➥ Zur Biographie: Wegener Armin

In: Menorah, H. 11-12/1931, S. 534-541

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➥ Zur Biographie: Leopold Weisel

In: Sippurim, eine Sammlung jüdischer Volkssagen, Erzählungen, Mythen, Chroniken, Denkwürdigkeiten und Biographien berühmter Juden aller Jahrhunderte, insbesondere des Mittelalters. 1. Sammlung. Hg. von Wolf Pascheles. 3. Aufl. Prag 1864, S. 51-52

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➥ Zur Biographie: Leopold Weisel

In: Sippurim, eine Sammlung jüdischer Volkssagen, Erzählungen, Mythen, Chroniken, Denkwürdigkeiten und Biographien berühmter Juden aller Jahrhunderte, insbesondere des Mittelalters. 1. Sammlung. Hg. von Wolf Pascheles. 3. Aufl. Prag 1864, S. 40-50

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➥ Zur Biographie: Felix Weltsch

In: Selbstwehr, 25. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 09.01.1931, S. 3f

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[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

In der letzten Zeit sind zwei Publikationen der Wizo erschienen, welche es durchaus verdienen, aus dem besonderen Kreise der Wizo-Interessierten herausgehoben und der allgemeinen zionistischen Welt bekannt gemacht zu werden, so daß wir diese Frauenpublikationen mit Absicht diesmal hier in der Männerabteilung besprechen. Es ist dies die von Martha Hofmann herausgegebene Festschrift anläßlich des zehnjährigen Bestandes der Wizo (Titel: Zehn Jahre Wizo“) und die Broschüre „Bemerkungen zur Organisation und Propaganda“ von Mirjam Scheuer (herausgegeben von der tschechoslowakischen Wizo.*

Die Festschrift gibt ein äußerst lebendiges Bild dessen, was die Wizo bisher geleistet hat, aber auch ein Bild dessen, was dies für unsere zionistische Frauen bedeutet; diese beiden Funktionen stehen miteinander in engster Beziehung. Denn eine Arbeit bedeutet einem nicht nur mehr, je mehr man leistet, sondern man leistet auch mehr, je mehr sie einem bedeutet. Diese beiden Elemente des Schöpferischen, das äußere Werk und die innere Wandlung, kann man gerade hier in den einzelnen Aufsätzen dieser Festschrift unschwer finden. Auf Einzelheiten kann hier nicht ein- gegangen werden vom Reichtum dieses Werkchens gibt wohl am besten das Inhaltsverzeichnis eine Vorstellung, das wir hier folgen lassen:

1. Begrüßungen von Dr. Chaim Weizmann, „Hadassah“ (Zip. F. Szold), Lady Herbert Samuel, Lady John Simon, Blanche C. Dugdale, Karin Michaelis, Dr. Alice Masaryk. 2. Zum Geleit. Die Herausgeberin: „Das zehnte Jahr der Wizo“. 3. Werden und Werk der Weltorganisation. Rebekka Sieff: Die Wizo und ihre Gründerinnen; Romana Goodman: Die Entwicklung der Wizo bis zur Gegenwart; M. Marks und V. Weizmann: Die finanzielle Entwicklung der Wizo. 4. Das Wizo-Werk in Palästina. W. P. E.: Hauswirtschaftliche Erziehung; Chana Maisel-Schochat: Nahalal; Ada Fishman: Neß-Zionah; H. Ben-Barak: Akuleh; Henriette Irwell: Neun Jahre Säuglingspflege: Dr. Theodor Zlocisti: Das Jemenitencentre. 5. Frauenprobleme aus Palästina. Rose Ginzberg: Die rechtliche Stellung der Frau in Palästina; Helene Hanna Thon: Mutter und Kind in Palästina. 6. Die innere Entwicklung der Wizo. Nadja Stein: Aus unsern Anfängen; Hanna Steiner: Neue Solidarität; Mirjam Scheuer: Zukunft der Propaganda; Nanny Margulies: Harmonie in Werbung und Arbeit. 7. Die Frau und die jüdische Kultur. Elke Hofmann: Das jüdische Kunstgewerbe im Reiche der jüdischen Frau; Lotte Hanemann: Jüdisches Kunstgewerbe in Palästina; Alice Jacob-Löwenson: Die jüdische Mu- sik und die Rolle der Frau; Irma Singer: Märchen aus dem Galil; Martha Hofmann: Ziel.*

Wir haben in diesen Blättern stets die Ansicht vertreten, daß die weitere Entwicklung der zionistischen Bewegung – sowohl was ihre Leistung als auch ihren ideologischen Ausbau betrifft – nicht auf dem Wege der Inzucht, also eines konservativen Sichselbstgenügens und Abgeschlossenseins, erfolgen kann, sondern nur auf dem Wege der Synthese mit anderen Elementen der menschlichen Kultur, also auf dem Wege des Offenstehens und der Aufnahmesbereitschaft neuen Impulsen gegenüber. Es ist schon genug oft hervorgehoben worden, daß auf diese Weise die wichtigsten Entwicklungsschritte der zionistischen Bewegung gemacht worden sind, wie zum Beispiel die für den Aufbau von Erez Israel so bedeutsame zionistisch-sozialistische Bewegung (entstanden durch Synthese von Zionismus und Sozialismus), oder etwa der Makkabi und der jüdische Sport, entstanden aus der Verschmelzung von Zionismus und moderner Körperkultur, usw.: wenn man will, kann man sogar unschwer die zionistische Fraktionsbildung ähnlich erklären.

