1. Theil. Stuttgart 1837.

Link zum Text

In: Dr. Bloch’s oesterreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums 48 (1891), 896-897.

Link zum Text

„Ich hatte auch an diesem, wie fast an jedem Abende, Gäste. Es waren damals noch keine Ressourcen in Galantha, und ich versammelte immer nach meinem mühsamen Schuldienste am Abende die jungen Leute, die zumeist gar keinen Unterricht genossen hatten, in meiner Wohnung und suchte ihnen unterhaltungsweise einiges Wissen beizubringen – eine von mir eingeführte zeitgemäße Reform des alten Schiur aber mehr nach Muster der griechischen Symposien, als der modernen Casinos. Die Kosten der geistigen Unterhaltung trug allerdings fast ich allein, aber für die materiellen Genüsse – Thee, Butter, Häringe, Obst, zuweilen noch Substanzielleres – sorgten Alle nach Art der englischen Picknicks. Ich bereitete mir den wissenschaftlichen Stoff der Unterhaltung niemals vor, sondern nahm ihn aus dem jeweiligen Gespräche über Tagesereignisse von Nah und Fern, denn ich hielt auch mehrere Blätter, die zur Lectüre vorlagen.

Von dem Zeitungsberichte über eine pompöse Leichenfeier in Wien nahm ich an diesem Abende Anlaß über die Zeichen der Pietät gegen Verstorbene bei den verschiedenen Völkern zu sprechen und kam dabei auf die uns Juden mehr als allen anderen heilige Sitte, die Gräber der Eltern zu besuchen. Ich merkte nicht, wie bei diesem Vortrage einer meiner Gäste erröthete und fand es auch nicht auffallend, daß er aufstand und hinaus ging. Kaum war aber die Thüre hinter ihm zu, sagte einer der jungen Leute: „Herr Oberlehrer, Sie haben aus Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse bei . . . . einen wunden Punkt berührt. Er hat einen Onkel, der als schlechter Jude in der Welt herumirrt, die Eltern ins Grab brachte, und noch niemals auf Kewer-Dwes hier war.“ Beschämt über meine Unvorsichtigkeit, verließ ich diesen Gegenstand und ging zu einem andern über. Der junge Mann kam auch bald zurück und nahm seinen Platz wieder ein.

Wir waren diesmal etwas länger als sonst beisammen, und als meine Gäste endlich nach Hause gingen, nickte ich, müde in meinen Lehnstuhl zurückgesunken, ein wenig ein und begann leicht zu träumen. Ich hatte nicht lange so gesessen, als ich durch ein Klopfen an eines meiner Fenster aus dem Halbschlummer emporgeschreckt wurde. Schlaftrunken erkannte ich doch sofort Mandel Baß, der mehrere Aemter in der Gemeinde kumulirte, das eine, das sein Name andeutet, dann war er Schulklopfer Liderer[1] und Schlafstattvater[2]. Nachdem ich einen Fensterflügel geöffnet hatte, brachte er unter tausend Entschuldigungen vor: Es sei bei ihm ein Armer schwer krank; der Doktor wäre schwer zu einer Nachtvisite zu bewegen, mir jedoch würde er gewiß folgen, ich möge daher zu ihm gehen. Ich besann mich auch nicht lange, und ehe eine Viertelstunde verging, stand ich mit dem Doktor, der ein menschenfreundlicher Herr war, nur weil der Arzt bei Juden wegen unglaublicher Kleinigkeiten oft in seiner nächtlichen Ruhe gestört wird, nicht selten einem Rufe in der Nacht keine Folge leistete, vor dem Lager des Kranken in der Schlafstatt. Die Diagnose war nicht schwer zu stellen. Der Patient war ein Schwindsüchtiger im letzten Stadium. Er starrte uns mit seinen glühenden Augen an, ohne sich unserer Anwesenheit bewußt zu werden. Mitleidig betrachtete ich den Armen. Es war ein feingeschnittenes Antlitz auf welches der herannahende Tod seine Schatten warf. Ich wußte nicht recht, warum ich immer wieder den Blick darauf heften mußte. Fast schien es mir, als käme er mir bekannt vor. Dann durchzuckte mich plötzlich eine Ahnung – das röthliche Kopfhaar untrüglich – er ist`s – mein ehemaliger Studien- und Quartiergenosse auf der Preßburger Jeschiwah.

„Kennen Sie den Kranken da?“ fragte mich der Arzt leise, als er meine Aufregung merkte.

