Zur Biographie: Eugen Hoeflich

In: Esra. Monatsschrift des jüdischen Akademikers, 1. Jahrgang, Ausgabe 2, S. 41-47

[Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Compact Memory; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2828642]

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In der berliner Zeitschrift „Die Arbeit“ wurde letzthin von Ludwig Strauß eine Diskussion über Bolschewismus und Judentum eingeleitet. Wenn wir nun auch als Zeitgenossen heute noch kaum den ruhigen Blick zu einem richtigen Urteil haben können, darf dennoch versucht werden, noch ein paar Worte – vielleicht von einem andern Standpunkte aus – darüber zu sprechen.

Bolschewismus: lassen wir für einen Augenblick die Erinnerung an alle tendenziösen Zeitungsmeldungen, an die Taten sadistischer Marodeure des sozialen Kampfes und fragen wir uns ruhig: was ist die Ursache des verhältnismäßig großen Anteiles von Juden an dieser neuen Form ökonomischen Kampfes? Sind es unedle Motive, Anlässe persönlicher Gewinnsucht, die sie in die ersten Reihen treiben?

Nein, trotz haßerfüllten Lügen: Nein. Dieser bolschewikische Jude will Europa nicht anzünden, um sich die Taschen zu füllen, ihn treibt die reinste Idee, die aber in ihrer Ausführung tragischer Irrtum ist, Folge einer durch den Krieg geborenen Massenpsychose, der die Psyche vieler Juden leichter zugänglich ist als die anderen Völker, die zweitausend Jahre Galuth nicht hinter sich haben.

Das Judentum kann – ich glaube Buber tat es – in zwei Gruppen geschieden werden: in die mit dem weiten Herzen: die idealistischen Träger der hinreissendsten Gefühle, und in die mit dem vertrockneten kleinen traurigen Golusherzen: die Krämernaturen, die Geldmenschen. Die Idealisten unter uns, Vollblutjuden durchaus, auch in ihren Irrtümern, spontan, urkräftig, unbedingt, aber auch konsequent und zähe im Verfolgen einmal gefaßter Ideen, selbst bis zur Unsinnigkeit, und stets ihrer Zeit um ein Stück voraus, von diesen Idealisten kamen Etwelche zum Bolschewismus, wie sie zur Sozialdemokratie kamen, wie sie stets zur Freiheitsbegeisterung für das Ideal irgend eines Volkes sich fanden. Immer in den ersten Reihen, glühend, fanatisch, ekstatisch. Hier in dieser Ekstase liegt das spezifisch Jüdische, Orientalische. Chassidim der Befreiung, ekstatische Fanatiker für die Menschheit, sprengen sie, die tausend Jahre bedrückt waren, endlich die Fessel und lodern auf in dem Brand, den sie kommen sahen, ehe er noch aufbrach. Darum ist dieser Jude, der idealistische Jude der Galuth Revolutionär, weil er aus dem Leiden seines eigenen Blutes ungeheures Mitgefühl hat zur unterdrückten Menschheit. Und weil der rein menschliche Wunsch, frei zu werden, endlich, allzuplötzlich nach tausendjähriger Gefangenschaft zur Erfüllung kommend, kein System für den Einzelnen vorbereitet hat, reißt er nieder, was ihn bis nun hielt, wirkt grenzenlos – bis miteinem dieser jüdische Mensch erkennt, daß alle äußerliche Freiheit, alle ökonomische Freiheit lange noch nicht Freiheit ist. Nun erst erkennt er sich, besinnt sich und zieht sich zurück: will wieder zu der Innerlichkeit kommen, die er von sich warf, als die Fahnen Sturm riefen in den Gassen der unterdrückten Menschheit. Nun erkennt er, daß sein Kampf gegen das Böse nutzlos war, da dieser europäischen Menschheit nicht die Bereitschaf zum Bösen schwinden kann – eben weil sie nicht innerlich ist. Die aber, deren Erkennen im Taumel der neuen Gefühle nicht zur Klarheit wird, werden weiterkämpfen, bis sie die Realisation ihrer Ideen erfühlen. In dem Augenblicke aber, da ihre Idee konkrete Formen anzunehmen beginnt, werden sie sie verlassen, denn die Kleinzügigkeit der Ausführung ist nicht ihre Sache. Groß und ihnen eigen ist nur der Weg, aus dem die Ströme stürzen, welche die Angelpunkte der Menschheit umbranden und immer neue Ideen gebären, und daraus entwindet sich die große Tragik des Juden mit dem weiten Herzen, daß er seiner Zeit immer um ein Stück voraus ist, um jenes Stück, das ihn, wenn er Glück hat zum Märtyrer, wenn er Unglück hat, aber zum Narren macht, oder aber zum Unentwegten, über den die Geschichte lächelt. […]