Nicht anders ist es mit der Wizo. Sie ist aus der Synthese von Zionismus und moderner Frauenbewegung entstanden; und auch hier ist, wie bei jeder schöpferischen Synthese, das Resultat nicht etwa bloß eine mechanische Summe dieser beiden Richtungen, sondern etwas Neues, eine Bewegung eigener Art.

Was ist das Besondere, das die Frauen als einheitliche, ihrer Eignung bewußte Arbeitsgruppe in das zionistische Werk gebracht haben?

Nur zwei Elemente will ich hier hervorheben: ein fachliches und ein methodisches. Das Sachliche liegt in der Bevorzugung ganz bestimmter Arbeitsgebiete, welche den Frauen zugänglicher und näher sind als den Männern: Mädchenerziehung, Mutterhilfe, Säuglingspflege, Kinderfürsorge, Pflegewesen überhaupt (es ist bezeichnend, daß das hochentwickelte Sanitätswesen Palästinas zum großen Teil auf weibliche Initiative zurückzuführen ist). Das Methodische liegt in der besonderen Art weiblicher Arbeit überhaupt, welche den Dingen unmittelbarer zugewendet, also konkreter ist als die männliche. Die Arbeit der Frauen ist vielleicht nicht so systematisch, wie die männliche, aber sie ist dafür wirklichkeitsnäher; sie ist nicht so weitblickend, aber sie ist oft tiefer blickend. So haben sich denn auch die zionistischen Frauen für ihre Arbeit den richtigen Weg gewählt; sie haben einzelne wichtige Institutionen geschaffen und in ihre Obsorge genommen, und haben sie tatsächlich zu Musterinstituten entwickelt.

Trotzdem scheint mir der wesentliche Beitrag der zionistischen Frauen zur zionistischen Arbeit nicht in dieser psychologischen Spezifität der Frauenarbeit zu liegen, sondern in einem weit formaleren Element; um es vorweg zu sagen: Durch die bewußte zionistische Frauenarbeit ist eine neue „Wir-Funktion“ mit besonders günstigen Voraussetzungen positiver Betätigung geschaffen worden.

Was bedeutet diese Formel?

Es ist leicht einzusehen, daß die wichtigsten Gemeinschaftsleistungen durch Bildung neuer „Wir-Funktionen“ hervorgebracht werden. Eine Anzahl von Menschen fühlt sich plötzlich, auf Grund gemeinsamer Ideen oder Ziele, oder auch nur auf Grund eines gemeinsamen Schlagwortes als ein neues „Wir“, mit neuen besonderen Aufgaben und neuen Kräften. Dieses „Wir“ erhält bald das Bewußtsein seines Wertes, seiner Unersetzlichkeit, seiner Auserwähltheit und strebt, diesen Wert zu bewähren und zu erhöhen. An diesem Wert des „Wir“ ist jedes einzelne „Ich“ dieses „Wir“ mit seinem Wesen beteiligt und empfindet jede Wertsteigerung des Wir als eigene Werterhöhung. Ein jedes Ich dieses Wir ist stolz auf das Wir, und aus diesem seinem Wir-Bewußtsein wächst seine Kraft zu arbeiten, zu leisten, ja selbst zu opfern. Aus der Fülle seines Wir-Wertgefühls lernt das „Ich“ individuelle Nachteile auf sich zu nehmen zugunsten von Vorteilen des „Wir“. Darauf aber kommt es an; von dieser Fähigkeit des Individuums hängt die Gemeinschaftsarbeit ab.

So entsteht jedes Gruppenbewußtsein, das Bewußtsein der Nation, der religiösen Gemeinschaft, der Partei, der Fraktion.

So ist es auch mit den Frauen. Die Wizo hat ein neues zionistisches „Wir“ geschaffen, mit neuen Kräften, mit neuen Fähigkeiten der Selbsthingabe und des Opferns, der Kräftesteigerung und der schöpferischen Leistung.

Die „Wir-Funktion“ ist aber nicht nur der segensreiche Engel, als den wir sie bisher geschildert haben; sie ist auch nebenbei – ja mehr noch, man kann sagen, zumeist – ein wahrer Teufel. Denn aller Haß von Völkern und Gruppen, alles Parteihader, alle Gruppeneitelkeit, Rassenfanatismus, Antisemitismus, Krieg entstehen aus diesem „Wir“. Arnold Zweig hat die bösen Funktionen des Wir-Bewußtseins in seinem „Caliban“ eindringlich dargestellt.