„Ob ich ihn kenne!“ sagte ich schmerzerfüllt, und ohne daß ich es beabsichtigte, entfuhr mir sein Spitzname unter den Kollegen.

„Radag!“[3] rief ich.

Der Kranke riß die Augen auf, starrte mich entsetzt an und streckte wie abwehrend die Hände aus. Er schien das Bewußtsein wieder erlangt und auch mich erkannt zu haben, und vom Gefühl der Scham überwältigt, barg er schluchzend das welke Gesicht in den Kissen.

Der Arzt ging, nachdem er seine Verordnung gegeben, wieder weg; ich aber saß bei dem Kranken und ließ mir erzählen, wie er hieher gekommen. Es war eine traurige Geschichte, die mir umsomehr in`s Herz schnitt, als der Erzähler zuweilen in einem bitteren Humor verfiel, der deutlich seinen seelischen Zustand verrieth.

Roth David Galantha war ein ausgezeichnet guter Kopf, aber durch und durch Skeptiker. Er machte mit die Wandlung vom Bachur zum Studenten, aber er studierte ziel- und planlos, so daß er sich eigentlich für gar keinen Beruf ausbildete. Die Noth drängte ihn Privatlehrer zu werden und er mußte von Halbjahr zu Halbjahr seinen Posten wechseln. Anfangs war er überall wegen seines reichen Wissens geschätzt, aber man wurde bald seiner überdrüssig, als man seine gottesläugnerischen Ideen erfuhr, die er gar nicht zurückzuhalten sich bestrebte. Mit dem Glauben an Gott verlor er auch den Glauben an die Menschen. Mit seinen pessimistischen Anschaungen gar nicht hinterm Berg haltend, machte er sich bei Allen verhaßt, selbst bei denen, die tolerant gegen seine religiösen Ansichten und sein gottloses Leben waren. Und als er kein Haus mehr fand, das ihm die Kinder anvertraute, warf er sich auf die Schriftstellerei. Er ließ von Zeit zu Zeit ein Buch oder eine Broschüre, in hebräischer oder deutscher Sprache erscheinen, bald theologischen, bald sozialen Inhaltes, worin er seine Gedanken über Gott und Welt in einer zwar weniger drastischen Weise, als er es im Gespräche that, aber ebenso frei und offen entwickelte. Und mit diesen Schriften wanderte er von Ort zu Ort, sie Rabbinern, katholischen Geistlichen oder protestantischen Pastoren, jüdischen oder christlichen Literaturfreunden zum Kaufe anbietend. Wo er merkte, daß man ihm mehr aus Mitleid als aus Werthschätzung seiner Arbeit etwas geben wollte nahm er`s nicht an, und er trotzte auch überall, wohin er kam, dem gesellschaftlichen und religiösen Herkommen, damit ja kein Mitleid für ihn aufkommen sollte.

Auch dieses unstäten Lebens müde und von der Literatur als Broterwerb angeeckelt, wollte er sich in der Hauptstadt ständig niederlassen und durch Stundengeben sein Leben fristen, allein da er für kein bestimmtes Fach-Zeugnis besaß, wurde er überall, wo er sich offerirte, in höflichster Form zurückgewiesen. Es gibt in der Großstadt ein geistiges Proletariat, das von heute auf morgen nicht zu leben hat, in der Früh aufsteht, ohne zu wissen, wo es die paar Kreuzer für ein Mittagmal hernehmen wird, – und doch lebt. Es gibt sich wie die Eckensteher zu jeder Beschäftigung her, und man weiß es aufzusuchen. Heute bestellt der Herausgeber eines Winkelblättchens einen gepfefferten Artikel bei ihm, morgen läßt sich ein Advokat eine mehr Phrasen erforderliche Satzschrift von ihm ausfertigen, und übermorgen hat er einen warmen Liebesbrief für einen Commis zu schreiben, u. ä. So lebt der mit dem Tode ringende seit zehn Jahren in dem von den Leidenschaften des Erwerbens und Genießens fortwährend gepeitschten Menschengewoge der Residenz.

