen, nicht von einem unbekannten Oben die Antworten, sondern beide aus dem Wollen und Wünschen, aus dem Vermögen und Unvermögen, aus Kraft und Ohnmacht, aus der Harmonie und dem Widerstreit der Gefühle, aus dem Leben selbst. Darin ist Brod, der Gottsucher, ein moderner Dichter.

Aber noch in einem anderen Punkte hat sich Brod der vorgeschobenen Linie genähert, die der Wellenschlag der neuen Zeit im Strand gezeichnet hat. Es ist die Art der Darstellung. „Die Frau , nach der man sehnt“ ist der Bericht eines dreifachen Liebesschicksals. Die neue Sachlichkeit ist es, die inmitten der blühenden Phantasie in Brods Roman einen seltenen Triumph feiert. Über alles geht ihm die Wahrheit. An mehr als einer Stelle ist, wenn nicht gerade der Einfluß, so doch das Freundsein Franz Kafkas zu spüren. Aus Kafkas wahnwitziger Phantasie sprach mit lautem Munde die Wahrheit. „So ist das Leben“, mehr wünschte er eigentlich nicht zu enthüllen. Darin gleicht ihm Max Brod und ist sein Freund. Ob das Schwanken einer zum Glück erhobenen und zum Unglück hinabgestoßenen Seele durch Größe ausgezeichnet ist oder nicht, wer will es entscheiden? Aber es hat seinen Platz unter den Wahrhaftigkeiten des Lebens und Brods Roman wird ihn als Lebensbericht behaupten.

Diese drei Momente, nämlich: daß das Erlebnis aus dem Leben einer Schicht geschöpft und ihr im Kreislauf als Kunst wiedergegeben wird; daß ferner dem Glauben an den Menschen, an die Erde, das Wort gesprochen und dem häßlichen Nihilismus zufälliger Nichtselbstmörder – sie sind nicht so selten, wie man glaubt, und wo zehn zusammenkommen, um zu beten, zu arbeiten oder zu spielen, ist sicher ein falscher Mitlächler unter ihnen – daß er also diesen mit Wucht begegnet; daß er schließlich die Mittel einer neuen, in der Entwicklung begriffenen Erzählerkunst, jene des Berichtes, anwendet und seiner Phantasie die Gewissenhaftigkeit als Gefährtin zugesellt und beiden Licht voranschickt, das nicht mystisch, sondern taghell leuchtet; all dies macht seinen Roman zu einer freundlichen Erscheinung und beweist die große, unzerstörbare Jugend des Dichters.

„Tycho Brahes Weg zu Gott“ war Brods Gipfelleistung: sie schloß eine Epoche der Objektivierung ab. Des Dichters Persönlichkeit ergoß sich damals in die historische Form. In seinem neueren historischen Roman „Reubeni“ ist schon deutlich der Einbruch der realen Gegenwartswelt zu spüren; man beachte die Gespräche Reubenis mit seinen Zeit- und Weggenossen, und wird zwingend den Alltagston heraushören. Der Widerstreit der alten und der neuen Welt spielt sich nicht nur bewußt im Inhalt, sondern unbewußt auch in der Form ab. Mit dem neuesten Roman „Die Frau, nach der man sich sehnt“ ist Brod vollends zu seinen Ursprungsquellen zurückgekehrt. Gereift, mit Wissen und Erlebnissen beladen, macht er bei seiner Jugend halt.

Drei Frauen sind es – Dorothy, Agnes und zuletzt und hauptsächlich Stascha -, die im Leben des seltsamen Helden, des Offiziers a. D. Mayreder, die entscheidende Rolle spielen. Heidentum, Judentum, Christentum: dreieinig sind sie, nicht zu trennen. Dorothy, wiewohl es nirgendwo gesagt wird: christliche Gesellschaft. Agnes: zwar nicht heidnisch, aber entchristet, sagen wir: konfessionslos. Stasche: Jüdin. Dies zumindest in jenem tieferen Sinne, der nicht nach Rasse und Religion, sondern nach der ganzen Lebenslage entscheidet. Möglicherweise also: durch brod Jüdin geworden. Stascha ist Mayreders Schicksal. Sie ist die ungebändigte Lebenskraft, eine elementare Göttin, Opferflamme, die den Leib des Geliebten versengt und sich selbst verzehrt. Nach unerforschten Gesetzen begibt sich die Geschichte Mayreders, mit ihrem fieberhaften Anfall, gloriosen Aufstieg und dem schwelenden ergreifenden Ende. Und wie alles Religiöse letztlich nichts anderes will, als das Dasein der Liebe. Denn nach Brod ist die Liebe eine Religion, die unerforschlich ist, wie alle Ratschlüsse Gottes. Ihren Geheimnissen mit kalter Berechnung nachzugehen, ist Frevel. Den Frevler verschlingt das lieblose Leben und läßt ihm kaum einen schwachen Begriff von den Höhen, auf denen er einst gläubig, kindlich vertrauend wandelte. Über dem Buch liegt ein Schein aus jenen unsagbaren Tagen. „Staschatage“ nennt sie Mayreder in seinem offenherzigen Berichte. Das Herz dieses alternden Mayreder, der seine Geschichte erzählt, ist wie vom Feuer versehrt und klaffend, kein Schrein zur Bewahrung von Geheimnissen mehr. Ein Überlebender erzählt vom Diesseits, und es ist fast so, als erzählte einer Jenseitiges. Zwischen Gräbern verliert sich seine graziös verkommene, edle Gestalt.

Eigentümlich, wie man erst nach der letzten Zeile diesen Roman begriffen hat. Er will nicht widerspruchslos hingenommen werden. Es stehen peinliche und fürchterliche Dinge darin. Es ist ja ein Bericht, und peinlich und fürchterlich ist das Leben oft genug. Alles jedoch hat in einem höheren Sinne die Wahrheit für sich. An einer bezeichnenden Stelle heißt es in dem Roman: „Es gibt eben zweierlei Anblick des Lebens. Einer ist blühend, gesund, von Balsamwind überhaucht – der andere zeigt nichts als Fressen und Gefressenwerden. Beide Anblicke sind wahrscheinlich gleich wahr und unwahr. Aber eine Bloße Stimmungssache ist es doch wohl nicht, ob sich einmal der eine, einmal der andere hervorkehrt.“

Trotz allem: ein Hohelied der Liebe. Brod mußte erst „Tycho Brahe“ und „Reubeni“ schreiben, um wieder dort vorüberzugehen, wo er in jüngeren Jahren seine „Jüdinnen“ geschaffen hat.