Die Gefahr der Wir-Funktion liegt darin, daß das Wir die Erhöhung des eigenen Wertes auf einen Irrweg zu verwirklichen sucht; durch negative und nicht durch positive Anstrengung. Das „Wir“ entdeckt nämlich sehr rasch, daß es leichter ist, zu zerstören, statt zu bauen; und daß auf dem Wege der Zerstörung auch der Schein und die Beruhigung einer Wertsteigerung zu haben ist. Es ergibt sich nämlich, daß es der einfachste Weg ist, den Wert des „Wir“ zu erhöhen, wenn man den Wert des „Ihr“ herabsetzt. So entstehen Gruppenhaß und Gruppenfeindschaft; und das ist auch leider zu einem großen Teil die psychologische Basis der meisten Oppositionen. Es wird ein neues „Wir“ geschaffen, das vor allem erst mal sich selbst zu beweisen sucht, indem es die „Herrschenden“ herabsetzt. Das ist eine Gefahr, in welche die Technik der Demokratie verlockt, indem sie für alle Unzufriedenen die Möglichkeit schafft, durch Zusammenschluß ein neues „Wir“ zu konstituieren und sich durch Herabsetzung der andern zu einem Geltungsgefühl hinaufzuschrauben. Selbstverständlich gibt es für diese Herabsetzungen und Kämpfe genug plausible Gründe; es hat noch keine Triebhandlung gegeben, die sich nicht eine rationelle Begründung zu schaffen gewußt hätte. Man kann eben, so heißt es, erst bauen, wenn man die Hindernisse und den Schutt hinweggeräumt hat, wenn man zur Macht gekommen ist. Also, zuerst müsset „Ihr“ gestürzt sein, dann werden „Wir“ zeigen, was wir können . . .

Es scheint wirklich nicht nötig zu sein, noch mehr über die Schattenseiten der Wir-Funktion zu sagen. Dagegen ist es nun nötig, den Schluß zu ziehen: Es kommt alles darauf an, die Wir-Funktion vor dieser Verirrung ins Negative zu bewahren und sie positiv leistungsfähig zu erhalten. Und: Ein neues „Wir“ ist um so bedeutsamer und segensreicher, je weniger Anlaß und Verlockung zu bloß negativer Betätigung, zu Eifersucht, Neid und Prestigekämpfen es bietet.

Und nun sind wir wieder bei der Wizo angelangt. Hier ist ein solch glücklicher Fall gegeben. Das neue „Wir“ der zionistischen Frauen ist tatsächlich zum größten Teile positiv aufbauend; es hat sich durchaus noch in kein „Ihr“ festgebissen. Es mag vielleicht auch hier – wir sind nicht so genau orientiert – im Inneren manche kleine Kämpfe geben; aber so viel ist sicher: das neue zionistische „Frauen-Wir“ steht mit dem alten zionistischen „Männer-Wir“ durchaus in keinem Zustande der Eifersucht oder eines gehässigen Kampfes. Die zionistischen Frauen beschäftigen sich durchaus nicht damit, die Arbeit der andern zu kritisieren oder herabzusetzen; sie schaffen einfach positiv an ihrem Werk.

Diese günstigen Umstände haben ihren guten psychologischen Grund. Es gibt zwischen den Geschlechtern gewiß genug Spannungen des Hasses, der Eifersucht und der Bosheit; aber sie werden mehr im Einzelkampf abgeführt und entladen sich auf ganz andern Gebieten des Lebens als auf dem des Geltungskampfes oder des Wertwillens in der zionistischen Arbeit. So ist hier also der äußerst erfreuliche Fall eingetreten, daß ein neues Wir entstanden ist, welches ohne Haß und ohne böse Nörgelei gegen die andern arbeitenden „Ihr“ zu wirken vermag. Es ist ein gesunder Wettbewerb. Und die Früchte sind nicht nur in Palästina zu sehen, wo die von den Frauen begründeten und betreuten Anstalten zu den besten Leistungen unseres Aufbauwerkes gehören, sondern auch bei den zionistischen Frauen selbst, die durch ihre Arbeit ihre Eigenart als Frauen und Gatten zur schönsten Entfaltung zu bringen vermögen.

* Wir kommen auf diese Schrift in einer der nächsten Nummern zurück.

➥ Zur Biographie: Felix Weltsch

In: Selbstwehr, 14. Jahrgang, Ausgabe 24 vom 11.06.1920, S. 2f

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[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Es ist für Juden, denen das Judentum freudig ergriffenes Schicksal ist, schwer, diesem Drama Arnold Zweigs gegenüber objektiv zu bleiben. Denn wir sind mit unserem ganzen Sein daran beteiligt, mit den Wunden und Qualen unseres Lebens in der Galuth, und mit den Gedanken und Gefühlen unserer höchsten Erhebung.

Das Drama hat einen großen Vorwurf; den größten beinahe, den wir uns denken können. Es ist die dramatisierte jüdische Theodicee; die jüdische Rechtfertigung Gottes für alles Böse, das mit seinem Willen in der Welt ist. Ja, es geht über diese Theodicee noch hinaus; es wagt sich an die letzte und anmaßendste Frage aller Religionen: Warum hat Gott – nicht nur das Böse, sondern überhaupt das Mangelhafte, Nichtvollendete, kurz, das „Werden“, das dem absoluten göttlichen Sein gegenüber ja immer unfertig, irdisch, mangelhaft ist, geschaffen? Wozu hat es Gott notwendig, aus den unausdenkbar glücklichen Höhen seines unendlichen vollkommenen Seins sich in das fragwürdige Abenteuer des Werdens zu stürzen, die Welt voller Materie und den Menschen voller Zweifel und Sünden zu schaffen?