„Seit zehn Jahren“, sagte er, mich bei meinen Namen nennend, „habe ich keine zwei Tage hintereinander ohne Sorge um Brot gelebt“ ist`s da ein Wunder, wenn man bei der kräftigsten Constitution den Todeskeim empfängt und sich auch mit den Todesgedanken vertraut macht. „Ich habe seit Jahren jede Lebenslust aufgegeben. Nur ein brennendes Verlangen hatte ich, wirst Du es glauben? Ich kann mirs ja bei meiner Religionslosigkeit selbst nicht erklären – nur einmal auf Kewerdwes zu gehen und mich so herzlich auszuweinen. Jeden Frühling nahm ich mirs vor und niemals konnte ich es ausführen, weil mir die paar Gulden dazu fehlten. Aber dieser Tage konnte ich dem so heißen Verlangen nicht widerstehen. Ich machte mich mit zehn Kreuzern in der Tasche auf den Weg hieher. Heute kam ich hier an, aber ich habe eine Dummheit begangen, ich hätte von der Landstraße aus sofort auf den Friedhof gehen sollen“ – – –

Tief ergriffen hatte ich ihm zugehört. Aber jetzt hieß es handeln. Viel zu thun war freilich nicht mehr für den Armen, jedoch seine letzten Stunden zu erleichtern, erschien mir als heilige Pflicht. Ich ordnete das Nothwendigste an und redete ihm gut zu, es könne ja noch Alles besser werden, er solle nur den Muth nicht sinken lassen.

Er sah mich mit großen Augen an, als wollte er sagen: „Mach mir nichts vor, ich weiß, woran ich bin.“

Ich sagte ihm zu, am nächsten Morgen wieder zu kommen und seine Uebersiedlung an einen geeigneteren Orte zu bewerkstelligen.

„Ja, an den „Guten Ort,“ lächelte er, und drückte mir zum Abschiede die Hand.

Am nächsten Morgen noch vor dem „Schulklopfen“ eilte ich zu dem Kranken. Als mich Mandel Baß, der eben im Begriffe, mit dem Hammer in der Hand seine Runde durch die Gasse anzutreten, erblickte, winkte er mir leise:

„Er schläft“ sagte er.

Ich trat zum Bette hin. Allerdings schlief er, aber es war der ewige Schlaf, von welchem es kein Erwachen gibt. Friede lag auf dem Gesichte; er mußte ohne Kampf verschieden sein.

„Legen Sie den Hammer aus der Hand,“ sagte ich zu Mandel, „Sie müssen schulrufen, der Arme ist todt.“

Am nächsten Tage gaben wir ihm das letzte Geleite. Ich sage wir, denn es wohnte die ganze Gemeinde dem Leichenbegängnisse bei.

Mit Erlaubniß des Vorstandes der Chewra Kadischa durfte ich am offenen Grabe einige Worte sprechen. Es war eine Fortsetzung meines Vortrages vom vorletzten Abend vor meinen Gästen und kulminirte in dem Leben des Todten der da starb in der süßen Pflichterfüllung des Besuches auf Kewer-Dwes.


[1] Diener der Chewra Kadischa

[2] Die Schlafstatt war eine Gemeindeanstalt zur Beherbergung durchreisender Armer.

[3] Bei den 600 bis 700 Bachurum der Jeschiwah waren viele gleichen Namens, um sie von einander zu unterscheiden, setzte man zu den Namen noch Heimatsort und ein anderes Attribut und verband der Kürze halber die Anfangsbuchstaben aller drei zu einem Wort, das desto ironisirender war, jemehr es an einem bekannten literarischen Namen anklang; so bedeutete R. d. g.: Roth David Galantha.

Aus: Dr. Bloch’s Wochenschrift, 23. Jahrgang, Ausgaben 34-44 von 24.08.1906 bis 02.11.1906

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3021656]

Link zum Text

Tran-skription

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 18. Jahrgang, Ausgabe 8 vom 22.02.1878, S. 1f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Link zum Text