Wie immer aber die Juden beschaffen sind, die dem Bolschewismus anhangen, ihre jüdische Abstammung ist nicht die direkte Ursache dieser ihrer politisch-sozialen Tätigkeit. Die direkte Ursache vielmehr ist jene europäische Masse, deren Bestialität gegen Schwache und Geschwächte stets Äusserung ihrer Existenz war, der Judentum gleich war, mit etwas, das unterdrückt werden muß. Nichts aber ist ewig zu unterdrücken, ohne daß es mit Gegendruck antworten würde. Wenn nun aber jene Juden, die ihr Volkstum verloren, in bolschewistischen Formen reagierten, kann der Bolschewismus natürlich nicht als eine jüdische Angelegenheit bezeichnet werden, denn die gesunden Elemente des jüdischen Volkes reagierten in eine andere Richtung, in die des Zionismus, der in seinen Anfängen nichts anderes ist, als der elementare Freiheitsschrei der Unterdrückten, (und nur reiner Gedanke bleiben kann, solange er Schrei bleibt) die dem Geknechteten immanente Tendenz zur Revolutionierung seiner ihm gleichen Umgebung. Beide sind revolutionär, der gesunde und der kranke Jude; der Eine aber bleib revolutionierend beim Volk, um es und die Menschheit zu erlösen, der Andere verließ das Volk, weil er in dem tragischen Irrtum befangen war, daß Volk ein überholter Begriff sei und die Menschheit aus einer mehrweniger homogenen Masse bestehe, die man durch Anwendung gewisser Theorien innerlich und äußerlich zu einem Block zusammenschmelzen könne.

In dieser falschen Ansicht scheint mir auch die schließliche Lebensunfähigkeit des Bolschewismus begründet zu sein, jenes von Bucharin festgelegten Programmes, das Individualität im Einzelnen wie in den Völkern nur als etwas zu Überwindendes kennt. Hier liegt der Irrtum des phantasiearmen Theoretikers, der am Schreibtisch die Menschheit ummodelnd, plötzlich faktische Macht in die Hände bekommt und nun seine Theorie in Tat umzusetzen versucht. Fleischgewordene Rechenmaschine, die den Eintritt des glücklichen Zeitalters genau errechnet hat, hat ein System aufgebaut, das zwar folgerichtig entwickelt, aber an das der menschlichen Phantasie sich entringende Bedürfnis nach steter, auch äußerer Veränderung und an den unbrechbaren Willen des Individuums zur Individualität vergißt. Der Jude aber ist letzten Endes Romantiker und Individualist, mehr als ein Anderer. Ihn wird der Bolschewismus schließlich abstoßen; […] Er wird voraussehen, daß der Geist auch des bolschewistischen Europas schließlich verflachen wird, wenn die Jugendlichkeit der Idee in den Alltag der Organisation hineingeglitten ist (wie es mit dem Geiste aller europäischen Bewegungen geschah, denn sie alle waren irgendwie ökonomisch gerichtet) er wird erkennen, daß neue Klassen aus der Tiefe heraufwachsen werden, die die ökonomische Diktatur in gleichem Maße handhaben werden, wie die früheren Herrenklassen, daß eine europäische Revolution stets in ihren Folgen nur eine Eintagsrevolution ist, selbst wenn ein monatelanges Blutband ihren Weg bezeichnet, daß sie ausschließlich Magenfrage ist, wohl eine Station in der Tragödie der europäischen Menschheit, dennoch aber nur blutige Groteske einer wirklichen Revolution, denn ihr Urgrund ist nicht Revolutionierung der Herzen, sondern Revolte der Magennerven, und ihr Ziel nicht die Menschheit, sondern die Bequemlichkeit. […]

Ich glaube anders: vom Bolschewismus trennt uns ebensoviel wie von jenem Judentum, das sich europäisch fühlt und europäische Maße sich zu eigen machte. Der Jude, der die Diskrepanz zwischen Bolschewismus und Judentum erkennt, wird auch den Zwiespalt zwischen Judentum und Kapitalismus, Europäismus, Merkantilismus erkennen und wird die reinsten Formen des Lebens auf der Bahn des Volkes suchen.

Er wird entweder als Mystiker sich den göttlichen Kern zusprechen und die Möglichkeit der Vereinigung mit Gott, um so die Menschheit zu erlösen. Er wird Religion und Dogma übersteigend, in die klarsten Höhen der Religiosität gelangen und so wirken auf die fernste endliche Zukunft seines um die Zukunft der Menschheit besorgten Volkes. Oder aber er wird Formen für diese Tage suchen, die den Möglichkeiten des Judentums, völkerverbindend sein zu können, freie Bahn schaffen und er wird in der gegebenen Realität verbleibend, zu retten suchen, was an der Menschlichkeit in dieser Menschheit für diese Tage noch zu retten ist.