Die „Stimme des Herrn“ gibt Antwort auf diese Fragen: „Welt ist mein Weg zu mir, und der Mensch ist der Weg der Welt zu mir.“ „Die Zeit erfüllen kann nur der Mensch. Die Seelen der Menschen tragen meine Einung in sich, die Seele meines Volkes bringt meinen Gesalbten herauf, meinen Erlöser. Maschiach kommt. Die Schechina kehrt heim, ich werde eins sein mit meiner Glorie.“

Darum also das „Werden“. Der ganze unselige Prozeß der Zeit ist notwendig, damit Gott erhöht werde, die herumirrende Herrlichkeit Gottes sich mit Gott wieder eine. Darum das Unvollendete, der Kampf und alles Wagnis der Neuschöpfung; darum das Böse: damit die Wahl sei; damit, wie Baalschem am Schlusse sagt, „die Seelen entbrennen, die Herzen erschüttert und die Funken gehoben werden.“

Und darum auch das Böseste des Bösen: Die Ritualmordlüge, das Blutmärchen, das über die Häupter Israels gebracht wird, und das hier – das ist die irdische Handlung des Stückes – in seiner ganzen Kraßheit sich abspielt, angelehnt an die historischen Vorgänge des Prozesses von Tisza-Eszlár, die Ritualmordaffäre von Ungarn.

Der Gutsbesitzer Onody vergewaltigt ein Landmädchen und tötet es dabei unversehens. Als das Mädchen vermißt wird, kommt unter der Bevölkerung das Ritualmordmärchen auf. Es wird von der antisemitischen Partei unterstützt, welche in dem Untersuchungsrichter Bary ein ehrgeiziges und hinlänglich beschränktes Werkzeug findet. Um einen Beweis zu haben, läßt Bary den Sohn des Schames, Moritz Scharf, so lange abwechselnd foltern und mästen, bis seine sittliche Kraft zerbricht und er aus der Phantasie den Ritualmord schildert. Prozeß; Gerichtsverhandlung.

Alles wütet gegen die Juden. Nur drei Personen nicht; der Gendarm, ein Deutscher, ein redlicher und fortschrittlicher Mann, der korrekte Richter und der gerechte und menschliche Staatsanwalt. Der findet auch die salomonische Lösung. Ein Lokalaugenschein lehrt, daß durch das Schlüsselloch, durch welches Moritz Scharf alles gesehen haben will, nichts gesehen werden kann. Freispruch. Bary erschießt sich. Moritz Scharf sieht, wohin er geraten ist, bereut und tötet sich. Semael, der Teufel, ist wieder einmal unterlegen. Ein Schritt weiter zum Maschiach ist getan.

Es wird, wie gesagt, schwer, an dieses Stück den kritischen Maßstab anzulegen. Und es ist wahrscheinlich auch Arnold Zweig, als er es schuf, schwer gewesen, sich in künstlerischer Zucht zu halten. So muß man denn sagen, daß das Drama in seiner Gestaltung hinter der Größe seines Vorwurfs zurückbleibt.

Sein Fehler ist – ganz kraß ausgedrückt: Er hat zu viel von einem Rechenexempel in sich. Es geht durchaus auf. Die Stimme Gottes offenbart in wundervollen, an den Quellen unserer jüdischen Mystik geschöpften Worten ein – Programm, das im Stück restlos durchgeführt wird. Die- ses göttliche Programm – irgendwo von der Gallerie her von Bogyausky gesprochen, blieb – so sehr es auch unsere tiefsten religiösen Gedanken verkündete – als „Theater“ wirkungslos.

Klar gefügt – beinahe geometrisch – ist das irdische Geschehen: Das dumme Volk; der unwahrscheinlich beschränkte oder unwahrscheinlich böse Untersuchungsrichter; die ganz schwarzen Onody und Istoczy; der biedere deutsche Gendarm; der gute Staatsanwalt; in der Mitte des Stückes Moritz Scharf, von dessen moralischer Elastizität alles abhängt; schließlich die vollkommene Lösung durch die Schlüssellochgeschichte. Die Bösewichter gehen zugrunde. – Das Exempel geht auf; es bleibt kein Rest; nicht auf Erden, nicht im Himmel und nicht in der Hölle.

Ist diese geometrische Deutlichkeit ein Fehler?

Kunst ist Schöpfung neuen Lebens. Das Geschehen im Drama muß die Zeichen wahren Lebens tragen. Kristallklarheit des Geschehens gehört aber nicht zu diesen Zeichen. Im Leben bleiben Reste. Sie sind sogar Antrieb zu weiterem Leben. Im Leben schillert alles ein wenig; es ist alles ein bißchen verwirrt.

Das alles wußte Arnold Zweig natürlich auch. Er hat sich nur nicht darum gekümmert; vielleicht hat er diese scharfe Deutlichkeit sogar gewollt, – als Kunstmittel gleichsam: Expressionismus der Charaktere und der Handlung. Dann kann nur die dramatische Wirkung Kriterium des Gelingens sein. Und diese war nicht ganz überzeugend. Man war tief erschüttert und ergriffen; aber man fühlte sich doch nicht inmitten des Geschehens, blieb irgendwie draußen. Trotz aller Leidenschaft, trotz vieler wunderbarer dichterischer Stellen blieb ein kaltes Medium zwischen Stück und Zuschauer. Diese eigenartige Wirkung wurde noch durch die Ausstattung betont, die gerade diese Seite des Stückes allzugut verstand und die Geometrie der Handlung durch die Geometrie der Häuser und Synagogen unterstrich. Mit dieser Stilisierung stand freilich das naturalistische Gehaben der Personen in einem gewissen Widerspruch. Vielen in der Ausstattung schien überflüssig spielerisch. Der Gedanke an die Wichtigkeit des Schlüsselloches war bei den Säge- oder Korkziehertüren etwas peinlich.