Tran-skription

Unter dem Waffengetöse schwiegen nicht nur die Musen, sondern auch die diversen Judenfragen, soweit für solche noch ein Boden in Europa vorhanden ist. Von der Zivilisation und der siegenden Idee eines Rechtsstaates verdrängt, fand die Judenfrage nur noch im Osten dieses Welttheils eine Heimat, von ganzer oder halber Barbarei begünstiget. Ihr Verbreitungsbezirk war geograhisch genau begrenzt, er reichte nicht weiter als die Machtgebiete Rußland’s, der Türkei und der Donaufürstenthümer, d. h. genau soweit, als der Schauplatz jenes Kriegsdrama’s, dem jetzt sein Epilog in einer Conferenz der Signatarmächte bereitet werden soll. Und doch schwieg die Judenfrage, sie, die am peinlichsten von dem blutigen Waffenspiele tangirt war. Nicht daß sie auch nur zeitweilig gegenstandslos geworden wäre, sondern weil die Juden bei dem hohen Grade von Selbstverläugnung, die ihr Herz charakterisirt, auf einem Gebiete, das nicht unmittelbar mit ihrem religiösen Gute zusammenhängt, stets geneigt sind, ihr eigenes Interesse dem der jeweiligen Gesammtheit zu unterordnen. An dem großen Kampfe betheiligten sich die russischen wie die türkischen Juden mit gleichem patriotischen Eifer, und selbst in Rumänien konnten unsere Glaubensbrüder in der Hitze des Gefechtes vergessen, welche Genugthuung ihr Vaterland ihnen schuldig geblieben ist. Aber der Krieg wird schweigen, und die Judenfrage wird wieder die Fähigkeit zu reden erlangen, und welche Antwort wird man ihr ertheilen? Die Vertreter der Judenheit aber, wenn sie in die Lage kommen sollten, an die projectirte Conferenz mit ihren gerechten Forderungen heranzutreten, dürften gut daran thun, die Macht der Hindernisse, die sich ihren Bestrebungen entgegenstellen werden, genau zu prüfen, um weder der Unterschätzung und somit der Illusion, noch der Ueberschätzung und somit der effeminirenden Hoffnungslosigkeit anheimzufallen. Man betrachtet als Hindernisse der Gleichstellung der Culte in den Ostländern zuerst die Uncultur der in der Bildung zurückgebliebenen Völkerschaften, den Fanatismus und das durch Jahrhunderte erstarkte Vorurtheil, die sie jedem noch so begründeten Rechtsansprüche unzugänglich machen, zweitens aber jenen Despotismus als Staatsverfassung, der durchaus einer Kaste der Parias bedarf, um den höher gestellten Klassen eine Folie zu bieten, und ihnen dadurch den Freiheitsmangel weniger empfindlich zu machen. Uns will es jedoch bedünken, als ob gerade diese Hindernisse, die man für so mächtig hält, der Lösung der Judenfrage keine, mindestens nicht lange Zeit mehr Schwierigkeiten bereiten werden.

Die Völkerschaften jener Länder sind besser als ihr Ruf, gutmüthig, gastfreundlich und von wohlwollendem Naturell können sie nicht lange mehr dem Siege der Cultur widerstehen. Auch die Zivilisation gehet heutzutage nicht mehr zu Fuße wie in kalter Zeit, auch sie legt in kürzeren Zeiträumen als ehedem weite Strecken zurück. In gleicher Weise ist eine Politik, die von der Idee des Absolutismus ausgehet und auf ein Kastensystem sich stützt, nicht lange mehr haltbar – und ist einmal die Freiheit ein Factor geworden, mit dem der Staat rechnen muß, da wird ihre Zwillingsschwester: die Gleichheit nicht im Wachsthume zurückbleiben. Es ist eine hochbedeutsame Erscheinung, der wir in der Geschichte der Judenemancipation sehr oft begegnen, daß die Volksmenge weit schneller mit der Gleichheit im Rechte, als mit der Gleichheit im Drucke sich befreundet, als wollte sie die Gleichheit nur aus den Händen der Freiheit empfangen. Selbst in Deutschland und Oesterreich nahm es die christliche Bevölkerung als selbstverständlich hin, daß Juden in die Parlamente gewählt, in alle Recht des Staatsbürgers eingesetzt wurden, während sie in der vormärzlichen Zeit, als sie selber unter dem Drucke der Polizeistaaten schmachteten, jede noch so geringe Erleichterung, den Juden durch den Absolutismus gewährt, mit unverhohlenem Aerger betrachteten. Als Pius der Neunte die Schranke des Ghetto niederrieß, revoltirte das römische Volk, heute nimmt dasselbe Volk in Rom keinen Anstoß daran, daß zwischen Juden und Christen jede Scheidewand, soweit dieselbe von Staatswegen bestand, durch eine constitutionelle Verfassung mittelst eines Federstriches aus dem Wege geräumt ist. (Wir verweisen dießbezüglich auf den nächsten Artikel: „Zur Pabstwahl“ von unserm ehrwürdigen Mitarbeiter Herrn Rabbiner Dr. Ludwig Lichtschein). Ein mächtigeres Hinderniß des Fortschrittes lauert jedoch in der eigenthümlichen Kirchenverfassung der griechisch-katholischen Religion, die jene Ostländer beherrscht – in der Verfassung eines Cäsaropapismus, der die höchste Staats- wie Kirchenautorität in einem und demselben Oberhaupte vereinigt hält. Dort ist der Czar zugleich der Pabst und Rußland ist so im großen Style, was vormals der römisch-katholische Kirchenstaat in dem kleinen ihm zur weltlichen Herrschaft angewiesenen Gebiete war.