Man müßte hier über die ungeheuer fruchtbaren ethischen Werte des Judentums sprechen, wollte man die Bahn wieder aufzeigen, in der die Notwendigkeit liegt, sich zu bewegen. Es ist sicher, daß am Ende dieser Bahn jener Sozialismus steht, der den Klassenbegriff nicht kennt, zu dem nicht leibliche Not ausschließlich führt, sondern der Wille zur sozialistischen Gesinnung der Menschheit, die aus sozialistisch gesinnten Völkern besteht. Auf dieser Bahn aber liegt kein Bolschewismus, keine Sozialdemokratie, keine ökonomische oder politische Partei und keine Gewalt, denn diese Bahn mündet in Asien, in jenem Asien, das Religionen stiftet und Gemeinschaften, wo Europa höchstens Staaten bauen kann und Klassenzwänge, in jenem Asien, das sozialistisch ist vom Anfang seiner Idee bis zu ihrer Diktatur der Liebe über die Menschheit. Judentum und Bolschewismus haben nichts gemein. Wenn beider Ziel auch das höchste der Menschheit ist, können sie nicht zueinander kommen, denn der Absolutheit des Einen entspricht nur Zweckmäßigkeit, Bedingtheit des Andern, der Sehnsucht nach der wirklichen Menschheit nur der Wunsch die Produktion auf das Höchste zu steigern und die Konsumtion so angenehm als möglich zu machen. […]

Diese Frage wird einmal aufgeworfen werden, die Frage nach der reinsten Form des Nebeneinanderlebens, nach der an-archischen Form. Sie wird beantwortet werden, wenn entweder Europa vollends zertrümmert sein wird, oder aber, wenn es sozialistisch, also menschlich denken, fühlen und handeln wird, wenn Kapitalismus, Bolschewismus und alle andern Ismen verschwunden sein werden.

Hier die Ersten zu sein, sind die ungeheuren Möglichkeiten unserer palästinensischen Zukunft um die Zukunft der Menschheit.

➥ Zur Biographie: Höflich, Eugen

In: WMZ 12.10. 1919, S. 2-3

➥ Zur Biographie: Hoeflich Eugen

In: Der Friede, Nr. 33, 1. Jahrgang, Wien, 6. September 1918, S. 156–157.

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DEN Zionismus, das heißt: jene Bestrebung eines Teiles des Judentums, die auf Palästina gerichtet ist, als rein politische, ausschließlich territoriale zu betrachten, ist ein grundlegender Fehler, dessen Ursachen aber bei den Zionisten zu suchen sind, denn beinahe jedesmal, wenn Vertreter des Zionismus es versuchten, der breiten Öffentlichkeit ihre Ziele und ihre Hoffnungen darzulegen, sprachen sie von dem materiellen Programm, von der rechtlich gesicherten Heimstätte, allzu selten aber ließen sie es sich angelegen sein, von den geistigen Grundlagen und Zielen dieser elementaren Bewegung zu sprechen. So entstand in den Fernestehenden das verzerrte Bild einer rein ökonomischen zionistischen Bewegung.

Wenn auch Herzl, der die dem jüdischen Gefühle und der jüdischen Not entbundenen Gedanken formulierte, seine Ziele in einer „rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“ präzisierte, so ist diese uralte Bewegung doch nicht in die Reihe europäischer politischer Bestrebungen zu setzen, denn ihren endlichen Zielen entspricht ein unendliches, das ein allmenschliches ist, ein übernationales und überökonomisches.

Es ist hier nicht meine Sache, von der geistigen, rein kulturellen Arbeit zu sprechen, die auf ein jüdisches Palästina gerichtet ist; es genüge die Feststellung, daß sie ist und daß sie die besten Köpfe des Judentums beschäftigt. Ich halte es aber für meine Pflicht, von der neuesten, absoluten Richtung des neujüdischen Gedankens zu sprechen, die dieser Krieg gebar, besser: gebären mußte.

Der Gedankengang dieser heute von einigen wenigen Menschen getragenen Idee ist ein einfacher: Die Wiedervermählung des jüdischen Menschen mit dem verheißenen jüdischen Boden ist selbstverständliche Forderung, die Wiedererweckung der hebräischen Sprache (die heute bereits Umgangs- und Unterrichtssprache ist) und die Konzentrierung aller jüdischen Potenzen auf Palästina sind Gemeinsamkeiten aller zionistischen Richtungen. Nun aber teilen sich die Anschauungen von der Wichtigkeit der nächsten Ziele. Während der offizielle Zionismus, fasziniert von dem Bilde, das Herzl entworfen hat, sich hauptsächlich die ökonomische Frage zu eigen machte, während eine Fraktion (wenn man hier von Fraktionen sprechen kann) einen jüdischen Sozialismus konstruierte, der den Klassenkampf nach Palästina tragen will, ohne zu bedenken, daß ihr Programm eine Contradictio in adjecto beinhaltet, daß Judentum auf Unbedingtheit basiert, wogegen Sozialismus durch die gegebenen europäischen Wirtschaftsmißverhältnisse bedingt ist; während andere Richtungen, den festen Boden verlierend, sich wieder in rein geistige Spekulationen einließen: versucht dieser „neueste“ Zionismus das Judentum dort zu erfassen, wo es reines, unverfälschtes Judentum ist, Teil des Geistes der Unbedingtheit, der Konsequenz im Guten wie im sogenannten Schlechten, Teil des großen Geistes Asiens. Er sagt sich, daß das nur körperliche Verlassen Europas nicht Erfüllung sein kann, wenn der Geist in Europa bleibt; es muß der Geist mit dem Körper gehen, um sich dort wieder einzufügen, wo er entsprungen ist. Die Neuartigkeit der so selbstverständlichen Forderung und ihre Konsequenzen erschütterten die in europäischer Ideologie und Gewohnheit Befangenen derart, daß sie sie von vornherein ablehnten, wie sie alles ablehnen, was der Trägheit des Herzens nicht entspricht.