Die Aufführung selbst gehörte zu den besten Leistungen unseres Ensembles. Es war ein gelungenes Werk des Regisseurs Pabst. Am Zusammenspiel, an der Disziplin der Schauspieler merkte man die künstlerische, zielbewußte Führung und gute Probenarbeit – eine wesentliche Besserung in der letzthin in der „Selbstwehr“ von Max Brod bemängelten Vorbereitung literarischer Stücke. Die Schauspieler boten beinahe durchwegs Zufriedenstellendes. Hervorzuheben ist in erster Reihe Soltau, der einen sehr glücklichen Abend hatte; ebenso Hölzlin, Raabe und Schütz, der schön sprach und auch gut aussah, wenn er auch mit seinem Krummstab mehr an den heiligen Nikolo als an den Propheten Elijahu gemahnte.

Das Publikum war sehr bei der Sache und dankte am Schluß begeistert allen Mitwirkenden, insbesondere dem Regisseur Pabst.

➥ Zur Biographie: Felix Weltsch

In: Selbstwehr, 19. Jahrgang, Ausgabe 21 vom 22.05.1925, S. 2

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[Orthographie und Zeichensetzung des Originals wurden bei dieser Transkription übernommen.]

Kunst ist Gefühlsgestaltung; im weitesten Sinne stets Expressionismus; Gestaltung der tiefsten Schicht der menschlichen Seele in einem bestimmten Material, in Worten, Tönen, Geschehnissen, Farben, Bewegungen. In dieses Material werden die Gefühle transponiert, sie werden gleichsam abgebildet, in Wahrheit neu gebildet, denn durch die Gestalt werden sie erst eine Einheit, ein Ganzes, unteilbar, gemeinsame, soziale Wirklichkeit.

Zwei Urkräfte sind am Werk: die primäre Kraft des Erlebens, die Intensität des Gefühls, die zum Ausdruck drängt, ins Weite geht, auseinanderzuströmen droht, und die Gegenkraft des Einheitsstrebens, welche formt, Ganzheit schafft und so den Ausdruck erst ermöglicht. Aus dem Kampfe der beiden Gegenkräfte, der Ausdrucksbegierde, dem Ausdruckstaumel und dem formenden, hemmenden, herrschsüchtigen Einheitswillen entsteht erst die Kunstgestalt.

Es sind Gegenkräfte; aber die eine kann ohne die andere nicht leben. Sie bekämpfen einander und sie brauchen einander. Ja schließlich ist jede eigentliches Betätigungsmaterial der anderen. Die Formtendenz ist die Gegenkraft, in welcher der Ausdruckswille seine Kraft erprobt, sie ist der Widerstand, den er bracht, wenn er Wirklichkeit werden will. Die Intensität des Erlebnisses müßte verpuffen, wenn sie sich nicht die Gegenkraft des Form- und Einheitswillens willig-unwillig schüfe; und der Einheitswille wäre eine starre, leere und schwächliche Tendenz, wenn er nicht vom Ausdruckswillen stets bedroht und gespannt würde.

Diese beiden Urkräfte befinden sich nicht in stetem Gleichgewicht. Es gibt Menschen, Völker und Kunstperioden, wo die Ausdruckstendenz stärker ist und solche, wo der Formwille mächtiger ist. Keine der beiden Kräfte darf fehlen, wenn Kunst werden soll, aber ein kleines Mehr oder Minder kann es geben. Und so entsteht, wo der Formwille überwiegt, die klassische, die naive, die objektive Kunst, die Kunst des edlen Maßes und der beherrschenden Form, und auf der anderen Seite die sentimentale, romantische, expressionistische, aber auch impressionistische Kunst, wo die Ausdrucksbegierde den Formwillen überwältigt.

*

Es ist gewiß keine leichte Aufgabe, zu entscheiden, ob man überhaupt von einer spezifisch jüdischen Kunst reden darf und zu erfassen, was das Spezifische an ihr ist. Wollte man aber bloß eine beiläufige Einreihung in die beiden Grundkategorien versuchen, so liegt es so ziemlich auf der Hand, die Juden zu den Expressionisten im weitesten Sinne zu rechnen – etwa im Gegensatze zu den Griechen, welche die Formkünstler par excellence waren. Nicht maßvoll, nicht edel, nicht zierlich ist die jüdische Kunst, wo man ihr spezifisch begegnet, sondern bewegt, gewagt, stark, zum Aeußersten strebend, exzentrisch, phantastisch.

*

Es ist hier nicht der Ort, die Gedanken gründlicher und weiter auszuführen. Sie sollten nur eine allgemeine Einleitung zu folgenden zwei Notizen sein. Wenn wir hier zwei Künstler aus ganz verschiednen Gebieten und von verschiedenem Niveau nacheinander besprechen, so ist es gerade jenes Gemeinsame, zu dessen Erfassung wir vorstehende Zeilen schrieben.