Kirchen verhalten sich ihrer Natur nach ausschließlich gegen einander, sind sich wechselseitig Protest und Negation. Sie können nicht paktiren, sie sind intransigent. Staaten neigen dagegen zur Toleranz, zum Frieden, zur Verträglichkeit hin, ihre Natur weist sie an, sich dem Wechsel der Geschichte, dem Gesetze der Entwickelung zu unterwerfen und den Banden des Dogmatismus zu entrinnen. Stehen nun Staat und Kirche als getrennte Gewalten gegenüber, dann wird im Falle eines Conflictes der Stärkere das Recht behaupten, und das Ende des Culturkampfes ist stets ein Cultursieg. Wo aber ein solcher Culturkampf von vorneherein ausgeschlossen ist, wie dies in Rom, als noch die weltliche Herrschaft des Pabstes bestand, der Fall war, und wie dies in Rußland noch heute der Fall ist, da wird auch der Cultursieg sehr erschwert und in seinem Laufe verzögert. Wir glauben daher, auf das Verhältnis der griechischen Kirchenverfassung zur Judenfrage noch einmal zurückkommen und an der Hand der Geschichte es eingehender erörtern zu sollen.

(Forts. folgt.)

 

In: Die Stimme, 9. Jahrgang, Ausgabe 505 vom 06.12.1935, S. 5f

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3054243]

Link zum Text

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 22. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 13.01.1882, S. 10f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Link zum Text
Tran-skription

Die alten Mönche hatten gut reden, wenn sie den Satz aufstellten: mulier taceat in ecclesia (das Weib hat in der Kirche zu schweigen); wußten sie ja, daß die Kirche im Weibe nicht schweigen werde. Das Element der Kirchlichkeit, des positivreligiösen Lebens wird einzig und allein vom Weibe getragen und erhalten. Der Mann mag spitzfindige Dogmen ersinnen, theologische Systeme erbauen, in metaphysischen Haarspaltereien sich versuchen, der Mann ist Bilderstürmer, zuweilen Kirchenrebell, Altarstürzer, aber nur in seltenen Fällen Träger der erhaltenden Idee, Repräsentant jenes religiösen Seelenlebens, das jeder Kritik unnahbar und Klügeleien gegenüber gefeiet im innersten Gemüthe sitzt. Die Kirchen wurdeu von dem Geiste des Mannes erbauet, aber von der weiblichen Seele geweihet und erhalten. Frauen waren die Missionäre der Religionen, die Erzieherinnen der Märtyrer, die Apostel des warmen und lebendigen Gottbewußtseins, die Vermittlerinnen zwischen dem Ideale und der brutalen Wirklichkeit. Das Weib hat allein Verständniß für das Symbol, für die Versinnlichung der Idee durch Kultusübung, für den faßbaren Docht, der das Flämmlein jenes Gedankens, den die Männer gezündet haben, trägt. Und wie in allen Kirchen der Welt, so waren auch innerhalb des Judenthums die Frauen die Erhalterinnen der Sitte, die Hüterinnen des frommen Brauches, deren erhabenerer Beruf, wie der Talmud behauptet, sich darauf beschränkt, Söhne für das Erbgut der Religion zu begeistern. Das Judenthum war in seiner Weise auch stets dankbar für die treue Erfüllung dieser Mission, es verlangte, daß der Jude „seine Gattin wie sich selbst liebe und mehr als sich in Ehren halte“, es enthob das Weib gewisser zeremonialen Uebungen, damit es desto eifriger seiner höhern Sendung der Kindererziehung obliege, es glorifizirte die Frau als Personification des von einem divinatorischen Takte beseelten höheren Menschthumes und trug durch eherechtliche Bestimmungen Sorge dafür, daß die Stellung der Gattin als Priesterin des Hauses gesichert bleibe. Allerdings hätte gerade das jüdische Volk des weiblichen Beistandes zur Erhaltung der Religion leichter entbehren können, weil die jüdische Volksseele an sich zum Conservatismus hinneigt und von Ideologie beinahe angekränkelt erscheint. Es ist zum Erstaunen, wie in dem Geiste eines Juden ein nüchternes, berechnendes Wesen neben Schwärmerei und selbstlose Hingebung an einen idealen Traum so unvermittelt neben einander stehen. Derselbe Jude, der den Tag über mit schlauer Pfiffigkeit den Kampf um das materielle Dasein ausficht, sitzt beim Lampenschein über einem Talmudfolianten und verliert sich in einer Gedankenwelt, die der Wirklichkeit so entfernt liegt. Was man an dem Juden oft als Arbeitsscheu und Müssiggang verurtheilt, ist nichts anderes als idiologische Träumerei und Opferbereitschaft für ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Die Juden sind das Volk der Religion, sind ein „heiliges Volk“ in des Wortes erhabendstem Sinne, vom redlichsten Gemüthe und empfindlicher Gewissenhaftigkeit und die Fehler, die ihm der Druck der Zeiten aufgenöthiget hat, sie bestätigen nur die Annahme, daß häßliche Raupen zumeist an edlem Reise sitzen und die Wahrheit des Dichterwortes:

„In steter Nothwehr gegen arge List
Bleibt auch das redliche Gemüth nicht war.“

Allein eben deshalb, weil der Jude in sich selber das weibliche Element in so hohem Grade vorwaltend weiß, hat die Synagoge die Macht der Kirche in dem Weibe – letzteres im engeren Sinne genommen – vielfach überschätzt und keine Sorge dafür getragen, durch das Medium schönerer Cultusformen das derselben bedürftige Frauenherz dauernd für dessen erhabene Mission zu begeistern. Was ist, was kann dem modernen jüdischen Weibe in den Großstädten das Judenthum sein? Für die metaphysischen Wahrheiten unserer Religion interessirt sich die weibliche Psyche ihrer Natur nach nicht, die Religion in Küche und Keller befriedigt nicht mehr den idealen Drang, dem öffentlichen Gottesdienste ist im flagranten Widerspruche mit dem Geiste der Satzung das sprachliche Medium entzogen, durch welches er auf das Gemüth wirken könnte, das gesteigerte ästhetische Bedürfniß der mit Schönkünstelei übernährten Großstädterinnen wird von einem Ritus abgestoßen, welcher von theologischer Rechthaberei beherrscht wird, als daß er der Erscheinungsform und der Wirksamkeit auf das Gemüth Rechnung tragen könnte. So ist es gekommen, daß in Großstädten nur noch der jüdische Mann den Conservator abgeben muß, das Weib dagegen den Indifferentismus wo nicht gar das Antisemitenthum vertritt. Der Mann aber kann nur das Knochengerüste liefern, niemals die Befleischung, den Blutumlauf, das Nervenleben hervorbringen. Das stets umlauerte und stets angefochtene Judenthum bedarf der Enthusiasten, bedarf einer todesmuthigen Jugend, und wer soll eine solche großziehen, wo nicht die Mütter es thun? Es hat uns daher im hohen Grade erfreut, aus den in der öffentlichen Vorstandssitzung am 4. d. M. erflossenen Kundgebungen zu erfahren, daß ein ständiges Comitè zur Berathung gottesdienstlicher Reformen eingesetzt wurde. Hoffen wir, daß dieses Comité seine ernstliche Sorge der Erziehung der Töchter zuwenden und der um sich greifenden Gottlosigkeit durch wirksame Institutionen entgegen zu arbeiten bestrebt sein werde. „Macht ein Zaun um die Thora“, ist ein weises Gebot der Mischnah, aber die Zäune, die das Paradies der Religion in heutiger Zeit gegen Gartenfrevel schützen wollen, können nicht in neuen Erschwerungen des Speise- und Sabbathritus, in Ausklügelungen neuer Beschränkungen der Freiheit bestehen, sondern in Schöpfungen positiver Formen, die durch ihre Wirksamkeit nicht durch das überwuchernde Moos des Alterthums den Herzen ehrwürdig erscheinen. Was aber ließe sich an der Erziehung unserer Töchter in den Großstädten zur Religiosität und zur Liebe für das Judenthum ändern und verbessern? – Das sei der Gegenstand der Erörterungen, die wir hiermit eröffnen.

(Forts. folgt.)

 

In: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 10. Jahrgang, Ausgabe 9 vom 04.03.1870, S. 98f

[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Link zum Text
Tran-skription

 

Abschnitt I.
Name und Zweck.

§. 1. Unter dem Namen „Hochschule für Wissenschaft des Judenthums“ wird zu Berlin eine selbstständige, von den Staats-, Gemeinde- und Synagogen-Behörden unabhängige Lehranstalt begründet.