Die Vertreter der neuen Idee sagen sich: Die Errichtung einer Gemeinschaft, deren Leben schier zweitausend Jahre unterbrochen war, ist etwas in der Geschichte so Unerhörtes, daß schon der Wille zur Tat größte menschliche Ehrfurcht herausfordert. In Ehrfurcht beugen aber wollen wir uns nur vor Absolutem, vor dem, das unbedingt ist, keinem Kompromisse sich entwand. Wollte man aber eine neue Gemeinschaft gründen mit Elementen, die die Gewohnheit ohne Überlegung widerstandslos in die neue Heimat nimmt, so wäre dies Kompromiß unwürdig des Geistes, der diese Gemeinschaft erbaut, und Quelle aller Qualen, die man zurücklassen will. Da müssen also alle europäischen Einflüsse, Merkantilismus, Imperialismus, Kapitalismus (als Imperalismus des Geldes), abgelehnt werden, das Individuum darf nicht Kalkulationsobjekt einer mehrwertheckenden Weltanschauung sein und die Kultur dieser Gemeinschaft muß wieder eine ihr eigentümliche werden, die die ihr wesensfremden Elemente abstößt, überwindet. Hier, in diesem Begriffe „Überwinden“ liegt der Kernpunkt der Bewegung. Sie will das Europa, das seinem Zenith wohl nicht weit mehr entfernt ist, nicht bekämpfen, sie will es in sich überwinden, in richtiger Voraussicht, daß der Panasiatismus von morgen, der dem technowahnsinnigen europäischen Jahrhundert eine Ewigkeit des Geistes entgegensetzen wird, vom Judentum das Erkennen seines Asiatismus fordert, und in dieser Voraussicht wird die neue Gemeinschaft Asien werden müssen in Asien, nicht Handelsvertreter Europas, Kolonialagent seiner eigenen Not.

Die große Not des Judentums aber bliebe ungebrochen, wenn die neue Gemeinschaft zwar jüdisch, europäischen Einflüssen aber offen, den ganzen Komplex unmenschlicher europäischer Angelegenheiten unter jüdischem Namen sich zum Prinzip machen würde. Nicht allein die körperliche Not bliebe erhalten, die ungleich drückendere, die Not des Geistes, die Abhängigkeit vom Fremden, die erzwungene Unkonsequenz, die Brutalisierung des eingebornen Geistes bliebe aufrecht, nur um dem Phantom nachzuleben, das europäische Entwicklung in Europa und für Europa (was identisch ist auch mit Amerika) in die Welt stellte.

Es wäre dieser Drang zur Rückkehr nach Asien, Asien in der wunderbarsten Bedeutung des Wortes, die von den Propheten kommt, von Jehoschuah, von Lao-tse, Buddha und den anderen, es wäre diese Forderung leicht einleuchtend – wenn eben nicht die in Europa lebenden Juden schon zu viel Europa in sich hätten, um es ohne Furcht um ihre Bequemlichkeit wieder auszuspeien. Es müßte aber auch der Arier dieser Bewegung sympathisch gegenüberstehen, der sich sagt, daß nur aus einem vollkommenen Neuaufbau einer Gemeinschaft, die auf dem edelsten, ursprünglichsten Geiste ruht, die Regeneration der ganzen menschlichen Gesellschaft erblühen kann; auch er müßte ihr sympathisch gegenüberstehen, sonderlich da er doch augenblicklich das Tao-te-king liest und die Bibel und die anderen asiatischen Geistesprodukte, die gerade Mode sind; er tut es aber nicht, da er nicht aus Antisemitismus – sondern aus Mißtrauen oder aus Gewohnheit einen Geist für den jüdischen hält, der aber nichts anderes ist als europäischer Kommerzgeist in jüdischer Konzentration. Und schließlich: wie sollte auch der fernstehende Arier diese Bewegung nach Asien nicht ablehnen, wenn selbst Juden von weltferner Europamüdigkeit sprechen, von literarischer Sekte oder von Dichterhainen, die für Palästina propagiert würden.