*

In der Kunstausstellung im Parlamentsgebäude stellt der jüdische palästinensische Maler Abel Pann seine Werke aus. Wir haben bereits zweimal über dieses Ereignis, das immerhin in der Prager jüdischen Welt weit mehr Interesse finden sollte, als dies der Fall ist, berichtet. Betrachtet man die große Reihe der Pannschen Pastelle zur Bibel, so merkt man gleich: das ist nicht die Malerei, die heute Mode ist; aber es ist auch nicht die Malerei, die an der Stelle steht, wo heute in der Malkunst um neue Wege des Ausdrucks gerungen wird. Sie schließt offenbar an eine Zeit und an eine Praxis an, die heute als längst überwunden gilt. Und doch sieht man in diesen Bildern eine ungeheuere Kraft des Ausdrucks. Man kann die Bilder als literarische Malerei klassifizieren. Ihr Ausdrucksmittel ist nicht so sehr der Raum und die Raumform als Handlung und Geschehen. Für die heutige Malerei ist das Sujet ein bloß neutraler Vermittler zwischen Gefühl und Raumgestaltung; hier nimmt es eine beherrschende Stellung ein; hier ist es Hauptmittel der Gestaltung. Vielleicht fühlt dies mancher heute als eine Mischkategorie, als eine Zwischenstufe zwischen Literatur und Malerei; ein Einwand gegen Panns Kunst scheint mir das nicht zu sein. Sein Hauptausdrucksmittel ist die Farbe; und ist dies hemmungslos, wahrhaftig nicht maßvoll, überströmend und unbedenklich. Es ist ungeheuer viel Leben in diesen Farbensymphonien um Bibelzitate herum; die Bilder machen irgendwie nicht ganz den Eindruck des Bleibenden, Festen, sondern des Hinübergehenden, Weiterdrängenden. Rudolf Fuchs hat in einer kritischen Betrachtung den Vorwurf gemacht, daß diese Bilder nicht für sich allein bestehen könnten, daß sie nicht Bilder, sondern Illustrationen seien. Vielleicht: doch sag’ ich nicht, daß dies ein Fehler sei. Ich möchte noch weitergehen: Nicht nur, daß die Bilder zu ihrer vollen Existenz die Bibel brauchen; sie brauchen auch einander selbst. Sie werden durch ihre Geschwister erhöht und vervollständigt. Große Kunst im besten Sinne ist nicht so sehr das einzelne Bild, als das ganze Malunternehmen, wie es uns die Ausstellung – imponierend und doch noch lange nicht vollendet – zeigt: ein Gesamtillustrationswerk der Bibel, ein farbiger Phantasietraum von der Bibel.

*

Zwei jüdische Tänzerinnen, Grtrud Kraus und Guilp. Delp, veranstalteten in der vorigen Woche einen eigenen Tanzabend, in dem sie ihre Kunst zu zeigen versuchten. Tanz – als Kunst – ist Aus- druckskunst im stärksten Sinn. Seine Ausdrucksmittel sind die Bewegungen des eigenen Körpers.– Und auch hier gilt von Form und Ausdruck, und von jüdischer Kunst das, was einleitend gesagt worden ist

Gertrud Kraus ist eine jüdische Tänzerin. Sie ist aus dem Wiener Makkabi hervorgegangen. Was sie – und ihre Partnerin leistet – ist wahre Kunst und man kann es vielleicht trotz aller Bedenken sagen, – jüdische Kunst. Denn auch hier ist eine heftige Begierde des Ausdrucks zu verspüren, welche die in der Tanzkunst vielleicht allzu starren Formen sprengt und neue phantastische Wege sucht. Die Tanzkunst ist heute noch keine selbständige Kunst; sie ist verschwistert mit der Musik, lehnt sich an die Musik an und wagt nur Gefühle auszudrücken, welche bereits durch die Musik eine Form gewonnen haben. Die Intimität, mit der sich die Tänzerinnen an die musikalische Form anschmiegten, sowie der Versuch, durch diesen engsten Anschluß an die Musik neue Formen der Tanzexpression zu finden, boten einen wahren Kunstgenuß; – der freilich nur einer kleinen Schar von Anwesenden zugute kam. Eine Tanzvorführung jüdischer Tänzerinnen um 6 Uhr in der Alhambra ist für das Prager Publikum eine ungewohnte Sache. Und zu ungewohnten Darbietungen hat das Prager Publikum kein Vertrauen. Hier war’s mit Unrecht.

 ➥ Zur Biographie: Robert Weltsch

Aus: Jüdischer Rundschau, Nr. 25/26, 39. Jahrgang

Berlin, Mittwoch, den 28. März 1934, S. 3.

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Zwischen alter und neuer Welt