§. 2. Zweck derselben ist die Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung der Wissenschaft des Judenthums.

§. 3. Zu diesem Behufe werden zunächst Vorlesungen gehalten, welche die gesammte Wissenschaft des Judenthums umfassen; mit denselben können Uebungen, Disputatorien verbunden werden. Beides wird durch den Lehrplan näher festgestellt.

 

 

Abschnitt II.
Begründung und Erhaltung.

§. 4. Begründet wird die Hochschule mit Hülfe derjenigen Capitalien und Beiträge, welche die ersten Mitglieder des Vereins diesem Zwecke gewidmet haben.

§. 5. Erhalten wird die Hochschule
    1) durch die Zinsen,
        a) der Stiftungscapitalien;
        b) der künftig zufallenden Capitalien im Betrage von 100 Thlrn. und darüber;
    2) durch einmalige Zuwendungen von weniger als 100 Thlrn.
    3) durch die regelmäßigen Beiträge der Vereinsmitglieder.

§. 6. Stiftungen, auch mit besonderen Bestimmungen seitens der Geber, können an der Hochschule begründet oder mit ihr verbunden werden, sobald sie dazu dienen, den Hauptzweck derselben unmittelbar oder mittelbar zu fördern. (Vgl. Fundatoren §. 33.)

 

 

 

Abschnitt III.
Verwaltung.

§. 7. Die Verwaltung der Hochschule geschieht durch ein Curatorium von neun Mitgliedern.

§. 8. Die Pflichten und Befugnisse des Curatoriums bestehen in der Verwaltung des Vermögens der Hochschule, in der Verwendung der Zinsen und sonstigen Einnahmen derselben und der Bestimmung über Ausgabe oder Capitalisirung der letzteren, in der Anstellung und Besoldung der Lehrer, in der Feststellung des jedesmaligen Lehrplans, in der Bestimmung und Beschaffung der Räumlichkeiten, in der Anordnung zur Schöpfung und Fortführung von Attributen (Bibliothek, Sammlungen), in der Vertheilung von Stipendien an Schüler.

§. 9. Die Beschlüsse des Curatoriums, welches sich nach einer von ihm selbst zu bestimmenden Geschäftsordnung constituirt, werden mit zwei Drittel Majorität gefaßt; dasselbe ist beschlußfähig, wenn außer dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter noch fünf Mitglieder anwesend sind.

 

 

§. 10. Als das erste Curatorium sind von den ersten Mitgliedern des Vereins gewählt die Herren:

        Prof. Dr. M. Lazarus,                                            W. Schönlank,
        Comm.-Rath B. Liebermann                               Dr. med. M. J. Meyer.
        Dr. med. S. Neumann,                                          Dr. phil. S. Gumbinner, 
        Banquier Herm. Goldschmidt,                            Dr. jur. Paul Meyer,

 

                                                          sämmtlich zu Berlin,
                                                          Dr. Philippson in Bonn.

§. 11. Außer diesen neun Mitgliedern des Curatoriums sind noch drei Stellvertreter in den Herren:
    Fabrikbesitzer Alexander Wolff,
    Banquier Carl Berthold Simon,
    Banquier Meyer Cohn
gewählt, welche in dieser Reihe eintreten, wenn während der ersten Amtsperiode ein Mitglied ausscheidet.

 

 

§. 12. Die Amtsdauer des ersten Curatoriums ist auf fünf Jahre festgestellt.

§. 13. Von den Mitgliedern des Curatoriums müssen mindestens sieben in Berlin ansässig sein. Ausgeschlossen von der Mitgliedschaft des Curatoriums sind
    1) Die Lehrer dieser Hochschule, 2) in Function stehende Rabbiner und sonstige Cultusbeamte.

§. 14. Nach Ablauf der ersten fünf Jahre, vom Tage der Eröffnung der Hochschule an gerechnet, wird das Curatorium nach folgenden Bestimmungen gewählt:
Die General-Versammlung der Vereinsmitglieder (§. 32), welche drei Monate vor Ablauf der 5 Jahre und dann alljährlich zu berufen ist, wählt nach absoluter Stimmenmehrheit in geheimer Abstimmung und getrenntem Wahlgange Neun Mitglieder.

 

 

In jedem folgenden Jahre scheiden, so lange bis eine Reihenfolge festgestellt ist, drei durch das Loos bestimmte Mitglieder aus, welche jedoch wieder wählbar sind. Die regelmäßige Amtsdauer der Curatorion ist im Uebrigen eine dreijährige.