Berthold Viertel sprach letzthin in einem kleinen Aufsatze über meine Arbeit von einem „Bekenntnis gegen die grauenhafte Problematik Europas“. Ja, das ist es, was uns eint, wenn wir, die wir wohl in Europa geboren, dennoch aber Kinder orientalischen Geistes, bebend und ohnmächtig aus dem Wahnwitz dieser europäischen Zeit unser Bekenntnis zu Asien zum Himmel stammeln. Es eint uns die Erkenntnis, daß diese Zeit nicht Teil unseres Geistes ist und daß wir Verrat üben würden an unserer Sendung, wollten wir uns jetzt nicht entscheiden: zum Osten, woher uns stets das Licht kam, oder zum Westen, wo man Geschäfte macht mit Blut, Geld und Seele.

Der Krieg mußte diesen Gedanken innerhalb der auf Zion gerichteten neujüdischen Bewegung gebären, und wenn ihn auch einzelne, wie Benjamin Disraeli, schon früher vielleicht erfühlt hatten, konnte er erst jetzt in die Welt treten, fordernd und Gehör heischend, denn erst diese Zeit, die uns heute umstellt, konnte trotz ihrer Sinnlosigkeit den furchtbaren Zusammenstoß orientalischen und okzidentalen Geistes fruchtbar machen.

Die Mission des Judentums ist eine menschliche; sie wird die erste Stufe ihrer Erfüllung erreicht haben, wenn sie den Merkantilismus überwunden haben wird. Daß sie auf dem Wege ist, wollte ich zur Information der Verzweifelnden sagen, um ihnen Perspektiven zu öffnen, die ihnen vielleicht fremd waren.

Zur Biographie: Eugen Hoeflich

Aus: Wiener Morgenzeitung, Nr. 472, 2. Jahrgang 

Wien, Sonntag, den 16. Mai 1920, S. 3–4. 

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Der Paul Cassirer-Verlag veranstaltet eine Neuausgabe ihrer Bücher. Die erste Hälfte liegt bereits vor.1 Versehen mit den bizarren Zeichnungen der Autorin, mit den beim ersten Ansehen kindlichen, nervösen, ist es ein dankenswertes Unternehmen, die in verschiedenen Verlagen verstreuten Schriften zu sammeln. Die lyrischen Gedichte fehlen einstweilen. Und auf die kommt es ja an, wenn man von der Else Lasker-Schüler spricht. (Man muß sich die Lektüre ihrer Bücher einteilen. Allenfalls darf man sie nicht schnell hintereinander lesen, wie man von den Gedichten höchstens zwei, drei an einem Tage lesen darf.) 

Es ist wohl ein tragisches Schicksal, das der jüdischen Künstler, die in nichtjüdischer Umgebung und in nichtjüdischen Sprachen schaffen, tragisch das Geschick der Künstler, in denen die Kontinuität der seelischen Entwicklung abgerissen ist, die nicht mehr aus dem Wissen, nicht aus den Gefühlselementen schaffen, die ihren Vorfahren gemein waren. In manchen aber wird ein Instinkt des Blutes stark, der sie trotz abgerissener völkischer Entwicklung, trotz ihrer äußerlichen, durch das Milieu bedingten Entfremdung vom Volke, zu jüdischen Künstlern macht. Dem Europäer ein seltener, flimmernder, exotischer Vogel, dem im Judentum aufgezogenen Juden aber etwas Fremdes, Unverständliches, wird er weder hier noch dort heimatberichtigt aufgenommen – und dennoch blickt „sein verwandertes Gesicht“ nach dem Osten. Else Lasker-Schüler, eine Zeile nur aus ihren Büchern ist jüdischer als das ganze Werk aller, die von Parteien zu jüdischen Dichtern ernannt werden. Sie ist Jüdin und Dichterin. 

Sie ist Jüdin, orientalischer Mensch. Stets bereit, sich hinzugeben dem Gefühl des Augenblicks, stets innerlich, voll feierlicher Demut, beschaulich, gar nicht betriebsam. Dem farbenfrohen Schmetterling eines Augenblicks nachjagen ist weit wichtiger, als Brot suchen für den nächsten Tag. (Und so ist das Leben dieser Frau, über das so viel Dummes gesprochen wird, zu verstehen – unverständlich dem Pfahlbürger dieser und jener Konfession – aber gar nahe denen, die aus der Grauheit eines fremden, erzwungenen Lebens nach den phantastisch schönen Sternen der Wüstenhimmel in ganz großer Sehnsucht greifen wollen. Sie ist orientalisch, uneuropäisch. Sie ist – mit europäischen Maßen gemessen – unerhört naiv, infantil, das heißt: fern aller geheuchelten Objektivität, gibt sie sich schrankenlos dem hin, das ihr schön scheint und gut, und versteht die Dinge nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen. Wie in Europa eben nur Kinder sind. Aus dieser Haltung sind die sprunghaften Gedankenassoziationen zu erklären. Orientalischer Geist unter Einfluß wesensfremden Klimas, leise Auswirkungen einer Ahnenkette, die anders lebte, als sie hätte leben sollen, ein Stück heißerer Erotik als in den Menschen dieses Klimas, weiter nichts. Irgendein Psychoanalytiker wird die Sache zwar nicht so unkompliziert laufen lassen und irgendein literarhistorischer Wegelagerer wird den Fall schon durcheinanderanalysieren, ich aber bleibe dabei: Diese Psyche darf nicht mit europäischen Maßen gemessen werden.) 