RW, An Bord der „Mariette Pacha“, 7. März

Je weiter sich das Schiff von der Küste Europas entfernt, um so mehr gewinnen wir Abstand von dem Aufruhr der Gefühle, in welchem ein Jude in Europa jetzt lebt. Die Judenfrage ist im letzten Jahr aufgerollt worden wie nie zuvor; das Schicksal der Juden ist als eine der großen weltgeschichtlichen Tragödien der letzten zwei Jahrtausende erkannt worden – eine Erkenntnis, die durch viele Jahre der geistigen „Prosperity“ verborgen war, als man öffentlich kaum ernsthaft vom Lose der Juden sprach; die Juden selbst waren die letzten, die solche Erörterung gewünscht hätten, obwohl sie ja wußten, daß sie auf schwankem Boden stehen. Heute aber ist es nicht zu verdecken, und wir wissen nicht, ob wir erst am Anfang der großen Auseinandersetzung stehen oder ob wieder ein geistiger Ruhezustand eintreten wird. Wer weiß denn heute überhaupt, wie diese Welt und dieses von inneren Krisen heimgesuchte Europa die nächsten Jahre bestehen wird; die jüdische Erschütterung ist ja nur eine Seite einer Umwälzung, die weit größere Dimensionen hat; im jüdischen Leben spiegeln sich stets die Vorgänge der Umwelt in besonders empfindlichem Maße. Und nun steht in einer besonders eigenartigen Weise auch das Judentum am Scheidewege. Denn das jüdische Volk ist dereinst in Palästina geformt worden; von dort aus hat auch die übrige abendländische Welt ihre entscheidende kulturelle Prägung erhalten. Das Judentum hat die Ethik der „10 Worte“ und die Lehre von Gut und Böse zum Gesetz erhoben, und wenn heute mancherorts diese Grundlagen abendländischer Weltanschauung umkämpft werden, wenn eine ernste Auseinandersetzung um Lebensrichtung und Glauben ganze Völker ergreift, so ist das für uns Juden ein entscheidender Moment unserer Existenz. Es geht hier nicht um Politik und nicht um Wirtschaft, und das Bekenntnis zu Palästina, dem zentralen Ort dreier Religionen, ist für uns Juden heute eine stärkere Bindung, als in den ersten Anfängen der neupalästinensischen (zionistischen) Bewegung angenommen wurde. Wo stehen wir? Wohin steuern wir? Welche ewigen Werte erkennen wir an?

Unwiderstehlich ist die Gewalt der Idee, die sich mit diesem Lande verknüpft.

Tausende sind dafür gestorben, in Geschichte und Mythos ist diese Kraft wirksam. Und längst, bevor es einen „politischen“ Zionismus gab, war die „Zionsliebe“ in den Herzen lebendig. Sie hat im Mittelalter Jehuda Halevi, den großen Dichter, nach Palästina getrieben und ihn bei der Landung niederfallen und den Boden küssen lassen. So etwas vergißt ein Volk nicht, und was wunder, daß ein kleiner jüdischer Junge aus einer rumänischen Stadt, selbst stark jüdisch und künstlerisch erregt, mir zur Abreise auf das Schiff einen Brief schrieb, der an jene Liebe Jehuda Halevis erinnert. Denn „stärker ist die Liebe als der Tod“…

Das ist Zion, Palästina, das Land, dem unser Schiff zusteuert.

Jeder auf dem Schiff fühlt etwas davon. Man kennt aus den letzten Jahren viele Beschreibungen von Palästinareisen, Impressionen, die stets mit der Schilderung der Schiffsreise beginnen. Und in der Tat, man muß den „Mut zur Banalität“ haben: diese Gemeinschaft von reisenden Juden aus aller Herren Länder, die einem Ziel zustreben, hat etwas Packendes. Immer sind ein paar Originale und Sonderlinge darunter, immer auch seltsame Schicksale; man findet in solchen lebendigen Einzelschicksalen oft mehr von dem Wesen der jüdischen Frage als in so mancher gelehrten Erörterung. All diese Menschen sind erwartungsvoll und wohl auch etwas bange. Etwas Neues liegt vor ihnen. Auch mit uns fahren – neben den „Touristen“ – eine Anzahl von Juden, die die Brücken hinter sich abgebrochen haben und nun ihre neue Zukunft zu bauen haben, in der Mitte des Lebens, nicht mehr in voller Jugendfrische, neuen Bedingungen entgegen. Juden aus Deutschland sind dabei, meist stille bescheidene Menschen, die den Ernst ihres Entschlusses empfinden. Das ist ein typisches Bild. So geht es alle Tage, jeder Dampfer, der das Mittelmeer durchkreuzt, bringt neue Menschen. Wir aber empfinden besonders stark, daß dies alles nicht einfach eine „Reise“ sein kann, sondern tieferes dahintersteckt und sich hier nach außen in der Dramatik des Geschehens offenbart:

Palästina ist nicht nur Reiseziel, sondern Forderung und Aufgabe,

und daher betrifft das, worum es geht, auch die Daheimgebliebenen und die Juden, die nicht auswandern wollen oder können, auch die mit ihrem jetzigen Heimatboden eng verknüpften. In der Scheidung der Geister innerhalb der Menschheit wird heute alles wieder auf einfache Formen zurückgeführt. Wir Juden müssen unsern Weg gehen. Die großen Zusammenhänge, in denen jeder von uns steht, werden immer auch dieses Zion umfassen.