Stimmberechtigt ist jedes Mitglied des Vereins. Das Stimmrecht kann nur persönlich ausgeübt nicht an Stellvertreter übertragen werden.

 

Abschnitt IV.
Die Lehrer.

§. 15. Die anzustellenden Lehrer müssen denjenigen wissenschaftlichen Grad besitzen, der zur Anstellung an einer Universität berechtigt.

§. 16. Dieselben können sowohl auf Lebenszeit als auf eine Reihe von Jahren angestellt werden und sind verpflichtet, in jedem Semester über diejenige Disciplin, für welche sie berufen sind, Vorlesungen zu halten, resp. die Uebungen und Disputatorien zu leiten, während es ihnen freisteht, zugleich über andere Disciplinen, welche in das Gebiet der Hochschule gehören, Vorlesungen zu halten.

§. 17. Sämmtliche angestellte Lehrer der Hochschule bilden ein Collegium von gleichberechtigten Mitgliedern. Dasselbe constituirt sich behufs der Geschäftsführung im Dienste der Anstalt nach einer von ihm selbst zu entwerfenden, vom Curatorium festzustellenden Geschäftsordnung. Mit der Führung der Matrikel, der persönlichen Vertretung des Lehrercollegiums u. s. w. hat dasselbe alljährlich einen Vorsitzenden zu betrauen. Ueber Wahl und Wiederwahl beschließt daß Collegium.

 

§. 18. Außer den angestellten Lehrern können auch andere Gelehrte zur Haltung von Vorlesungen vom Curatorium berufen, besonders auch jüngere Gelehrte (Privatdocenten) zugelassen, beziehungsweise denselben Remunerationen dafür bewilligt werden, ohne daß sie deshalb zu den Mitgliedern des Kollegiums der angestellten Lehrer zählen.

§. 19. Das Lehrer-Collegium ist verpflichtet, alljährlich und rechtzeitig das Lections-Verzeichnis zu entwerfen, dem Beirath (§. 23) zur Begutachtung resp. dem Curatorium zur Bestätigung zu unterbreiten, den abgehenden Studirenden der Hochschule Zeugnisse, resp. Diplome unentgeltlich auszufertigen, das Curatorium auf dessen Wunsch in allen persönlichen und sachlichen Fragen mit Gutachten zu versehen; eine gemessene, der Würde der Anstalt entsprechende Disciplin unter den Studirenden aufrecht zu erhalten; endlich für die ordnungsmäßige Erhaltung und Benutzung der Attribute der Hochschule (Bibliothek, Sammlungen u. dgl.) Sorge zu tragen.

§. 20. Dem Lehrercollegium bleibt es vorbehalten wird aber, als der Würde und dem Dienste der Wissenschaft des Judenthums entsprechend empfohlen, sich als eine akademische Körperschaft zu constituiren, zu diesem Behufe in regelmäßigen Versammlungen Vorträge zur gegenseitigen Belehrung zu halten und zur Förderung der Wissenschaft zu veröffentlichen, hiesige und auswärtige Gelehrte als Mitglieder zu ernennen, alle diese akademischen Angelegenheiten nach einer von ihm selbst zu entwerfenden und von dem Curatorium festzustellenden Geschäftsordnung zu vollziehen.

§. 21. Das Curatorium hat die Lehrer zu verpflichten, daß die Vorträge lediglich im reinen Interesse der Wissenschaft des Judenthums, ihrer Erhaltung, Fortbildung und Verbreitung gehalten werden.

§. 22. Dem Curatorium steht ein Beirath zur Seite, dessen Gutachten einzuholen ist:
    a) über den Lehrplan,
    b) über die Personen der anzustellenden Lehrer
    c) über alle wissenschaftlichen Fragen, welche die Hochschule betreffen.

§. 23. Der Beirath besteht
    a) aus dem Collegium der angestellten Lehrer,
    b) aus 3 bis 6 andern gelehrten oder wissenschaftlich gebildeten, hiesigen oder auswärtigen Männern, welche sich zu diesem Behufe mit dem Lehrercollegium verbinden.

Die Mitglieder des Beirathes ad b werden von dem Curatorium der Generalversammlung vorgeschlagen und von dieser gewählt.
Auch steht den Vereinsmitgliedern frei, In der Generalversammlung Vorschläge zu machen.

 

 

(Schluß folgt.)