Ihre Bücher sind in der Ichform geschrieben. Ob sie aber nun der Prinz von Theben ist oder Tino von Bagdad, ist sie stets die verwanderte Prinzessin aus Jehuda, hier genannt Else Lasker-Schüler. Oft unartig – nach landläufigen Begriffen – kapriziös auch mitunter, immer aber von orientalischen Bewegungen geleitet. Fremd stets im fremden Europa, selbst wenn sie ein Peter Hille-Buch im mittelalterlich-deutschen Legendenstil schreibt. Stets ist ihr der Orient mehr als Geographie, ein Stück ihres Lebens, ihr ganzes Leben eigentlich, denn ihr träumendes Leben ist ja ihr eigentliches. Schrankenloser, buntblütiger Traum, die einzige Möglichkeit, in die vergangenen Geschlechter wieder einzugehen, die notwendige Kontinuität wiederherzustellen mit den Geschlechtern, von denen abzustammen ihr ungeheurer Stolz ist. 

Sie lebt in der Bibel. Ihre Gebärde ist biblisch (mitunter vielleicht willkürlich verstärkt oder gar Pose), manchmal nur Form, meist aber Inhalt. Zeit und Raum rinnen ihr ineinander. Menschen des Abendlandes, lieb ihr im Andenken, werden kühn in die morgenländische Handlung versetzt, ehrwürdiges Altertum wird in diese Tage heraufgeschoben, ein moderner Berliner Dichter wird Held eines Kampfes um Theben, das gleich neben Persien liegt (der Orient ist ihr keine Geographie, sondern ein lebenerfüllendes Gefühl) und der junge Herzog Albert von Leipzig eilt im Flugzeug in die Stadt der wilden Juden. (Eine höchst subjektive Legendenbildung, unbewußt aus dem orientalischen Drang zur Phantastik, drängt Zeit und Raum zusammen.) Alles wird Symbol: Personen, Gestalten, Geräusche, Berg, Wind und Baum. Das große, ungelöste Gefühl, das nur in einem riesigen, unartikulierten Schrei seine Lösung finden könnte, wird, der Not des Wortes gehorchend, in Symbole gepreßt. 

Die Sprache ist ihr feierlich-frohes, unerhört bildhaftes (eben orientalisches) Darstellungsmittel. So muß es zum Kampf mit der Unzulänglichkeit der Sprache kommen. Aus dem Klang eines Gefühls ein Wort bilden ist nicht leicht. Neue, mitunter bizarre Wortbildungen müssen entstehen und der Stil muß die Fessel der Grammatik abwerfen. Das Wort wird in seiner tiefsten Bedeutung ausgeschöpft. Ihr Stil ist manchmal ein Aufjauchzen, ein tiefer, in Worte nicht übersetzbarer Schrei – schaudernd wendet sich der Literaturprofessor ab, denn er findet das Wort in keinem Verzeichnis und das Satzgefüge spottet seiner Grammatik. Die Bücher Else Lasker-Schülers darf nur der lesen, der bereit ist, zu Gefühlen und zu inneren Erlebnissen sich führen zu lassen. Dem, der am Worte haften bleibt, kann sie nichts geben. 

Eine wunderbar kindliche Sorglosigkeit strömt aus einem ganz lichten, aus einem reinen, religiösen Gefühl, wie aus einem ruhigen, frommen Sonnentag. Wenn ich die Lasker-Schüler lese, sonderlich bei manchen leise wehmütigen Stellen aus den Gedichten, muß ich an Zarathustra denken. Das wilde Judenbuch aber, „Der Malik“, persönliche Angelegenheit zu wichtigem Ereignis versponnen, hat oft unglaubliche Kraft in sich. Die „Essays“ sind persönliche Randbemerkungen zu Künstlern dieser Tage, so persönliche, daß sie menschlich werden. „Tino von Bagdad“ ist ein einziges großes Gedicht, das eine jüdische Frau in dunkelblauem, langwallendem Kleide in einem sonnedurchleuchteten feierlichen Saale vortragen sollte. 

Else Lasker-Schüler ist die letzte Romantikerin dieser Tage oder die erste einer neuen, wieder nach phantastischer, romantischer, gar nicht betriebsamer Zeit sich sehnenden Menschheit. Sie ist eine wertvolle jüdische Dichterin, zu sensitiv und persönlich aber, um je als Parteidichterin proklamiert zu werden, und darum wird sie keine echten Epigonen haben in einer Zeit, die für den Erfolg dichtet. 

Man müßte vieles von ihr ins Hebräische übersetzen. Dazu müßte aber erst ein kongenialer Nachdichter gefunden werden. 

 

Zur Biographie: Eugen Hoeflich

Aus: Juedische Rundschau, Nr. 85, 30. Jahrgang. Berlin, den 30. Oktober 1925, S. 716.