In Alexandria, wo das Schiff gerade hielt, bevor es nach Jaffa weiterfährt, hatten wir das eigentümliche Erlebnis der Begegnung mit einer ägyptischen Frau, die uns das, was wir fühlen, verstärkt ins Bewußtsein brachte. Eine koptische Christin, Angehörige der ältesten ägyptischen Schicht, der wahren Nachkommen der alten Aegypter aus Pharaos Zeiten, dabei eine ganz moderne hochgebildete Frau, nahm uns in ihrem gastlichen Haus auf, einer herrlichen Villa am Strande des Meeres, und in unermüdlicher Darlegung entwickelte sie ihre Ideen: die Erlösung der Welt durch die Vereinigung des Hauses Israel mit der heidenchristlichen Welt, als deren Repräsentanten sie ihr Vaterland Aegypten betrachtet, unter Berufung auf das 19. Kapitel Jesaja. Diese Vereinigung könne nur geschehen im Zeichen der Niederringung des Materialismus und Ueberwindung des Imperialismus. Die Juden, so meint sie, haben Teil an beiden. Diese genaue Kennerin der Bibel weiß, daß im Judentum Höchstes neben Niedrigstem steht und gerade darum, so meint sie, hänge von der inneren Entscheidung des Judentums besonders viel ab. Diese Frau, eine glühende Patriotin und Führerin des Wafd, der ägyptischen Unabhängigkeitspartei, hat ein Buch über die Judenfrage geschrieben, das im Manuskript vorliegt. Sie gibt eine Anklage und Verteidigung der „Protokolle der Weisen von Zion“: dieses Buch, bekanntlich eine plumpe Fälschung, enthalte, so sagt sie, Gedanken, die wahr sein könnten, und daher müsse man auch sachlich darauf entgegnen. Man müsse neben dem materialistischen den prophetischen Juden zeigen und denen, die an das Buch glauben, die Erkenntnis eröffnen, daß nur durch eine andere Art der Behandlung der Juden, durch den Willen zu einer Harmonisierung der Welt, auch die Judenfrage zu lösen sei. Nicht „Bekehrung“ der Juden sei die Aufgabe, sondern jeder eifre seiner eigenen Liebe und seinem Glauben nach, aber diese Liebe allein wird Menschen öffnen und den Weg bereiten. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Verfasserin natürlich weder Lessings „Nathan“ noch die moderne, in deutscher Sprache erschienene Literatur über die Judenfrage kennt. Was sie genau kennt, ist die Bibel, und sie weiß eine Fülle geistreicher Erklärungen, die manchmal ein auch für uns verblüffendes Licht auf schwierige Stellen werfen. Kann man sich diese Szene in der ägyptischen Villa am Meer und der vor Juden die jüdische Bibel mit innerem Feuer vorlesenden christlichen braunen ägyptischen Frau ausmalen? Welch eine andere Welt! Und das ist die Erbin eines alten Volkes am Mittelmeer, der Wiege aller Kultur Europas. Mag es in Asien und im fernen Osten noch andere große Kulturkreise geben, hier am Mittelmeer, so fühlt man (und Jahrtausende werden wie ein Tag), ist der Kreis, aus dem Europa erwuchs; und an seiner nahen Ostküste liegt das Land, dem wir entgegenfahren, das Land, das so wichtige Bausteine zu dieser hier entstandenen abendländischen Welt beigetragen hat, dessen Ausstrahlung wir in diesen seltsam bewegten Stunden in Alexandria durch Raum und Zeit hinweg so stark empfinden: Palästina, das nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Gegenwart hat.

So gleitet unser Schiff in die letzte Nacht der Fahrt hinein. Ein seltenes Ereignis geschah auf dieser Reise: es wurde uns ein Kind geboren. Ein Jude aus Deutschland, der in den letzten Jahren in einer großen Stadt Westdeutschlands als Handwerker tätig war, der im letzten Halbjahr in der Emigration irgendwo in Luxemburg oder Frankreich vergeblich Arbeit suchte und nun endlich sein Zertifikat erhalten hatte, wurde während der Reise Vater eines Knaben. Der Mann hatte nur noch wenig Geld; er fährt 4. Klasse, seine Frau „IIa“, d. h. 3. Klasse. Diese beiden Klassen sind natürlich nicht luxuriös, aber durchaus anständig, und den Passagieren 4. Klasse kommt die väterliche Fürsorge des „Maschgiach“ (Aufseher der koscheren Küche) Goldkranz, früher in Berlin, zugute, der auch beim Sabbath-Gottesdienst einen perfekten Vorbeter darstellt. Die gebärende Frau wurde von den Schiffsärzten in Obhut genommen und das ganze Schiff vom Kapitän bis zum letzten Passagier fühlte sich als „kleine Familie“. Als das Kind geboren war, wurde es eine Art Stolz der „Mariette Pacha“. Die Schiffsgesellschaft „Messageries Maritimes“ schenkte „ihrem“ Kind lebenslänglich alljährlich eine Passage 1. Klasse. Die jüdischen Passagiere halfen so gut sie konnten; in Alexandria wurde Wäsche gekauft, auch etwas Geld erhielt der Vater, der selbst fast keines mehr hatte (und aus diesem Grund seine Abreise trotz des kritischen Zustandes so beschleunigt hatte).

Am letzten Abend waren alle fröhlich. Ein Mann, der mit einem Sefer Thora in der 4. Klasse fuhr, tanzte verzückt chassidische Tänze. Ueber uns schon die Sternenpracht des palästinensischen Himmels.

Und am nächsten Morgen liegt Jaffa da im Morgenglanz, und fast endlos erstreckt sich daneben, in leichtem Dunst verschleiert, die neue Stadt Tel-Awiw. 

So oft man auch in Palästina landen mag, dieser Moment ist immer wieder einzig und „zum ersten Mal“.

Vorzüglich an diejenigen, so unter dem Schutze des glorreichen und großmächtigsten Kaisers Josephs des Zweyten wohnen. Aus dem Hebr. nach der Berliner Auflage. Wien 1782.

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