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Von unserem Wiener Korrespondenten (= Eugen Hoeflich)

         Ein junger Mensch hat einen Schriftsteller niedergeschossen und wird freigesprochen. Der Schriftsteller war der Rasse nach Jude, der Mörder gehörte einer national-sozialistischen Organisation (bis kurz vor dem Attentat, versteht sich) als Mitglied an. Diese Fakten sind festzuhalten. Man könnte aus ihnen eine Reihe mehr oder minder treffender Schlüsse auf den Machiavellismus in der Politik, auf die Rechtspflege und auf den Wert oder Unwert des Menschenlebens, wie auf die politischen Verhältnisse Oesterreichs im allgemeinen ziehen. Derlei Schlüsse aber wurden bereits zum Ueberdruß gezogen, nicht nur aus diesem, sondern auch aus allen vorhergehenden, ähnlichen Anlässen, ohne daß sich mehr als das von vornherein feststehende Resultat ergab: wir leben in einer Zeit der Gewalt, wer den Revolver zuerst in der Hand und die Macht der Uebermacht hinter sich hat, ist der Sieger, sowohl vor dem Gewissen dieser Welt, als auch in der Welt der realen, von Gewissen unbeschwerten Tatsachen, die von den Wünschen eines national höchst egozentrischen Wirtschaftslebens bestimmt, von ihm  nicht abzugrenzen sind, weil sie seine Voraussetzungen bilden. Die Kugel, die den Schriftsteller Bettauer traf, die ihn tötete, war also nicht die Kugel eines Desperados politischer Sorte, nicht die eines Menschen, der nichts zu verlieren hat, sondern im Gegenteil, der zur Tat gewordene Ausdruck eines Lebenswillens, der ekstatisch unter den höchsten Sternen seines nationalen Himmels sich bejahen will. Wie anders konnte dieser Rothstock, dieser Ausbund nationalen Lebenswillens, wie er und seine Zeit ihn versteht, dem nationalen Geiste in seiner Brust, den stündlich neue Beispiele und des Oesterreichers Empirie „mir kann nix gschehn“ nährten, dienen, wie anders ihn bejahen, dieser neue Sand, dem kein Kotzebue widerstand, dieses für ein Publikum, das sich gern diesen Sand in die Augen streuen läßt, sistierte Mitglied einer Partei, die nach allen Kriegen der Weltgeschichte Europas leichtfertig ihres Ungeistes Schäfchen ins Trockene zu bringen suchte, sei es mit dem Morgenstern oder der Hellebarde, sei es mit dem Revolver oder dem noch druckfeuchten Bürstenabzug in der Hand, wie anders konnte er aus dem Schutt des Tempels einer ephesischen Diana dieser wohl herostratischen, nicht aber alexanderhaft großen Zeit in den verdammt falsch verstandenen Walhall seines Volkes einziehen? Dieser deutsche Knabe Rothstock, eines biederen tschechischen Hausmeisters Sohn, ein Mischblut also (was machts aus in einem Lande, da die Bielohlaweks Geschichte klittern für das Deutschtum und Tolstoi einen alten Idioten nannten, wo die Führerlisten des deutschen Nationalismus slavischer sind als die des tschechischen?), dieser Mörder hat sein Ziel erreicht, hat es vielfach erreicht: er schoß einen (wenn auch ehemaligen) Juden ab, erledigte einen Konkurrenten deutscher Zeitungsherausgeber, der bessere Ideen hatte als sie, zog in den Walhall ein und ging zu allem frei aus. Frei: im wahrsten Sinne des Wortes: frei, so frei, daß die Staatsgewalt ihn sogar noch eine Zeitlang – bis die Erinnerung an diesen Mord neuen Sensationen gewichen sein wird – mit der beliebten Schutzmarke Dementia praccox schützen wird.

         Der Mörder ist also, dem Wahrspruch der Volksrichter zufolge, unschuldig, der Ermordete aber, der fünf Kugeln im Leib hat, ist schuldig, sein Tod wurde gutgeheißen: der Mörder bekam das Absolutorium, und der Tote mag zusehen, sich einen Platz in der Erinnerung zu sichern. Und tatsächlich: Rothstock, dieser kleine erbärmliche Zahntechnikerlehrling ist unschuldig, denn er ist nichts als ein Symptom seiner Zeit, und Symptome sind stets unschuldig. Sie ausrotten zu wollen, sie allein, ohne ihrem Agens zu Leibe zu gehen, wäre der sinnlose Kampf gegen eine Hydra, deren Lebensenergie tausendfach geschützt ist. Heute heißt das Symptom Rothstock, gestern Bernhard Guidoni und morgen Leutnant v. Ixypsilon, immer aber handelt es sich um dasselbe, den Ausdruck einer Zeit, die ohne die Größe der Grausamkeit zu besitzen, verlottert ist, von dem Augenblick, da die Geschichte mit ihr schwanger ging, bis zu dem Augenblick, da eine neue Krise sie in ihrem Unrat ersäuft. Immer nur Symptom; nie kann ein Rothstock eine Individualität mit eigenen Gedanken sein, mit einer Moral, die über die seiner Zeit hinausragt, mit einer Mentalität, die erschüttert vor dem Erhabenen sich neigt, das ja jedem Menschen erschaffen ist, selbst wenn er nur ein Schriftsteller ist, der in Erotik macht (der selbst ein Symptom seiner Zeit ist). An diesen Querschnittmenschen, die nur geboren wurden, um Symptome ihrer Zeit zu sein, an ihnen bewahrheitet sich das grauenhafte, alle Hoffnung zerstörende Gesetz vom natürlichen Milieu.

         Konnten anders die Volksmänner sprechen, die eine Gesellschaft und die ihr adäquate Mentalität vertraten? Konnte anders die hohltönende Phrase von der Freiheit des Menschen ad absurdum geführt werden? Der Mensch ist frei, das Staatsgrundgesetz garantiert die Freiheit der Person und ihres Eigentums: Der Mann, der mordet, ist frei. Aber auch der, den diese europäische Zeit zum Ziel der heroischen Taten ihrer symptomatischen, wenn auch nicht sympathischen Vertreter machte, der Jude ist frei, frei wie der Vogel in der Luft: wer geschickt genug ist und dement genug, um als Symptom für sie zu zeugen, darf ihn erschlagen, um ihres Dankes sicher zu werden. Der Jude wird verbrannt. Weil Bettauer ein Judenstämmling war, ward er ans Hakenkreuz geheftet, denn der Jude, selbst wenn er dem Judentum sich zu entziehen trachtete, ist frei, vogelfrei: hefker. „Hefker!“ dieses blutaufpeitschende Wort, das uns nachgellt aus den Zeiten der lügnerischen Fahnen Isabellas, aus der Blutgosse von Mainz, aus den frumben Landsknechtsliedern derer um die Löwenherze und die Vermandoises, aus den blut- und hirnbespritzten Steinen der Altneuschul, aus Kischenew und aus der Ukraine, aus Millionen haßtriefenden Mäulern, dieses „hefker!“ ist das einzig positive Wahrzeichen dieser negativen Zeit, das wie ein Zeit- und Gestaltwandel der Idole des Westen überdauerndes Programm aussieht. Mit „Hefker! Beginnt das Intoleranzedikt, das gegen uns erlassen ward, als wir, uns treulos werdend, auf unsere Sendung im Osten verzichten mußten, und mit „Hefker!“ hebt es in dieser, wie in jeder Zeit erneut an.

         Lange gellte uns dieser Ruf in die Ohren. Unseren Vätern bekräftigte er stets aufs neue das Bewußtsein ihrer Andersartigkeit, sie, die wahren Heroen des mittelalterlichen Europa, bestärkte das scheiterhaufenaufwühlende Hefkerheulen in ihrer unendlichen Treue, – wir aber, die wir kleiner werden von Geschlecht zu Geschlecht, wir erfanden die Assimilation, um durch sie den fatalen Ruf zu parieren, um dem Zielruf des gegen uns stehenden Europa das Ziel zu nehmen. Bald aber erkannten wir, daß selbst die kleinste, erbärmlichste Zeit nicht so leicht zu übertölpeln ist, und da wir erkannten, daß der Mechanismus des Revolvers selbst vor dem Leib des Ausgetretenen nicht versagt, rückten wir langsam ab von der Assimilation. Das heißt: wir glaubten von ihr abzurücken, indem wir uns wieder auf unser Judentum besannen, ein neues positives Judentum zu schaffen trachteten, aber der Ruf „hefker“ blieb uns so in den Ohren haften, daß wir, kaum sehen wir den Schein einer Möglichkeit, von der Peripherie des Judentums wieder in sein Zentrum zurückzukehren, uns schon, scheu zwar noch, aber immerhin vernehmbar, bemühten, den so oft vernommenen Ruf selbst zu artikulieren. Schon steigt das Gespenst „wir wollen sein wie alle Völker!“ in unserer Mitte empor, schon wird der Wunsch, sich vollends an die Mentalität dieser europäischen Zeit (die ja auch die Zeit des Ford`schen Amerika ist) zu assimilieren, zum Programm bei uns. 

         Das ist die Moral, die wir, Menschen mit einem positiv jüdischen Willen, aus der Geschichte dieses Mordes und seinen Folgen ziehen können. Uns ist der Mord als solcher, ob er nun einen Juden, einen Judenstämmling oder einen Nichtjuden fällte, verwerflich. Verwerflich aber auch die Gesinnung, die ihn in die Welt setzte, verwerflich die Zeit, deren Ausdruck diese Mentalität ist. Verwerflich aber wie die Tatsache, daß wir heute das Objekt dieser Gesinnung sind, ist die Möglichkeit, daß wir morgen ihr als Subjekt unterliegen können.

         Darum statuierte uns dieser Mörder ein Exempel im negativen wie im positiven Sinn.